Das Versagen des „Stern“ – und zum Beleg dieser Diagnose die Druckvorlage der Einführung zur Vorstellung von „Meinungsmache“
Bei der Buchvorstellung am vergangenen Donnerstag hat Hans-Ulrich Jörges von der Chefredaktion des „Stern“ engagiert bestritten, dass die Medien versagen. Sein eigenes Medium hat nun über die Veranstaltung so berichtet, als sei der berichtende Redakteur gar nicht anwesend gewesen. Siehe Anlage 1. Da ist es gut, dass ein NachDenkSeiten-Leser meine Einführungsrede als druckfähiges PDF [100 KB] aufbereitet hat. Bitte verteilen Sie diesen Text über Ihren E-Mail-Verteiler oder nach Ausdruck auch auf Papier. Albrecht Müller
Lesen Sie bitte diese Buchvorstellung und auch den Bericht im Deutschlandfunk (siehe Anlage 2), der von einem freien Mitarbeiter des Deutschlandfunks, der wirklich anwesend war, gemacht worden ist. In dieser Woche werden wir vermutlich auch noch das Video ins Netz stellen, so dass Sie die gesamte, nach Meinung der meisten Anwesenden sehr spannenden und aktuellen Veranstaltung sehen und hören können.
Bei Stern.de greift der Redakteur offensichtlich einfach in seinen Stehsatz und behauptet, ich wollte zurück in die Siebzigerjahre. Diesen Vorwurf kenne ich schon von Rezensionen Erhard Epplers und anderer, die zum Beispiel meine Forderung nach Einsatz keynesianischer Instrumente als Rückkehr in die Siebzigerjahre gebrandmarkt haben. Keynes sei out, haben sie laut und immer wieder gerufen. Es ist ihr Pech, dass die eigenen Matadore wie etwa Finanzminister Schäuble und Wirtschaftsminister Brüderle jetzt den Einsatz genau dieser Instrumente fordern.
Bei den Sternredakteuren ist auch noch nicht angekommen, dass sie als Gläubige der Demographie-Debatte schlicht das Opfer ihrer eigenen Propaganda geworden sind. Sie übersehen geflissentlich das weltweit erkennbare Scheitern der verschiedenen Modelle der Kapitaldeckung. Und natürlich lesen Sie auch nicht aktuelle Berichte über das Scheitern der Riester-Rente in Deutschland. Siehe dazu ein Beispiel als Anlage 3: „Studie zerpflückt Riester-Rente“. Diese Medienmacher sind so verknöchert und stecken so tief in ihrer eigenen Vorurteilswelt, dass sie gar nicht mehr wahrnehmen, was um sie herum vorgeht.
Irgendwie ist es schade. Mit unserer Berliner Veranstaltung wollten wir den Beton der neoliberal geprägten Denke etwas auflockern. Was ich vermutlich unterschätze: die Wirkung der Erkenntnis von der Schwierigkeit zur Überwindung der kognitiven Dissonanz. Diese Damen und Herren haben offensichtlich verinnerlicht, was sie propagiert und agitiert haben. Jetzt fällt es ihnen sichtlich schwer, sich davon zu lösen. Da muss man ja fast schon bewundernd auf Schäuble und Brüderle schauen.
Anlage 1 – Bericht über die Buchvorstellung im „Stern“:
Der Abwasch der Woche: Bei Steinmeier fällt die Mauer
Erscheinungsdatum: 14. November 2009, 15:31 Uhr
Wahrlich eine historische Woche (…)
Von Tilman Gerwien
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Am Donnerstag konnte man im Berliner Szene-Bezirk Prenzlauer Berg eine ganz erstaunliche Zeitreise antreten, eine Reise in ein versunkenes Land: die Bundesrepublik (West) der 70er Jahre. Dieses Land war ein schönes Land: Die Renten waren sicher, die Bundeswehr blieb in ihren Kasernen (andere vergossen im Zweifel ihr Blut für unser Öl), der öffentliche Dienst war fett und im Fernsehen gab es nur drei Programme, ab 23.00 Uhr hieß es: Ab in die Heia, aber ganz schnell, da kam nämlich nur noch das Testbild.
In dieses schöne Land sehnt sich offenbar der Buchautor Albrecht Müller zurück, ehemaliger Mitstreiter Willy Brandts, der sein neuestes Werk “Meinungsmache” vorstellte, in dem er die Medien als große Manipulationsindustrie beschreibt, die die Deutschen seit Jahren einer “neoliberalen” Gehirnwäsche unterzieht. Müller, Mitdiskutant Oskar Lafontaine und das Publikum in der “Kulturbrauerei” waren sich schnell einig: Es gibt zum Beispiel gar kein demographisches Problem! Wir wollen unsere alte Rentenformel wieder haben! Und wer mehr Steuerfinanzierung für die Rente will (wodurch Selbständige, Beamte und vor allem Besserverdiener endlich mit bezahlen müssten, was doch eigentlich “links” wäre), der ist irgendwie “neoliberal”.
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Quelle: stern.de
Anlage 2 – Bericht im Deutschlandfunk vom 14.11.2009, als Textfassung und MP3:
Meinungsmache
Albrecht Müller und Hans Ulrich-Jörges streiten über die Gleichschaltung der Medien
Von David Goeßmann
Auf den “NachDenkSeiten” im Internet diskutieren zahlreiche Menschen über Bankenrettung, neoliberale Strategien und ökonomische Alternativen. Albrecht Müller, einer der Macher des Blogs, ist davon überzeugt, dass die klassischen Medien von Süddeutsche Zeitung über Polit-Talkshows bis zum Spiegel versagt hätten.
Quelle: Deutschlandfunk [MP3] oder als Text
Anlage 3 – Bericht über eine Studie zum Misserfolg der Privatvorsorge:
Bremse für Wirtschaftsentwicklung:
Studie zerpflückt Riester-Rente
Quelle: Netzeitung.de vom 16.11.2009
„Zu krisenanfällig, wenig Rendite und Mehrbelastungen für Arbeitnehmer: Makroökonomen lassen kein gutes Haar an der Riester-Rente. Auch für die Wirtschaft sei das Projekt ein Flop, urteilt die Hans-Böckler-Stiftung.
Die Riester-Rente lohnt sich laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung weder für die Arbeitnehmer noch für die Gesamtwirtschaft. Die Finanzierung der höheren Kosten für Rente, Pflege und Gesundheit lasse sich durch einen Übergang zu einem kapitalgedeckten Rentensystem auch nicht besser bewältigen als im traditionellen Umlagesystem, heißt es in einer am Montag in Düsseldorf vorgestellten Untersuchung des Instituts für Makroökonomie der Stiftung.“