Zum G-20-Reformgipfel in Pittsburgh: Entgegen der großspurigen Ankündigungen von Angela Merkel und Peer Steinbrück wird Deutschland von Amerikanern, Briten und Franzosen über den Tisch gezogen
Beim kommenden G-20-Gipfel vom 24. bis 25. September 2009 treten die meisten Staats- und Regierungschefs wie „Kaiser ohne Kleider“ auf. Nur hinter vorgehaltener Hand drückt man in Kreisen der Bankenaufsicht seine Verwunderung aus, dass es auf beiden Seiten des Atlantiks wie auch unter den Schwellenländern nur Wenige wagen, die eklatante Diskrepanz zwischen verbalen Reformbeteuerungen von Politikern und den harten Realitäten der ihre Wettbewerbsvorteile verteidigenden großen Finanzplätze offen zu legen.
Der frühere „Internationale Korrespondent“ des Handelsblatt, Klaus C. Engelen, legt in der weltweit gelesenen „International Economy“ [PDF – 96.5 KB] den Finger in diese Wunde und befasst sich in einer tiefschürfenden Analyse mit dem zu erwartenden Scheitern der auf den G-20-Gipfeln von Washington und London versprochenen Finanzmarktreformen und mit der Positionierung Deutschlands im Machtkampf um die neuen Regeln auf den Finanzmärkten. Wolfgang Lieb
Mit Blick auf den G20-Reformgipfel weist Engelen auf die sich heute schon manifestierenden Fehlentwicklungen hin:
- Die Ratingagenturen seien – weil die Notenbanken bei der Bewertung verbriefter Wertpapiere, die sie beleihen oder ankaufen, von ihnen abhängig wurden – im Grunde noch mächtiger geworden als vor der Krise.
- Weil einige große „Big Player“ wie Bear Stearns oder Lehman Brothers fehlen, seien verbleibende Großbanken mit noch höheren Marktanteilen noch größer geworden, was nicht nur zur Verringerung des Wettbewerbs führe sondern deren „Erpressungs“-Potential gegen über der Politik und dem Staat noch erhöhe.
- Obgleich Politiker, Zentralbankchefs, Aufseher und Sprecher der Finanzindustrie als Lektion aus der Finanzkrise die Notwendigkeit allenthalben mehr Transparenz postulierten, könne von mehr Offenheit und Durchsichtigkeit bei den Stützungsoperationen für Banken und Finanzmärkte keine Rede sein.
- Gleiches gelte für das, was die Angelsachsen als „regulatory capture“ bezeichnen, nämlich die Bestrebungen der auf möglichst hohe Gewinnerzielung ausgerichteten Finanzindustrie, Aufseher und staatliche Regulierung unter ihre Kontrolle zu bekommen – etwa mit dem Ziel, immer mehr Regulierungsbarrieren niederzureißen, was nicht nur in den USA in den letzten Jahren mit verheerenden Folgen für das Weltfinanzsystem geschehen ist
Im Fall Deutschland bedeute dies: Die Deutsche Bank, die – wie Kritiker sagen – mit ihren toxischen komplexen Finanzprodukten die Landesbanken wie andere Teile des Finanzsektors „vergiftete“, habe seit Ausbruch der Krise – nicht zuletzt um als Mitgliedsinstitut des Einlagensicherungsfonds der privaten Banken nicht in die Pflicht genommen zu werden – bei der Ausgestaltung der staatlichen Rettungspläne eine Schlüsselrolle gespielt.
Mit anderen Worten: Wie in den USA hat sich auch in Deutschland die Finanzindustrie in der Rolle des Notarztes die eigenen Rezepte geschrieben.
Um mit Blick auf Deutschland das Ergebnis vorwegzunehmen: Bei den für das zukünftige Wirtschafts- und Finanzsystem existenziell wichtigen Weichenstellungen im so genannten „G20-Prozess“ ist Deutschland – entgegen des publikumswirksamen Schaulaufens von Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück – schlecht aufgestellt.
Dass deutsche Interessen in der realen Welt der internationalen Verhandlungen – wie schon die neuen Eigenkapitalregeln des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht belegen – mit Füßen getreten werden, wird von der Politik und den meisten Medien (teilweise bewusst oder mangels Sachkenntnis) ausgeblendet. Die Folgen können für die Sanierung und Stabilisierung des schwer angeschlagenen deutschen Banken- und Finanzsektors in den kommenden Jahren verheerend sein.
