Doppelter Etikettenschwindel – das solidarische Grundeinkommen der SPD ist weder ein Grundeinkommen, noch beendet es Hartz IV
Kritische große Worte sind es, die da in den letzten Tagen von hohen SPD-Funktionären zu hören waren. „Schluss mit Hartz IV“, so tönte Berlins OB Michael Müller und Parteigranden wie Malu Dreyer und Ralf Stegner stimmten ein. Ein „solidarisches Grundeinkommen“ solle künftig „eine Alternative zu Hartz IV“ bilden. Selbst Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zeigte sich offen für den Vorschlag. Schluss mit Hartz IV? Grundeinkommen? Will die SPD jetzt etwa den Teufel mit dem Beelzebub austreiben? Nein. Was hier betrieben wird, ist vielmehr ein doppelter Etikettenschwindel. Und das ist jammerschade, denn die Idee hinter dem „solidarischen Grundeinkommen“ ist zumindest ein interessanter Ansatz für weitergehende Diskussionen und sollte nicht durch komplett unrealistische Erwartungen und parteipolitische Instrumentalisierung beschädigt werden. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Was stellen Sie sich unter einem „Grundeinkommen“ vor? Die Allermeisten denken bei „Grundeinkommen“ spontan an das Modell eines „bedingungslosen Grundeinkommens“, das seit langer Zeit durchs politische Feuilleton schwebt und von den NachDenkSeiten immer wieder scharf kritisiert wurde. Dieses bedingungslose Grundeinkommen muss definitionsgemäß bedingungslos sein, also ausschließlich jedem Bürger ausgezahlt werden – unabhängig davon, ob er erwerbstätig ist oder nicht, ob er keinen Cent oder eine Million Euro verdient. Ferner muss das Grundeinkommen in der Höhe ausreichen, um ein menschenwürdiges Leben zu führen, um zumindest theoretisch nicht mehr auf zusätzliche Einnahmen angewiesen zu sein. Mit all dem hat das „solidarische Grundeinkommen“ von Michael Müller allerdings überhaupt nichts zu tun.
Und was stellen Sie sich unter einem „Schluss mit Hartz IV“ vor? Hier denken sicher die Allermeisten vor allem an ein Ende der Sanktionen und den damit verbundenen Zwang, auch schlechte und schlecht bezahlte Arbeitsangebote anzunehmen. Auch der bürokratische Aufwand mit Wortmonstern á la „Schonvermögen“ und „Bedarfsgemeinschaft“ sollte bei einem Ende von Hartz IV wohl der Geschichte angehören. Auch dies ist beim „solidarischen Grundeinkommen“ nicht vorgesehen. In den wenigen vorhandenen Umrissen eines solchen Modells ist vielmehr überhaupt nicht zu erkennen, wie es überhaupt Hartz IV „ablösen“ sollte, da es eine vollkommen andere Aufgabenstellung hat.
Was also ist das „solidarische Grundeinkommen“ eigentlich? Und schon hier wird es kompliziert, denn anders als das „bedingungslose Grundeinkommen“, das sehr gut dokumentiert ist und über das es unzählige, mal mehr, meist weniger konkrete Modelle gibt, findet das „solidarische Grundeinkommen“ (SGE) in der wissenschaftlichen Debatte kaum eine Erwähnung. Die aussagekräftigste Quelle mit direktem Bezug auf Michael Müller ist ein wenige Wochen altes DIW-Papier, das von Stefan Bach und Jürgen Schupp erstellt wurde. Demnach soll das SGE vor allem eine Art sozialer Arbeitsmarkt im gemeinnützigen Sektor sein. Langzeitarbeitslosen sollen dabei steuerfinanzierte und sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen angeboten werden, die gemeinnützige Tätigkeiten betreffen. Dies reicht von der Säuberung von Parks und Grünflächen, Entsorgung von Sperrmüll, über die Begleitung und Einkaufsdienstleistungen für alte Menschen und die Kinderbetreuung in Gegenden ohne angemessene Kita-Betreuung bis zu unzähligen Tätigkeiten aus dem ehrenamtlichen Bereich – wie der Flüchtlingshilfe, Sprachunterricht oder Hausmeistertätigkeiten in gemeinnützigen Einrichtungen. Für all diese Tätigkeiten ist zweifelsohne Bedarf vorhanden, jedoch hat nicht zuletzt die „schwarze Null“ verhindert, dass die Kommunen oder andere Kostenträger ein Budget für solche Tätigkeiten haben. Dies soll sich durch das SGE ändern. Bundesweit sollen – so das DIW – erst einmal rund 150.000 solcher Arbeitsplätze entstehen – wie gesagt, in Vollzeit, sozialversicherungspflichtig, auf freiwilliger Basis, unbefristet und über dem Mindestlohn bezahlt.
