Medien: „Eine Arena für Hahnenkämpfe“
Claus Kleber „fragt nicht, woher die Nachrichtenagenturen und die Korrespondenten ihr Material haben. Er fragt nicht, wer die Begriffe für das prägt, was das „heute journal“ am Abend bringt. Noch schlimmer: Er sieht gar nicht, dass da ein Problem liegen könnte“. Das sagt der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen im Interview mit den NachDenkSeiten. Meyen, der am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München lehrt, hat vor kurzem auf eine sehr pointierte Weise ein aktuelles Buch von Claus Kleber besprochen, in dem der Moderator des „heute journals“ sich mit der aktuellen Kritik an den Medien auseinandersetzt. Im NachDenkSeiten-Interview sagt er, was ihn an Klebers Einlassungen stört und geht auf die Probleme ein, die er im Journalismus unserer Zeit sieht. Für Meyen ist es vor allem die Funktionslogik der Medien, die eine Berichterstattung mit vielen Schlagseiten entstehen lässt. Medien, so Meyen, „vernachlässigen das, was man als ihre öffentliche Aufgabe bezeichnen kann“, nämlich: „Informieren, aufklären, die Mächtigen kritisieren“. Ein Interview von Marcus Klöckner.
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Herr Meyen, Sie haben vor kurzem eine Rezension zum aktuellen Buch von Claus Kleber verfasst, Moderator des „heute journal“. Die Überschrift Ihrer Besprechung lautet: „Rettet Claus Kleber“. Warum muss der Nachrichtenmann des ZDF denn gerettet werden?
So eine Überschrift ist ja immer auch ein bisschen Rhetorik, selbst in einem wissenschaftlichen Blog. Da geht es auch um Leseanreiz.
Also muss Claus Kleber gar nicht gerettet werden?
Das weiß ich nicht. Qualitätsjournalismus – darum geht es. Um die Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, um die großen Zeitungen, um die Regionalpresse. Journalistische Qualitätskriterien wie Neutralität, Objektivität oder Vielfalt sind da längst zu Worthülsen geworden. Wir bekommen permanent Sensationen. Wir bekommen Superlative. Und wir bekommen Geschichten, die so spannend sind, dass wir gar nicht mehr wegschalten wollen. Wenn diese Geschichten dann noch ein bestimmtes politisches Interesse transportieren, dann hat das nichts mehr mit dem zu tun, was mündige Bürger vom Journalismus erwarten. Wir wollen informiert werden, wir wollen aufgeklärt werden, und wir wollen dann selbst entscheiden.
Der Reihe nach. Kleber hat ein Buch verfasst, worin er sich mit der Kritik an den Medien auseinandersetzt. Was stört Sie daran?
Erstmal gar nichts. Es ist gut, wenn Journalisten nicht einfach ignorieren, was das Publikum sagt. Es ist gut, wenn gerade Top-Leute wie Claus Kleber den Zuschauern erklären, wie sie arbeiten.
Was hat Sie dann gestört?
Wie er mit der Kritik umgeht. Er beschreibt einen Tag in der Redaktion, um zu beweisen, dass er weder von Angela Merkel gesteuert wird noch von sonst irgendwem. Kein Anruf aus dem Kanzleramt. Was abends über den Bildschirm geht, entscheiden all die tollen Leute in seinem Team und natürlich er, der Chef. Claus Kleber sieht einfach nur seinen Newsroom und blendet den Rest der Welt komplett aus.
Also zeichnet der Top-Nachrichtenmann eine zu einfache Realität?
Genau. Er fragt nicht, woher die Nachrichtenagenturen und die Korrespondenten ihr Material haben. Er fragt nicht, wer die Begriffe für das prägt, was das „heute journal“ am Abend bringt. Noch schlimmer: Er sieht gar nicht, dass da ein Problem liegen könnte. Das Bundespresseamt beschäftigt mehr als 400 Leute, alle gut ausgebildet und hoch bezahlt. Da sind die Pressemenschen in den Ministerien noch gar nicht mitgezählt, in den Bundesländern, in der Wirtschaft, in Think Tanks. Journalismus hat es schwer gegen die Definitionsmacht, die von dort ausgeht. Er sollte es aber wenigstens versuchen. Er sollte Distanz wahren, er sollte immer nach den Interessen der Mächtigen fragen. Nichts davon ist bei Claus Kleber zu sehen.
