Atlantik-Brücke: Nicht-legitimierte Privatpersonen nehmen Einfluss auf die Politik Deutschlands und den USA
Die Atlantik-Brücke ist ein „ehrenwerter Verein“. Darüber waren sich Claus Kleber, der Chef des ZDF „Heute Journals“, und Noch-Außenminister Sigmar Gabriel trotz einiger Differenzen zuvor im ‘Polit-Talk’ bei Maybrit Illner (ab Minute 57:20) einig. Atlantik-Brücke? Was ist das? Wer sich nicht gerade mit Elitezirkeln und Elitenetzwerken auseinandersetzt, dürfte als Zuschauer bei der Unterhaltung, in der Kleber etwas von Vorwürfen und Verschwörungstheorien sagte, mit den Schultern gezuckt haben. Die Moderatorin, sonst oft bemüht, die Zuschauer ‘mitzunehmen’ und Unverständliches aufzuklären, hielt sich mit einer Erläuterung zur Atlantik-Brücke zurück. Das ist auch der Historikern Anne Zetsche aufgefallen. Zetsche, die als Gastwissenschaftlerin am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin arbeitet, hat zur Atlantik-Brücke ihre Doktorarbeit verfasst. Im Interview mit den NachDenkSeiten gibt sie einen Einblick in ihre Forschungsarbeit und zeigt auf, dass die Atlantik-Brücke nicht einfach nur ein Verein ist, bei dem es um Kaffeekränzchen geht. Das Interview führte Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Frau Zetsche, Sie haben Ihre Doktorarbeit über die Atlantik-Brücke geschrieben.
Was ist die Atlantik-Brücke?
In meiner Doktorarbeit habe ich die Geschichte der Atlantik-Brücke und ihrer Schwesterorganisation American Council on Germany (ACG) von 1949 bis 1974 und ihre Rolle in den deutsch-amerikanischen Beziehungen untersucht. Die Atlantik-Brücke war und ist ein Organ der transatlantischen Elitenvernetzung und –koordination, wobei sie auch im nationalen bzw. innenpolitischen Bereich wichtige vermittelnde und integrierende Funktionen hat. So bringt sie eben die Arbeitgeberseite mit den Gewerkschaften zusammen und auch Politiker*innen aller etablierten Parteien.
Wie kam es dazu, dass Sie sich mit der Atlantik-Brücke überhaupt so intensiv beschäftigen wollten?
Meine Recherchen zur Atlantik-Brücke habe ich bereits während meines Magistrastudiums begonnen, als ich auf der Suche nach einem Thema für meine Abschlussarbeit war. Ich habe damals ein Buch über die RAF gelesen. In einem Kapitel ging es um einige prominente Opfer, die entweder Mitglied der Atlantik-Brücke waren oder ihr zumindest nahestanden. In der gleichen Zeit erzählte jemand, dass die Atlantik-Brücke auch Kees van der Pijl („The Making of an Atlantic Ruling Class“) umtreibt bzw. er auf der Suche nach Literatur über diese Organisation ist. Da habe ich erst einmal mit einer ganz banalen Onlinerecherche angefangen und landete zunächst nur auf Webseiten, die wohl eher von Anhängern von Verschwörungstheorien betrieben werden. Auf etwas wirklich Brauchbares bin ich nicht gestoßen, aber ich war angefixt. Tatsächlich hatte die Arbeit über die Atlantik-Brücke und den American Council on Germany in weiten Teilen etwas von Investigativ-Journalismus. Beide Organisationen verfügen nach eigenen Angaben über keine Archive. Ich wollte nun aber einfach mehr und genaueres über diesen Verein wissen, der in Berlin am Kupfergraben residiert in direkter Nachbarschaft zur Berliner Wohnung der Kanzlerin, der so viele prominente Politiker*innen und Konzernchefs zu seinen Mitgliedern zählt, über den aber so wenig bekannt ist. Obwohl, zum 50-jährigen Bestehen hat die Atlantik-Brücke ja eigens eines ihrer Mitglieder, Ludger Kühnhardt, beauftragt, ihre Geschichte zu schreiben („Atlantik-Brücke: Fünfzig Jahre deutsch-amerikanische Partnerschaft 1952-2002“).
Worauf haben Sie sich in Ihrer Arbeit konzentriert?
