München schränkt die Informationsfreiheit ein
Der Stadtrat von München, einst berühmt als „Stadt der Bewegung“, will Veranstaltungen, in denen ein befristeter Boykott israelischer Waren erwähnt werden könnte, aus städtischen Räumen verbannen. Von diesem seltsamen und antidemokratischen Vorgang berichtet für die NachDenkSeiten der Publizist Rolf-Henning Hintze (München). Albrecht Müller.
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In München wird es künftig schwer sein, Kritik an der israelischen Regierungspolitik zu üben. Was seit Jahren zur politischen Kultur gehörte, soll demnächst nicht mehr möglich sein. Am 3. Oktober noch konnte die in Jerusalem geborene Publizistin Judith Bernstein, Tochter vor den Nazis geflüchteter deutscher Juden, im Münchner Kulturzentrum Gasteig einen Vortrag über „Jerusalem , das Herzstück des israelisch-palästinensischen Konflikts“ halten. Am kommenden Mittwoch wird das Plenum des Münchner Stadtrats ohne weitere Aussprache einer von SPD und CSU initiierten Vorlage zustimmen, die vor wenigen Tagen im Personal- und Verwaltungsausschuß der Stadt eine Mehrheit bekam. Die grüne Stadträtin Lydia Dietrich, die neben der Vertreterin der Linken als einzige gegen den Antrag stimmte, nennt das „Zensur“. Charlotte Knobloch dagegen, einflußreiche Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München, ist beglückt. Sie sei „ stolz, in einer Stadt zu leben, in der Geschichts- und Verantwortungsbewußtsein zu realer Politik werden“, erklärte sie der Süddeutschen Zeitung.
SPD und CSU, die in München eine Große Koalition bilden, ließen breiter Widerspruch aus unterschiedlichen Kreisen unbeeindruckt. Etwa der Widerspruch namhafter Intellektueller, die ihre Bedenken in einem Aufruf äußerten, den über 500 Münchner Bürger unterschrieben. Auch der Protest eines lokalen Bündnisses für das Recht auf freie Meinungsäußerung, das auf einer Pressekonferenz vor den Gefahren eines solchen Beschlusses warnte, ließen SPD und CSU keinen Millimeter einlenken. Auch ein Brief des nationalen BDS-Komitees aus Palästina (Boycott, Divestment, Sanctions), in dem Israels territoriale Integrität unterstrichen wird, blieb wirkungslos.
Der im Juli von SPD und CSU gemeinsam vorgelegte Antrag mit dem Titel „Gegen jeden Antisemitismus! – Keine Zusammenarbeit mit der antisemitischen BDS-Kampagne “ will künftig alle Veranstaltungen aus städtischen Räumen verbannen, in denen ein befristeter Boykott israelischer Waren erwähnt werden könnte. Ein Änderungsantrag der Münchner Grünen, wonach der Bann nicht für Veranstaltungen gelten sollte, die sich mit Inhalten und Zielen der Kampagne nur „befassen“ und der lediglich die BDS-Unterstützung untersagen wollte, erhielt eine deutliche Abfuhr. Dennoch stimmte Florian Roth, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, der Vorlage am Ende zu.
Im November appellierte die Humanistische Union Südbayern (HU) in einem Schreiben an die Stadträte, der Vorlage nicht zuzustimmen. Sie wies sie u.a. darauf hin, dass Referenten wie der israelische Journalist Gideon Levy („Haaretz“), der noch im Mai über „50 Jahre israelische Besatzung“ im Gasteig gesprochen hatte, künftig dort nicht mehr auftreten könne. Levy hatte auf eine Frage aus dem Publikum geantwortet, er halte den befristeten Boykott israelischer Waren auch durch Deutsche für legitim.
Die Humanistische Union schrieb auch, dass ihr schon jetzt städtische Räume für die Verleihung ihres Preises „Der aufrechte Gang“ an Judith und Reiner Bernstein mit dem Hinweis verwehrt wurden, dass Frau Bernstein der „Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe“ angehöre. (Die Gruppe befürwortet BDS).