Experten an der Verhandlungsfront sehen Deutschland mit einer Situation konfrontiert, in der die Wallstreet mit ihrer Lobby-Power wieder einmal brutal durchmarschiert, flankiert durch die Briten, die nicht bereit sind, ihren aufgeblähten Finanzsektor auf ein solides Maß zurückzuführen. Vom US-Präsidenten Barack Obama oder seinem Finanzminister Timothy Geithner und einem von Wall Street über die Jahre mit Milliarden Dollar an Wahlhilfen finanzierten Kongress erwarten sie keinerlei Reformen, die bei den mächtigen amerikanischen Banken „an`s Eingemachte“ gehen. Noch immer gilt der Glauben: Was gut ist für die Wall Street, ist auch gut für Amerika.
Unterstützt von einer unkritischen Presse hat sich die deutsche Öffentlichkeit von den gemeinsamen Auftritten von Bundeskanzlerin Merkel und dem Französischen Präsidenten Sarkozy auf dem Parkett der Finanzdiplomatie blenden lassen. Schon seit langem warnen deutsche Insider vor dem französischen Spiel, die von den USA über Großbritannien auf Europa überschwappende Finanzkrise in zweierlei Weise zum Ruhme der „Grande Nation“ zu nutzen: Erstens, indem Frankreich im engen Schulterschluss zwischen Élysée und EU Kommission eine Schlüsselrolle bei der Konzipierung und Umsetzung neuer EU-Finanzmarktaufsichtsstrukturen anstrebt und zweitens über den Ausbau des heutigen Wertpapieraufsichtsausschusses zu einer „EU Wertpapier- und Börsenaufsicht“ – also einer EU-Securities and Exchange Commission (SEC) -, um Paris zum wichtigsten Finanzplatz auf dem europäischen Kontinent zu machen. Nicht nur Amerikaner und Briten, sondern auch die Franzosen schaffen es immer wieder, die deutschen Unterhändler über den Tisch zu ziehen.
Was die Analyse von Klaus C. Engelen, eines seit Jahrzehnten als Chronist der deutschen Finanzdiplomatie anerkannten Autors, am Vorabend der deutschen „Richtungswahl“ besonders spannend macht, ist seine Schilderung der Höhen und Tiefen der seit elf Jahren die Bundesfinanzminister stellenden Sozialdemokraten („Pity the Social Democrats“).
Engelens Fazit: Bei der Modernisierung wie der Deregulierung des „Finanzplatzes D“ sind Sozialdemokraten – angefeuert von der Finanzindustrie sowie den bürgerlichen Parteien – voranmarschiert. Der dritte sozialdemokratische Finanzminister, Peer Steinbrück, sei nun im Trümmerhaufen der Finanzkrise gelandet. Angela Merkel kann sich aus der Verantwortung stehlen und sich sogar als Retterin der Banken feiern lassen und die FDP und die Wirtschaftsliberalen, denen noch vor kurzem die Deregulierung der Finanzmärkte nicht schnell und weit genug gehen konnte, können heute die Sozialdemokraten als die Hauptschuldigen beim Versagen des Staates bei der Bankenaufsicht anprangern.
Schließlich nimmt sich Engelen im „Asmussen-Komplex“ die hinter den Kulissen in der Krise zunehmend mächtiger gewordenen Berliner Strippenzieher bei den Rettungsaktionen, Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen und den Wirtschaftsberater der Kanzlerin, Jens Weidmann, vor.
Wie nach den Bilanzskandalen zu Beginn des letzten Jahrzehnts – also etwa den skandalösen Pleiten von Enron und WoldCom – sagen die USA dem Rest der Welt erneut, wo es mit der Reform der internationalen Finanzarchitektur lang gehen soll. Damals führten sie mit großem Getöse ein verschärftes Wertpapier- und Börsengesetz – den „Sarbanes Oxley Act“ – ein, mit einem angesichts der globalen amerikanischen Dominanz auf den Finanzmärkten weltweiten Geltungsanspruch. Obgleich sie die schwerste weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise durch eklatantes Versagen ihrer Finanzmarktaufsicht und der ungehemmten Gier ihrer Finanzelite ausgelöst haben, scheint die Wall Street es – wieder einmal – zu schaffen, die anstehende Reform der globalen Finanzmarktregulierung zu einer noch stärkeren Vorherrschaft ihres Finanzsystems in der Welt zu nutzen. Denn aus Sicht der USA läuft die Erweiterung der G-7 zu einer G-20 – also der Einbeziehung der großen Schwellenländer – darauf hinaus, dass die USA nach dem Prinzip „divide et impera“ noch wirksamer ihre globalen Finanz- und Wirtschaftsinteressen durchsetzen können.