Nun zunächst hat mich interessiert, wer diese Organisation mit welchen Absichten gegründet hat, wer ihre Mitglieder waren, wie sie sich finanziert hat und was sie eigentlich gemacht hat. Dann hat mich interessiert, welche Rolle die Atlantik-Brücke und der ACG in den deutsch-amerikanischen Nachkriegsbeziehungen gespielt haben. Waren sie mit verantwortlich für die relativ schnelle Annäherung der ehemals verfeindeten Nationen und dann entstehenden Partnerschaft zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten, die ja noch heute Bestand hat? Darüber hinaus hat mich aber auch der soziologische Aspekt interessiert, also die Zusammensetzung der Mitglieder. Es ist also auch eine Elitestudie geworden, die zeigt, wie eng private, nicht demokratisch legitimierte Persönlichkeiten mit öffentlichen Amtsträgern, Politikern und Diplomaten zusammengearbeitet und somit die internationalen Beziehungen mitgestaltet haben.
Manchmal kann es sinnvoll sein, an die Anfänge zurückzugehen, oder?
Ja, sicher, nach Ursachen und Ursprüngen zu forschen, ist für mich ein Antrieb als Historikerin. Ich habe mich schon gefragt, warum die Gefolgschaft Deutschlands gegenüber den Vereinigten Staaten (und Schröders Absage an Bush in Sachen Irak-Krieg ist die Ausnahme und damit die Bestätigung der Regel) quasi ein ungeschriebenes Gesetz ist? Und wenn Sie sich mit den Ressentiments der Deutschen gegenüber den Amerikanern seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert beschäftigen, die Bestand hatten bis in die Nachkriegszeit, dann ist es eben keine naturgegebene Entwicklung, dass Deutsche und Amerikaner Partner im Kalten Krieg wurden. Es ist schon beachtlich, wie schnell die Amerikaner bereit waren, sich quasi mit den Deutschen zu versöhnen, sie von Feinden zu Freunden oder doch wenigstens Partnern wurden. Die geopolitischen Erklärungen für die Entstehung des Kalten Krieges und die damit verbundene Blockbildung sind bekannt. Doch erklären sie nicht, wie sich auf gesellschaftlicher und individueller Ebene Ablehnung, Abscheu und Ressentiments wandeln. Rückblickend dürfen wir nicht unterschätzen, welche Abscheu viele Amerikaner den Deutschen entgegengebracht haben, spätestens seit immer mehr Details über den Holocaust und den Krieg im Osten bekannt wurden. Trotzdem wurde das Feindbild recht schnell ausgetauscht und an die Stelle der Deutschen traten die Russen. Auch ist nicht zu unterschätzen, wie skeptisch politische Eliten, aber auch die Öffentlichkeit in den USA gegenüber den Deutschen war. Die Ansicht, dass die Deutschen quasi genetisch zu Militarismus neigen und autoritätshörig und damit schlicht nicht für die Demokratie gemacht, war weit verbreitet. Die Deutschen mochten die Amerikaner den sowjetischen Besatzern vorziehen. Doch hieß das nicht, dass sie vorbehaltlos gegenüber ihnen waren. Die Ansicht, dass die Amerikaner alle kultur- und anstandslose Zeitgenossen waren und die Ablehnung der USA als Hort des entgrenzten Kapitalismus und ungezügelten Individualismus waren in allen Bevölkerungsteilen zu finden und kein herausstechendes Merkmal von Sozialdemokraten und Kommunisten.
Was haben Sie in Ihrer Forschung festgestellt?
Die Atlantik-Brücke und der ACG waren Schlüsselakteure für das Initiieren und Gestalten transatlantischer Elitenetzwerke im Kalten Krieg. Als integrative Bestandteile dichter transnationaler privat-staatlicher Netzwerke haben sie verschiedene Funktionen in Bezug auf die westdeutsch-amerikanischen Beziehungen von den 1950er bis in die 1970er Jahre inne gehabt. So haben sie einerseits Öffentlichkeitsarbeit für die junge Bundesrepublik in den Vereinigten Staaten gemacht, also geholfen, das neue Image eines jungen, demokratischen Staates zu prägen. Gleichzeitig haben sie aber auch in Deutschland geholfen, amerikanische Politik zu vermitteln und zu erklären. Darüber hinaus waren Mitarbeiter beider Organisationen auch als informelle Diplomaten tätig; haben bei Konflikten vermittelt und sich als Politikberater betätigt. Ihre Aktivitäten finanzierten sie aus einem Mix aus öffentlichen und privaten Geldern. Auf deutscher Seite unterstützte sie über viele Jahre das Bundespresseamt und das Auswärtige Amt und auf amerikanischer Seite die Ford Foundation (dazu ausführlicher). Insbesondere für die Atlantik-Brücke waren aber die zahlungskräftigen Vertreter der Industrie in den Reihen ihrer Mitglieder die wichtigsten Finanziers, die letztlich auch geholfen haben, die amerikanische Partnerorganisation über Wasser zu halten. Die westdeutschen Vertreter von Wirtschaft und Industrie hatten ein ungleich größeres Interesse an guten Beziehungen mit den Vereinigten Staaten als die Amerikaner.
