Über was verhandeln Union und SPD? Über was sollten sie verhandeln? Was wären sinnvolle und notwendige programmatische Entscheidungen? Das soll das Thema dieses Beitrags sein.
Am 4. Oktober 2017 hatte ich zu Beginn der Jamaika-Verhandlungen gefragt: Besinnung auf Wurzeln und Grundwerte wie in Großbritannien und Portugal. Oder: Alles ist neu und die Therapie ziemlich beliebig?. Jetzt sitzen die Berliner Politiker in einer anderen Konstellation zusammen und lassen in einer gemeinsamen Erklärung den SPD-Generalsekretär zu Beginn der Sondierungen am 7. Januar verkünden: „Wir befinden uns in einer neuen Zeit. Und diese neue Zeit braucht eine neue Politik.“ Wenn man das nicht nur als Sprücheklopfen verstehen will, dann klingt es ziemlich erschreckend. Denn erstens befinden wir uns nicht in einer gänzlich neuen Zeit und zweitens würde möglicherweise eine wirklich neue Zeit (was immer das auch sein soll) wahrscheinlich die Besinnung auf neue und auf alte politische Regeln und Konzepte erfordern. Albrecht Müller.
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Im folgenden Text prüfe ich für einzelne Felder der Politik durch, wo eine neue Politik und wo die Besinnung auf gute Erfahrungen mit bewährten Regeln sinnvoll wäre. Der Text beginnt mit einem Themenkomplex, wo die Besinnung auf bewährte Instrumente der Politik, man könnte auch sagen: auf eine bewährte Social Technique, also „Sozialtechnik“, sinnvoll wäre und weiterführen würde: die Altersvorsorge. Als zweites folgt ein Komplex, wo wirklich eine neue Politik gebraucht wird: beim Thema Unternehmensverfassung – Wer hat das Sagen in den deutschen Unternehmen.
Nacheinander nenne ich dann weiter und ohne verkrampften Ordnungsversuch ein Tätigkeitsfeld nach dem anderen, d. h. Probleme und Lösungsvorschläge. Sie werden, wenn Sie die Sondierungsgespräche wie auch die vorigen Gespräche um Jamaika verfolgt haben, feststellen, dass es eigentlich sehr viel mehr Felder aktiver Politik geben müsste, als man heute als auf dem Berliner Tisch der Sondierungen befindlich vermuten könnte.
Als Jamaika gescheitert war und man sich in der neuen Konstellation zusammensetzte, haben wir auf den NachDenkSeiten „9 Punkte“ genannt, die für die Verhandlungen aus SPD-Sicht in jedem Fall relevant wären. Siehe hier. Die dort genannten 9 Punkte integriere ich in den folgenden Text.
Noch eine Vorbemerkung: Dieser Text ist auch eine Fortsetzung der Debatte um das „System“ und seine Veränderung, die wir unter Beteiligung von Heiner Flassbeck im Oktober und November vergangenen Jahres geführt haben. Damals sprach ich von „Stellschrauben“ zur Veränderung des Systems. Im Folgenden sind solche beschrieben.
- Altersvorsorge und Bekämpfung der Altersarmut
Die Erfahrungen mit der Reduzierung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente einerseits und der staatlichen Förderung von Privatvorsorge über Riester-Rente, Rürup-Rente und Entgeltumwandlung und damit staatliche Förderung der privaten betrieblichen Altersvorsorge andererseits haben deutlich bewiesen, dass das alte System – die gesetzliche Rente und das Umlageverfahren – viel besser ist: gerechter, effizienter – weil kostengünstiger und durchschaubarer.
Die Konsequenz muss sein: Konzentration aller politischen Kraft und finanziellen Mittel auf die Stabilisierung und Stärkung und den Wiederaufbau der Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente. Das ist nicht getan mit der Forderung und Umsetzung einer Durchschnittsrente von 48 %. Die früher geltenden 53 % und darüber hinaus in Richtung der Altersversorgung wie in Österreich müssen das Ziel einer neuen Koalition sein.
Dazu kann dann auch eine Erhöhung der Beiträge kommen. Heute schon muss jemand, die oder der „riestert“, 4 % zusätzlich in seine Altersvorsorge investieren. Das könnte beim Wiederaufbau des Systems der gesetzlichen Rente weniger sein, weil dann auch wieder paritätisch der Beitrag von Seiten des Unternehmens hinzukommt.
