IG Metall: Weder Zeit noch Geld
Der Abschluss in der Metallindustrie wird, wie es sich gehört, von den Gewerkschaften gefeiert (hier die Pressemeldung der Gewerkschaft). Der Verhandlungsführer aus dem Südwesten, Roman Zitzelsberger, gibt das folgendermaßen zum Besten: „Die ausgezeichnete wirtschaftliche Lage hat bei den Beschäftigten hohe Erwartungen geweckt. Eine Erhöhung der Einkommen über 4,3 Prozent, 400 Euro Festbetrag und das tarifliche Zusatzgeld bescheren den Belegschaften real mehr Geld im Portemonnaie, beteiligen sie angemessen an den Gewinnen der Unternehmen und stärken den privaten Konsum.“ 4,3 Prozent Lohnerhöhung klingt gut, wenn man mit viel Tamtam sechs Prozent gefordert hat. Doch in Wirklichkeit sind es im besten Fall gut 3 Prozent pro Jahr, wenn man das Sammelsurium des Ergebnisses zusammenrechnet. Von Heiner Flassbeck und Michael Paetz.
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Dieser Artikel ist zuerst auf Makroskop erschienen.
4,3 Prozent mehr Geld?
Das klingt auf den ersten Blick ganz gut, doch beim zweiten Blick bleibt dem außenstehenden Betrachter leider verborgen, was man da eigentlich feiert. Das liegt auch wieder einmal daran, dass sich die Gewerkschaft anscheinend alle Mühe gibt, nicht klar zu sagen, was der Abschluss im Vergleich zu ihrer Forderung von sechs Prozent für zwölf Monate bedeutet.
Die 4,3 Prozent Lohnerhöhung jedenfalls, von denen hier wie in der Presse ärgerlicherweise fast nur die Rede ist, relativieren sich gewaltig, wenn man sie von den vereinbarten 27 Monaten auf ein Jahr umrechnet – nämlich auf 1,91 Prozent. Dies reicht vermutlich nicht einmal aus, um einen konstanten Reallohn zu sichern! Doch selbst das wird noch in der konservativen Presse (wie hier im Handelsblatt) wegen der vier vor dem Komma als „schmerzhafte Lohnerhöhung“ bezeichnet, wobei die Laufzeit nur in dem Sinne erwähnt wird, dass sie den Unternehmen Planungssicherheit gibt, aber nicht als Faktor, der die Lohnerhöhung dramatisch verkleinert.
Doch es gibt einige Nebenabreden, die schwer genau zu beziffern sind, weshalb es umso ärgerlicher ist, dass die IG Metall ihren Mitgliedern nicht reinen Wein einschenkt und sagt, was das bei einem typischen Einkommen (oder verschiedenen Einkommensklassen) für den jährlichen Einkommenszuwachs bedeutet.
Kein Erfolg bei der AZV
Dass die Gewerkschaft mit ihrem Arbeitszeitmodell nicht durchgedrungen ist, war zu erwarten, weil das von vorneherein so gestrickt war, dass die Arbeitgeber (und das diesmal sogar mit guten Gründen) nicht zustimmen konnten. Nimmt man die Verlängerung der Arbeitszeit mit in den Blick, die nun auch möglich ist, kann man nicht einmal mit Gewissheit sagen, ob das Ergebnis insgesamt eine Arbeitszeitverkürzung oder eine Arbeitszeitverlängerung in der Metall- und Elektroindustrie bringen wird.
Man fragt sich, wie die Gewerkschaft etwas fordern konnte (wie die temporäre Verkürzung der Arbeitszeit mit teilweisem Lohnausgleich), was dazu geführt hätte, dass die Arbeitgeber hätten prüfen müssen, ob die Begründung für diese Auszeit wirklich stichhaltig ist. Wie hätte man das bewerkstelligen sollen, ohne gewaltige Ungerechtigkeiten zu schaffen. Sozialpolitik muss Aufgabe des Staates bleiben und da sollten die Gewerkschaften Druck machen, damit mehr Absicherung durchgesetzt, anstatt sich an der falschen Stelle zu verkämpfen.
Pro Jahr gerechnet sieht es anders aus
Wir haben mit einem Durchschnittseinkommen aus der Metallbranche gerechnet und den Anstieg über die 27 Monate ermittelt. Bei etwa 3400 Euro Gehalt im Jahr 2017 hätte der Arbeitnehmer mit diversen Zulagen in den nächsten 27 Monaten ohne Lohnerhöhung etwa 100 000 Euro verdient (die genauen Angaben finden sich in der Tabelle).
Mit den jetzt vereinbarten Erhöhungen kommt man unter Hinzurechnung der 400 Euro (die nur dann bezahlt werden müssen, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens das zulässt) und einem „tariflichen Zusatzgeld“ von 27,5 Prozent eines Monatseinkommens auf 106 000 Euro für die 27 Monate. Ab 2020 werden Zusatzgeld und die 400 gegeneinander verrechnet und gehen in die Tarifeinkommen ein. Das begünstigt untere Einkommen, bei denen die 27,5 Prozent weniger als 400 Euro bedeuten.
Das Paket bedeutet einen Anstieg um 5,3 Prozent (mit den 400 Euro) für die gesamte Zeit und 4,9 Prozent ohne die 400 Euro. Hätte man einen „normalen“ Tarifvertrag ausgehandelt, bei dem die Tarife jeweils im Januar um einen gewissen Prozentsatz steigen, dann würde man über die 27 Monate auf denselben Gesamtverdienst kommen bei einer jährlichen Erhöhung um etwa 3,17 % (etwa 3% ohne die 400 Euro Einmalzahlung). Dies entspräche 3526 Euro ab Januar 2018, 3638 Euro ab Januar 2019 und 3753 Euro ab Januar 2020.
Das, liebe IG Metall, ist zu wenig. Bei einem Inflationsziel von 1,9 Prozent liegt die zu erwartende Reallohnerhöhung nur wenig über einem Prozent und das ist weniger, als es dem mittelfristig in Deutschland zu erzielenden Produktivitätszuwachs entspricht. Was nichts anderes bedeutet, als dass die sehr gute Lage der Unternehmen in dieser Branche nicht einmal dazu führt, dass die extrem schwache Verteilungsposition verbessert wird. In anderen Branchen, die neu abschließen, dürften die Ergebnisse folglich auch in diesem Jahr unter drei Prozent bleiben, von den Löhnen in Bereichen, wo die Gewerkschaften kaum präsent sind, ganz zu schweigen. Für die Beseitigung der europäischen Ungleichgewichte ist damit für volle zwei Jahre praktisch nichts gewonnen. Das ist ein sehr hoher Preis, den die Gewerkschaften, die Arbeitnehmer insgesamt und die Europäische Währungsunion für den letztlich gescheiterten Versuch bezahlen, eine flexible Arbeitszeitverkürzung mit einem gewissen Lohnausgleich durchzusetzen.