Argentinien – Staatsgeheimnis und militärische Mutmaßungen über den Untergang des U-Bootes San Juan
Die Tragödie um das argentinische U-Boot ARA San Juan vertieft und verstrickt sich im Gewirr der Widersprüche und des Staatsgeheimnisses. Am vergangenen 30. November, 15 Tage nach dem spurlosen Abtauchen des von den Nordseewerken in Emden 1985 an Argentinien verkauften deutschen U-Boots vom Typ TR 1700, mit elektrischem Batterieantrieb, erklärte Kapitän Enrique Balbi, Pressesprecher der argentinischen Marine, die Hoffnung für begraben, dass die 44 Besatzungsmitglieder noch am Leben seien und teilte die Einstellung der Rettungsaktion mit, an der sich immerhin 14 Länder mit einem beachtlichen Aufgebot von Flugzeugen, Schiffen und Unterwasser-Ortungstechnologie beteiligten, jedoch bisher erfolglos. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.
Der Rettungsaktion für die U-Boot-Besatzung hatten sich u.a. Brasilien, die USA, Peru, Großbritannien, Kolumbien, Norwegen, Frankreich, Uruguay, Deutschland, Italien, Spanien und Russland angeschlossen. Russland entsandte eine Antonov An-124-Maschine mit einem ferngesteuerten Tauchboot “Panther plus”, außerdem das ozeanographische Forschungsschiff “Yantar”, ausgerüstet mit zwei Fahrzeugen, die in Meerestiefen von bis zu 6.000 Metern absinken können.
Nachdem das internationale Geschwader 1 Million Seemeilen zurückgelegt und das untersuchte Gebiet im Südatlantik in einer Tiefe von 300 Metern ohne positive Ergebnisse aufgerastert hatte, habe die argentinische Marine sich zur Änderung des SAR-Such-und Rettungs-Protokolls entschieden. Fortan, so Balbi, werde die Marine sich allein auf die Wiederfindung des U-Bootes konzentrieren und er entband das internationale Geschwader von der weiteren Hilfe. Sollte sich jedoch herausstellen, dass das U-Boot mehr als 500 Meter tief auf dem Meeresgrund liege, müssten sämtliche Operationen eingestellt werden.
Auf Geheimmission?
Nach einer umfangreichen Generalüberholung, zwischen 2007 und 2014, war das San-Juan-U-Boot erst seit zwei Jahren wieder in Betrieb.
Die offizielle Version für das Verschwinden des U-Boots stützt sich auf die letzte Radioverbindung mit dem Schiff, bei der am Spätabend des 14. November ein Brand an Bord gemeldet wurde, der durch Eindringen von Meereswasser durch den Schnorchel zwar einen Kurzschluss einzelner Antriebsbatterien verursacht, jedoch nicht die Weiterreise behindert habe. Der letzte Kontakt des 45-jährigen U-Boot-Kapitäns Pedro Martín Fernández wurde um 07:30 Uhr am 15. November protokolliert, als sich die San Juan auf halber Rückfahrt von Ushuaia (Feuerland) zum Marine-Stützpunkt Mar del Plata befand, circa 240 Seemeilen (432 km) vom Golf von San Jorge, am Festland, entfernt.
Mit anderen Worten: Das U-Boot navigierte 40 Seemeilen außerhalb der argentinischen 200-Meilen-Zone in internationalen Gewässern und damit knapp an der Grenze zur maritimen Sperrzone rund um die 595,3 Seemeilen vom Festland entfernten und von Großbritannien militärisch schwer bewachten Malwinen-Falkland-Inseln, um deren Besitz es 1982 zu einem verheerenden Krieg zwischen Argentinien und dem NATO-Land gekommen war.
Jedoch wenige Stunden nach Fernández´ letztem Lebenszeichen registrierten Sonargeräte ein „explosionsartiges Ereignis” auf dem vorgegebenen Unterwasser-Kurs des U-Bootes, das die argentinische Marine bestätigte.