In der öffentlichen Debatte des Themas Altersvorsorge wird eine große Hoffnung auf den Ausbau der gesetzlichen Rente zur Bürgerversicherung gesetzt. Dabei wird der Eindruck erweckt, mit der Hereinnahme von Beamten, Politikern und Selbstständigen könne man das System auch finanziell sanieren. Das halte ich für eine Illusion. Mit Recht wird angenommen, dass in der Anfangsphase mehr Beiträge und höhere Beiträge eingenommen werden, als zusätzlich Zahlungen für Renten aus dem System fällig werden. Aber das ist im Kern ein Liquiditätsvorteil und keine nachhaltige Finanzierungsverbesserung.
Dabei, wie bei den generellen Überlegungen zur Gestaltung der gesetzlichen Rente, spielt die Frage eine Rolle, ob man im Kern beim Prinzip der Äquivalenz bleiben will, übersetzt: soll die Rente, die jemand erhält, grob gerechnet dem entsprechen, was sie oder er an Beiträgen gezahlt hat. Man kann dieses Prinzip auflösen und auch das System der gesetzlichen Altersvorsorge zur Umverteilung nutzen. Darüber kann man diskutieren. Ich halte davon nicht viel. Das Äquivalenzprinzip hat in der Vergangenheit viel dazu beigetragen, die Sympathie für die Gesetzliche Rente aufzubauen. Die sehr berechtigten Ziele zur besseren Verteilung der Ressourcen, der Einkommen und auch der Vermögen in unserem Land sollte man auf anderem Weg zu erreichen versuchen. Man sollte damit nicht jedes System der sozialen Sicherung, im konkreten Fall zur Versorgung im Alter, paaren und belasten.
In jedem Fall sollte die Stärkung der gesetzlichen Rente mit Hilfe einer Veränderung der Beiträge, mithilfe der Konzentration der finanziellen Mittel auf die Gesetzliche Rente und mit dem Ende der Subvention privater Altersvorsorge vom möglichen Ausbau zur Bürgerversicherung getrennt werden. Letzteres wird nämlich auf so große politische und verfassungsrechtliche Schwierigkeiten treffen, dass seine Durchsetzung lange dauert. Solange sollte man aber mit der Stärkung der gesetzlichen Rente nicht warten.
Kampf gegen Altersarmut: Die Politik des Ausbaus des Niedriglohnsektors mit Leiharbeit und prekären Arbeitsverhältnissen anderer Art hat dazu geführt, dass auch in diesem System ohne zusätzliche politische Entscheidungen keine existenzsichernden Renten zustande kommen. Das gilt vor allem für viele Frauen, aber nicht nur. Deshalb wird es eine staatlich finanzierte Verbesserung der Altersvorsorge dieser Gruppen geben müssen. Daran kommt man so oder so nicht vorbei.
Die hier vorgestellten Vorstellungen „Was wir gegen Altersarmut tun müssen“ aus dem Haus des DGB wie auch die Überlegungen der SPD zu einer sogenannten Solidarrente sollten in die Überlegungen einbezogen werden.
Die hier insgesamt anvisierten Entscheidungen zur Altersvorsorge mit dem Schwerpunkt der Konzentration auf die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente und wichtigen Entscheidungen zur Bekämpfung der Altersarmut wären Ausdruck der notwendigen und sinnvollen Rückbesinnung auf die Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland.
Die politische Konstellation in den Sondierungsgesprächen beim Thema Altersvorsorge:
Gegen den Weg der Vernunft wird es Widerstand bei allen drei Parteien geben. Die Union, also CDU und CSU, ist mit der Versicherungswirtschaft eng verbandelt. Das gilt ganz besonders für die CSU, die die Interessen der in München ansässigen Allianz AG hochhalten wird. Die nordrhein-westfälische CDU wird die dort beheimateten Versicherungskonzerne bedienen wollen. Und auch bei der SPD hat die Versicherungswirtschaft die Finger im politischen Entscheidungsprozess. So war das jedenfalls in der Vergangenheit zu beobachten.
