Nach-Wahl-Betrachtungen
Die Wahl der Qual – Von roten Versäumnissen und Schwarz-Gelben Zumutungen
Kuschelig war er, der Bundestagswahlkampf, bei dem sich die Kanzlerin und ihr Herausforderer, statt sich mit handfesten Argumenten zu messen, eher mit (verbalen) Wattebäuschen bewarfen. Die einen haben behauptet sie hätten die Kraft, die anderen haben erklärt, das Land könne es besser. Die CDU bemühte eifrig das Wachstumsmantra und instrumentalisierte den Begriff der sozialen Marktwirtschaft in schamloser Weise, die FDP verhöhnte mit dem zynischen Slogan „Arbeit muss sich wieder lohnen“ insbesondere jene, die, ohne Perspektive, im Niedriglohnsektor die Folgen der Agenda-Politik ausbaden. Man warb mit Wohltaten (und das trotz einer Haushaltslücke von über 100 Milliarden Euro) und verschwieg dabei geflissentlich, was auf die Wähler nach der Wahl tatsächlich zukommt. Doch trotz (oder gerade auch aufgrund?) der offenkundigen Inhaltsleere und der windigen Versprechungen konnte schwarz-gelb nun eine Mehrheit erringen, die dazu führt, dass diejenigen, die durch ihre Privatisierungslogik der Krise den Weg geebnet haben, nun in die Regierungsverantwortung kommen. Eine echte Gefahr in dieser Zeit und, nebenbei bemerkt, auch europapolitisch eine Katastrophe, weitet sich der Club der konservativ bzw. liberal regierten Länder doch nun um ein weiteres, bedeutendes EU-Mitgliedsland aus. Von Christoph Beyer
Kommende Krisenrealitäten und der Schwarz-Gelbe Marktradikalismus
Es ist ein gegenwärtiges ökonomisches Faktum dass in Deutschland in Folge der Krise und in Folge einer verfehlten Steuerpolitik nahezu jeder finanzielle Verteilungsspielraum fehlt, im Gegenteil – schwarz-gelb ist, entgegen der eigenen Versprechungen, zu massiven Steuererhöhungen und Einsparungen in spätestens ein, zwei Jahren gezwungen. Belastet werden, soviel steht jetzt schon fest, vor allem diejenigen, die jetzt schon wenig haben. Die soziale Schere wird noch weiter auseinander gehen, Chancengleichheit, auch und gerade in der Bildungspolitik, gerät völlig aus dem Blickwinkel. Möglichkeiten im Bildungsbereich neue Akzente zu setzen gibt es, auf der Grundlage der zu erwartenden schwarz-gelben Politik und ihrer marktförmigen Bildungskonzepte kaum, nicht einmal die Finanzierung des vereinbarten Hochschulförderprogramms mit 18 Milliarden Euro ist sichergestellt. Mit dem Geld wollen Bund und Länder unter anderem neue Studienplätze schaffen. Die neue Koalition wird 2010 die höchste Neuverschuldung aller Zeiten beschließen müssen – rund 100 Milliarden Euro. Daneben sorgen massive Einbrüche bei den Steuereinnahmen in den Ländern und die Milliardenkredite für die vor kurzem noch Casino spielenden Landesbanken für Kürzungsrunden, die in ihren Dimensionen noch gar nicht abzusehen sind. Sparhaushalte, Rekordschulden und Leistungskürzungen werden als Schlagworte in Kürze die politische Debatte noch viel stärker bestimmen als dies ohnehin schon der Fall ist. So legitim und berechtigt die Demoparole „Wir zahlen nicht für eure Krise“ auch ist, Fakt ist, dass genau dies geschieht und unter schwarz-gelb in einem noch verstärkten Maße geschehen wird. Die Privatisierung der Gewinne und die Sozialisierung der Verluste ist schon seit Jahren ein politisches Credo in Deutschland, dass mit geballter Lobbymacht zur Durchsetzung gebracht wurde und wird und dessen Instrument sich mit dem pervertierten Begriff der Reformpolitik bezeichnen lässt. Dabei gestehen selbst sich ehemals als wirtschaftsliberal bezeichnende Ökonomen mittlerweile kleinlaut ein, dass die dem zugrunde liegende Privatisierungs- und Deregulierungslogik nicht zu mehr Wachstum führt (von der Fragwürdigkeit des einseitigen Wachstumsparadigmas angesichts der ökologischen Herausforderungen ohnehin einmal ganz abgesehen), sondern vielmehr zum Ausverkauf des Staates und zur Aushöhlung der Demokratie. Unter Schwarz-Gelb wächst das Verarmungsrisiko großer Bevölkerungsteile noch stärker an als bisher. Schlagworte wie Flexibilisierung, Entbürokratisierung und Deregulierung bekommen wieder Auftrieb, obwohl das damit verbundene marktradikale Denken die globale Wirtschaft in die schwerste Krise seit 80 Jahren gestürzt hat und den sozialen Frieden in Deutschland bereits massiv gefährdet.