Was noch?
Drei zentrale nachhaltige Entwicklungen haben die beiden Organisationen durch ihre jahrelange Arbeit angestoßen und mitgestaltet. Erstens haben sie dazu beigetragen, einen verlässlichen und nachhaltigen überparteilichen außenpolitischen Konsens (Deutschlands Westintegration, Nato-Mitgliedschaft) zu etablieren, dessen Kern die guten deutsch-amerikanischen Beziehungen sind. Um das zu erreichen, musste sich die westdeutsche Sozialdemokratie vom Anti-Militarismus, Neutralismus und Sozialismus verabschieden. An dieser Entwicklung hatten transatlantische Elitennetzwerke einen nicht geringen Anteil. Zweitens in ihrer Rolle als Eliten-Koordinatoren haben die beiden Organisationen dabei geholfen, den Konsens über die transatlantische Partnerschaft abzusichern, indem sie ihn auch Wirtschaftskreisen in Deutschland und den USA vermittelt haben. Drittens haben sie ihre zahlreichen Verbindungen und Beziehungen zu Medienvertretern und Wissenschaftlern genutzt, um diesen Konsens auch im öffentlichen Diskurs zu verankern.
Wie bewerten Sie die Atlantik-Brücke? Was gilt es kritisch zu sehen?
Die Idee zur Gründung der Atlantik-Brücke und des ACG entstand schon wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die zentralen Gründungsfiguren waren Amerikaner und Deutsche. Unter ihnen war Eric Warburg, ein deutsch-jüdischer Banker, dessen Familie 1938 enteignet wurde und in die USA emigrierte. Dort nahm er die amerikanische Staatsbürgerschaft an; kehrte aber in den 1950er Jahren nach Deutschland zurück. Christopher Emmet war ein wohlhabender New Yorker Intellektueller und politischer Aktivist, der vor dem Zweiten Weltkrieg lange in Deutschland gelebt hatte. Auf deutscher Seite gehörten zu diesem Kreis die Journalistin und spätere Herausgeberin der Wochenzeitung DIE ZEIT Marion Gräfin Dönhoff und der Hamburger Kaufmann und CDU-Politiker Erik Blumenfeld. Diese vier sind mit dem Anspruch angetreten, zwei Organisationen zu etablieren, die sich für Versöhnung und die Entwicklung guter und freundschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschen und Amerikanern und vielleicht noch wichtiger zwischen der neu gegründeten Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten einsetzen. Diese vier Personen waren auf beiden Seiten des Atlantiks gut vernetzt und haben so einen Beitrag geleistet, auf beiden Seiten Vorurteile abzubauen. Die Organisationen haben einen Anteil zumindest am Aufweichen anti-amerikanischer Einstellungen in westdeutschen Elitenkreisen nach dem Zweiten Weltkrieg. In den USA hat der ACG stark dazu beigetragen, ein neues Image der Deutschen zu etablieren. Die Deutschen sind trotz ihrer Vergangenheit demokratiefähig. Das sind sicherlich positive Aspekte des Wirkens dieser Organisationen. Ich denke, dass die Etablierung einer einigermaßen stabilen Nachkriegsordnung und eines demokratischen politischen Systems in der BRD erst die Voraussetzungen geschaffen hat, dass die nächste Generation sich ernsthaft der wirklichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands stellen konnte.
Was ich allerdings kritisch sehe, ist der Charakter des gemeinsamen Projekts. Es war eben ein transatlantisches Eliteprojekt. Es hatte keinen emanzipatorischen, progressiven Anspruch. Die Annäherung, die Vernetzung zwischen Amerikanern und Deutschen, die von der Atlantik-Brücke und dem ACG betrieben wurde, schließt weite Bevölkerungsteile aus. Mitglieder waren größtenteils Vorstandsvorsitzende großer Konzerne und Banken und Politiker; zu einem geringeren Teil Journalisten (wobei Marion Dönhoff bis in die 1970er Jahre hinein die einzige Frau in den Reihen der Atlantik-Brücke war) in leitenden Positionen der Leitmedien. Die Veranstaltungen der beiden Organisationen ermöglichen und fördern den privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsträger*innen für Vertreter aus der Wirtschaft und Medienleuten. Über diese Zirkel können also schon seit den 1950er Jahren demokratisch nicht-legitimierte Privatpersonen Einfluss auf die Politik Deutschlands und der USA nehmen. Aufgrund der besonderen Mischung der Mitglieder fungierten die beiden Organisationen auch als Lobbyorganisationen (deep lobbying) für die transatlantische Partnerschaft/ Gefolgschaft und für die Nato.