Hinzu kommt, dass die frühere Sozialministerin und heutige Fraktionsvorsitzende der SPD, Nahles, höchstwahrscheinlich mit Zustimmung des gesamten Vorstands den Spitzen einschlägiger Gewerkschaften den Ausbau der staatlich geförderten betrieblichen Altersvorsorge versprochen haben dürfte. Das ist ein großes Handikap. Aber da wir ja angeblich in neuen Zeiten leben und neu überlegt wird, könnte man diese Versprechen ja wohl beiseite schieben.
Wie bei allen hier notierten Vorschlägen unterstelle ich zunächst einmal, dass es auch den Willen zur Vernunft und zur Suche nach optimalen Regeln zur Organisation des gesellschaftlichen Zusammenlebens gibt.
- Unternehmensverfassung – Wer hat das Sagen in der deutschen Wirtschaft, in den Unternehmen und großen Kapitalgesellschaften. Wer sollte es haben.
Der allseits im Munde geführte Begriff „Shareholder Value“ vermittelt den Eindruck, dass die Wertpapierbesitzer bestimmen, wo es in den Unternehmen langgeht. Das stimmt so nicht mehr. Hier gilt wirklich, dass wir uns in einer neuen Zeit befinden und deshalb auch eine neue Politik zur Gestaltung des Problems und Lösung des Problems brauchen:
Große, weltweit tätige Fonds und Private Equity Gruppen bestimmen mit geringen Aktien-Anteilen von 3, 4 oder 5 % wichtige Entscheidungen der Unternehmensführungen.
Auf den NachDenkSeiten konnten Sie dazu schon seit Jahren Informationen abrufen. Zum Beispiel am 5. August 2016 von Albrecht Müller Und hier frei Haus die Verschwörungstheorie fürs Wochenende: US-Fondsgesellschaften im Dienste des Imperiums? Oder erst neulich am 20. November 2017 von Jens Berger Vortragsfolien: BlackRock und Co. – Wie sich das Finanzkapital die Welt zu eigen macht.
Vor Jahren schon haben wir darüber berichtet, dass bei einer Konferenz mit Anlegern der Vorstandssprecher eines der größten deutschen Unternehmen im kleinen Kreis davon berichtet hat, dass große angelsächsische Fonds mit Anteilen zwischen 3 und 5 % von der Unternehmensführung verlangen, die Vertreter dieser Fonds auch unabhängig von Aufsichtsratssitzungen in Sitzungen der Geschäftsführung schicken zu können. Und dass sie dann, wenn die Unternehmensführung dem nicht folgen will, mit Rufschädigung und kriminellen Mitteln drohen.
Das ist ein skandalöser Zustand, der auf den Tisch der Sondierungsgespräche gehört. Dorthin gehören auch politische Kampagnen und sogar Steuererleichterungen, die die Übernahme deutscher Unternehmen durch die großen weltweit tätigen „Investoren“ fördern.
Im Kapitel 18 des 2009 erschienenen Buches „Meinungsmache“ habe ich unter der Überschrift „Kapitalmarkt als Casinobetrieb und die Plünderung deutscher Unternehmen“ davon unterrichtet, dass der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder diese Plünderung propagandistisch mit seiner Werbung für die „Auflösung der Deutschland AG“ und steuerlich mit der am 1.1.2002 eingeführten Steuerbefreiung der Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen gefördert hat. Damals, bei Veröffentlichung des Buches, waren schon einige tausend Unternehmen, vom Steuerzahler gefördert, in die Hände von großen und meist angelsächsischen Kapitalbeteiligungsgesellschaften geraten.
Was die potentiellen Koalitionäre beraten und entscheiden müssten, ist offensichtlich: Das Recht der Unternehmen, das Aktienrecht und anderes muss neu gestaltet werden. Die Möglichkeit zur Mitbestimmung der in den Unternehmen Tätigen und ihrer gewerkschaftlichen Vertretungen ist dabei mindestens so wichtig wie die der Kapitaleigner.
Selbstverständlich muss die erwähnte Steuerbefreiung weg. Es geht nicht an, dass jeder Lohnempfänger und jeder Selbstständige für seinen Gewinn besteuert wird, realisierte Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen aber steuerfrei bleiben. Der von Schröder und seiner Regierung gesetzte Anreiz zum Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen an internationale sogenannte Investoren war 2002 von der Lobby bestimmt und falsch und ist heute immer noch falsch. Deshalb ist die Korrektur überfällig, obwohl schon eine große Zahl von Unternehmen unter den Hammer gekommen sind.