Was ist Ihnen in dem Buch noch aufgefallen?
Zwei Dinge. Claus Kleber will kein Beobachter sein. Er will nicht neutral sein wie einst Hanns Joachim Friedrichs, der von einem guten Journalisten gefordert hat, sich mit keiner Sache gemein zu machen, auch nicht mit einer guten. Kleber fordert Haltung und Engagement. Was das heißt, kann man jeden Abend im Fernsehen sehen. Kleber ergreift Partei. In einem Nachrichtenmagazin.
Und die zweite Sache?
Claus Kleber hat die kommerzielle Medienlogik verinnerlicht. Er erzählt seinen Lesern ohne jede Hemmung, wie die Realität entsteht, die das „heute journal“ Abend für Abend sendet. Es braucht eine Story. Irgendetwas Spektakuläres, das gestern noch nicht da war und das auch die Konkurrenz nicht hat. Es braucht Bilder, möglichst emotional. Im Zweifel stellt man diese Bilder vermutlich selbst. Und es braucht „Pfeffer“. Kleber freut sich, als Gabriel kurz vor Redaktionsschluss auf die Kanzlerin einprügelt. Endlich ist die Sendung rund.
Eine Hauptkritik an den großen Medien und den Alphajournalisten lautet, dass sie einfach auf Biegen und Brechen ihre Arbeit verteidigen und nicht ansatzweise erkennen oder zugeben wollen, wie eindimensional ihre Erfassung der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit eigentlich ist.
Stimmen Sie dem zu? Ist der Journalismus, den wir innerhalb der großen Medien zu sehen bekommen, oft zu einseitig und spiegelt die Wirklichkeit nicht sauber wieder?
Journalismus war schon immer Selektion. Nicht einmal eine Kleinstadt passt in 30 Minuten Sendezeit. Das Problem ist: Heute wählen die Redakteure etwas ganz anderes aus als ihre Vorgänger vor 30 oder 40 Jahren. Und das, was sie auswählen, verpacken diese neuen Redakteure anders. Grell, schrill, laut. In diesem Dauerbeschuss haben wir gar nicht gemerkt, wie sich die Medienrealität verändert hat und damit unsere Informationsgrundlage.
Wie meinen Sie das?
Die Medien sollen uns Orientierung geben, die Medien sollen uns helfen, vernünftige Entscheidungen zu treffen, die Medien sollen die Mächtigen kontrollieren. Und was sehen wir stattdessen? Eine Arena für Hahnenkämpfe.
Können Sie das etwas genauer beschreiben? Was genau hat sich verändert?
A: Wir haben die Medienrealität von 1984 mit der von heute verglichen. Was haben die großen Zeitungen und die „Tagesschau“ 1984 berichtet und was berichten sie jetzt. Die Unterschiede fangen schon bei den Inhalten an. Heute gibt es weniger Politik und Wirtschaft und dafür viel mehr Soft News. Also Sport, Kultur, Human Interest. Fast noch wichtiger: Über die harten Themen wird heute ganz anders berichtet als vor 30 Jahren. Negativer und emotionaler, stärker an Prominenten und Experten aufgehängt und vor allem an Konflikten.
Die Hahnenkämpfe?
Genau. In der Medienrealität dominieren heute andere Konflikte als damals in der guten, alten Bundesrepublik. Es geht nicht mehr um Gruppen, also nicht mehr um Gewerkschaften und Arbeitgeber oder Professoren und Studenten. Heute geht es um Personen, die mächtig oder prominent sind. Gabriel gegen Merkel. Klebers „Pfeffer“.
