Haltet den chinesischen Datendieb!

Jens Berger
Ein Artikel von:

Die Edelfedern der FAZ haben ein neues Steckenpferd. Sie interessieren sich seit kurzem brennend für den Datenschutz. Nein, es geht natürlich nicht um Google, Facebook, Apple und Co., sondern um „den Chinesen“. Falls Sie es noch nicht wussten: Wir befinden uns nämlich mitten in einem kalten Technologie-Krieg mit China, wie die FAZ zu berichten weiß. China hat es den Leitartiklern in letzter Zeit ohnehin angetan. Der SPIEGEL verkündete jüngst einen „Weckruf“ als Titelstory und bei Springers WELT versetzt „Chinas neue Macht den Westen [schon mal] in Angst und Schrecken“. Es scheint, als sei man vom ewigen Russland-Bashing müde und krame mit „dem Chinesen“ nun einen neuen Strohmann heraus, auf den man lustvoll eindreschen kann. Die dabei zur Schau gestellten doppelten Standards müssen sich keinesfalls vor der Anti-Russland-Kampagne verstecken. Im Gegenteil. Von Jens Berger.

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Hendrik Ankenbrand ist FAZ-Korrespondent in China und schreibt, wie man sich das bei einem „guten“, also fest transatlantisch verwurzelten, FAZ-Korrespondenten so vorstellt. Positives weiß Ankenbrand jedenfalls nur sehr selten zu berichten. Seine Artikel lesen sich eher wie Frontberichte aus dem Feindesland. Seine Kommentare tragen Titel wie „Albtraum China“, „China im Rückwärtsgang“ oder „Täter China“. Ja bei Hendrik Ankenbrand handelt es sich um einen äußerst kritischen Vertreter seiner Zunft. Zumindest dann, wenn es um China geht; auf dem westlichen Auge ist er jedoch erstaunlich blind.

Neben den in China verletzten Menschenrechten haben es Ankenbrand und seinen Kollegen dabei vor allem die digitalen Freiheiten angetan. So vergeht kaum eine Woche, in der man sich keine Sorgen um „unsere Daten“ macht, die dem „Kontrollwahn der Kommunistischen Partei Chinas“ zum Opfer fallen könnten. Und damit ist nicht zu spaßen, denn die „Digitalkommunisten“ haben ausgerechnet Deutschland „zum Testlabor für die Frage gemacht, ob westliche Kunden bereit sind, ihre Daten Unternehmen eines autoritären Staates anzuvertrauen“. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Von welchem Testlabor spricht die FAZ? Es geht um die Funktion der mobilen Zahlungsabwicklung, die in der beliebten chinesischen Social-Media-Software WeChat implementiert ist. Hier hat offenbar der deutsche Finanzdienstleister Wirecard nun ein Abrechnungsmodell für den deutschen Einzelhandel im Angebot … ein Modell, das sich ganz explizit auf die „chinesischen Kunden“ bezieht, also zum Beispiel chinesische Touristen, die in einer deutschen Boutique mit ihrem Handy zahlen wollen. Von einem „Testlabor für westliche Kunden“ kann gar keine Rede sein, zumal die Bezahlfunktionen von WeChat für deutsche Kunden überhaupt nicht freigeschaltet sind.

Unabhängig von dem Fake-News-Charakter der FAZ-Berichterstattung verwundert auch die recht einseitige Interpretation. So bietet Wirecard selbstverständlich auch Lösungen für das US-Pendant „Apple Pay“ an, das – oh Wunder – in Deutschland ebenfalls offiziell nicht verfügbar ist und sich daher nur an Touristen und Expats richtet. Ist Deutschland also auch ein Testlabor, ob Kunden dazu bereit sind, ihre Daten einem komplett intransparenten US-Unternehmen anzuvertrauen, auf dessen Daten die US-Regierung direkten Zugriff hat?

