Hinweise des Tages
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Der Fluch der Finanzmarktstabilisierung; Ungereimtes um Opel; Aktionäre bewilligen Vorstandsgehälter; dunkle Wolken am Arbeitsmarkt; Asse II; Alltag der Privatisierung; Wettbewerb bei der Bahn schadet den Kunden; Gentest auf Gesundheitskarte; links und rechts in und um die SPD; heißer Herbst an den Hochschulen; vergesst den Osten nicht. (KR/WL)
- Stabilisierungsmaßnahmen haben einen Umfang von über 30 % der Wirtschaftsleistung aller 27 EU-Staaten
- Der Fluch der Finanzmarktstabilisierung
- Insideraffäre in den USA: Alarmglocken schrillen immer lauter
- Monopoly auf dem US-Häusermarkt
- General Motors hat schon lange darüber nachgedacht Opel zu behalten
- EU warnte Deutschland früh vor Opel-Falle
- Stühlerücken bei der Opel Treuhand: „Sachverstand spielt keine Rolle mehr“
- Hilfssheriff Aktionär bei den Vorstandsgehältern
- IMK fürchtet „massive Entlassungen“
- Dunkle Wolken am amerikanischen Arbeitsmarkt
- Untersuchungsausschuss Asse II: Entlagerpapst Kühn bereut
- Der Alltag der Privatisierung der Müllentsorgung
- Die falschen Tränen der Sozialverbände
- Wettbewerb bei der Bahn schadet den Kunden
- Gentest-Ergebnisse bald auf der Gesundheitskarte?
- Immer mehr Gesetz-Outsourcing in Ministerien
- Woher die Furcht vor Brandenburgs rotem Adler kommt
- Olaf Scholz ist neuer Chef der Hamburger SPD
- Gerechtigkeit für Andrea Ypsilanti
- Altkanzler Gusenbauer jetzt Investmentbanker
- Für einen heißen Herbst an den Hochschulen
- Honduras: Friedrich-Naumann-Stiftung rudert zurück
- Michail Gorbatschow: Vergesst den Osten nicht
- Nachtrag zum Eintrag zu Elser
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Stabilisierungsmaßnahmen haben einen Umfang von über 30 % der Wirtschaftsleistung aller 27 EU-Staaten
Die Rettungspakete einzelner Staaten sind noch erheblich größer; im Falle von Dänemark oder Irland betragen sie weit über 200 % des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes – für die betroffenen Länder und ihre Haushalte eine enorme Belastung. Deshalb stellt sich die Frage, wann und wie die Staaten ihre Stabilisierungsbemühungen zurückführen können, damit ihre Haushalte nicht auf Dauer überfordert werden. Auch in Deutschland kommt die Politik deshalb nicht umhin, Exit-Strategien zu entwickeln, um zu gegebener Zeit handlungsfähig zu sein.
Anfang Oktober 2009, knapp ein Jahr nach dem In-Kraft-Treten des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, betrug das Antragsvolumen auf Stabilisierungshilfen des SoFFin 232,9 Mrd €. Das Volumen unterzeichneter Verträge für Stabilisierungshilfen belief sich auf rund 155,6 Mrd €, wovon 127,7 Mrd € auf die Gewährung von Garantien, 21,9 Mrd € auf die Vergabe von Eigenkapital und 5,9 Mrd € auf Risikoübernahmen entfielen. Als Zeichen einer Entspannung auf den Finanzmärkten kann gewertet werden, dass nicht in Anspruch genommene Garantien zum Teil bereits wieder an den SoFFin zurückgegeben wurden.
Quelle: BankenverbandAnmerkung WL: Zwar wird eine Exit-Strategie gefordert, aber kein Gedanke daran verschwendet, wie die Banken bei der Refinanzierung der „Stabilisierungsmaßnahmen“ beteiligt werden können und sollten.