Seltsam ist, dass dieses Thema seit Jahren „geschlabbert“ wird und auch jetzt nicht auf der Tagesordnung steht. Offensichtlich ist der Einfluss des großen Kapitals extrem groß. Bei der CDU hat dieser Einfluss einen Namen und der Einfluss dieses Menschen wurde in den letzten Wochen schamlos festgezurrt: Friedrich Merz, früher einmal, im Anschluss an die Jahrtausendwende Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion wurde vom Nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Laschet (CDU) im November 2017 zum „Brexit- und USA-Beauftragten“ der NRW-Regierung gemacht. Amtsantritt: 1.1.2018.
NTV berichtete dazu ein interessantes Detail: „Die Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag kritisierte die Personalentscheidung der Landesregierung. SPD-Vizefraktionschef Thomas Kutschaty und Grünen-Fraktionschefin Monika Düker warnten, mit Merz erhalte ein “Top-Lobbyist” des privaten Finanzsektors direkten, ungehinderten Zugang zur Staatskanzlei. Merz ist Aufsichtsratschef des Vermögensverwalters Blackrock in Deutschland.“
Laschet sitzt mit am Tisch der Sondierer. Damit ist klar, wie die Machtkonstellation in der Berliner Verhandlungsrunde aussieht. Dennoch die Hoffnung stirbt zuletzt. Wenn das nicht so wäre, müsste dieser Text mit Vorschlägen für die Sondierungsrunde gar nicht geschrieben werden.
Das waren jetzt umfängliche Anmerkungen zu zwei Themen. Die weiteren Arbeitsfelder einer künftigen Regierung werden nun kürzer und stichwortartig abgehandelt. Bitte halten Sie sich nicht mit den damit verbundenen holzschnittartigen Formulierungen auf und auch nicht mit fehlenden Gesichtspunkten. Es geht um Anregungen für die künftige politische Arbeit:
- Die Gesundheitsversorgung ist geprägt von einer ungerechten und antidemokratischen Zweiteilung in gesetzlich Versicherte und Privatversicherte. Das muss auf den Tisch der Berliner Gespräche. Die Bürgerversicherung für alle könnte eine Lösung sein.
- Keine Erhöhung der Rüstungsausgaben, stattdessen Abrüsten und Rückzug der Bundeswehr aus Auslandseinsätzen.
- Verständigung mit Russland unter Einbeziehung der osteuropäischen und südosteuropäischen Partner.
Die strategische Überlegung vor Beginn der Entspannungspolitik Anfang der Sechzigerjahre ist heute genauso aktuell wie damals. Damals hat ein kleiner Kreis um den Regierenden Bürgermeister Willy Brandt überlegt, dass man Liberalität und Demokratie und freundschaftliche Gefühle beim außenpolitischen Gegner dann am besten erreicht, wenn man das Verhältnis entspannt, wenn man Konfrontation abbaut. Die Formel hieß dann: Wandel durch Annäherung. – Diese Formel ist heute, wenn auch unter ein bisschen anderen Verhältnissen, genauso aktuell.
Das gilt auch umgekehrt – negativer Wandel durch Konfrontation – und wird dann bedrohlich: Wenn wir weitermachen mit der Konfrontation und mit den Nadelstichen gegenüber Russland (und später vielleicht auch mal gegenüber China), dann werden sich dort im Land nicht die weltoffenen und demokratischen Kräfte durchsetzen, sondern eher die nationalistischen und auf militärische Aufrüstung setzenden Politiker und Militärs. Präsident Putin hatte in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunächst trotz militärischer Intervention des Westens in Jugoslawien und im Irak immer wieder Partnerschaft angeboten. Am deutlichsten erkennbar in einer auf Deutsch gehaltenen Rede im Deutschen Bundestag im Jahr 2001. Diese Freundschaftsangebote fielen nicht auf fruchtbaren Boden. Die Konsequenz: der russische Präsident ging auf Distanz, am besten sichtbar an einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahre 2007.
Wir sollten unsere Verantwortung für diese Entwicklung erkennen und uns der guten Erfahrungen der Vergangenheit entsinnen und auf die Politik der Verständigung, der Partnerschaft und des wirtschaftlichen Austauschs zurückkommen, die bei der Wende von 1990 verabredet war.
- Schluss mit den Sanktionen gegen Russland und andere Länder, die Deutschland und andere Länder Europas vor allem auf Initiative und Befehl der USA verhängt haben.