Ist das denn überhaupt finanzierbar? Nach der Berechnung des DIW sind die Mehrkosten jedenfalls überschaubar. Ein SGE-Arbeitnehmer würde rund 1.521 Euro brutto pro Monat erhalten, was auf ein Arbeitgeberbrutto von 1.847 Euro hinausläuft. Auf der anderen Seite fallen jedoch die Arbeitslosengeld-II-Leistungen und die Zuschüsse für die Krankenversicherung und die sogenannten „Eingliederungsleistungen“ weg, was sich insgesamt auf 1.178 Euro pro Monat summiert. Zählt man alles zusammen, kommt man auf einen Fehlbetrag von nur 346 Euro für den Staat, dem jedoch auch noch die Zweitrundeneffekte entgegengesetzt werden müssten, die durch die etwas höheren Einkommen der SGE-Arbeitnehmer und die Stärkung der Sozialsysteme durch die sozialversicherten Arbeitsverhältnisse entstehen. Die Kosten sind also in der Tat überschaubar. Wenn wir einmal vereinfacht von 3.000 pro Jahr und Arbeitnehmer ausgehen, würden 500.000 solcher Jobs lediglich 1,5 Milliarden Euro kosten, was bei einem momentanen Haushaltsüberschuss von 36 Milliarden Euro wirklich eine Kleinigkeit wäre.
Und wie sieht es für die Arbeitnehmer in solchen Programmen aus? Klar ist, dass man mit dem SGE nicht reich wird. Netto bleiben den Arbeitnehmern in solchen Programmen auch nur rund 1.154 Euro übrig. Das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Zumindest wären die Arbeitnehmer in solchen Modellen frei vom Sanktionszwang und hätten einen regulären Job. Dennoch bleiben beim SGE-Modell auch verdammt viele Fragezeichen und die Fallstricke lagern vor allem in der Umsetzung.
Zum Einen sind die Tätigkeiten natürlich einem bestimmten Anforderungsspektrum vorbehalten. Kinder- und Altenbetreuung sind hochqualifizierte Tätigkeiten und Flüchtlingen und auch Einwanderern Sprachunterricht oder sonstige Qualifikationen zu vermitteln, ist sehr anspruchsvoll. Die Zahl der heutigen Langzeitarbeitslosen, die ausreichende Qualifikationen haben, dürfte überschaubar sein.
Unklar ist auch, was man sich im SGE-Modell eigentlich unter „Vollzeit“ vorstellt. Einkaufshilfe für Senioren oder Babysitten sind ja keine Tätigkeiten, die man problemlos nach Dienstplan gestalten kann – vor allem in kleineren Kommunen mit überschaubarer Nachfrage nach solchen Dienstleistungen. Werden die SGE-Arbeitnehmer dann dennoch in Vollzeit eingestellt? Das müssten sie ja, da ansonsten das Finanzierungsmodell kippt, da die SGE-Arbeitnehmer dann gleichzeitig ALG-II-Aufstocker wären. Hinzu kommt natürlich das Problem, dass ALG II ja vor allem bei Alleinerziehenden ein großes Problem ist, da sie zeitlich keinen Vollzeitjob annehmen können. Auch dies spräche für SGE in Teilzeit, was aber zumindest die groben Modellskizzen nicht vorsehen.