Woran liegt das? Warum tun sich Medien so schwer damit, Wirklichkeit abzubilden – also soweit das eben überhaupt möglich ist.
Vieles ist da ja gut beschrieben worden von Medienkritikern wie Uwe Krüger oder Ulrich Teusch. Das Meinungsklima zum Beispiel, das heute längst nicht mehr so liberal ist wie in den 1970ern und inzwischen wieder verlangt, Position zu beziehen, für den Westen zum Beispiel. Oder die Nähe der Journalisten zu den Mächtigen, die schon bei der Herkunft beginnt und in der Ausbildung und die dann zu gemeinsamen Interessen führt und zu einem ganz ähnlichen Blick auf die Welt.
Das erklärt aber noch nicht die Veränderungen, die Sie gerade beschrieben haben.
Nein. Das hat mit der neuen Konkurrenz zu tun. Mit kommerziellen Radio- und Fernsehsendern, mit dem Internet, mit den sozialen Netzwerken. Journalismus konkurriert heute mit Anbietern, denen der Pressekodex egal ist und der Rundfunkstaatsvertrag auch. Und damit sind wir bei der Organisation der Medien und bei uns, bei den Nutzern.
Wie meinen Sie das?
Kommerzielle Medien sind auf Reichweite angewiesen. Auf uns. Das gilt selbst für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sofort in Frage gestellt wird, wenn die Einschaltquoten sinken. In einem solchen Mediensystem dreht sich alles um Aufmerksamkeit. Jede Redaktion sieht heute in Echtzeit, welches Thema funktioniert. Sie sieht auch, woher die Nutzer kommen. Über Google, über Facebook, über die eigene Webseite. Und jede Redaktion weiß, dass die Konkurrenz nur einen Klick entfernt ist. Service, lustige Sachen, irgendwelche Rankings. Die Spirale der Aufmerksamkeit wird von uns selbst gefüttert.
Um den Wandel der Medien zu beschreiben, verwenden Sie den Begriff Medienlogik. Was ist damit gemeint?
Logik ist immer ein bisschen irreführend. Das klingt nach folgerichtig oder vernünftig. Das können viele nicht mit dem zusammenbringen, was sie in der „Tagesschau“ finden. Ich meine damit die Brille, durch die Medien die Welt sehen. Welche Themen werden ausgewählt, wie wird das Material zusammengestellt, in welchem Stil wird es präsentiert, was wird betont und was eher nicht? Medienlogik ist die Grammatik der Medienkommunikation und unabhängig vom Thema und auch ziemlich unabhängig vom Kanal. Putin und Erdogan, Flüchtlinge und Terror, Griechenland und die Bundesliga: Das wird uns alles überall auf die gleiche Weise präsentiert.
Wo liegt das Problem?
Das kann man gar nicht in einem Satz sagen. Ich habe dazu ein ganzes Buch geschrieben, das Anfang März bei Westend erscheint.
Versuchen Sie es für uns bitte in kurzer Form.
Das erste Problem habe ich gerade beschrieben. Wenn sich der Kampf um Aufmerksamkeit verschärft, konstruieren kommerziell organisierte Medien eine Realität, die auf Publikumsmaximierung zielt und auf sonst nichts. Das heißt: Sie vernachlässigen das, was man als ihre öffentliche Aufgabe bezeichnen kann. Informieren, aufklären, die Mächtigen kritisieren.
Und das zweite Problem?
Wir gewöhnen uns an dieses Konstruktionsprinzip. Wir fangen an, Medienrealität für die normale Form der Kommunikation zu halten, weil wir permanent Angebote nutzen, die auf Aufmerksamkeit zielen. Diese Logik fängt an zu bestimmen, wie wir uns im Alltag bewegen und wie wir unsere Organisationen und Institutionen gestalten. Man muss sich dazu nur die Firmenzentralen anschauen und die Konzerthallen, die heute gebaut werden, oder unsere Hochzeiten und Geburtstagsfeiern. Ein Superlativ nach dem anderen. Das ist kommerzielle Medienlogik in Reinkultur. Wirtschaft und Politik kennen diese Logik ganz genau und liefern den Journalisten das, wonach sie ohnehin suchen.