Als zweiter Regelverstoß paarte sich zum unverständlichen Kurs von ARA San Juan die Meldung, anstatt der maximal zulässigen 37 befänden sich 44 Besatzungsmitglieder an Bord. Als 7 irreguläre Mitfahrer seien 6 Kampftaucher und ein Geheimdienst-Agent der Marine zugestiegen, erzählte der Bruder eines der 37 Besatzungsmitglieder (Submarino argentino llevaba más tripulantes de lo permitido – Telesur, 26.11.2017).
Spannungen mit Großbritannien eskalieren
Doch weder erklärte die Marine die gefährliche Überbesetzung in dem engen Boot, noch weshalb ARA San Juan so weit vom Festland entfernt, am Rande der kontinentalen Plattform gesteuert wurde, wo eine bedrohliche, 6 Kilometer tiefe Schlucht in die Abgründe des stürmischen Südatlantik führt.
„Die Marine gibt nicht alles bekannt, was sie weiß”, erklärte der einflussreichen, konservativen, argentinischen Tageszeitung La Nación im off the record ein hoher Beamter, der an der Suchaktion des U-Boots beteiligt war (Buscan determinar qué indicaciones recibió el submarino – La Nación, 03.12.2017). Die für die Aufklärung der mysteriösen Umstände angerufene Bundesrichterin Marta Yáñez signalisierte ferner ein Misstrauen zwischen Regierung und Marine: „Was durchgesickert ist, scheint einige Leute in der Marine und im Verteidigungsministerium zum Handeln bewegt zu haben, weil sie vorgeben, der Unfall sei Staatsgeheimnis, oder weil sie sich gegenseitig widersprechen, was das Handeln der Justiz wiederum nicht sonderlich leichtmacht”.
Was die Streitmacht und die Regierung nicht zugeben wollten und die offiziellen Medien nicht ausreichend recherchierten ist, dass das San-Juan-U-Boot von einem spannungsgeladenen Militärmanöver vom Feuerland zurückkehrte. „Die Zerstörer der argentinischen Marine sind mit Exocet-Raketen ausgerüstet und werden im Rahmen des Manövers (Anm.: das schrottreife) ARA ´Somellera´ mit diesen Raketen versenken. Zum ersten Mal nach 20 Jahren feuerte die Marine im Jahr 2016 von einem MEKO-360-Zerstörer Exocet-Raketen ab, um die ARA ´Krause´ zu versenken“, feierte Anfang November ein den Streitkräften nahestehender Blog (La Flota de Mar despliega su esplendor en Ushuaia – Poderío Militar, 09.11.2017).
Gemeint war die Übung „Etapa del Mar III“ („Meeresetappe III“), die in den ersten Novembertagen in Ushuaia abgehalten wurde und zwar „im Kontext der bestehenden Spannungen mit Großbritannien…, nachdem letztgenanntes Land die Durchführung eines Rapier-Raketentests auf den Falklandinseln ankündigte“, erklärte Poderío Militar. Der zwischen dem 30. Oktober und dem 03. November geplante britische Test war wiederum eine Reaktion auf den argentinischen Kauf von 6 französischen Kampfjets (Falklands Islands to be protected by £78m missile shield after Argentina signs contract to buy new fighter jets – Mail Online, 22.11.2017).
Das argentinische Außenministerium lehnte die britischen Absichten in aller Schärfe mit der seit rund 200 Jahren vorgetragenen Begründung ab, die geplanten Tests seien auf vom Vereinigten Königreich illegitim besetzten argentinischen Territorium geplant. Großbritannien respektiere keinerlei Resolutionen der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen, die beide Länder seit vielen Jahren dazu auffordern, Verhandlungen wieder aufzunehmen, um eine friedliche und endgültige Lösung des Souveränitätsstreits herbeizuführen. Die bestehenden Spannungen eskalieren damit erneut.