Beim Thema „USA“ schweigt die FAZ lieber; alles andere wäre auch überraschend. So lesen sich die China-Artikel der FAZ auch stets so, als sei „Pekings Datenhunger“ wirklich ein Alleinstellungsmerkmal des Reiches der Mitte. Da kritisiert man – vollkommen zu Recht –, dass die chinesischen Behörden Zugriff auf die Nutzerdaten von WeChat haben. Aber wie sieht es bei „uns“ im Westen aus? Hat die FAZ die Enthüllungen von Edward Snowden schon vergessen? Microsoft? Yahoo? Google? Facebook? Apple? All diese Konzerne erlauben den US-Behörden Zugriff auf die Nutzerdaten und die Frage, ob es beruhigender ist, wenn Washington anstelle von Peking in unseren persönlichen Daten schnüffelt, muss jeder selbst entscheiden. Ein vernünftiger Ansatz wäre, Konzernen und Regierungen jedweden Landes den Zugriff auf solche Daten zu verwehren und den Missbrauch offen zu kritisieren. Die FAZ zeigt jedoch nur mit dem Finger auf China und vergisst darüber die Verbrechen gegenüber dem Datenschutz, die von den US-Konzernen und –Behörden begangen werden. Haltet den Datendieb!

Diese Methode ist übrigens auch bei anderen Blättern sehr populär und teilweise schon derart unfreiwillig komisch, dass man an den Schwarzen Kanal von Karl-Eduard von Schnitzler denken muss. Ein paar Beispiele gefällig? Gerne. Die Zeit berichtet in einem investigativ daherkommenden Bericht darüber, dass die mobile Browser-Variante der chinesischen Google-Alternative Baidu den aktuellen GPS-Standort, besuchte Internetseiten und Suchanfragen an den Server von Baidu – also nach China – schickt. Ei der Daus! Und was macht Google? Wenn Sie Produkte der Firma nutzen, klicken Sie doch mal auf diesen Link hier – vielleicht werden Sie ja staunen, was Google alles auf seinen Servern über Sie speichert. Sie können sich sogar auf einer „Timeline“ darstellen lassen, wann Sie wo waren. Dagegen verblasst wohl selbst „Pekings Datenhunger“.

Und wussten Sie schon, dass „günstige chinesische Smartphones heimlich Nutzerdaten an chinesische Server schicken“? Das berichtet n-tv unter Berufung auf unglaublich investigative Ermittlungen der New York Times. Nun ja, auch extrem teure amerikanische Smartphones senden Nutzerdaten an Server – nur halt nicht an chinesische, sondern an amerikanische und nicht heimlich, sondern unheimlich. Über so was machen sich deutsche Journalisten aber nur dann Gedanken, wenn es sich um das Handy der Kanzlerin handelt und das ist ja gottlob weder günstig noch chinesisch.

„Der Chinese“ hat es aber ohnehin nicht so mit der von uns so gerne propagierten Freiheit. Die Produkte der großen US-Konzerne sind in China teilweise geblockt, so liest man. Westlichen IT-Giganten wird der Eintritt auf dem chinesischen Markt erschwert, so hört man. Alles richtig. Aber auch dies ist kein Alleinstellungsmerkmal Chinas. Die in Asien sehr erfolgreichen Bezahldienste der App WeChat und das zum Alibaba-Konzern gehörende Alipay (vergleichbar mit PayPal) lassen sich beispielsweise immer noch nicht in der EU oder der USA nutzen, da die lokalen Finanzbehörden eine Kopplung dieser Dienste an europäische oder amerikanische Konten untersagen. Erst vor wenigen Tagen hat die amerikanische Behörde für Auslandsinvestitionen eine Übernahme des US-Zahlungsabwicklers MoneyGram durch die Alibaba-Tochter Ant Financial untersagt. Dies wurde mit „Sorgen um die nationale Sicherheit“ begründet.

So sieht Protektionismus aus und er ist alles andere als ein Alleinstellungsmerkmal Chinas. Der Unterschied ist nur, dass China offen zugibt, protektionistisch zu handeln, der Westen jedoch immer so tut, als sei ihm jede Form des Protektionismus zuwider. Doch davon liest man nichts in der FAZ. Stattdessen kann man dort Lobeshymnen auf „smarte Lautsprecher“, die alles, was Sie in ihren vier Wänden sagen, in die USA übertragen, „Cloud-Computing“, bei dem alle ihre Daten auf Servern in den USA liegen oder dem neuesten Schrei aus dem Hause Amazon – einem „smarten“ Türschloss, das dem Amazon-Paketboten automatisch Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft, hören. Hoffen wir nur, dass der Paketbote kein Chinese ist.