Völlig gegen die Verabredungen sind die Sanktionen gegenüber Russland. Sachlich und menschlich katastrophal sind die Sanktionen gegenüber Syrien. Sie haben einen messbaren Anteil am menschlichen Leid und an der Tendenz, sich durch Flucht aus dem Elend zu befreien. Die Flüchtlinge aus Syrien sind so zum Teil das Ergebnis politischer Differenzen und entsprechender Gängelung in Syrien, aber um vieles mehr die Folge des vom Westen und von den Golfstaaten angezettelten Bürgerkriegs und der auf Aushungern zielenden Sanktionen des Westens.
- Die Kriege der USA und des Westens sind einer der Hauptgründe dafür, dass Millionen Menschen ihre Heimat verlassen und fliehen müssen.
In Afghanistan, im Irak, in Syrien, in Libyen und im Jemen – überall wurde und wird von Seiten des Westens und seiner Verbündeten einschließlich der reaktionären Golfstaaten wie Saudi-Arabien militärisch interveniert. Libyen und der Irak sind traurige Beispiele dafür, zu welchen schlimmen Ergebnissen und Folgen für Millionen Menschen die westlichen Versuche zum sogenannten Regime Change geführt haben. Auch deshalb darf unser Land an solchen Kriegen nicht mehr mitwirken, auch nicht indirekt.
- Wir werden fliehenden Menschen weiterhin helfen, im Rahmen dessen, was wir leisten können, und im Rahmen unserer Rechtsordnung.
- Die neue Bundesregierung muss die Loslösung aus der engen Bindung und den damit verbundenen Verpflichtungen gegenüber den USA betreiben.
Bei aller Freundschaft mit den USA: wir können nicht weiter bereit sein, die Militärbasis für die US-Militärpolitik und ihre Politik der Regime Changes zu sein. Deshalb müssen wir in Verhandlungen darüber eintreten, die vertraglichen Bindungen für diese Politik zu lösen. Dabei könnte sich herausstellen, dass wir diese Freiheit gar nicht haben. Dann wäre die mangelnde Souveränität allerdings ein wichtiges Thema für die innenpolitische Debatte in der Bundesrepublik Deutschland.
Man kann als Verlierer des Zweiten Weltkriegs und als Erbe des Naziregimes durchaus und für längere Zeit mit besonderen Lasten belegt werden. Das ist jedenfalls nicht ungewöhnlich. Aber wir sollten eine ernsthafte politische Debatte darüber führen, wie lange diese besonderen Verpflichtungen noch gelten sollen. Dieses brisante Thema sollten die in Berlin sondierenden Parteien nicht der AfD überlassen.
- Die Einigung Europas ist wichtig, Europa ist aber auch in einer bedrohlichen Krise. Die bisherige Politik Deutschlands, vor allem Merkels und Schäubles haben völlig konträr zu ihrem Image wesentlich zum Auseinanderfallen Europas beigetragen. Der Kern des Fehlers ist die Wirtschafts- und Währungspolitik. Wenn man Europas Einigung will, wenn man will, dass die Völker Europas gut voneinander denken und gut übereinander reden, dann kann man eine Politik der Exportweltmeisterei weder sachlich noch atmosphärisch betreiben. Offensichtlich haben weder Schäuble noch Merkel dies kapiert.
Hier wird nicht für mehr Geld zu Gunsten anderer Staaten Europas plädiert, obwohl das als Folge der falschen Politik oft fällig ist. Hier wird schlicht dafür plädiert, dass die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik und Währungspolitik diesen Ländern die Luft zum Atmen und d. h. die Luft zur Wertschöpfung lassen muss. Das sind ganz banale Gedanken. Aber manchmal ist das Banale etwas Wichtiges.
- Der Niedriglohnsektor muss weg, genauso wie Hartz IV. Denn die Aufspaltung des Arbeitsmarktes in ein Segment mit Lohnabhängigen, die einigermaßen gut verdienen und gesichert sind, und in einen anderen wachsenden Teil von schlecht bezahlten und prekären Arbeitsverhältnissen ist sowohl wirtschaftlich für die Betroffenen eine Katastrophe als auch für die Gesellschaft als Ganzes. Damit ist eine Spaltung der Arbeitnehmerschaft betrieben worden, die eine Gesellschaft nicht zulassen sollte.