Staatsgeheimnis nährt weitere Mutmaßungen
Fern des medialen Mainstreams wurden unterschiedliche Szenarien als Ursache für die U-Boot-Katastrophe diskutiert, eine davon stellte Verbindungen zu den USA her. Im vergangenen Oktober führte die 4. Flotte der US-Marine gemeinsam mit der chilenischen Marine das „Chilemar VII“-Manöver durch, das die Rettung gesunkener U-Boot-Besatzungen erprobte. Ähnliche Manöver sollten im Anschluss unter dem Codewort „Cormorán“ von den USA und Argentinien durchgeführt werden. Die Übungen bestanden aus U-Boot-Erkennung und Kampfpraktiken.
Nachdem die geplanten Manöver im Senat angenommen worden waren, wurden sie jedoch von der Abgeordnetenkammer nicht ratifiziert, ebenso wenig die geplanten SUB-SAR Übungen mit Brasilien, die die Rettung eines U-Boots der ARA SanJuan TR-1700-Klasse zum Gegenstand hatten. Diese Annahme besagt, dass gemeinsame Übungen mit der US-Marine, auch mit der Royal Navy durchgeführt wurden, jedoch hinter dem Rücken des argentinischen Parlaments. Während dieser Übungen hätte ARA San Juan „aus Versehen“ von einem „befreundeten“ Torpedo getroffen worden sein können.
Mit Nachdruck wird in Argentinien darauf hingewiesen, dass die USA seit Jahren das südamerikanische Land für die Zulassung von drei US-Militär-Stützpunkten nötigen, einer davon auf dem Feuerland.
Eine weitere Hypothese erwägt die Kollision mit einer alten oder neuen Unterwasser-Mine als „Vermächtnis des Malvinas-Falkland-Krieges“. Eine solche Mine könne sich aus ihren Verankerungen und Bojen lösen und im Meer verlieren, erklärte Vasili Dandikin, Kapitän der russischen Marine, die durchaus plausible Annahme (Hipótesis sobre el ARA San Juan – Sputnik, 02.12.2017).
Die erste Reaktion der argentinischen Marine war, keine Ursachen-Hypothese während der Suche nach dem U-Boot auszuschließen, doch vor ein paar Tagen erklärte deren Sprecher, Kapitän Enrique Balbi, „es gäbe keine Anzeichen externer Angriffe oder von U-Boot-Minen“, die die Explosion an Bord verursacht hätten. Auffällig ist, dass es jedoch auch umgekehrt keine Beweise dafür gibt, dass Minen- oder Abschuss-Hypothesen ausgeschlossen werden sollten.
Als weitverbreitete Annahme, gar Behauptung in der argentinischen Bevölkerung, wird ein Torpedoangriff der britischen Royal Navy erwähnt. Diese Spekulation entspringt dem seit Jahrzehnten schwelenden diplomatischen Konflikt über die Besetzung des Malwinen-Archipels durch Großbritannien und der damit verbundenen Militarisierung des Südatlantiks durch das NATO-Land, dessen atombetriebene und atomar bestückte U-Boote ungehindert auf- und abfahren. Was, wenn sich das San-Juan-U-Boot in geheimer Spionage-Mission in der Nähe der Malwinen-Falkland-Inseln herumtrieb und von der britischen Marine gejagt und mit Torpedos versenkt wurde?, fragen sich die Menschen.
Bundesrichterin Marta Yáñez erklärte immerhin, sie schließe einen externen Angriff nicht aus. Die Marine habe ja die Pflicht, die Sicherheit der Küste zu gewährleisten, also könne es sich tatsächlich um eine vertrauliche Mission gehandelt haben. Sie bat die Marine und das Verteidigungsministerium um eine Stellungnahme, erhielt jedoch bis zum vergangenen 2. Dezember keine Antwort.