Aber das bedeutet doch auch, dass ein so funktionierendes Mediensystem sehr anfällig für Manipulationen ist.
Klar. PR ist ja längst nicht mehr nur Pressemitteilung oder Pressekonferenz. PR beginnt heute damit, Spitzenpersonal einzustellen, das in den Medien sympathisch wirkt, und dieses Personal dann auch entsprechend zu trainieren. Selbst Lehrer werden dazu angehalten, nicht zu streng zu sein. Bloß keine schlechte Presse. Das macht es Journalisten schwer, hinter die Fassaden zu schauen und Dinge ans Licht zu bringen, über die die Gesellschaft eigentlich sprechen müsste.
Was müsste sich denn aus Ihrer Sicht in den Medien und im Journalismus ändern?
Zuerst brauchen wir diese Debatte, glaube ich. Das hat ja längst angefangen mit der ganzen Kritik an der Russland-Berichterstattung, mit der Ukraine, mit Syrien, mit den Flüchtlingen. Wir müssen darüber diskutieren, was wir vom Journalismus erwarten und was wir uns das am Ende kosten lassen wollen. Qualität fällt ja nicht vom Himmel. Qualität kostet Geld. Medienunternehmen, die Gewinn erzielen müssen, entlassen Korrespondenten und Redakteure, wenn die Werbeerlöse sinken oder das Geschäft aus anderen Gründen schwierig wird.
Sie sind ein Vertreter aus dem wissenschaftlichen Feld. Es gibt eine ganze Reihe an kritischen Wissenschaftlern, die die Schwachstellen in den Medien genau erkennen und benennen können. Warum hört man von Ihnen so wenig in den Medien? Wo ist Ihre Einmischung?
Auch die Wissenschaft steht da vor einer Selektionshürde. Das ist ja überhaupt eine schizophrene Situation: Um als Medienkritiker gehört zu werden, braucht man genau die Plattformen, die man kritisieren will.
Anfang Dezember waren Sie Gastgeber für die Gründungstagung des Netzwerks Kritische Kommunikationswissenschaft. Warum braucht es dieses Netzwerk?
Das ist eine Initiative aus dem Nachwuchs, von Leuten, die sich nicht wiederfinden in dem, was ihre akademische Disziplin im Moment so macht. Sie vermissen Gesellschaftskritik, sie vermissen Utopien, sie vermissen ein Nachdenken über Medien, das über das Hier und Jetzt hinausgeht. Sie fragen nach Ideologie und Herrschaft, sie wollen sich einmischen und nicht nur zeigen, dass sie das methodische Handwerkszeug kennen. Sozialwissenschaftler neigen dazu, alles auszublenden, was sie nicht messen können. Das neue Netzwerk will diese Tendenz aufbrechen.
Haben Sie noch einen Ratschlag für die NachDenkSeiten-Leser? Worauf sollten Mediennutzer achten, wenn sie sich kritisch mit der Berichterstattung auseinandersetzen möchten?
Auf Transparenz. Das ist für mich das wichtigste Kriterium für guten Journalismus. Medien können kein Spiegel der Wirklichkeit sein. Sie müssen auswählen, gewichten, einordnen. Deshalb sollten die Journalisten sagen, wer sie sind, wo sie politisch stehen, woher sie ihre Informationen haben und wem diese Informationen wahrscheinlich nutzen, wenn sie das denn abschätzen können. Wenn der Berufsstand sich auf dieses Kriterium verständigen könnte, würden viele der Zweifel sofort zerstreut werden, die an der Berufsideologie hängen. Wir Nutzer wissen heute, dass man die Welt nicht objektiv abbilden kann. Wir haben nicht mehr nur das „heute journal“, sondern können leicht auf alternative Realitätskonstruktionen zugreifen. Gerade deshalb tut Transparenz not.