Facebook und Cambridge Analytica – warum die ganze Aufregung?
Der Guardian präsentiert eine Whistleblower-Story, der Börsenwert von Facebook stürzt binnen eines Tages um 40 Milliarden Dollar ab und weltweit sind Medien und Nutzer sozialer Netzwerke außer sich. Doch warum eigentlich? Vor fast einem Jahr veröffentlichten die NachDenkSeiten einen ins Deutsche übertragenen äußerst interessanten Hintergrundartikel, der damals ebenfalls im Guardian erschienen ist und in dem die jüngsten „Enthüllungen“ bereits vor einem Jahr nahezu 1:1 beschrieben wurden. Wo ist der Skandal? Der eigentliche Skandal ist wohl eher die Naivität, mit der viel zu viele Nutzer die modernen Datenkraken betrachten. Von Jens Berger.
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[…] Und ermöglicht wurde das durch Facebook. Denn vor allem von Facebook erhielt Cambridge Analytica seine riesigen Datenmengen. Davor hatten Psychologen der Cambridge University Facebook- Daten legal zu Forschungszwecken gesammelt und ihre von Experten überprüften Pionierstudien über die Bestimmung von Persönlichkeitsmerkmalen, Parteipräferenz, Sexualität usw. anhand von „Gefällt mir“-Angaben auf Facebook publiziert. Und SCL / Cambridge Analytica schloss einen Vertrag mit einem Wissenschaftler dieser Universität, Dr. Aleksandr Kogan, um neue Facebook-Daten zu sammeln. Und er tat dies, indem er Leute dafür bezahlte, dass sie an einem Persönlichkeits-Quiz teilnahmen, bei dem nicht nur die eigenen Facebook-Daten gesammelt wurden, sondern auch die ihrer Freunde. Dies geschah mit Genehmigung des sozialen Netzwerkes.
Facebook war die Quelle der psychologischen Erkenntnisse, die Cambridge Analytica in die Lage versetzten, individualisierte, zielgruppengenaue Informationen zu verbreiten. Es bildete gleichzeitig auch den Mechanismus, der sie in großem Maße zur Verfügung stellte. Die Firma erwarb auch völlig legal Konsumentendaten – alles von Zeitschriftenabonnements bis Flugreisen – und verknüpfte diese zusammen mit den psychologischen Daten mit den Wählerdaten.Aus dem Artikel „The great British Brexit robbery: how our democracy was hijacked“, der am 7. Mai 2017 im Guardian erschienen ist und zehn Tage später auf Deutsch auf den NachDenkSeiten veröffentlicht wurde.
Fassen wir die Vorgeschichte kurz zusammen: Ein amerikanisches Datenanalyse-Unternehmen namens Cambridge Analytica (CA) hat sich darauf spezialisiert, weitreichende Wähleranalysen auf Basis der Nutzerdaten von Facebook vorzunehmen und mit Hilfe dieser Daten zielgerichtete Wahlwerbung zu schalten. Bekanntheit erlangte CA vor allem durch die erfolgreiche Arbeit für die Brexit-Kampagne und die Arbeit für den damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. CA gehört zum Firmengeflecht des Hedge-Fonds-Milliardärs und Trump-Unterstützers Robert Mercer, der eng mit den rechten Politikern Steve Bannon (Breitbart) und Nigel Farrage (UKIP) befreundet ist. Man darf vermuten, dass CA heute komplett unbekannt wäre, wäre Mercer stattdessen mit Hillary Clinton und Tony Blair befreundet. Der Skandal ist nach Ansicht der großen Medien ja nicht, dass CA bestimmte Techniken nutzte, sondern dass ausgerechnet Donald Trump und die Brexit-Kampagne davon profitierten.
Das Erfolgsgeheimnis von CA ist dabei eigentlich recht simpel. Man weist den Wählern aufgrund ihrer Netzwerke und Aktivitäten auf Facebook bestimmte psychologische Profile zu. Früher hätte man wohl gesagt, man packt die Leute in Schubladen. Wer beispielsweise einer LGBT-Seite ein „like“ gegeben hat, regelmäßig Artikel der taz teilt und auf dem Prenzlauer Berg in Berlin lebt, wird wohl am ehesten in die Schublade „linksliberal“ passen, während Pegida-Anhänger, die regelmäßig Stories aus rechtsradikalen Netzwerken teilen und in der Sächsischen Schweiz leben, wohl eher in die Schublade „rechtsradikal“ verfrachtet werden können. Interessant werden diese Schubladen, wenn man als Partei sein Werbebudget optimal nutzen will. Jeder Cent, den die AfD für Anzeigen ausgibt, die dem linksliberalen Berliner gezeigt werden, ist verschenktes Geld, ebenso wie Geld für Anzeigen der Grünen, die dem rechten Sachsen präsentiert werden. So weit, so bekannt. Diese „Basisdienste“ bietet übrigens auch Facebook selbst an.
CA geht jedoch noch weiter und ermöglicht es dem Auftraggeber, anhand psychologischer Schubladen die Nutzer effektiver anzusprechen. Wer beispielsweise als „ängstlich“ eingestuft ist, könnte von der AfD Anzeigen gezeigt bekommen, in denen mit der Angst vor Überfremdung gespielt wird – dies müssen keine AfD-Anzeigen sein, sondern könnten genau so gut Artikel aus den klassischen oder den alternativen Medien sein, die in diese Kerbe schlagen. Bei einem Nutzer, der hingegen als „selbstbewusst“ eingestuft ist, wird man mit der Angst vor Überfremdung nicht weiter kommen, sondern wird wohl mehr Erfolg haben, wenn man an seinen Stolz appelliert. Wenn alles funktioniert, können Anzeigen nach psychologischen Faktoren zielgruppengenau geschaltet werden. In der deutschen Mehrparteienlandschaft mag das etwas abstrakt klingen. Im auf zwei Personen zugespitzten US-Wahlkampf lässt sich mit derlei Küchenpsychologie das Werbebudget offenbar recht effektiv nutzen.
