Der Westen will Krieg. Der Westen bekommt Krieg.
„Die Übertragung rechtsstaatlicher Grundsätze, wie beispielsweise der Unschuldsvermutung, auf die internationale Ebene ist wirklich Unsinn“ – so umriss vor einer Woche der Merkel-Vertraute und Leiter des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen, die neue Linie des Westens (ab Minute 19) gegenüber Russland. Was das heißt, zeigen aktuell Donald Trump, Emmanuel Macron und Theresa May: Ohne das Völkerrecht auch nur zu konsultieren, plant das Trio Infernale bereits Luftschläge gegen Syrien – als „Vergeltung“ für einen angeblichen Giftgasangriff, von dem niemand weiß, ob es ihn überhaupt gab und wenn ja, wer ihn verantwortet hat. Der Westen ist fest entschlossen, kurz vor dem Sieg der syrischen Armee den Bürgerkrieg noch einmal anzufachen und den Nahen Osten mit einem neuen Krieg zu überziehen. Es gilt nicht die Stärke des Rechts, sondern das Recht des Stärkeren. Von Jens Berger.
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Und täglich grüßt das Murmeltier. Jedes Mal, wenn die syrische Armee kurz davor steht, eine Enklave der gegnerischen Islamisten vollständig einzunehmen, kommt es zu einem Giftgasangriff, bei dem fast ausschließlich Zivilisten und dabei auch noch vor allem Frauen und Kinder getötet werden. Jedes Mal sind Kamerateams von „oppositionellen Gruppen“ – also die der Islamisten – vor Ort und zeigen dramatische Bilder, die kurze Zeit später via YouTube die Weltöffentlichkeit berühren. Wer wissen will, wo es zum nächsten Giftgasangriff kommt, müsste eigentlich nur den „Weißhelmen“ und der „Syrian American Medical Society“ folgen, die ja stets wie von magischer Hand als Erste vor Ort sind. Jedes Mal plustern sich dann die Falken des Westens auf und drohen mit Luftschlägen, Bombardierungen oder gar der Intervention in den syrischen „Bürgerkrieg“, der ja ohnehin bereits seit längerem ein Stellvertreterkrieg ist. Wochen später kommt dann der Bericht der Experten der OPCW an die Öffentlichkeit, der keine Beweise für eine Täterschaft der syrischen Armee enthält. Aber dann ist es zu spät, da die Karawane längst weitergezogen ist. Die Öffentlichkeit im Westen treibt die nächste Sau durchs Dorf. Im April letzten Jahres war es noch eine „verabredete“ Show-Veranstaltung mit viel Rauch und Explosionen, aber wenig Wirkung, als 59 US-Raketen einen vorher geräumten Luftstützpunkt der Syrer trafen. Diesmal wird es nicht so glimpflich ausgehen.
Am 8. April berichten westliche Medien pünktlich zum US-Frühstücksfernsehen als Erste über einen „angeblichen“ Chemiewaffenangriff im syrischen Duma. Wenige Minuten später hatte US-Präsident Trump bereits die Schuldigen ausgemacht. „Präsident Putin, Russland und Iran sind verantwortlich dafür, das Tier Assad zu unterstützen. […] Hätte Präsident Obama seine selbst gezogene rote Linie im Sand überschritten, wäre das syrische Desaster längst zu Ende gegangen! Tier Assad wäre Geschichte!“ so der martialische POTUS via Twitter. Es ist zwar unbekannt, ob Gott, so es ihn denn überhaupt gibt, mit Trump spricht – anders ist seine Gewissheit so kurz nach dem angeblichen Anschlag aber kaum zu erklären. Auch Trumps britischer Famulus Boris Johnson zeigte sofort mit dem Finger auf Russland und selbstverständlich konnte auch Kanzlerin Merkel keine Zweifel an der Täterschaft Assads erkennen. Hinter den Kulissen tobt bereits der absurde Zweikampf zwischen Großbritannien und Frankreich, wer denn nun zum Juniorpartner der USA beim folgenden völkerrechtswidrigen „Vergeltungsschlag“ ernannt wird – die graue Rächerin Lady Theresa oder der junge Knappe Emmanuel? Letzterer legt sich bereits kräftig ins Zeug und hat den großen Vorteil, dass er als französischer Sonnenkönig noch nicht einmal das Parlament fragen muss, bevor er ohne völkerrechtliches Mandat andere Länder in Schutt und Asche bomben lässt. War da nicht mal was mit einem angeblich international isolierten Trump? Und nun prügeln sich Europas Maulhelden schon wieder darum, welcher Pudel den Knochen von Mr. President bekommt.