Vor kurzem hat der Chef des ZDF-„Heute Journals“, Claus Kleber, bei Maybrit Illner über seine Mitgliedschaft in der Atlantik-Brücke gesprochen. Sowohl er als auch Noch-Außenminister Sigmar Gabriel sind zu dem Ergebnis gekommen: Ein ehrenwerter Verein. Die Moderatorin hakte auch nicht weiter nach. Ist es wirklich so einfach?
Ich fand es ehrlich gesagt auch erstaunlich, dass nicht einmal in einem Nebensatz erklärt wurde, was die Atlantik-Brücke ist. Jeden englischen Begriff, der im Laufe der Sendung fiel, hat Frau Illner übersetzt. Bei der Erwähnung der Atlantik-Brücke hat es offenbar gereicht, dass Herr Gabriel, Herr Kleber und Frau Illner Bescheid wussten. Wobei ich mir sehr sicher bin, dass auch Bernhard Mattes (Präsident der AmCham Deutschland) und Erik Kirschbaum (US-Journalist) den Verein kennen oder gar Mitglied sind. Und auch Frau Domscheit-Berg ist er vermutlich ein Begriff. Schließlich ist auch ihr Fraktionskollege Stefan Liebich Mitglied in der Atlantik-Brücke (Stichwort integrative Funktion). Ich glaube aber nicht, dass alle Zuschauer wussten, worum es in den folgenden Minuten ging. Nun als ehrenhaft verstehen sich Mitglieder und Mitarbeiterinnen der Atlantik-Brücke, weil sie sich ja um die Verständigung zwischen Ländern und Menschen einsetzen. Die Frage ist ja aber, wenn das alles so ehrenhaft ist, warum macht die Atlantik-Brücke so ein Geheimnis um ihre Mitglieder? Es müssten sich ja alle sehr geehrt fühlen, dort Mitglied sein zu dürfen. Interessanter fand ich Claus Klebers Reflex, Verschwörungstheoretiker heranzuziehen, die in der Atlantik-Brücke, der Trilateralen Kommission, den Bilderbergen eine geheime Weltregierung sehen.
Warum?
Damit wird jegliche konstruktive und kritische Auseinandersetzung mit diesen Eliteorganisationen sofort diskreditiert. Gern werden die Veranstaltungen der Atlantik-Brücke zu Kaffeekränzchen verklärt, die keinerlei Einfluss auf irgendetwas haben. Warum gibt es sie dann? Ein weiteres Argument, das Herr Kleber anbrachte, nirgends würde die USA schärfer kritisiert als auf solchen Veranstaltungen, greift viel zu kurz und bleibt an der Oberfläche. Gewiss treffen dort verschiedene Argumente und Positionen aufeinander, aber immer nur in einem festen vorgegebenen Rahmen. Dass die Nato weiterhin erhalten werden muss, dass Deutschland stärker aufrüsten muss, das wird nicht hinterfragt. Für meine Doktorarbeit habe ich auch die von Atlantik-Brücke und ACG seit 1959 organisierten Deutsch-amerikanischen Konferenzen untersucht. Nicht-öffentlich wurden dort alle zwei Jahre weltpolitische Probleme und auch Fragen der deutsch-amerikanischen Beziehungen diskutiert; der Vietnam-Krieg allerdings nicht.
Wie sehen Sie die Mitgliedschaft von Journalisten in der Atlantik-Brücke?
Ich sehe das durchaus kritisch und frage mich auch, warum Journalisten das machen. Ist das nur Teil ihrer Hintergrundrecherchen? Wollen sie wissen, wie die Eliten ticken? Aber warum verlassen sie dann nie oder nur selten den abgesteckten Diskursrahmen, wenn sie über transatlantische Fragen berichten? Sehr zu empfehlen, ist zu diesem Thema die Studie des Leipziger Journalismusforschers Uwe Krüger, die sich kritisch mit der Frage auseinandersetzt, welchen Einfluss die Elitekreise auf Journalisten der Leitmedien haben.
Anmerkung der Redaktion: Hier und hier findet sich ein Einblick in die Arbeit von Anne Zetsche.