Das ist im Kern übrigens nicht wirklich neu. Brausehersteller werben im sportorientierten Umfeld („macht Power!“) natürlich auch anders als im modeorientierten Umfeld („macht schlank!“). Neu ist jedoch, dass diese Techniken auch politisch genutzt werden und vor allem, dass es einen gigantischen Datenpool namens Facebook gibt, der eine sehr spezifische Kategorisierung seiner Nutzer überhaupt erst möglich macht. Bei Lesern von Zeitungen oder Zuschauern von TV-Programmen wäre eine Unterteilung in „ängstlich“ und „selbstbewusst“ beispielsweise nicht möglich.
Viel interessanter und kontroverser sind indes die Methoden, mit denen Datenanalyse-Unternehmen wie CA an die gewünschten Daten kommen. CA hat – siehe oben – den Zugang zu den Profilen der Nutzer über ein Persönlichkeits-Quiz bekommen, das dann auch gleich Zugriff auf die Daten der „Freunde“ der auskunftsfreudigen Person bekam. Dies ist kein Bug, sondern ein Feature, mit dem Facebook sehr viel Geld verdient und wer nun so tut, als überrasche ihn das alles, lügt.
Wenn Sie selbst Facebook nutzen, bekommen Sie im Menüpunkt „Einstellungen/Apps“ ein kleines Beispiel dafür, wer so alles in Ihren Facebook-Daten kramt. So ist beispielsweise das „Auslagern“ der Login-Daten an Facebook ja sehr beliebt. Der populäre Musik-Dienst „Spotify“ nutzt die Möglichkeit, sich unkompliziert über Facebook mit zwei, drei Mausklicks zu registrieren, ohne sich komplizierte Passwörter zu merken und viele Daten einzugeben, genau so, wie die weit verbreitete Sport-App „Endomondo“ oder die Apps von Adobe und Microsoft. Das wäre ja nicht so dramatisch, wenn alle diese Drittanbieter dabei keine Daten sammeln würden, die für die gebotene Dienstleistung absolut überflüssig sind.
Warum wollen die Bildbearbeitung Adobe Photoshop, der Paketdienstleister UPS oder das Bewertungstool TripAdviser beispielsweise Zugriff auf meine „Freundesliste“ von Facebook? Was gehen den Ferienwohnungsvermittler Airbnb und Microsoft meine Ausbildung und meine bisherigen Arbeitgeber an? Vor allem die im Umfeld des jüngsten „Skandals“ thematisierten Tests und Spielchen sind besonders datenhungrig. Aber wer macht schon dumme Psychotests, bei denen man dem Anbieter die Genehmigung erteilen muss, auf sämtliche Facebook-Daten zuzugreifen? Die Antwort ist ernüchternd: Verdammt viele. Das Schlimmste daran ist, dass sie als Nutzer noch nicht einmal eigenverantwortlich solchen Datenkraken den Riegel vorschieben können. Wenn einer ihrer „Facebook-Freunde“ einem solchen Tool die Erlaubnis gibt, seine Freundesliste zu verarbeiten, landen auch ihre zugänglichen Daten – ohne dass Sie gefragt werden – in der Auswertung. Ein kleiner Tipp: Um all zu dreisten Datenkraken kein Futter zu geben, sollten Sie sofort und ohne Diskussion Facebook-Freunde „entfreunden“, die vor allem durch solche Spiele und Tests auf sich aufmerksam machen und dabei Ihre(!) Daten an Drittanbieter weitergeben.
Ansonsten gilt: Es gibt keine guten Datenkraken in der schlechten. Das gesamte System Facebook basiert schließlich auf der Monetarisierung ihrer Daten. Wenn Facebook nun – ein Jahr nach Entdeckung der CA-Aktivitäten – plötzlich die Accounts von CA sperrt, dann wohl vor allem deshalb, weil CA in eine direkte Konkurrenz zu Facebook gegangen ist. Denn Facebook macht ja selbst nichts großartig anderes als CA – man scannt seine Nutzer anhand derer Netzwerke und Aktivitäten und bietet dann zusammengestellte Profile für sehr viel Geld zu Werbezwecken an Dritte an. Damit hat Facebook im Jahr fast 16 Milliarden Dollar Gewinn gemacht.
Umso unerklärlicher ist daher auch die künstliche Aufregung, die in den letzten Tagen entbrannt ist. Da wirft man einem Unternehmen, das Geld verdient, indem es seine Nutzer kategorisiert und ihnen möglichst passende Werbung präsentiert, vor, dass es seine Nutzer kategorisiert und ihnen möglichst passende Werbung präsentiert. Ja hat man denn gedacht, Facebook sei ein Open-Source-Projekt, das transparent und vorbildlich mit seinen Nutzerdaten umgeht? Es scheint noch sehr viel Aufklärungsarbeit nötig zu sein. Ob die hysterische Aufregung der letzten Tage dazu beiträgt, darf jedoch bezweifelt werden.