- Der Fluch der Finanzmarktstabilisierung
Diese Gefahr bestand immer: Je erfolgreicher die Finanzminister und Notenbanker beim Bekämpfen der großen Krise sind, desto schwieriger wird es für sie, echte Schranken zu errichten, die eine Wiederholung unmöglich machen. Wer sich das Communiqué von St. Andrew durchliest, den beschleicht die Sorge um den Fluch der guten Tat. So wie es ausschaut, werden die Regulierungsvorhaben eher aufgeweicht denn verschärft. Das ist fatal; denn die nächste Krise ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Ihr Ausmaß würde so groß, dass die Staaten dann nicht mehr in der Lage sein werden, das Schlimmste, nämlich den Zusammenbruch des gesamten Systems zu verhindern. Dieses Risiko ist das derzeit gefährlichste. Dass draußen an den Kapitalmärkten die Normalisierung voranschreitet, ist nur bedingt wahr. Die Spekulationsblasen werden schon wieder aufgepumpt, wie unlängst die globale Finanz-Kassandra Nouriel Roubini kundtat.
Quelle 1: FR
Quelle 2: FTD - Insideraffäre in den USA: Alarmglocken schrillen immer lauter
Die Insideraffäre an der Wall Street nimmt immer größere Dimensionen an: Nach einer Serie neuer Festnahmen gibt es nun bereits erste Geständnisse. In den bisher spektakulärsten Skandal der Hedgefonds-Branche sind inzwischen 20 Beschuldigte verwickelt.
Quelle: FR - Monopoly auf dem US-Häusermarkt
Der angeschlagene Immobilienfinanzier Fannie Mae braucht weitere 15 Milliarden US-Dollar vom Staat. Die sollte er auch bekommen. Schließlich muss er den weiter kriselnden US-Immobilienmarkt retten. Wie der von der Ratingagentur Standard & Poor’s veröffentlichte Case-Shiller-Hauspreis-Index zeigt, sind die Hauspreise im August zwar gegenüber dem Juli um 1,2 Prozent gestiegen, sie liegen aber immer noch 11,3 Prozent unter denen von vor einem Jahr. Seit seinem Höchststand im Sommer 2006 hat der Index insgesamt 29 Prozent verloren.
Quelle: taz - General Motors hat schon lange darüber nachgedacht Opel zu behalten
EVER since General Motors, on the verge of bankruptcy earlier this year, proposed selling Opel/Vauxhall, its unprofitable European arm, it has found itself at odds with the German government. The latter wants to save as many of the 25,000 jobs at Opel’s four German factories as possible; the former to minimise the losses of a business in which it will maintain a stake. The dispute has become so heated that GM, which emerged from bankruptcy last month, is now toying with scrapping the sale altogether.
Quelle: The EconomistAnmerkung unseres Leser J.W.: Dieser Artikel legt ganz offen dar, dass eine Entscheidung über die Zukunft Opels schon im August gefällt wurde. Die Darstellung der Bundesregierung völlig überrascht worden zu sein mit der Entscheidung von GM ist dementsprechend verlogen.
Siehe dazu auch:
- EU warnte Deutschland früh vor Opel-Falle
Die Bundesregierung hat sich bei Opel verzockt: Der damalige Wirtschaftsminister Guttenberg hatte dem US-Mutterkonzern nach SPIEGEL-Informationen mit einem Schreiben eine Steilvorlage geliefert, um das Magna-Paket aufzuschnüren. Warnungen aus Brüssel ignorierten die Verantwortlichen.
Am 17. Oktober hatte Bundeswirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg auf Drängen von EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes einen Brief an GM-Boss Fritz Henderson geschrieben, in dem der Minister eine Erklärung des Unternehmens forderte, dass die Wahl des österreichisch-kanadischen Magna-Konzerns als Investor ohne politischen Druck erfolgt sei.
Zuvor hatte jedoch Industriekommissar Günter Verheugen die Berliner Regierung davor gewarnt, diesen Brief zu schreiben. Das Papier böte den Amerikanern die Möglichkeit, den eigentlich längst zugunsten von Magna entschiedenen Fall noch einmal zu öffnen.
