Wehe, Sie zweifeln daran, dass unsere Demokratie noch lebt …
… dann werden Sie sofort für nicht ganz zurechnungsfähig oder zum Verschwörungstheoretiker erklärt. So erging es am Dienstag dem Vorsitzenden der Links-Fraktion im Deutschen Bundestag bei „Illner Intensiv“ im ZDF und hinterher leider auch in der Frankfurter Rundschau und ähnlich in der Welt. (Siehe heutigen Hinweis Nr. 11f.) Die Sendung war eine einzige Zumutung, auf Manipulation und Umsetzung der ausgedachten Kampagne angelegt. Besonders interessant ist die Empörung über Lafontaines Zweifel daran, ob wir es mit einer richtigen Demokratie zu tun haben, wenn zehn reiche Familien über ihre Medien bestimmen, was zu geschehen hat. Über diese Feststellung regen sich viele Journalisten von Maybritt Illner bis zu den Redakteuren von FR und Welt auf, als würde man ihnen das Liebste nehmen. Das ist bemerkenswert und typisch zugleich. Albrecht Müller
Journalisten sind sauer, wenn man ihre Methoden beschreibt
Im konkreten Fall waren die Vorankündigung des ZDF, die Einleitung von Frau Illner, der Einspielfilm zu Beginn und eine Reihe von Anmerkungen und Fragen Illners während der Sendung als konsequent verfolgter Teil einer Kampagne zu erkennen. Die Hauptbotschaft, die übergebracht werden sollte, lautete: in der Linken tobt ein unerbittlicher Richtungskampf. Im Westen herrschen die Radikalen, die Verrückten (Illner). Diese sind gerade dabei, im Verein mit einigen Zombies im Osten die Macht zu übernehmen. Und: Sie stellen die Demokratie infrage.
Das sind die Botschaften, die den Menschen unabhängig von der Realität eingetrichtert werden. Sie sind wirklich absurd, wenn sie im Kern auf die Feststellung hinauslaufen, wesentliche Teile SED-Kader aus dem Osten seien die Guten und die im Westen zu ihnen Gestoßenen um Lafontaine und Ulrich Maurer seien die Bösen. Absurder geht es nicht. Das ist reiner Kampagnenjournalismus. Er zieht sich durch viele Sendungen und Artikel, durchs Sommerinterview des ZDF genauso wie bei Illner zum Beispiel.
Da es sich hier um Kampagnenjournalismus handelt, reagieren die Täter ausgesprochen aggressiv, wenn man ihre Methoden beschreibt. Die Täter haben nämlich klar erkannt, dass die Thematisierung ihrer Machenschaften und damit die Thematisierung der Medienbarriere gegenüber allen, die nicht zum Schwarz-gelben-Lager gehören, ihre Glaubwürdigkeit unterminieren kann. Deshalb der Schaum vor dem Mund, wenn jemand von undemokratischen Verhältnisse spricht.
Dabei muss man immer im Hinterkopf behalten, dass Journalisten in der Regel ohnehin nur hart im Geben aber nicht hart im Nehmen sind. Das kann man besonders gut im Artikel der Frankfurter Rundschau über die Illner-Sendung nachlesen und erkennen: der Autor Volker Schmidt kommt mit dem Totschlagargument „Verschwörungstheorie“, als Lafontaine beklagt, dass die Medien im Besitz von 10 reichen Familien sind. Er fühlt sich sichtlich beleidigt und empört sich. Aber er selbst teilt auf niederstem Niveau aus. Dazu auch: „Schon Balzac hat es gewusst…Volker Schmidt (Frankfurter Rundschau) bestätigt ihn“.
Man kann nur hoffen, dass die Thematisierung der Medienbarriere und des Kampagnenjournalismus nicht der Linkspartei alleine überlassen bleibt. Eine Anmerkung zu den Grünen ist an dieser Stelle fällig. Sie waren jahrelang in den Achtzigern und Neunzigern bis zum Regierungseintritt 1998 Opfer ausgedehnter Medienkampagnen. Bei ihnen hat man auch jahrelang die Realos gegen die Fundis ausgespielt. Wenn bei ihnen noch ein bisschen demokratisches Feuer brennen würde, würden sie sich an ihre eigenen Erfahrungen erinnern und Partner der Aufklärung über den Kampagnenjournalismus sein.
