Leserbriefe zu: Die Debatte um die Essener Tafeln ist ein weiterer Aspekt der allgegenwärtigen Elitenverwahrlosung
Wenn es um ein elementares Thema wie Essen in Essen und dessen Verteilung geht, dann gibt es dementsprechend viele entschiedene Zuschriften an uns. Es folgt eine Auswahl, die versucht, das breite Spektrum der Lesermeinungen wiederzugeben. Wie immer ein Dank an alle Leser, die uns geschrieben haben!
Zusammengestellt von Moritz Müller.
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Sehr geehrter Herr Berger,
ein kurzer Hinweis zu “Essener Tafel”, konkret zum Begriff Rassismus. Für die Wissenschaft ist der Begriff Rasse, bezogen auf den Menschen obsolet. – Die Politiker verwenden ihn häufig aus Unkenntnis oder … ? Der richtige Begriff und das Gift, welches versprüht wird heißt Nationalismus bzw. Chauvinismus.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Dlugosch (Dresden)
Es reicht
Ich bin die deutsche Oma, die instrumentalisiert wird im Streit um die Essener Tafel. Neuerdings muss ich als Alibi für rassistische Sprüche herhalten. Oder ich diene als Rechtfertigung, wenn jemand (wie Jens Berger in seinem o.g. Artikel) eine Abrechnung offen hat. In diesem Fall mit den deutschen Eliten. Das alles ist unerträglich. Mir reicht es. Deshalb melde ich mich heute zu Wort.
Nach jahrelangem Hartz-IV-Bezug bin ich aufgrund einer schmalen Rente zum Besuch der Tafel berechtigt. Diese zweifelhafte Vergünstigung verdanke ich einer menschenverachtenden neoliberalen Politik, die den Sozialstaat zugrunde gerichtet hat. Wenn sich die dafür verantwortlichen Politiker nun lauthals echauffieren über die Entscheidung der Essener Tafel, ist das in hohem Maße heuchlerisch. Keine Frage.
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Armut ist nicht Schicksal und auch nicht selbst verschuldet. Ein System, das einige wenige immer reicher werden lässt, produziert zwangsläufig immer mehr ganz arme Menschen. Damit sich die Ärmsten um Gottes Willen nicht dieser Tatsache bewusstwerden, hetzt man sie gegeneinander. Wenn ich mich als deutsche Oma am Flüchtling abarbeite, schaue ich nicht nach oben. Diese Taktik wird auch von der Essener Tafel genutzt. Indem sie die Ärmsten kategorisiert in erster und zweiter Klasse, trägt sie so zur Stabilisierung der Verhältnisse bei, die sie zu bekämpfen vorgibt. Es hätte eine Menge anderer Möglichkeiten gegeben als eine Auslese nach Nationalität, um die Verhältnisse vor Ort zu bessern.
Bei der Essener Tafel werden fundamentale linke Solidaritätsprinzipien verletzt. Ich war entsetzt, dass Sarah Wagenknecht auf diesen Aspekt in ihrem DLF-Interview nicht zu sprechen kam.
S. Glandien (eine deutsche Oma)
Lieber Herr Berger,
das war ein zutreffender Artikel von Ihnen. Man ist leicht versucht über den Ausschluß von ausländischen Bürgern vom Bezug von Nahrung falsch zu urteilen. Dabei geht es hier darum,daß diese menschenunwürdige Situation -der Kampf der Armen gegeneinander- von der Politik verursacht wurde!Aber anstatt solche Zustände zu beenden wird auf die Mitarbeiter der Tafeln eingeschlagen und das ausgerechnet von Frau Chebli,die unfähig oder nicht Willens ist in der BPK auch nur auf eine kritische Frage zu antworten. Solche Personen werden Staatssekretärin(was qulifiziert sie dafür?),werden vom Steuerzahler großzügig versorgt und sind nicht in der Lage einfachste
Zusammenhänge zu erkennen.Es wird seit Jahren über die Zuwanderung diskutiert,doch ohne den Einsatz vieler Freiwilliger wäre die Situation für die Betroffenen noch schlechter.Angeblich brummt die Wirtschaft in Deutschland,die ganze Welt schaut auf uns aber wir sind nicht in der Lage allen Menschen in Deutschland ein würdiges Leben zu ermöglichen.