Quelle: Spiegel Online - Stühlerücken bei der Opel Treuhand: „Sachverstand spielt keine Rolle mehr“
Die vier Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Opel-Standorten haben ihre Kritiker im Opel-Treuhandbeirat kalt gestellt. Nach dem Abgang von Dirk Pfeil zieht sich nun auch der ehemalige Continental-Chef Manfred Wennemer zerknirscht aus der Opel-Treuhand zurück.
Bereits am Donnerstagabend hatten die vier Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Opel-Standorten ihren Vertreter im Opel-Treuhandbeirat – den FDP-Politiker und Insolvenzverwalter Dirk Pfeil – abberufen. Pfeil soll durch den nordrhein-westfälischen Wirtschaftsstaatssekretär Jens Baganz (CDU) ersetzt werden.
Die Treuhand hält 65 Prozent der Anteile an Opel als Pfand für einen Staatskredit.
Quelle: FAZAnmerkung WL: Dass Sachverstand offenbar wirklich keine Rolle mehr spielt, belegt die Nachfolgebesetzung durch den NRW-Wirtschaftsstaatssekretär Jens Baganz. Dem ehemaligen Mülheimer Oberbürgermeister, der ein strammer Privatisierer war und der zurücktreten musste, weil er seiner Geliebten teure Beraterverträge zuschanzte. Ihn verfolgen seit Jahren Korruptionsgerüchte und er soll nun wohl in die Opel-Treuhand entsorgt werden. Siehe auch PPP und andere Grausamkeiten. Baganz saß auch als Staatsvertreter im Aufsichtsrat der IKB, die auf Kosten der Steuerzahler mit 10 Milliarden Euro gerettet werden musste und anschließen für knapp 140 Millionen Euro an den US-Finanzinvestor Lone Star verkauft wurde.
- Hilfssheriff Aktionär
Es ist richtig, wenn Konzerne künftig ihre Aktionäre zur Höhe der Vorstandsgehälter befragen. Sie haben kein Interesse, Managern exorbitante Summen zuzuschieben. Und dieser Schritt böte einen Ausweg aus der Endlosdebatte über staatlich verordnete Gehaltsgrenzen.
Quelle: FTDSiehe dazu auch:
Experiment Vorstandsgehälter
Bald werden die Aktionäre auf der Hauptversammlung über die Gehälter der Vorstände abstimmen. Kann das gut gehen? Haben nicht Aktionäre ein sehr einseitiges Interesse am Unternehmen? Es soll möglichst kurzfristig einen möglichst hohen Gewinn erwirtschaften? Gut möglich, dass die Hauptversammlung Entlohnungsstrukturen präferiert, die Kurzfristigkeit und hohes Risiko fördern. Und dennoch: Das Experiment ist einen Versuch wert.
Quelle: FRAnmerkung Orlando Pascheit: Zwar ist Robert von Heusinger in der FR deutlich weniger optimistisch als die FTD, aber der von Heusinger geforderte Versuch ist eigentlich in der Realität schon längst beantwortet. In der Realität sind Manager und Aktionäre von derselben Selbstbedienungsmentalität geprägt. Nach Berechnungen der „Washington Post“ erhielten bis Oktober vorigen Jahres 33 Banken finanzielle Unterstützung durch den Staat, davon wandern aber in den ersten drei Jahren der Stützungsaktion in Form von Dividenden 52 Prozent auf das Konto der Anteilseigner. Welcher Aktionär wird da die Managerbezüge reduzieren? Es führt kein Weg an staatlichen Regulierungen vorbei, die von vornherein das Risikoverhalten der Banken mäßigen und die darauf beruhenden kurzfristigen Gewinne verunmöglichen. Dann erledigen sich die schwindelerregenden Gehälter und Boni quasi von selbst.