Die drohende Einschränkung der Informationsfreiheit beunruhigt in München schon länger.
Ende September hatte sich eine Initiative „Hände weg von der Meinungsfreiheit in München!“ gebildet, deren Aufruf von 23 ErstunterzeichnerInnen, darunter prominente Künstler und Intellektuellen wie Lisa Fitz, Tilman Spengler, Anatol Regnier, Johano Strasser und Clemens Verenkotte, der frühere ARD-Korrepondent in Tel Aviv, getragen wurde. Innerhalb kurzer Zeit fand der Aufruf viel Unterstützung in der Bevölkerung und wurde den Stadträten und den Medien übergeben, ohne jegliche Resonanz.
Zwei Tage vor der entscheidenden Ausschusssitzung des Stadtrats wandte sich ein neues „Bündnis für das Recht auf freie Meinungsäußerung“ an die Medien. Seine Erklärung beginnt mit einem Zitat der Direktorin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Stefanie Schüler-Springorum: „Ich stehe BDS durchaus kritisch gegenüber, aber das heißt noch lange nicht, dass Gegenboykott und Verbote adäquate Mittel sind, wenn man so zentrale demokratische Werte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit ernst nimmt.“ Die Bündniserklärung verurteilt Rassismus jeglicher Couleur und Antisemitismus, warnt die Stadt aber davor „die grundgesetzlich garantierte Informations- und Meinungsfreiheit (GG Art. 5) zu verletzen.“ Auf der Pressekonferenz sagte Judith Bernstein in einer kurzen Einführung: „Verbote wie die im Stadtrat eingebrachten schüren antijüdische Ressentiments, weil sie den Eindruck erwecken, dass sogenannte interessierte Kreise dahinterstecken.“
Schon am 3. Oktober hatte die Publizistin den erwähnten Vortrag im Gasteig nur nach Einschaltung eines Gerichts halten können. Eine plötzliche fristlose Kündigung des Vertrags durch die städtische Gasteig GmbH konnte erst mit Hilfe einer Einstweiligen Verfügung wieder aufgehoben werden, nachdem die Veranstalterin, die Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik der Linken, vor Gericht ging . Der Andrang war dann so groß, daß fast 100 Interessierte keinen Einlaß mehr fanden.
Unter den Zuhörern befand sich auch CSU-Stadtrat Marian Offman, einer der stärksten Betreiber der Stadtratsvorlage. Während der Diskussion vertrat er die Ansicht, solche Veranstaltungen könnten zwar in privaten Räumen geführt werden, aber nicht in städtischen. Judith Bernstein sagte gegenüber den Nachdenkseiten, Offman habe sie nach der Veranstaltung beschuldigt, mit ihrer politischen Arbeit den Antisemitismus zu schüren.
Im Stadtrat holte Offman jetzt noch weiter aus. Die BDS-Kampagne wolle „den Untergang Israels“, erklärte er, und fügte hinzu: “Das wäre für mich und andere jüdische Menschen wie ein zweiter Holocaust. Dann wären wir wieder alleine.” Auf drei schriftliche Nachfragen der Nachdenkseiten zu seiner Rede antwortete er nicht.
Christian Vorländer, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, hatte bis Sonntag ebenfalls keine Zeit, um u.a. die Frage zu beantworten, ob der geplante Beschluss nicht im Widerspruch zur Bayerischen Gemeindeordnung steht, die allen Gemeindemitgliedern ein Recht zur Nutzung kommunaler Räume gewährt.
In der Stadtratsfraktion der Grünen wird die Vorlage von SPD und CSU unterschiedlich beurteilt. Es werde keinen Fraktionszwang geben, kündigte Fraktionschef Florian Roth an. Seine Fraktionskollegin Lydia Dietrich rechnet damit, dass mehrere Grüne gegen die Vorlage stimmen werden, in der SPD werde es aber wohl kaum abweichende Voten geben. Gegenüber den Nachdenkseiten sagte die Stadträtin, es sei „starker Druck“ auf sie ausgeübt worden. Von wem, wollte sie allerdings nicht beantworten.