Ein weiteres Problem ist der Wettbewerb mit der Privatwirtschaft. Da das SGE-Modell nicht den „Wasserkopf“ eines normalen Unternehmens haben muss, kann es auch günstigere Preise als die private Konkurrenz anbieten. Es ist ja schön, wenn bewegungslustige Langzeitarbeitslose freiwillig für einen Lohn leicht über dem Mindestlohn Parks und Grünflächen säubern und Gebäude in Schuss halten. Aber was passiert mit den Landschaftsgärtnereien und Hausmeister-Service-Unternehmen, die dadurch womöglich verdrängt werden können? Ein sozialer Arbeitsmarkt ist eine gute Sache, darf aber nicht den regulären Arbeitsmarkt verdrängen. Wie man solche Konflikte entschärfen will, ist völlig unklar.
Der wohl wichtigste Kritikpunkt am SGE ist jedoch die nicht näher umrissene Entlohnung, die bei schlechter Umsetzung dazu führen könnte, das ein neuer Niedriglohnsektor entsteht, der auch bestehende Arbeitsverhältnisse im regulären Arbeitsmarkt mit nach unten zieht. Es geht beim SGE ja nicht nur um ehrenamtliche Fußballtrainer und Einkaufshilfen für Senioren, sondern auch um zahlreiche Tätigkeiten, die in Berufsfelder passen, die heute bereits durch Tarifverträge reguliert sind. Nehmen wir das „Pflegen der Grünflächen“. Laut Tarifvertrag NRW liegen die Stundenlöhne der untersten Tarifgruppen für Arbeiter ohne volle Ausbildung zwischen 9,65 Euro und 15,09 Euro und somit durchgängig weit oberhalb des Mindestlohns. Und das „Entsorgen von Sperrmüll“ ist durch den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst Entsorgung geregelt. Hier fangen die Monatsbruttogehälter bei 1.751 Euro an. Bereits in der zweiten Gehaltsgruppe ist man schnell bei über 2.000 Euro und hierbei sind Erschwerniszulagen und Sonderzahlungen noch nicht einmal mit eingerechnet. Es darf natürlich nicht sein, dass unter dem Label SGE die Tarifverträge unterlaufen werden. Genau dies ist aber sehr wahrscheinlich, wenn ein solches Modell „falsch“ umgesetzt wird. Dann kann die Kommune ja einen Teil ihrer Bauhof-Mitarbeiter und Müllwerker entlassen und über den Umweg SGE zu deutlich niedrigeren Löhnen wieder einstellen. Und mit dieser Drohung im Raum würden die Löhne in solchen Berufen sich künftig an den SGE-Lohn anpassen. Das wäre freilich eine Katastrophe und kontraproduktiv. Diese Fallstricke könnte man freilich umgehen, wenn man den SGE-Lohn in Arbeitsbereichen mit Tarifbindung an die jeweiligen Tarife koppelt. Dadurch würden die Kosten dann steigen, was angesichts der Überschüsse aber verschmerzbar scheint.
Summa summarum ist das SGE somit ein durchaus interessantes Modell, dessen Sinnhaftigkeit freilich sehr stark an der konkreten Umsetzung hängt. Dennoch könnte die SPD ein solches Modell durchaus als Diskussionsbasis propagieren. Nur warum um Gottes Willen gibt sie ihrem Kind einen Namen, der an das bedingungslose Grundeinkommen erinnern muss, das mit diesem Modell so ziemlich nichts zu tun hat? Und warum verkauft man das SGE als Hartz-IV-Abkehr? Das SGE ist keine Abkehr, sondern bestenfalls eine Ergänzung zu Hartz IV. Nur sehr wenige Langzeitarbeitslose dürften überhaupt die Chance bekommen, in einem solchen Projekt unterzukommen. Und der Rest verbleibt weiterhin im menschenunwürdigen Hartz-IV-System. Dass gerade die SPD, als Erfinderin von Hartz IV, diesen Etikettenschwindel betreibt, ist schäbig. So bleibt ein diskussionswürdiges Modell, das offenbar nur instrumentalisiert werden soll, um das Image der Partei anzuheben. Schade eigentlich.