- IMK fürchtet „massive Entlassungen“
In den USA ist die Arbeitslosenquote auf ein Rekordhoch geschnellt. Ähnliches könnte auch in Deutschland passieren. Der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, sagt einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit ab 2010 voraus.
Quelle: Handelsblatt - Dunkle Wolken am amerikanischen Arbeitsmarkt
Die Arbeitslosigkeit in den USA hat erstmals seit 1983 die Marke von 10 Prozent überschritten. Wie das Arbeitsministerium in Washington am Freitag mitteilte, waren im Oktober beinahe 16 Millionen Menschen ohne Arbeit, eine Quote von 10,2 Prozent nach 9,8 Prozent im September. Im Oktober gingen demnach 190’000 Arbeitsstellen verloren. Das waren weniger als die 219’000 gestrichenen Stellen im September, aber mehr als von den Ökonomen erwartet.
Quelle: NZZAnmerkung Orlando Pascheit: Der Bezug auf das Jahr 1983 ist irreführend, denn wenn nach der damaligen Methode gemessen worden wäre, läge die Arbeitslosenquote in den USA weitaus höher. Sie läge näher an der weitesten Abgrenzung (U 6) des Bureau of Labor Statistics bei 17,5 Prozent.
- Untersuchungsausschuss Asse II: Entlagerpapst Kühn bereut
Der früher für das Endlager Asse II zuständige Wissenschaftler Klaus Kühn bereut sein Vorgehen. Heute würde er keine radioaktiven Abfälle dort einlagern.
Quelle: TAZ - Der Alltag der Privatisierung der Müllentsorgung
Für Manfred M. (Name geändert) geht es um alles. Eine Familie mit vier kleinen Kindern hat er zu ernähren. Doch seit September ist er arbeitslos. 15 Jahre hat M. bei Müllentsorger Hofmann in Erlangen gearbeitet. Dann wurde ihm fristlos gekündigt. Vorwurf: Er habe mit Kollegen systematisch Sperrmüll abgezweigt und verkauft. M. weist das zurück. Die Firma hält ihn für überführt – durch die Erkenntnisse eines Privatdetektivs. Zwei seiner Kollegen haben den illegalen Nebenverdienst zugegeben und einen Auflösungsvertrag akzeptiert. M. aber sagt, er habe den Müll auf Anweisung des Vorarbeiters abgeladen, ohne die Hintergründe zu kennen. Er klagt am Arbeitsgericht.
Quelle: Nürnberger Nachrichten - Die falschen Tränen der Sozialverbände
Das Tränen der Sozialverbände sind falsch. Sie sind als Aufforderung an die Politik zu verstehen, weiter für Nachschub zu sorgen, weiter Ein-Euro-Jobber zu liefern – es gibt bereits Diskussionen und Forderungen nach Null-Euro-Jobbern, diese sollen nicht nur gemeinnützig eingesetzt werden, es gibt bereits Überlegungen, ihren Einsatzbereich in den privaten und wirtschaftlichen Sektor auszuweiten. Der soziale Bereich ist in unserem Land mittlerweile ein riesiger Markt – und ich bewundere jeden Menschen, der in diesem Bereich Tag für Tag, oftmals für einen Hungerlohn, arbeitet. Die Sozialverbände jedoch, die sich immer wieder über die Medien an die Politik richten und sich echauffieren, sind einfache Lobbyisten in eigener Sache. Nicht mehr und nicht weniger. Oftmals hört dort das Soziale schon bei den eigenen Mitarbeitern auf. Und ich bin mir sicher, die Zukunft wird zeigen, dass Ein-Euro-Jobber die Lücke füllen werden, die der Wegfall des sinnvollen Einsatzes von Zivildienstleistenden, reißen wird.