Wir haben bei der Debatte um die früheren und aktuellen NachDenkSeiten-Beiträge zum Bedingungslosen Grundeinkommen an manchen Leserbriefen lesen und spüren können, wie weit und verständlicherweise emotional aufgeladen diese Spaltung geht.
Die künftige Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die Löhne steigen und dass Menschen aus prekären Arbeitsverhältnissen in sichere, nicht befristete Arbeitsverhältnisse übernommen werden.
Sie muss dafür sorgen, dass der Mindestlohn erhöht wird und vor allem auch die Einhaltung des Mindestlohns nicht so leicht umgangen werden kann, wie das heute geschieht.
- Die aktive Konjunktur- und Beschäftigungspolitik ist eine zentrale Basis für das Austrocknen des Niedriglohnsektors.
Anders als heute regelmäßig bei der Verkündung von Wirtschaftsdaten behauptet wird, haben wir keinen leergefegten Arbeitsmarkt. Fachkräftemangel gibt es in manchen Bereichen. Aber es gibt auch heute hunderttausende, ja sogar Millionen von Menschen in Deutschland, die einen regulären Arbeitsplatz suchen, Bewerbungen schreiben oder sich als Leiharbeiter und Tagelöhner verdingen und dann oft resignieren. Dagegen kommt die Politik an, wenn sie dafür sorgt, dass es zu einem richtigen Boom kommt, der auch die an der Peripherie liegenden Regionen der Bundesrepublik Deutschland erfasst.
Wie schon immer in den Jahren seit Beginn des Jahrhunderts wäre eine solche Beschäftigungspolitik auch im Sinne der europäischen Entwicklung. Es gilt die alte Regel, dass sich die wirtschaftlich schwächeren Volkswirtschaften nur erholen können, wenn von den kräftigen Volkswirtschaften ein Sog ausgeht. Die jetzt wieder festgestellten hohen Leistungsbilanzüberschüsse der Bundesrepublik Deutschland zeigen, dass wir in Europa nicht auf dem richtigen Weg sind. Auch deshalb das Plädoyer für eine viel aktivere Beschäftigungspolitik.
- Die Sanierung und der Wiederaufbau der Infrastruktur in Deutschland wäre das vor der Tür liegende und passende Experimentierfeld einer aktiveren Konjunktur- und Beschäftigungspolitik. Wenn zwei politische Notwendigkeiten sich so gut ergänzen, dann können die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker doch glücklich sein. Die Sondierer in Berlin sollten diese Chance ergreifen.
- Schluss mit der Politik der Entstaatlichung. Das neoliberal geprägte Konzept vom schlanken Staat war und ist ein ausgesprochen dummes Konzept.
„Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten“, diese Überschrift eines Flugblattes von 1971 ist leider heute so aktuell wie damals. Diese Erfahrung wäre in praktische Politik umzusetzen: Starker Staat heißt nicht „mehr Militär“, es heißt vielleicht heute angesichts mancher Herausforderungen: Mehr Polizei. Aber ansonsten heißt starker Staat: öffentliche Versorgung mit Gütern der Daseinsvorsorge: Wasser, gesunde Umwelt und Natur, öffentlicher Verkehr, Müllentsorgung, öffentliche Verwaltung.
Die alte Regel der Sozialdemokratie nach Godesberg, also nach Verabschiedung des sogenannten Godesberger Programms „Markt und Wettbewerb so weit wie möglich, staatliche Tätigkeit so weit wie nötig“, war gar nicht so falsch. Man hat unter dem Einfluss der neoliberalen Lobby allerdings dann die Produktion und Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen privaten Unternehmen auch dann überlassen, wenn der Markt nicht funktionieren kann. Dann kam es zu Konstrukten wie Regulierungsbehörden. Das waren und sind unsinnige und teure Fehlentscheidungen und daraus folgende Bürokratien.
Das Fazit: Wo Wettbewerb und Markt nicht gut funktionieren, sollte die „Produktion“ von Gütern und Dienstleistungen wieder in staatliches Eigentum oder in Gemeineigentum und jedenfalls in öffentliche Regie überführt werden.
