Christian Lindner – „unser“ Jörg Haider
Nehmen Sie Christian Lindner eigentlich ab, dass er die Jamaika-Sondierungen wegen inhaltlicher Differenzen hat platzen lassen? Schon der Gedanke daran ist recht amüsant. Machtmensch Lindner verfolgt zwar eine Ideologie, aber eigentlich ist doch er selbst das Programm seiner Partei, die schon den Wahlkampf voll und ganz auf den Parteichef zugeschnitten hat. Und Lindner will mehr. Er will schon bald „auf Augenhöhe“ mit den Mitbewerbern von Union und SPD sein. Ein Vorhaben, das er offenbar vor allem am rechten Rand verwirklichen will. Auch wenn es viele Beobachter sicher noch nicht wahrhaben wollen: Christian Lindner ist „unser“ erster rechtspopulistischer Politiker mit Zukunft; er ist „unser“ Jörg Haider. Von Jens Berger.
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Dass Christian Lindner noch große Ziele hat, ist offensichtlich. Seit dem frühen Tod des ehemaligen Parteichefs Westerwelle, dem Abtritt der Generation Brüderle und dem Aufstieg der Lindner-Konkurrenten Rösler und Bahr in sicherlich exquisit bezahlte Jobs in der Privatwirtschaft, ist die FDP de facto eine Lindner-Partei, deren Programm eine untergeordnete Rolle spielt und die bereits den Wahlkampf ganz auf ihren jungen Chef zugeschnitten hatte. Kein Wunder, da das klassische Programm der FDP nicht mehr ihr Alleinstellungsmerkmal ist. Mit dem Drang in die neue, neoliberale Mitte hat ein breites Spektrum von SPD über CDU/CSU bis hin zu den Grünen neoliberale Kernforderungen adaptiert und mit dem Neuzugang AfD ist der Bundestag sogar um eine weitere waschechte neoliberale „Ultrapartei“ reicher. Auf diesem Feld ist – zumindest aus Sicht der Wahlkampfstrategen – nicht mehr viel zu gewinnen. Also wirbt man mit dem jungen Parteichef mit Dreitagebart und offenem Hemd und nicht mehr mit ausgelutschten Slogans von mehr Netto vom Brutto und Leistung, die sich wieder lohnen muss. So hat man vor zehn Jahren Neoliberalismus verkauft.
Christian Lindners Ego ist mindestens ebenso groß wie die legendären 18%-Aufkleber unter der Sohle von Guido Westerwelle und Christian Lindner hat es gelernt – oder besser „hat es lernen müssen“ – in langfristigen Kategorien zu denken. Während Merkels Ära sich dem Ende neigt, SPD-Kandidaten traditionell nur eine sehr geringe Amtszeit haben, Grüne ohnehin ständig rotieren und Heckenschützen innerhalb der Linkspartei eine zu starke Fokussierung auf die De-Facto-Frontfrau Wagenknecht bislang stets zu verhindern wussten, kann der erst 38jährige Linder auch schon mal für die nächsten oder gar übernächsten Wahlen taktieren. Und Lindner denkt in größeren Kategorien als 10%. Er will seine Partei „auf Augenhöhe“ zu den zwei Großen hieven und das will er offensichtlich mit Hilfe der künftigen Ex-AfD-Wähler erreichen. Ein Plan, der durchaus aufgehen könnte.
In Deutschland hieß es beim Thema „Rechtspopulismus“ stets, wir hätten bis dato lediglich Glück gehabt, dass es bei uns keine charismatische Figur gibt, die von den Medien geliebt wird und die rechtspopulistische Klaviatur so gekonnt spielen kann, dass niemand merkt, was dort eigentlich so verführerisch klingt. Wenn auch „wir“ hier einen Jörg Haider hätten, könne auch in Deutschland niemand dafür garantieren, dass es hier rechts der Union noch 20% oder gar 30% Stimmen geben könnte. Offenbar hat kaum jemand gemerkt, dass wir diese Situation schon heute haben: AfD und FDP haben zusammen 23%, nur dass nur wenige Beobachter diese beiden Parteien zusammenfassen. Wieso eigentlich?
