Pflege-Azubi als Journalist des Jahres
Seit seinem Auftritt in einer Fernsehsendung zur Bundestagswahl ist der 21-Jährige „Pflege-Azubi“ Alexander Jorde einem Millionenpublikum bekannt. Durch seine klugen Fragen und seine messerscharfe Argumentation hat er damals Bundeskanzlerin Angela Merkel kräftig ins Schwitzen gebracht. Nun war er gestern Abend in der ZDF Sendung „Menschen 2017“ zu Gast und traf auf FDP-Mann Christian Lindner. Wer sich die Auftritte des jungen Mannes anschaut, stellt schnell fest: Jorde macht das, was Journalisten eigentlich im Umgang mit Politikern tun sollten: Schonungslos nachhaken und sich kein X für ein U vormachen lassen. Durch sein Auftreten zeigt er zugleich deutlich, wie sehr die Kritik am Journalismus der großen Medien berechtigt ist. Eigentlich müsste Alexander Jorde ausgezeichnet werden mit dem Preis „Journalist des Jahres 2017“. Ein Beitrag von Marcus Klöckner.
Man stelle sich Folgendes vor: Ab 2018 würden Journalisten, die Interviews mit hochrangigen Funktionsträgern führen, schonungslos das machen, was ihre Aufgabe als „Wächter der Demokratie“ ist. Man stelle sich ferner vor, sie würden immer wieder nachhaken und sich nicht mit der erstbesten Antwort von Politikern zufriedengeben. Und dann stelle man sich noch vor, sie würden als diejenigen, die in einer absolut privilegierten Position sind und über den Zugang zu führenden Persönlichkeiten in dieser Gesellschaft verfügen, ihre Aufgabe ernst nehmen und tatsächlich die Fragen mit Nachdruck stellen, die im Sinne von Gesellschaft und Demokratie gestellt werden müssten.
Gewiss: Man müsste ziemlich naiv sein, um zu erwarten, dass diese Vorstellungen tatsächlich zur Realität würden. Die Komplizenschaft zwischen Vertretern der Medien und der Politik ist viel zu fest verwachsen, als dass sie sich einfach so auflösen wird. Das ist offensichtlich. Und das weiß auch jeder, der offen auf den täglich in den großen Medien zu sehenden Journalismus blickt. Man schaue sich nur etwa die Sommerinterviews von ARD und ZDF an, wo führende Politiker auf Journalisten treffen, die Fragen stellen, die mit einem kritischen Journalismus nichts zu tun haben. Oder, nehmen wir das „Kanzlerduell“. Was war das vonseiten der Journalisten anderes als ein Werfen mit Watte? Die NachDenkSeiten berichten seit nunmehr 14 Jahren fast täglich über die himmelschreienden Defizite des Journalismus.
Dass es eben auch anders gehen kann, das zeigt der gerade einmal 21-jährige Jorde. Die NachDenkSeiten haben einen Teil des Auftritts von Jorde bei „Menschen 2017“ transkribiert und möchten die Stelle ihren Leser zugänglich machen, um zu zeigen: So sieht es aus, wenn ein Pflege-Azubi, oder, eigentlich muss man sagen: ein Journalist – denn diese Rolle übernimmt Jorde ja in diesem Moment – sich kritisch mit einem Politiker auseinandersetzt.
Zunächst noch: Vor dem Auftritt von Jorde zeigt das ZDF einen kleinen Einspieler, der den Pflege-Azubi vorstellt. Nachdem ein Ausschnitt aus der Wahlsendung gezeigt wurde, in der Jorde Merkel für ihre desolate Pflegepolitik konfrontiert, sieht man den Azubi, der im Hinblick auf seinen eigenen Aufritt sagt:
„Frau Merkel hat da nicht gerechnet damit unbedingt, dass man sie auch mal unterbricht und sagt, jetzt werden Sie doch auch mal konkret.“ (Ab 01:07:45)
Die Aussage von Jorde mag sicherlich nur im Hinblick auf seine Rolle als Publikumsgast gemeint sein, der als solcher eben Merkel Fragen stellen durfte. Seine Aussage dürfte aber ruhig übertragen werden auf den Umgang von Spitzenjournalisten mit Politikern bei Interviews. Ernsthaft unterbrechen? Ernsthaft nachhaken an den Stellen, wo es tatsächlich drauf ankommt? Das ist die Ausnahme, nicht die Regel.