Quelle: FIXMBR - Wettbewerb bei der Bahn schadet den Kunden
“Transnet-Chef Alexander Kirchner sieht den Fernverkehr auf der Schiene in Gefahr und fordert neue Regeln
Ich mache mir Sorgen um den gesamten Fernverkehr. Ein Preiskrieg auf einigen Strecken wird unvermeidlich sein, das kostet Geld. Wenn die Bahn Einnahmeverluste hat, wird sie womöglich Randbereiche im Schienennetz nicht mehr bedienen. Städte wie Kiel, Bremen oder Cottbus könnten dann bald komplett vom Fernverkehr abgekoppelt werden. Die Verbindungen dorthin sind ein Zuschussgeschäft. Die Mischkalkulation von heute wird dann keine Zukunft mehr haben…
Zusätzlichen Druck auf den Fernverkehr wird es geben, weil die neue Regierung Fernreisebusse zulassen will. Womöglich gibt es in zehn Jahren nur noch zwischen den großen Städten Fernzüge – und nach Potsdam, Konstanz, Dresden oder Saarbrücken fährt dann nur noch der Bus. Das Problem ist aus dem Schienengüterverkehr bekannt.
Dort gab es früher eine Mischkalkulation aus dem Einzelwagen- und dem Ganzzugverkehr, bei dem Kohle oder Öl transportiert wird. Als der Wettbewerb kam, haben sich die privaten Wettbewerber auf die lukrativen Ganzzüge gestürzt, und die Preise sanken, auch für die Bahn. Darunter gelitten hat aber das Geschäft mit dem Einzelwagenverkehr. Und im Ergebnis gibt es weniger Güterverkehr in der Fläche und mehr Staus auf den Straßen.”
Quelle: Tagesspiegel - Gentest-Ergebnisse bald auf der Gesundheitskarte?
Der Einsatz pharmakogenetischer Tests könnte nicht nur menschliches Leid verhindern, sondern durch die Vermeidung unwirksamer Behandlungen auch die Kosten reduzieren.“
Ivar Roots (Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie an der Charité und Mitglied der Arzneimittelkommission) schlug vor, entsprechende genetische Tests bei Patienten beispielsweise nach der Geburt, der Volljährigkeit oder direkt nach einer ernsten Erkrankung durchzuführen und die Daten zu speichern.
„Hier sehe ich ein weiteres Betätigungsfeld für die elektronische Gesundheitskarte“, meldete sich der stellvertretende Bundesärztekammerpräsident, Dr. Frank Ulrich Montgomery, zu Wort.
Quelle: Arzt am Abend [PDF, Seite 3, 368 KB] - Immer mehr Gesetz-Outsourcing in Ministerien
Allein im Jahr 2009 wurden 16 Gesetze verkündet, an denen Externe mitgewirkt haben. Im Zeitraum von 1990 bis 1999 war es gerade mal ein Gesetz. Diese Praxis, die unter Rot-Grün begonnen wurde, setzte die Große Koalition munter fort und baute sie noch weiter aus.
LobbyControl hält diese Entwicklung für hoch problematisch. Gesetze müssen von den Ministerien oder dem Parlament selbst entworfen werden. Kanzleien, die ansonsten für genau die Unternehmen arbeiten, die von den Gesetzen betroffen sind, sind nicht die richtige Adresse, um die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen zu berücksichtigen und abzuwägen.
Quelle: LobbyControl - Woher die Furcht vor Brandenburgs rotem Adler kommt
Eigentlich hätte man vermuten können, dass Rot-Rot in Brandenburg kaum noch als Aufreger taugt. Immerhin gab es schon 1994 in Sachsen-Anhalt eine von der PDS tolerierte rot-grüne Regierung, dann 1998 in Mecklenburg-Vorpommern die erste rot-rote Koalition, schließlich das gleiche Bündnis sogar in der Hauptstadt mit ihren noch immer klaren Fronten zwischen dem alten Westberlin und dem Machtzentrum der Ex-DDR. Um all diese unheiligen Allianzen hatte es natürlich Diskussionen gegeben, von unverhohlener Skepsis bis scharfer Ablehnung, aber sie waren dann doch relativ stabil, wurden beinahe zum politischen Alltag. Nirgends gab es die Wiederkehr sozialistischer Verhältnisse, schon gar nicht kommunistischer Experimente, und man hätte annehmen können, der nächste derartige Versuch ginge ohne besondere Erregung über die Bühne.