Über Spahn,SPD,Aufrüstung,Russland will ich gar nicht reden.Aber ich komme immer mehr zu der Erkenntnis,daß ich dafür in Karl-Marx-Stadt nicht auf die Straße gegangen bin.
Vielen Dank an das Team-NDS!
Herzliche Grüße
Rüdiger Hetze
Lieber Herr Berger,
ich glaube, so ganz ist die Situation an der Essener Tafel nicht, wie Sie sie darstellen.
Vorab möchte ich sagen, dass ich es schlimm finde, dass ein “reiches” Land wie Deutschland soviel Tafeln benötigt.
Um auf die Essener Tafel zurückzukommen, so ist in einem Interview bestätigt worden, dass es gar nicht zu Rangeleien gekommen ist, sondern dass die anderen Leute ein “unbehagliches Gefühl” hätten, weil so viele Ausländer dabei sind.
Diese Argumentation höre ich im Bekannten- und Kollegenkreis immer wieder. Leute, die noch nie Kontakt zu den Flüchtlingen, Migranten oder wie immer man sie nennen will, hatten, erzählen uns, dass sie Angst haben, gewisse Wege zu gehen. Ich habe mich schon ziemlich unbeliebt gemacht, weil ich dagen angehe. Natürlich gibt es auch unter Ausländern – wie unter Deutschen – unangenehme Menschen. Aber warum berichtet man immer nur über diese? Ich habe schon viele freundliche, hilfsbereite Leute unter ihnen getroffen. Kann man nicht mal darüber berichten?
Ansonsten möchte ich noch betonen, dass ich die NachDenkSeiten sehr schätze. Sie gehören bei mir und meinem Mann zur täglichen Lektüre und wir haben schon viele Informationen aufgenommen, die wir woanders nicht hätten lesen können.
Vielen Dank für Ihre Mühe und viele Grüße
Brigitte Schultz
Antwort Jens Berger:
Liebe Frau Schultz,
ich verlasse mich bei meinen Schilderungen ja auf die Aussagen der Mitarbeiter der Essener Tafeln. Und die sind diesbezüglich recht eindeutig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Helfer die Aussagen zum “mangelnden Respekt” gegenüber Älteren und Frauen und die Schilderungen von einem “aggressiven Verhalten” ausgedacht haben. Natürlich sind die Negativbeispiele nicht repräsentativ. In meinem Artikel halte ich mich Bewertungen über die Migranten/Flüchtlinge ja auch nicht ohne Grund zurück und kritisiere stattdessen die Politik und die Politiker, die sich nun scheinheilig zu Wort melden.
beste Grüße
Jens Berger
Lieber Jens Berger,
ein sehr guter Kommentar. Heuchlerisch ist es wenn sich die Kanzlerin und ihre Junior Partner von der SPD über die Mitarbeiter*innen der Tafel entrüsten. Denn diese Politiker sind dafür verantwortlich, dass die staatlichen Leistungen für viele Arbeitslose, Rentner und Flüchtlinge, auch dank der Hartz 4 Armutsgesetze, nicht ausreichen.
Ich bin aber auch über die Äußerungen aus meiner Partei der LINKEN empört. Auch hier wird den Mitarbeiter*innen der Tafel Rassismus, z.B. von Vertretern der Antikapitalistischen LINKEN, unterstellt. Auch das LINKE Bild aus Münster „Jetzt sollen sich Deutsche und Nichtdeutsche über Essen streiten. Danke Essener Tafel“ schiebt letztendlich ebenso den Falschen den schwarzen Peter zu.
Auch ich finde die Lösung der Essener nicht richtig gewählt. Aber ich kann Menschen nicht Rassismus unterstellen, die ihre Freizeit zum Teil seit Jahren für die Versorgung von Deutschen und Migranten (die sollen auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden) opfern. Das ist für mich überheblich und sektiererisch.
Sahra Wagenknecht hat im Interview im Deutschlandfunk zu Recht den Fokus von der Tafel genommen und die herrschende Politik ins Visier genommen. Es gibt noch Lichtblicke. Dafür musste sie aber innerhalb der LINKEN wiederum Kritik einstecken.