Die linksliberalen Positionen des alten Bürgerrechte-Flügels der FDP vertreten heute die Grünen. Die FDP ist im Kern neoliberal, die AfD ebenfalls. AfD-Frontfrau Alice Weidel könnte als Ex-Goldman-Sachs- und Ex-Allianz-Global-Investors-Managerin und Mitglied der Hayek-Gesellschaft ohne weiteres auch bei der FDP Karriere machen und zwischen Lindners Position bei der Asylthematik und den Positionen der AfD passt auch kaum ein Blatt. Als letztes Alleinstellungsmerkmal hat die AfD indes noch ihren „Schmuddelflügel“ rund um den Ewiggestrigen Björn Höcke, der jedoch in der eigenen Partei ebenfalls schwer in der Kritik ist – sehr zur Freude der FDP.
Große Teile der FDP, aber auch der AfD, sind ja nicht per se fremdenfeindlich. Gegen Unternehmensberater aus der Türkei, Chirurgen aus dem Iran, IT-Ingenieure aus Bangladesch oder Investmentbanker aus Nigeria haben weder die AfD noch die FDP etwas. Wir haben es hier eher mit einem „Nützlichkeitsrassismus“ zu tun, der freilich in der beim Wähler besonders beachteten Asylfrage besonders deutlich zu Tage tritt und sich sehr gut eignet, auch die Stimmen überzeugter Rassisten für sich zu gewinnen, ohne gleichzeitig im bürgerlichen oder gar liberalen Lager allzu viele Stimmen zu verlieren. Diese Fähigkeit beherrscht ein Christian Lindner recht gut, er ist nun einmal ein „moderner Rechtspopulist“.
Daher muss man auch beim Begriff „Rechtspopulismus“ differenzieren. Es gibt den autoritären, den „alten“ Rechtspopulismus, der einen starken Staat vorsieht, den in Europa zum Beispiel Marine Le Pen und Viktor Orbán vertreten. Und es gibt den neoliberalen – oft sogar libertären – Rechtpopulismus, für den z.B. Geert Wilders oder die „Freiheitlichen“ in Österreich stehen, die seit Jörg Haider eine politische Größe sind. Interessanterweise werden diese neoliberalen Rechtspopulisten von den Medien und der Gesellschaft keinesfalls so sehr ausgegrenzt wie die alten Rechtspopulisten, die nicht so viel von Märkten halten, die stärker als Staaten sind.
Jörg Haider war der erste Rechtspopulist in der Nachkriegszeit, der im deutschsprachigen Raum mit Charisma und „Schmäh“ daherkam und von den Medien nicht so einfach in die „Nazi-Schublade“ gepackt werden konnte. Der deutsche Haider heißt Christian Lindner. Lindners Ziel scheint es nun zu sein, mit Hilfe der Stimmen der AfD-Wähler aus der FDP eine deutsche FPÖ zu machen, die bald auch auf Augenhöhe mit dem einzig denkbaren Koalitionspartner ist.
Für dieses Vorhaben wäre eine „Jamaika-Koalition“ – zusammen mit den „Gutmenschen“ der Grünen – natürlich kontraproduktiv; vor allem dann, wenn die AfD sich aus der Opposition heraus profilieren kann. So gesehen war der Bruch der Sondierungen eigentlich logisch. Und er war auch noch ganz im Sinne Lindners Strategie, da es sich mittlerweile vor allem im AfD-Milieu durchaus herumgesprochen hat, dass die FDP bei den Sondierungsverhandlungen sogar die CSU rechts überholt hat.
Und nun geht es Richtung Schwarz-Rot. Ein weiterer wichtiger Schritt für Lindners Traum. Der eigentliche Gewinner einer großen Koalition ist nämlich Christian Lindner. Er kann sich als oppositioneller deutscher „Politiker neuen Typs“ profilieren und der ohnehin gesellschaftlich geächteten AfD die Wähler abnehmen. Und wenn 2021 erneut auf Bundesebene gewählt wird, könnte er bereits auf Augenhöhe mit der Union sein, die dann womöglich mit Karl-Theodor zu Guttenberg einen weiteren „Politiker neuen Typs“ als Kanzlerkandidaten aufstellt. Und wer sich jetzt noch abseits der Internetkommentarbereiche schämt, öffentlich zuzugeben, die AfD gewählt zu haben, kann schon bald stolz darauf sein, zur modernen Elite der FDP-Wähler zu gehören.