Der politisch-mediale Komplex und seine Filterblase
Es ist schon wirklich erstaunlich. Wenn man sich beim Kurznachrichtendienst Twitter einen kurzen Überblick zum Anschlag auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal verschaffen will, stößt man auf zwei scharf voneinander getrennte Welten – die reale Welt mit normalen Nutzern, die die offizielle Lesart der britischen Regierung hinterfragen und den Fall sehr kritisch diskutieren, und eine Parallelwelt, in der eine in sich geschlossene Echokammer eben jene Lesart offensiv transportiert. Fährt man mit der Maus über die Namen der Nutzer in dieser Parallelwelt, stößt man fast ausschließlich auf Personen, die als Politiker, Journalisten oder Medienmacher tätig sind. Es hat sich ein politisch-medialer Komplex herausgebildet, der sich gegenseitig „befruchtet“, eine Art elitärer Stammtisch, an dem die Meinungen und Positionen von Politik und Medien mitgeformt werden. Wen wundert es da, dass die Öffentlichkeit immer stärker gegen diese intellektuelle Inzucht opponiert? Von Jens Berger.
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Wieder einmal sind alle einer Meinung. Die Katrin, der Udo, der Jörg, der Julian und der Bijan – alle sind felsenfest davon überzeugt, dass „Putin“ für den Mordversuch an einem russischen Doppelagenten im englischen Salisbury die volle Verantwortung trägt und Russland daher scharf sanktioniert werden müsse. Katrin, Udo, Jörg, Julian und Bijan sind jedoch keine „normalen“ Bürger. Es handelt sich um die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, den ARD-Journalisten Udo Lielischkies, den RBB-Journalisten Jörg Thadeusz, den BILD-Chef Julian Reichelt und Bijan Djir-Sarai von der FDP. Diese Liste ließe sich mühelos um Dutzende Namen erweitern, die hier gezeigte Auswahl ist eine willkürliche Stichprobe. Zusammen bilden diese Personen eine recht ansehnliche Filterblase, in der sie untereinander und mit Gleichgesinnten kommunizieren, die Artikel ihrer Zeitungen und Beiträge ihrer Sender weiterreichen und eine sorgfältige sehr einseitige Auswahl von Statements von Quellen außerhalb dieser Filterblase weiterverbreiten. Wer sich – wie erstaunlich viele professionelle Politiker und Journalisten – den halben Tag bei Twitter herumtreibt und mit frischem Stoff aus der Filterblase versorgt wird, läuft natürlich schnell Gefahr, in ein Paralleluniversum abzugleiten.
Twitter ist die Potenz der Berliner Blase der Hauptstadtjournalisten. Man muss leider davon ausgehen, dass dieser politisch-mediale Komplex seinen Bezug zur realen Welt schon verloren hat und viele Bewohner dieser Parallelwelt es noch nicht einmal böse meinen, wenn sie wieder einmal Unsinn schreiben. Wenn man den ganzen Tag hört, die Erde sei nicht rund, sondern flach, und die gesamte berufliche Peergroup inkl. der Vorgesetzten dies den ganzen Tag wiederholt, dann ist die Erde halt irgendwann flach und dann sind auch der CDU-Hinterbänkler und der Nachwuchsjournalist bei der Süddeutschen der Überzeugung, nur Russland könne verantwortlich für den Anschlag auf Sergej Skripal sein. Gehirnwäsche kann auch freiwillig geschehen.
Mittel- bis langfristig wird diese Entwicklung zu einer fortgesetzten Entfremdung zwischen dem politisch-medialen Komplex und dem Rest der Welt führen. Wie eine Demokratie funktionieren soll, in der ein Großteil der Politik und der Medien in einer Parallelwelt lebt, ist mir jedoch ein Rätsel. Vielleicht sollten die russischen Hacker – so es sie denn gibt – einmal Twitter hacken und die Filterblasen des politisch-medialen Komplexes durcheinanderbringen. Wer weiß? Vielleicht kommen auch Katrin, Udo, Jörg, Julian und Bijan zu anderen Positionen, wenn sie künftig mehr Meinungen und Einschätzungen aus der realen Welt mitbekommen?
Anhang: Nachrichten aus der Parallelwelt …