Aber haben die kriegslüsternen Führer des Westens nicht vielleicht doch Recht? Gibt es wirklich keine Zweifel? Anders herum wird ein Schuh draus. Die Truppen, die sich in diesen Tagen in Duma geschlagen geben müssen, gehören der Dschaisch al-Islam an, was auf Deutsch „Armee des Islam“ heißt. Und dieser Name ist nicht umsonst gewählt, gehört die Gruppe, die den eigenen Bekundungen nach den Nahen Osten vom „Dreck der Schiiten und Alawiten“ reinigen will, einen islamischen Staat mit Scharia fordert und früher mit der Terrorgruppe al-Nusra-Front kooperierte, zu den islamistischen Hardlinern im Konflikt. Wohl aufgrund eines unvorsichtigen Briefings erklärte selbst US-Außenminister Kerry die Gruppe vor zwei Jahren zu Terroristen, musste dann aber schnell zurückrudern, da die US-Regierung ja Russland und Syrien offiziell angehalten hat, Dschaisch al-Islam nicht zu bombardieren. Pikanterweise verfügt die von Saudi-Arabien finanzierte Islamistentruppe sogar über Giftgas und gibt auch offen zu, dass sie dieses Gas verbotenerweise auch einsetzt. Auf der einen Seite haben wir also eine islamistische Terrortruppe, die über Giftgas verfügt und es schon eingesetzt hat, die kurz vor ihrer endgültigen Niederlage steht und auf der anderen Seite die Regierung Assad, die sicherlich trotz gegenläufiger Verlautbarungen auch noch Giftgasbestände hat, aber den Krieg gegen die Islamisten so gut wie gewonnen hat und nun dringend ihr ramponiertes Image wieder aufbessern muss, um zurück auf der internationalen Bühne zu erscheinen. Und da soll es keine Zweifel geben, wer der Täter ist? Zumindest die Verdachtsmomente sind ziemlich eindeutig und weisen ganz entgegengesetzt der Einschätzung von Merkel, Macron, Johnson, Trump und Co. auf eine Täterschaft der Islamisten hin.
Indizien sind aber keine Beweise und um Klarheit zu erlangen, gibt es ja die OPCW, die mit ihren Teams vor Ort Proben nimmt und diese auswertet. Russland, China und drei weitere Staaten wollten im Rahmen des UN-Sicherheitsrats daher auch die OPCW beauftragen, den vermeintlichen Giftgasangriff von Duma zu untersuchen. Und nun raten Sie mal, wer das verhindert hat? Die USA, Großbritannien, Frankreich und Polen stimmten im Sicherheitsrat dagegen. So viel zum Thema Aufklärung, so viel zum Thema Völkerrecht. Den Falken des Westens dürfte es daher auch gar nicht gefallen, dass die OPCW nun auf Wunsch von Syrien und Russland ihrerseits selbst entschieden hat, vor Ort tätig zu werden. Doch bis die Ergebnisse vorliegen, dürften einige Wochen ins Land gehen und dann ist es ohnehin bereits zu spät.
Die halbe Welt führt auf syrischem Boden Krieg und die Frontlinien verlaufen haarscharf neben- und teil sogar gegeneinander. Israel wirft Bomben auf syrische Stützpunkte und tötet dabei mit Syrien verbündete Iraner. Saudi-Arabien unterstützt seinerseits Islamisten, die gegen die Iraner und die Russen kämpfen. Diese verstehen sich indes als völkerrechtlich saubere Verbündete Assads und werfen Bomben auf die Verbündeten der USA, die ihrerseits im offenen Krieg mit dem NATO-Partner Türkei stehen, der auf syrischem Boden einen Krieg gegen die Kurden führt. Und zwischendrin tummeln sich noch die Reste des Islamischen Staats und „Militärberater“ aus den NATO-Staaten. Wenn nun auch noch die USA, Großbritannien und Frankreich mit voller Wucht einen Luft- oder gar Bodenkrieg (letzteres ist aber doch sehr unwahrscheinlich) gegen Syrien führen wollen, werden Assads Verbündete aus Moskau und Teheran dies sicher nicht tatenlos mit anschauen. Und was passiert, wenn die erste Cruise Missile einen russischen Stützpunkt trifft oder die erste russische S-400-Einheit ein britisches Flugzeug vom Himmel holt? Die Falken des Westens spielen mit Zündhölzern und stehen dabei in einem See aus Benzin. Die Zeiten, Trump, Macron und May zu mäßigen, sind vorbei und hier hat allen voran die Presse versagt, die den Falken den Rücken gestärkt hat und das Völkerrecht schon lange nicht mehr thematisiert. Nun kann man wohl nur noch hoffen, dass die Russen einen kühlen Kopf bewahren, wenn der Westen durchdreht. Zivile Flugzeuge umfliegen bereits seit gestern Nachmittag syrischen Luftraum, nachdem Eurocontrol eine Warnmeldung herausgegeben hat – „binnen 72 Stunden sei der Beginn militärischer Aktionen möglich.“