Eine LINKE die von dem hohen moralischen Ross auf andere herunterblickt, hat den Kontakt zu den Menschen verloren und wir letztendlich scheitern, falls sie sich nicht ändert.
Carsten Strauch
Mitglieder der LINKEN, Kreisvorstandsmitglied in Bielefeld und ehem. jahrelanger Kreissprecher
Sehr geehrter Herr Berger,
Ihrer Kritik an den Äußerungen der in dem Artikel genannten Politiker stimme ich zu.
Selbstverständlich stimme ich auch der Auffassung zu, dass genau die Politiker, die jetzt die Mitarbeiter der Tafel verurteilen, dafür die Verantwortung tragen, dass es überhaupt Tafeln gibt bzw. jetzt wohl auch geben muss.
Allerdings bleibt die Frage offen, wie soll jetzt mit den Menschen, die keinen deutschen Pass besitzen, umgegangen werden? – Sollen diese Menschen nun verhungern?
Schade, dass Sie sich dazu nicht geäußert haben.
Ich denke, man darf sie nicht von der Ausgabe der Lebensmittel ausschließen. Mir ist auch klar, dass dadurch der einzelne Mensch, der auf die Zuteilung der abgelaufenen Produkte aus den Supermärkten angewiesen ist, zu wenig zum Überleben bekommt. Ähnlich hat sich auch der Verantwortliche der Essener Tafel geäußert.
Mit freundlichen Grüßen
Günther Freitag
Sehr geehrtes Nachdenkseiten-Team
Erst noch einmal vielen Dank für Ihre wichtige, unterstützenswerte und für viele von uns sicher auch lebenswichtige Arbeit.
Zum im Betreff erwähnten Artikel von Jens Berger und zur seit Jahren immer exzessiver grassierenden marktradikalen, arroganten und ignoranten “Politik” in Deutschland scheint mir folgendes Gedicht von Erich Kästner sehr treffend – fast scheint es, als hätten die “Eliten” es als Gebrauchsanweisung zum “Regieren” missverstanden:
Erich Kästner
Hunger ist heilbar
Eine deutsche Allegorie
Es kam ein Mann ins Krankenhaus
und erklärte, ihm sei nicht wohl.
Da schnitten sie ihm den Blinddarm heraus
und wuschen den Mann mit Karbol.
Befragt, ob ihm besser sei, rief er: „Nein.“
Sie machten ihm aber Mut
und amputierten sein linkes Bein
und sagten: „Nun geht‘s ihnen gut.“
Der arme Mann hingegen litt
und füllte das Haus mit Geschrei.
Da machten sie ihm den Kaiserschnitt,
um nachzusehn, was denn sei.
Sie waren Meister in ihrem Fach
und schnitten sogar ein Gesicht.
Er schwieg. Er war zum Schreien zu schwach.
Doch sterben tat er noch nicht.
Sein Blut wurde freilich langsam knapp.
Auch litt er an Atemnot.
Sie sägten ihm noch drei Rippen ab.
Dann war er endlich tot.
Der Chefarzt sah die Leiche an.
Da fragte ein andrer, ein junger:
„Was fehlt denn dem armen Mann?“
Der Chefarzt schluchzte und murmelte dann:
„Ich glaube, er hatte nur Hunger.“
Gedicht aus: „Gesang zwischen den Stühlen“ von Erich Kästner, Originalausgabe DVA Stuttgart / Berlin, 1932
Auch das Jahr der Veröffentlichung der Originalausgabe sollte zu denken geben.
Um einer erhöhten sprachlichen Genauigkeit willen schlage ich vor, künftig das Wort “Eliten” in Anführungszeichen zu setzen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre weitere Arbeit und grüsse Sie herzlich
H.G.
Sehr geehrter Herr Berger,
wie Sie wissen, schätze ich Ihre Arbeit sehr und teile auch weitgehend Ihr Einschätzung bzgl. der abgehobenen (besonders der links-grünen) Eliten.
Auch ist es natürlich Fakt, dass durch die Aufnahme der Flüchtlinge, der Kampf um Ressourcen innerhalb und zwischen den abgehängten Teilen der Bevölkerung zunimmt.
Nichtsdestotrotz ist das Verhalten der Essener Tafel unsäglich: Anstatt sich seit ihrem Bestehen, vehement dafür einzusetzen, selbst überflüssig zu werden, hat man sich jahrelang im Gefühl der Wichtigkeit für die Gesellschaft gebadet.