Die Konsequenz: Keine weiteren Privatisierungen, stattdessen Verstaatlichung wichtiger und früher öffentlicher Unternehmen. D. h.: keine weitere Privatisierung der Deutschen Bahn, stärkerer Einfluss der öffentlichen Hand auf die Verkehrspolitik und Bahn-Politik. D. h. keine weitere Privatisierung von Anteilen der Deutschen Post AG und der Deutschen Telekom. Neubelebung des öffentlichen und sozialen Wohnungsbaus.
- Schluss mit der systematisch betriebenen Deregulierung und stattdessen endlich eine sachgerechte Regulierung der Finanzmärkte.
Sachgerecht heißt Ablehnung und Bekämpfung der Spekulation statt der Duldung, Bewunderung und Förderung der Spekulation, wie sie vor allem seit Ende der Neunziger Jahren üblich geworden ist.
- Der Staat muss die Hoheit über die Gesetzgebung und Justiz zurückerobern.
Unter dem Einfluss der neoliberalen Ideologie und dem Einfluss von Geschäftemachern und Organisatoren eines optimalen Lobbyismus ist die Ministerialbürokratie – freundlicher gesagt: die Ausstattung der Ministerien in Bund und Ländern – verringert und abgebaut worden; dafür sind außenstehende Berater und Rechtsanwaltskanzleien direkt in die Regierungsarbeit und in die Gesetzgebung einbezogen worden. Es ist ein Skandal, dass die Ministerialbürokratie so ausgedünnt worden ist, dass in der Regel für auch nur ein bisschen kompliziertere Gesetzgebung auf Außenstehende zurückgegriffen werden muss, auf Anwaltskanzleien und Berater. Das ist das Einfallstor für den Lobbyismus in die Regierungsarbeit. Dieses Tor muss geschlossen werden.
- Wettbewerb muss geschützt und gefördert werden. Oligopole und Monopole müssen bekämpft und kontrolliert werden.
Marktwirtschaft ohne Wettbewerb oder mit mangelhaftem Wettbewerb – das geht nicht. Das war und ist ein anerkanntes Prinzip und selbst unter Ordoliberalen anerkannt. Diese Einsicht hat konkrete Folgen für den Umgang mit den Monopolen und Oligopolen, die sich auf dem Medienmarkt und vor allem bei den elektronischen Medien herausgebildet haben. Microsoft, Facebook, Amazon – das geht alles nicht. Die sich ausgebildeten Monopole und Oligopole widersprechen dem Konzept funktionierender Märkte diametral.
In diesem Bereich kann man, wie in der gemeinsamen Erklärung der Sondierer vom 7.1.2018 geschehen, davon sprechen, dass neue Zeiten neue Probleme geschaffen haben. Aber die Lösung gründet auf alten Erfahrungen und auf bewährten, alten Regeln.
- Das Wichtigste in einer Volkswirtschaft ist neben einer gerechten Verteilung die Wertschöpfung. Finanzspekulation schafft keine Werte, allenfalls minimale zur Risikoabsicherung.
Früher war das in der wissenschaftlichen wie auch in der öffentlichen Debatte unbestritten. Spekulanten waren geächtete Leute. Zwischen der Wende zu Kohl und Lambsdorff und vor allem dann in der Zeit des Aktienbooms und bis zur Finanzkrise des Jahres 2007 und darüber hinaus wurden und werden Spekulanten bewundert. Deutsche Politiker, Journalisten und Wirtschaftsleute blickten mit Tränen in den Augen nach London. Und sie haben in der Finanzkrise alle zusammen geholfen, uns Steuerzahlern die Milliarden aus der Tasche zu ziehen, um die Spekulanten vor dem Bankrott zu retten.
Hier müsste die neue Koalition wirklich neu nachdenken und sowohl auf den Finanzmärkten als auch auf den Immobilienmärkten gegen Spekulation antreten, statt sie zu fördern.
Eine der wirksamsten Methoden zur Förderung der Spekulation ist die Bestrafung von Sparguthaben mithilfe der Nullzinspolitik. Hier werden viele Menschen mit ihren Ersparnissen auf die Immobilienmärkte und die Aktien- und sonstigen Wertpapiermärkte getrieben. Das ist der helle Wahnsinn und dieser Wahnsinn sollte Gegenstand der neuen Koalitionsgespräche sein – mit dem Ziel, Abhilfe zu schaffen. Nicht die Finanzspekulanten, die Wertschöpfungsunternehmer sind neben den Werktägigen die eigentlichen Könige einer Volkswirtschaft.