Doch beinahe das Gegenteil ist jetzt der Fall. Das zeigte nicht erst Brandenburg, sondern zuvor schon Thüringen und das Saarland, eigentlich bereits Hessen.
Quelle: blogsgesang.de - Olaf Scholz ist neuer Chef der Hamburger SPD
Olaf Scholz kehrt an seine alte Wirkungsstätte in Hamburg zurück: Der frühere Arbeitsminister soll als neuer Landesvorsitzender die kriselnde SPD in der Hansestadt wieder auf Kurs bringen.
Quelle: SPIEGEL OnlineAnmerkung Orlando Pascheit: Wie soll einer, der als Generalsekretär die Agenda-Politik Schröders in der Partei durchsetzen sollte, die SPD wieder auf Kurs bringen, die in der Hauptsache eben wegen dieser Agenda-Politik eine Wahl nach der anderen verloren hat? Nicht ein Bezirk hat Olaf Scholz eine Ruhepause gegönnt. Was ist nur aus linken Bezirken wie Hamburg-Eimsbüttel geworden? Keine Analyse, keine Strategiediskussion, keine personellen Konsequenzen angesichts des Niedergangs einer so stolzen Partei. Wenn sich die Partei nicht mit dem Schröderschen Erbe auseinandersetzt, wie soll dann der Bevölkerung glaubwürdig ein Neubeginn vermittelt werden? Wenn Scholz von der Bundestagwahl als einer “Katastrophe, die nicht beschönigt werden sollte”, spricht, so bleibt doch sehr im Allgemeinen und unterschlägt er, dass auch handelnde Personen wie er selbst über Jahre hinweg zu dieser Katastrophe beigetragen haben. Olaf Scholz, “loyaler Diener der Partei und ihrer vielen Herren” (SZ), mit einem Traumergebnis gewählt, ist das falsche Signal.
Möglicherweise ist durch die vielen Parteiaustritte die Parteibasis, nicht nur in Hamburg, so ausgedünnt, dass die Partei wesentlich an Streitfähigkeit, an Streitkultur verloren hat. Da ist wenig hilfreich, wenn die Parteiführung gerade jetzt Geschlossenheit fordert, was allerdings nur den Verantwortlichen für das Desasters zugute kommt. Streitfähigkeit wird nicht gewonnen und Demokratiedefizit der Partei nicht dadurch beseitigt, dass z. B vor Antritt zur Kandidatur Scholz die einstimmige Unterstützung des Landesvorstandes zur Voraussetzung machte. “Aber in schwierigen Zeiten muss man zusammenhalten und etwas wagen“, so Scholz. Wagen muss man aber den offenen Streit. Aussagen wie, man dürfe “nicht sagen, es war alles richtig, was wir gemacht haben, die Leute waren nur zu dumm, es zu verstehen” (Sigmar Gabriel) reichen nicht aus, zumal dann meist die Erklärung folgt: „Es war bei weitem nicht alles falsch, was war.“ Und dann wird eine lange Liste von Verdiensten nachgereicht von Konjunkturprogrammen, dem Einsatz für Opel, der Verbesserung der Lebensbedingungen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, dem Zuwanderungsgesetz bis zum beliebten, weil unumstrittenen Klassiker, dem Nein zum Irakkrieg.
Nur wird die SPD, um in der Bevölkerung glaubwürdig wahrgenommen zu werden, nicht darum herumkommen, auch eine Negativliste ihrer Regierungszeit genauso konkret zu benennen und darüber öffentlich zu diskutieren, wie sie mit diesen Fehlern umzugehen gedenkt. Wenn Gabriel meint, der Wähler habe „einfach kein klares Bild mehr davon, wofür wir stehen”, so irrt er gewaltig. Der Wähler, gerade der zu Hause gebliebene oder nach links gedriftete ehemalige SPD-Wähler, hat ein sehr klares Bild von den Bereichen, wo Rot/Grün bzw. Schwarz/Rot nicht nur versagt haben sondern ungute Entwicklungen vorangetrieben haben, von der Deregulierung des Finanzmarktes, über die Änderung der Rentenformel bis zur Förderung prekärer Jobs. Die Defizitliste ist weitaus länger und von anderer Qualität als die Verdienste der verantwortlichen SPD-Politiker.