Und jetzt, da einem die Sache angesichts dramatisch steigender Bedürftigkeit, über den Kopf zu wachsen droht, erklärt man, man könne künftig keine Ausländer mehr aufnehmen. Begründet wird das mit der angeblichen Angst deutscher (!) Rentner und Alleinerziehender, die sich angesichts des „aggressiven, jungen Flüchtlings“ nicht mehr in die Einrichtung trauten.
Hier wird auf der Klaviatur der Stereotype gespielt und damit der AfD das Wort geredet. Anstatt dafür zu sorgen, dass die Leute angstfrei die Tafel besuchen können, indem man aggressive „Kunden“ egal welcher Herkunft des Platzes verweist, ergreift man eine völlig sinnfreie Maßnahme. Schließlich sind die offensichtlich agressiven und angsteinflößenden Personen ja bereits Mitglieder der Tafel, während sich der Ausschluss nur auf Neuaufnahmen beziehen soll. Wie will man so dem Problem Herr werden?
Hätte es einen generellen Aufnahmestopp gegeben, meinetwegen gekoppelt an einen Hilferuf zur Behebung der angespannten Situation, hätte man die Öffentlichkeit für die Problematik des Ausspielens ganzer Gruppen gegeneinader sensibilisieren können. So dagegen erntet man nur das übliche „ja, ja, die Ausländer halt“-Gerede.
Dass die Art der Kritik am Vorgehen der Tafel selbst auch wieder überzogen ist, steht auf einem anderen Blatt. Man muss kein eingefleischter Nazi sein, um bewusst oder unbewusst die Argumente und Sprachbilder der Rechten zu stärken. Und so viel Sensibilität könnte man von der Führung einer Tafel erwarten.
Leider erlebe ich in meinem Umfeld häufiger, dass Menschen, die sich für die Tafel engagieren, ein stramm rechtes Weltbild haben. Die Haltung erinnert oft ein wenig an Friede Springers „ein Herz für Kinder“: einmal im Jahr Almosen sammeln für diejenigen, deren Elend ich durch meinen Lebensstil im restlichen Jahr selbst verantwortet habe.
Mit besten Grüßen aus Taufkirchen
Martin Sutor
Zum Begriff „Eliten“:
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank fuer den Artikel ueber die Essener Tafel. Schlimmer kann die politische Kaste sich nicht mehr blamieren. Und Merkel, die Verursacherin, spuert “DRUCK”! Also, einfach hin und wieder mal auf dem Klo etwas rauslassen, nicht in ein Mikrophon”
Ich rege an, den Begriff ELITE nicht mehr fuer kleine Polithirne, Charaktermasken und Sprechblasen-Werfer zu verwenden. Das ist eine Verhunzung des Elite-Begriffs. Wenn ueberhaupt, dann in Anfuehrungszeichen, denn Eliten haben eine ganz andere Qualitaet als diese mediokren Damen und Herren, die in jedes Mikrophon ihre unmassgebliche Meinung heineingroelen. Und die Massenpresse, besonders das Zentralorgan der deutschen Politik, die Funcke-Medien-Gruppe, drucken alles…… Selbst der an sich zutreffende Begriff Elitenverwahrlosung enthaelt ja noch den positiv besetzten Elitebegriff …..
Verwenden sie doch den Begriff NOMENKLATURA, den unsere Politruks sehr gerne fuer die SED-Mafia verwendeten. Aber er passt hier auf scheinbare Politik- und Wirtschaftsgroessen gleichernmassen.
Gruesse
Hans Baeuerle
Antwort Jens Berger:
Lieber Herr Baeuerle,
schönen Dank für Ihre Zuschrift. Ich kann Ihren Einwurf durchaus verstehen. Aber in meinem Sprachgebrauch ist der Begriff “Elite” (im Sinne einer führenden gesellschaftlichen Schicht) nicht unbedingt positiv bewertet. Den Großteil der jüngeren deutschen Geschichte gab es ja auch keinen Grund, die Eliten positiv zu sehen. Daher wollte ich mich im Rahmen des Artikels auch lieber nicht mit dem Begriff als solchen auseinandersetzen.
beste Grüße
Jens Berger