Warum fordert eigentlich niemand Ursula von der Leyen zum Rücktritt auf?
Während die Personalien der SPD-Ministerkandidaten – vollkommen zu Recht – kritisch in der Öffentlichkeit debattiert werden, scheint sich um die CDU-Kandidaten das Mäntelchen des Schweigens gelegt zu haben. Dies ist vor allem in einem Fall unverständlich: Neue alte Bundesverteidigungsministerin soll einmal mehr Ursula von der Leyen werden, deren Leistungsnachweis für die letzte Legislaturperiode jedoch äußerst ungenügend ausfällt. Von der Leyen hat keines der seit langem existierenden Probleme der Bundeswehr gelöst. Unter ihrer Führung haben sich die Personal- und Ausrüstungsprobleme sogar abermals verschärft, wie aus dem jüngsten Jahresbericht des Wehrbeauftragten einmal mehr klar wird. Vielleicht sollte man es einmal nicht mit „mehr Geld“, sondern mit neuen Köpfen an der Bundeswehrspitze probieren. Ursula von der Leyens Rücktritt ist überfällig. Seltsamerweise fordert jedoch niemand ihren Kopf. Von Jens Berger.
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Personal- und Ausrüstungsprobleme sind bei der Bundeswehr nichts Neues. Und wahrscheinlich sind diese Engpässe sogar von der Rüstungslobby gewollt, lassen sich Budgeterhöhungen und Neuanschaffungen doch vortrefflich mit Geschichten von Hubschraubern, die nicht fliegen, Fregatten, die ständig in der Werft sind, und Panzern, denen die Ersatzteile fehlen, begründen. Aufgabe eines Verteidigungsministers ist daher eigentlich auch, die Interessen der einzelnen Akteure miteinander in Einklang zu bringen. Dementsprechend klar war auch das Aufgabenprofil für Ursula von der Leyen. Sie wollte die Personal- und Ausrüstungsprobleme aus der Welt schaffen, die unter ihren Vorgängern de Maizière, zu Guttenberg, Jung, Struck und Scharping immer deutlicher zum Vorschein kamen. Gemessen an dieser Aufgabe, hat von der Leyen auf der ganzen Spur versagt.
Wenn heute Eurofighter, Tornados und Transporthubschrauber angeblich wegen mangelnder Ersatzteilversorgung an acht von zwölf Monaten im Jahr am Boden bleiben müssen, ganze Panzerlehrbrigaden wegen defekter Panzer ihre Arbeit einstellen und die U-Boote und Fregatten der Bundesmarine nur noch in der Werft vorzufinden sind, so ist dies ein glasklares Problem der Chefetage. Diese Probleme und Engpässe sind ja bekannt und wenn das Bundesverteidigungsministerium es trotz einer Budgetsteigerung von fast zwei Milliarden Euro auf nunmehr 37 Milliarden Euro nicht schafft, eine funktionierende Logistikkette für dringend benötigte Ersatzteile hinzubekommen, dann muss man ganz einfach an den fachlichen Qualitäten an der Ministeriumsspitze zweifeln.
Von der Leyens Auftrag ist eigentlich recht einfach zu umreißen. Sie sollte die alten Ausrüstungs- und Personalprobleme beseitigen und bei Neuanschaffungen nicht die Fehler ihrer Vorgänger wiederholen. Doch von der Leyen hat kein einziges der alten Probleme gemeistert und bei den Neuanschaffungen wiederholt sie die alten Fehler, als sei nie etwas gewesen. Beispielhaft dafür ist die sogenannte „G36-Affäre“. Zunächst wird das alte Standardgewehr der Bundeswehr unter fadenscheinigen Gründen ausgemustert. Der Hersteller zieht vor Gericht und Ursula von der Leyen verliert den Prozess mit Pauken und Trompeten. Schnell wird eine „maßgeschneiderte“ Ausschreibung fabriziert, auf die sich offenbar nur der G36-Hersteller Heckler & Koch bewerben kann und dabei dann auch gleich einen überteuerten Preis von 375 Millionen Euro veranschlagen kann. Andere Minister mussten für weniger ihren Hut nehmen.
Wenn von der Leyen mal abseits von gestellten Hochglanzfotografien im martialischen Sujet zu glänzen versucht, dann klingeln bei der Zahlstelle der Bundeswehr auch gleich die Kassen. Die Frau Ministerin wünscht eine gegen Russland gerichtete NATO-Einsatztruppe „mit sehr hoher Einsatzbereitschaft“ (VJTF), deren Führung Deutschland übernehmen soll? Klar, dass dies viel Geld kostet, das an anderen Ecken und Enden dann fehlt. Dann reicht es halt nicht mehr für Winterstiefel und Schlafsäcke, dafür haben die Landser doch sicher Verständnis. Und das neue „Planungs- und Führungszentrum“ im Raum Köln-Bonn, das von der Leyen der NATO versprochen hat? Auch hierfür müssen Budgets umgeschichtet werden und offenbar sind derlei gegen Russland gerichtete NATO-Großprojekte wichtiger als die Ersatzteilversorgung der Bundeswehrhubschrauber.
Sinn und Zweck der zahlreichen „Mängellisten“ ist es natürlich auch, die Öffentlichkeit auf angeblich nötige Budgeterhöhungen einzustimmen. Doch die Notwendigkeit ist keinesfalls ersichtlich und widerspricht auch den Aufgaben, die Ursula von der Leyen gestellt wurden. Oder um es deutlicher zu sagen: Wenn Ursula von der Leyen an der Aufgabe scheitert, die Probleme der Bundeswehr mit dem gegebenen Budget in den Griff zu bekommen, dann hat sie in ihrem Job versagt und sollte sich möglichst schnell eine neue Aufgabe suchen.
Interessanterweise ist dies in Fachkreisen auch unstrittig. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel berichtete in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung davon, dass in der Bundeswehr der „Abgang“ der Verteidigungsministerin „geradezu herbeigewünscht“ wird. Offen zugeben könne dies jedoch niemand. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch ein Bericht auf tagesschau.de, in dem am Rande erwähnt wird, dass man momentan offenbar Druck auf Oppositionspolitiker ausübt, „man möge die Ministerin in den kommenden Tagen nicht zu hart kritisieren“. Sogar innerhalb der Union scheint es sich herumgesprochen zu haben, dass die Frau bei objektiver Betrachtung nicht mehr haltbar ist. Doch vor allem auf einen Akteur kann sich Ursula von der Leyen nach wie vor verlassen: Die Medien schweigen. Und ohne den Sturm der Schlagzeilen musste in Deutschland noch kein Minister seinen Hut nehmen.