- Gefragt sind starke Akzente bei Umwelt- und Naturschutz und gegen Klimawandel.
Wie zu hören ist, ist in den Sondierungen zum Thema Klimawandel schon das Gegenteil beschlossen worden. Das ist kein guter Einstieg.
Soweit die bisher im Kontext von Jamaika verhandelten Veränderungen in der Agrarpolitik vernünftig und ökologisch fortschrittlich sind, sollten sie aufgegriffen werden.
- Die Verkehrspolitik ist ausgesprochen wichtig. Dort sind wirkliche Veränderungen notwendig.
Einige von vielen Aspekten will ich ansprechen:
- Wir ersticken im LKW- und Individualverkehr. Um das festzustellen, bedarf es keiner wissenschaftlichen Erhebungen. Es bedarf nur eines Blicks auf die A6, auf die A 61, auf die A8, auf die A1 und auf die A2.
- Deshalb sind sowohl die Verlagerung auf die Schiene als auch vor allem Verkehrsvermeidung notwendig.
- Verkehrsvermeidung ist dann vor allem möglich, wenn die volkswirtschaftliche Produktion regionalisierter verläuft, als dies heute der Fall ist.
- Dem widersprechen die bisherigen Festlegungen. Der Freihandel wird gefeiert, als sei es ein Selbstzweck. Der Handel und der Verkehr über Kontinente hinweg und innerhalb der Kontinente wird subventioniert. Der Luftverkehr ist bei uns subventioniert. Der Pkw- und der Lkw-Verkehr tragen noch lange nicht die Gesamtkosten, die sie verursachen: Schäden bei Natur und Landschaft, Gesundheitsschäden, .. . Der Seeverkehr trägt nicht die Kosten, die er mit der Verseuchung der Meere verursacht.
- Hier ist es höchste Zeit, umzusteuern. Neue Rezepte braucht man allerdings auch hier nicht. Man muss sich nur des Konzeptes erinnern, dass die sogenannten externen Kosten einer Produktion und Dienstleistung beim Produzierenden angelastet werden müssen. Das geschieht heute nicht. Es sollte aber geschehen.
- Last not least: Schluss mit Stuttgart 21. Sofort.
- Die Verteilungsfrage
Die Einkommen und Vermögen in Deutschland sind wie weltweit skandalös ungerecht verteilt. Wer sich nicht selbst belügt, weiß das inzwischen.
Und die Lage wird immer schlechter und schlimmer, weil heute die Spitzenverdiener und die Spitzenvermögenden überdurchschnittlich mehr verdienen und überdurchschnittlich mehr aus ihrem Vermögen herausholen. Wir haben also eine klare Tendenz der Verschärfung des Problems.
In dieser Situation bedarf es bei Koalitionsverhandlungen der Abschaffung alberner Tabus in Bezug auf die Steuerpolitik, mit der Konsequenz:
- Mehrwertsteuer runter
- Spitzensteuersatz der Einkommensteuer hoch und dementsprechende Anpassung der gesamten Steuertabelle. Der Kohl‘sche Einkommenssteuersatz von 53 % müsste doch möglich sein.
- Kampf, entschiedener Kampf gegen die Steuervermeidung bei großen Unternehmen
- Wiedereinführung der Vermögensteuer
- Umgestaltung der Erbschaftssteuer zu einer wirksamen Steuer.
- Kampf gegen Steueroasen. Das muss doch möglich sein, auch jenseits der gängigen Redensarten
Usw.
Mit alledem wird man die Ungerechtigkeiten nicht beseitigen können. Die extreme Ungleichheit der Verteilung von Vermögen und Einkommen ist ein großes Problem, weil diese extreme Schieflage nicht nur in den USA, sondern auch bei uns politische Folgen zeitigt. Wer viel Geld hat, bestimmt auch überdurchschnittlich oft und wirksam die politischen Entscheidungen.
Dieses Problem wird von der sich jetzt abzeichnenden Koalition nicht gelöst werden. Das Thema sollte auf dem Tisch bleiben
- Die ideologische Neuorientierung: Von „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und „Freie Fahrt für freie Bürger“ hin zur Solidarität, zu Mitfühlen und Mitdenken. Die Sozialstaatlichkeit gehört zur Verfassung unseres Landes.
Mal sehen, was aus alledem wird.