Gewiß muß auch hier differenziert werden zwischen Politikern wie Frank-Walter Steinmeier, der die Empfehlungen der Hartz-Kommission noch entscheidend verschärft hat und von dem nicht zu erwarten ist, dass er wesentliche Teile seiner Biographie in Frage stellt, und „jungen“ Politikern, denen eine gewisse Lernfähigkeit zuzutrauen ist. Die Partei sollte aber nicht zögern, ehemaligen Anhänger des Schröderschen Neoliberalismus eine schöpferische Pause zu verordnen. Der Coup von Gabriel, Nahles oder eben auch Scholz ist gelungen, realistischerweise wird an deren Positionen derzeit kaum etwas zu ändern sein. Aber die Partei und ihre alten, neuen Herren, sollten sich hüten, sich durch die nächsten Landtagswahlen bestätigt zu fühlen, wenn die Opposition wie üblich nach Bundestagswahlen in den Ländern wieder zulegt. Die Genesung der SPD wird langfristig von einer Analyse der Fehler der Vergangenheit und dem Streit darüber, wie diese behoben werden, abhängig sein. Nur auf dieser Basis wird die Kritik an den schwarz/gelben Zumutungen glaubwürdig und die SPD als Alternative wählbar sein. Kampagnefähigkeit ohne konkrete Aufarbeitung gibt es nicht.Siehe auch:
Gabriel ruft SPD zu Stolz und Ehrlichkeit auf
Quelle: Tagesspiegel - Gerechtigkeit für Andrea Ypsilanti
Vor genau einem Jahr hatte die SPD die einmalige Chance, die kulturelle Hegemonie gegen schwarz-gelb zurück zu erobern. Die Konservativen spürten das sofort. Und feuerten aus allen Rohren. Die SPD knickte ein. Andrea Ypsilanti nicht.
Quelle: Carta - Altkanzler Gusenbauer jetzt Investmentbanker
Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer ist seit kurzem im Bereich Vermögensverwaltung tätig. Laut “profil” fungiert der frühere SPÖ-Chef als Europa-Direktor des Investmentfonds Equitas European Funds, einer Tochter der Fondsgesellschaft Equitas Capital mit Sitz in Santiago de Chile. Der Fonds ist gemäß eigenen Angaben auf Investments in Immobilien, Informationstechnologie, Umwelttechnik und Agrarindustrie spezialisiert.
Quelle: Krone.atAnmerkung WL: Auch in Österreich dreht sich die Drehtür zwischen Politik und Bankenwelt und auch bei unseren südlichen Nachbarn scheuen sich Sozialdemokraten nicht, sich als Berater von Investmentfonds anheuern zu lassen.
- Für einen heißen Herbst
Studierende starten öffentlichkeitswirksame Aktionen vor dem zweiten Bildungsstreik, der bundesweit zwischen 17. November und 10.Dezember geplant ist. In dieser Woche waren gleich mehrere Hochschulstädte Schauplatz von studentischen Protesten gegen die Mißstände im deutschen Bildungssystem. Im Anschluß an eine Vollversammlung besetzten am Donnerstag vormittag Aktivisten der Universität Potsdam spontan das Audimax am Neuen Palais. Ein Anlaß war die fast zeitgleiche Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung von SPD und Linkspartei im Brandenburger Landtag. Zugleich solidarisierten sich die Studierenden mit ihren Mitstreitern aus Heidelberg und Münster, die ab Dienstag bzw. Mittwoch Hörsäle ihrer Universitäten besetzt hatten (siehe Spalte). Sie fordern unter anderem die Demokratisierung und öffentliche Ausfinanzierung des Bildungswesens sowie das Ende der Ökonomisierung von Bildung.