Der Nihilismus der FDP
Hätte die weltweite Finanzkrise auch zumindest theoretisch hier eine Kurskorrektur ermöglichen können, schließt sich das Fenster der Möglichkeiten nun schon wieder, ohne dass es zu einer umfassenden Veränderung der Weltfinanzordnung kommt. Der FDP-Kurs ist, soviel kann man in diesem Zusammenhang feststellen, an Unverfrorenheit nicht mehr zu überbieten. Es handelt sich dabei um ein Programm, das man angesichts der Krisenfaktizität insbesondere im ökonomischen Bereich nur als nihilistisch bezeichnen kann. In außenpolitischen Fragen ist von der FDP ebenfalls nicht viel Gutes zu erwarten. Dem ausgewiesenen Transatlantiker Westerwelle ist ein Profil, dass sich der sozialen Hintergründe von globalen Konflikten incl. eines stärkeren sozialen Ausgleichs zwischen Nord und Süd widmen könnte, wahrlich nicht zuzutrauen. Vielmehr ist hier, statt Vermittlung mit Augenmaß, Polarisierung auf der Grundlage ungebremster Eitelkeit zu erwarten, zweifellos keine schöne Aussicht. Das die Wahl von Schwarz-Gelb überhaupt möglich war, und dass es gerade der FDP in diesen Zeiten, in einem unbegreiflichen, an Paradoxie kaum zu überbietendem Vorgang gelang, Regierungsverantwortung zu übernehmen, ist letztlich vor allem auch auf den politischen Kurs und die skandalöse Bündnispolitik der SPD in den vergangenen Jahren zurück zu führen.
Die Versäumnisse der SPD
Die SPD hat, nicht nur im Bundestagswahlkampf sondern bereits lange Zeit vorher, durch ihre Absage an eine Koalition mit der Linken keine reale Machtperspektive geliefert. Die von Steinmeier im Bundestagswahlkampf propagierte Ampel-Koalition war, als Machtoption, eine Farce und Gipfelpunkt politischer Irrationalität, nicht nur weil die FDP diese selbst kategorisch ausgeschlossen hat sondern weil FDP und SPD inhaltlich kaum etwas verbindet. Konsequent blendeten die Parteioberen aus, das dass Fünf-Parteien-System eine Realität ist und es dies auch schon vor der Bundestagswahl war. Die simple Anerkennung dieser Tatsache und die Orientierung an inhaltlichen Gemeinsamkeiten und Schnittmengen als Koalitionskriterien (eigentlich eine der größten Selbstverständlichkeiten in der Politik) hätte der SPD zu einem frühzeitigen Bekenntnis zu rot-rot-grün in den Ländern aber auch im Bund verhelfen können – und das Hessen-Debakel 2008 mit all seinen verheerenden Folgen ebenso verhindert wie vermutlich die jetzige schwarz-gelbe Mehrheit im Bund. Stattdessen zogen es die Parteioberen vor, sich von der Boulevardpresse zu immer abstruseren Bekenntnissen gegen die Linkspartei treiben zu lassen und hatten diesen Kampagnen, die jeglicher sachlicher Auseinandersetzung Hohn spotteten, nichts entgegen zu setzen als kleinlaute Rechtfertigungen und Beschwichtigungen. Somit ist die jüngste Entwicklung der SPD als die Geschichte einer konsequenten Selbstdemontage erzählbar, in der einige wenige in der Parteispitze es vermochten, ihren Willen gegen weite Teile der Basis durchzusetzen. Das diese Basis ohnehin rasant schwindet macht sich nicht nur in den immensen Mitgliederverlusten bemerkbar, sondern auch in der Tatsache, dass die SPD seit 1998 10 Milionen (!) Wähler verloren hat. Allein bei der jetzigen Bundestagswahl blieben 2 Millionen potentielle SPD-Wähler den Urnen fern. Die SPD hat ein eklatantes Glaubwürdigkeitsproblem, sie kann ihre ureigensten Themen nicht besetzen und befindet sich nach diesem Bundestagswahldebakel in einer Phase nochmaliger Dramatisierung ihrer ohnehin schon existentiell zu nennenden Krise. In welchem Maße und mit welcher Ausrichtung sich nun langfristig ein parteiinterner Erneuerungsprozess Bahn bricht, wird die Zukunft zeigen. An der Ernsthaftigkeit einer echten „Resozialdemokratisierung“ sind Zweifel durchaus angebracht.
Ausblick
Ein neues politisches Modell der Balance von Ökonomie und Ökologie, vom guten Leben und Arbeiten, der Umverteilung von oben nach unten und der konsequenten Zügelung der Marktkräfte lässt sich, ohne diesen notwendigen Erneuerungsprozess der SPD in Deutschland wohl kaum einlösen. Die Kosten für die zukünftigen Generationen sind als Konsequenzen aus der (aus der wirtschaftspolitischen Regellosigkeit erwachsenden) Wirtschaftskrise ohnehin immens und werden durch eine schwarz-gelbe Regierung voraussichtlich weiter verschärft. Der zusätzliche Schaden den diese Regierung verursachen wird, ist gegenwärtig zwar noch nicht in Gänze abzusehen, aber es wird voraussichtlich kein geringer sein. Am politischen Horizont zeichnen sich bereits die Silhouetten jener sozialpolitischen Zumutungen und Grausamkeiten ab, die sich die oberen Zehntausend und ihre politischen Adepten in CDU/CSU und FDP erdacht haben – und für die die SPD, ob gewollt oder nicht, der Steigbügelhalter war. Grund genug, dass sich endlich fundamental etwas ändert.
Der Beitrag erscheint auch in der nächsten Ausgabe von Paukos.