Steinbrück fährt weiter Entlastungsangriffe – und die Medien verbreiten es kritiklos
In 186 Medienprodukten schlägt sich ein Angriff Steinbrücks auf die „britischen Reformbremser“ schon nach 2 h nieder. So wie hier in SpiegelOnline um 11.41h: „Streit vor G-20-Gipfel – Steinbrück attackiert britische Reformbremser“. Die (berechtigte) Kritik an den Briten ist ein Ablenkungsmanöver. Steinbrück lenkt von seiner und der Bundesregierung eigener Verantwortung für die Finanzkrise und vom eigenen Nichtstun ab. Auch davon abgesehen offenbaren seine Sprüche die schon bekannte mangelhafte ökonomische Ausbildung dieses Nationalökonomen. Albrecht Müller
Ich zitiere zunächst den Einstieg bei SpiegelOnline:
Peer Steinbrück geht mal wieder zum Angriff über, diesmal trifft es die Briten. Kurz vor dem G-20-Gipfel in Pittsburgh schimpft der SPD-Politiker über die Londoner Blockadehaltung beim Umbau der globalen Finanzmärkte.
Hamburg – Einen Tag vor Beginn des G-20-Gipfels im amerikanischen gibt die Richtung vor. Der deutsche Finanzminister attackierte die britische Regierung in bislang unbekannter Härte – um seine Pläne für strengere Vorgaben auf den internationalen Finanzmärkten noch zu retten. Der SPD-Minister warf den Briten vor, schärfere Regeln für die Finanzbranche – wie sie etwa Deutschland verlangt – massiv zu blockieren. “Da ist in London klar eine Lobby, die einen Wettbewerbsvorteil mit Zähnen und Klauen verteidigen will”, wetterte Steinbrück im “Stern”.
Auch den Grund für Londons Blockade lieferte Steinbrück mit: Er verwies auf die hohe Bedeutung der Finanzindustrie für Großbritanniens Wirtschaft. Diese erwirtschafte dort 15 Prozent am Bruttoinlandsprodukt, während der vergleichbare Anteil in Deutschland bei nur sechs Prozent liege. Mit der Regulierung der tue man sich deshalb “besonders in Großbritannien schwer, um es höflich zu sagen”, erklärte der SPD-Politiker.
Steinbrück tut wieder einmal so, als hätte er und die Bundesregierung mit der Entstehung der Finanzkrise nichts zu tun:
In seiner drastischen Sprache, die offensichtlich bei Journalisten und beim Publikum Eindruck macht, meint er, „Damals (im vergangenen Jahr) wäre uns beinahe eine Dynamitstange um die Ohren geflogen.“ Solche Sprüche lenken davon ab, dass Steinbrück und Angela Merkel in der Koalitionsvereinbarung von 2005 die Lockerung der Regeln auf den Finanzmärkten beschlossen haben; sie und die Vorgänger-Regierung Schröder haben, um im Bild zu bleiben, die Dynamitstange selbst zusammengebastelt. Wir haben das schon oft berichtet: Sie haben Hedgefonds zugelassen, Verbriefungen erleichtert, der Finanzaufsicht empfohlen, nicht genau hinzuschauen, den Verkauf und Kauf von Aktienpaketen steuerlich erleichtert, und so weiter.
Was Steinbrück und die Bundesregierung vorschlagen, ist offensichtlich mager
Steinbrück propagiert jetzt die „Idee einer internationalen Finanzmarktsteuer“. Über diese Idee streitet er sich mit dem Briten. Offensichtlich hat diese Idee insgesamt keine Chance. Es ist reines Spielmaterial. Es ist weder geklärt, wie diese Steuer erhoben werden soll, noch wie das Steueraufkommen verteilt werden soll. Wenn diese Idee irgendwann umgesetzt werden sollte, dann vielleicht in 20, 30 oder 50 Jahren. Oder eben gar nicht. Das ist aus meiner Sicht die nahezu hundertprozentige Erwartung.
Man kann gespannt sein darauf, was die Bundesregierung und die Europäische Union auf dem Gipfel in Pittsburgh sonst noch aus der Tasche ziehen.
Die Bundesregierung könnte selbst viel tun, hat aber noch nicht einmal die Förderung des Casinos zurückgenommen
- Die Bundesregierung könnte die Zulassung von Hedgefonds zurücknehmen.
- Die Bundesregierung könnte und müsste die zum 1.1.2002 eingeführte Steuerbefreiung der Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen zurücknehmen. Warum tut sie das nicht? Sie wäre auf die Zustimmung der Briten und anderer Regierungen nicht angewiesen.
- Sie könnte Verbriefungen erschweren.
- Sie könnte Banken und Bankenteile insolvent gehen lassen und damit die Belohnung der Spekulation stoppen.
- Sie könnte ihre Privatisierungspolitik stoppen und auch die Länder und Kommunen ermuntern, mit dieser „Fütterung“ der Finanzmärkte aufzuhören.
- Wo bleiben die Maßnahmen gegen Steueroasen? Ich meine nicht nur Sprüche.
- Sie könnte eine Vermögenssteuer erheben.
- Sie könnte die Kapitaleinkünfte wieder so besteuern wie andere Einkommen auch.
- Sie könnte eine Wertzuwachssteuer bei Spekulationsgewinnen jeglicher Art prüfen und nach sorgfältiger Prüfung einführen.
- Sie könnte den Spitzensteuersatz wieder erhöhen auf das Niveau von Helmut Kohls Zeiten: 53 %
Die zuletzt genannten Maßnahmen wären alle geeignet, jene stärker zur Kasse zu bitten, die von den bisherigen Spekulationen und damit den Ursachen der Finanzkrise profitiert haben. Damit könnte Steinbrück zumindest im Ansatz vermeiden, dass „Bürger die Kosten schultern müssen, obwohl sie an der Krise nicht schuld waren“.
Aber Steinbrück tut nichts. Er macht Sprüche.
Steinbrücks ökonomische Analysen sind wie immer höchst fragwürdig
Er spricht von der hohen Bedeutung der Finanzindustrie für Großbritannien und meint, diese erwirtschafte dort 15 % am Bruttoinlandsprodukt, während der vergleichbare Anteil in Deutschland bei nur 6 % liege. Bisher war mir für Großbritannien ein Anteil von 10 % bekannt. Aber es kann ja sein, dass Steinbrück aktuellere Zahlen hat. Meine Kritik zielt auf etwas anderes: Steinbrück hat offenbar nicht verstanden, dass hinter den 15 % keine Wertschöpfung steckt, sondern eine Ressourcenvergeudung größten Ausmaßes. Und schon gar nicht kommt diese Wertschöpfung dem britischen Volk zugute. Die Investmentbanker und die City profitieren.
Steinbrück hat offenbar immer noch nicht verstanden, dass der Finanzsektor weit überdehnt ist. Darüber und über die notwendige Konversion, also die Umwandlung von Arbeitsplätzen in der Finanzindustrie in andere Sektoren, sollte man in Pittsburgh endlich einmal sprechen. (Siehe dazu den ersten Beitrag in der Serie Finanzkrise vom 7.1.2009: „Den Kapitalmarkt effizienter organisieren – Konversion ist angesagt (Teil I)“.
Es ist wichtig, das Casino zu schließen, statt um Wettbewerbsvorteile zur weiteren maßlosen Vergeudung von Ressourcen zu streiten.