Inspiriert sind die hiesigen Aktionen insbesondere von den Ereignissen in Österreich.
Quelle: Junge WeltSiehe dazu:
Wiener Unis brennen weiter
“Die Uni brennt!” Fast zu groß wirkte dieser Slogan, als am 22. Oktober Studierende in Wien das Audimax besetzten, um gegen die schlechten Studienbedingungen, fehlende Mitbestimmung und zunehmende Ökonomisierung der Bildung zu protestieren. Doch der Slogan erwies sich als passend: Wie ein Flächenbrand weiteten sich die Proteste auf ganz Österreich aus, aber über den Kreis der Studierenden hinaus.
Bei einem Sternmarsch durch Wien protestieren 20.000 Menschen gegen die Bildungspolitik. Die Besetzungen der Universitäten dauern an, die Politik reagiert hilflos.
Studierende protestieren jetzt auch wieder in Deutschland: Am Freitag besetzten rund 300 Studierende die Akademie der bildenden Künste in München. In Heidelberg wurde am Dienstag ein Hörsaal in der Altstadt besetzt, seit Mittwoch halten Studierende in Potsdam das Audimax besetzt. Besetzungen gab es auch in Tübingen und Darmstadt. In Münster wurde am Mittwoch das Audimax besetzt, am Freitagmorgen räumte es die Polizei.
Sie fordern weiterhin die soziale Öffnung der Hochschulen, die Abschaffung des Bachelor/Master-Systems, eine demokratischere Gestaltung der Hochschulen und bessere Studienbedingungen.
Quelle: tazAnmerkung WL: Und die Hochschulrektoren diskutieren unter sich.
- Honduras: Friedrich-Naumann-Stiftung rudert zurück
Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) ist von ihrer putschistenfreundlichen Haltung in Honduras vorsichtig abgerückt. Zumindest der Leiter des FNS-Büros in Honduras Hauptstadt Tegucigalpa, Christian Lüth, beurteilt den Putsch heute kritischer als vor drei Monaten. “Es gab schwarze Monate”, sagte Lüth der taz, und bezieht sich dabei auf die Verfolgung von Oppositionellen seit dem Putsch Ende Juni. Man müsse aus heutiger Sicht differenzierter urteilen. “So glatt, wie es am Anfang aussah, ist es nicht gelaufen.” Hinter Micheletti stehe die reiche Oligarchie, die Steuerprivilegien genieße “und bedacht ist, diese auch zu behalten”. Auch die Menschenrechtsverletzungen des Putschregimes erkennt Lüth inzwischen an.
Quelle: TAZAnmerkung Orlando Pascheit: Anscheinend hat man bei der FDP-nahen Stiftung vor den Wahlen nicht so recht an einen Außenminister Westerwelle geglaubt, sonst hätte man sich wohl eher am internationalen Mainstream orientiert. Pikant ist der Hinweis auf die Steuerprivilegien der Honduranischen Oligarchie.
- Michail Gorbatschow: Vergesst den Osten nicht
Die EU muss allen Ländern Europas eine Zukunft bieten. Sie darf Russland nicht ausgrenzen. Vor 20 Jahren endete der Kalte Krieg. Jetzt besteht die Gefahr, dass neue Mauern errichtet werden.
Quelle: FR - Nachtrag zum Eintrag zu Elser
Wir werden darauf aufmerksam gemacht, dass präziser hätte formuliert werden müssen. „Bisher ohne Gedenken“ stand in den NDS. Es hätte heißen müssen: „Bisher ohne gebührendes Gedenken“. Jedenfalls gibt es durchaus eine Reihe von Initiativen zur Würdigung Johann Georg Elsers. Zum Beispiel in Konstanz oder in München. Danke vielmals für die vielen Hinweise.