An einer weiteren Stelle des Einspielers sagt Jorde:
Christian Lindner sagt dann, ja wir können nicht immer mehr Geld in das System stecken, wir müssen auch gucken, dass es effizienter wird. Effizienter? Wir bauen keine Autos zusammen, wir pflegen Menschen. Und das funktioniert nicht, wenn eine Person 56 Menschen versorgen soll, dann kann man so viel Effizienz machen, wie man möchte… – das wird nicht gehen. (Ab 01:08:25)
Danach dann der Auftritt bei Markus Lanz. Jorde kommt rein, setzt sich neben Christian Linder, den Moderator Markus Lanz zuvor interviewt hatte.
Lanz sagt: Man hat gerade gesehen, es geht gleich zur Sache. Herr Lindner sagt „quatsch“ [wohl eine Bemerkung von Lindner, als der Einspieler noch abgelaufen ist], was der Jorde da erzählt im Fernsehen.
[Das Publikum lacht]
Lindner (Im Rechtfertigungsmodus): Nein, ich meinte diese Effizienz, die Sie meinen. Da geht es nur um die Pflegedokumentation. Dass wir eine Personalquote brauchen, da sind wir einer Meinung.
Jordes: Warum steht das nicht in ihrem Wahlprogramm?
[Publikum lacht und applaudiert Jorde]
Lindner: Wir hätten es bei Jamaika gemacht.
Jorde: Also dass die FDP sich jetzt in einem enormen Maß für die Pflege einsetzt, das ist mir auch eigentlich neu …
Lindner unterbricht: Geben Sie sich doch einfach eine Chance, sich einfach mal neu vertraut zu machen mit der Sache.
Jorde: … Aber Sie haben doch gesagt, in diesem Video, was Sie wahrscheinlich auch kennen, wo Sie sich mit diesen Krankenpflegern unterhalten haben, die privaten können vielleicht besser mit Geld umgehen. Die sind vielleicht auch effizienter als…
Lindner unterbricht: Nä…
Jorde: Doch, genauso haben Sie es gesagt. Vielleicht…können die Privaten besser mit Geld umgehen. Genau so haben Sie es gesagt. Und jetzt möchte ich bitte das auch zu Ende führen.
[Lanz merkt an: Alle Tricks drauf, der junge Mann]
Jorde: Der größte Klinikkonzern in Deutschland, Helios, zusammen mit Fresenius, hat im Jahr 2016 über 500 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet bzw. erwirtschaftet heißt: Auf Kosten der Pflegekräfte hat man paar wegrationalisiert [Anmerkung der NDS-Redaktion: Die Aussage von Jorde ist an dieser Stelle so ungeschliffen wie hier in der Verschriftlichung], und wenn man das mal grob überschlägt – das kann eigentlich jeder, der was mit Dreisatz schon mal zu tun hatte, dann sind das über 10.000 Vollzeitstellen in der Pflege.
10.000 Pflegekräfte! Die man dringend bräuchte! Und wo landen diese 500 Millionen Euro? Das wissen Sie, das weiß ich und das weiß eigentlich jeder. Das ist ein Aktienkonzern. Die landen am Ende bei Wenigen, die sehr viel Geld haben. Klar, es gibt auch Rentenfonds, beispielsweise, die an solchen Aktiengesellschaften beteiligt sind…
Um es abzukürzen: Nach Jordes Ausführungen erklärt Lindner noch, in welchem Kontext er die Aussage, die Jorde kritisiert, getätigt hat und dass er in einer Situation gewesen wäre, in der er Privatbeschäftige einer Pflegeeinrichtung gegen die Beschäftigten einer Diakonie habe verteidigen müssen.
So oder so: Man kann vor der Leistung des „Pflege-Azubis“ nur den Hut ziehen und sich wünschen, dass sich gerade die Alpha-Journalisten bei ihren Interviews mit führenden Politikern in Zukunft von Jorde die eine oder andere Scheibe abschneiden. Nicht, dass sie das nicht könnten. Sie müssten es aber wollen.