Ein interessantes Detail der Manipulation war in der angesprochenen Sendung der Versuch, aus dem Zweifel, ob man von Demokratie sprechen könne, wenn sie in Händen von 10 reichen Familien sind, eine Gegnerschaft zur Demokratie zu machen. Frau Illner sprach von „Infragestellung der Demokratie“, im Einspielfilm war von „Sargnagel“ für die Demokratie die Rede.
Von dieser Verdrehung fühle ich mich persönlich betroffen.
„Unsere Demokratie befindet sich am Rande ihrer Existenz“
So lautet eine aus meiner Sicht richtige Formulierung in der Einführung zum Buch „Meinungsmache“. „Wichtige Voraussetzungen für das Gedeihen demokratischer Willensbildungsprozesse sind nicht mehr gegeben.“ Das schreibe ich als überzeugter Anhänger der demokratischen Lebensform und als engagierter Gegner all jener, die diese wichtige Organisationsform des politischen Zusammenlebens kaputtmachen. Wie zum Beispiel Berlusconi in Italien. Deshalb heißt ein Kapitel in „Meinungsmache“ mit Bedacht „Berlusconi ist überall oder Das nahende Ende der Demokratie“ (siehe Inhaltsverzeichnis Kapitel 9)
Wer die Meinungsbildungsprozesse in unserem Lande wie anderswo ehrlich analysiert, der kann nur zum Beobachtungsergebnis kommen:
Wer über viel Geld und/oder publizistische Macht verfügt, kann hierzulande die politischen Entscheidungen massiv beeinflussen. Die öffentliche Meinungsbildung ist zum Einfallstor für den politischen Einfluss der neoliberalen Ideologie und der damit verbundenen finanziellen und politischen Interessen geworden. In einer von Medien und Geld geprägten Gesellschaft ist das zum Problem der Mehrheit unseres Volkes geworden, zum Problem des so genannten Mittelstands und vor allem der Arbeitnehmerschaft und der Gewerkschaften, denn diese Mehrheit und ihre Interessen werden zunehmend kaltgestellt.
(Zitat aus Meinungsmache, Seite 9)
Ich wüsste nicht, was an diesem Beobachtungsergebnis falsch sein sollte. Indem man dieses ziemlich traurige Ergebnis feststellt, wird man doch nicht zum Gegner der Demokratie. Wer sich Sorgen um die demokratische Realität macht, ist anders als die Kampagnenmacher ein Befürworter demokratischer Verhältnisse.
Es ist klar: die Oberschicht, zu der sich Frau Illner wohl rechnet, mag partout nicht, wenn festgestellt wird, dass die Herrscher über Medien und Geld wesentlich bestimmen, was im Lande geschieht. Sie möchten die Fiktion einer funktionierenden Demokratie am Leben halten, um den tatsächlichen Niedergang der demokratischen Verhältnisse zu bemänteln.
Man darf allerdings die Kritik nicht auf die „10 reichen Familien“, die die Medien beherrschen, beschränken. Damit verkürzt man das Problem. Das galt vielleicht für die Zeit, als Paul Sehte in den Sechzigern feststellte, dass die Pressefreiheit die Freiheit von 200 reichen Leuten sei, ihre Meinung zu verbreiten. Damals gab es ein wenigstens annähernd plurales Öffentlich-rechtliche Fernsehen. Heute gilt:
Wo öffentlich-rechtlich draufsteht, sind meist kommerzielle Interessen drin.
Die Union hat sich in Verbindung mit Wirtschaftsinteressen beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Hörfunk in weitem Maße durchgesetzt – nicht überall, es gibt noch Nischen. Aber die großen Talkshows, die anders als der Bundestag die Meinung vieler Menschen prägen, die Tagesschau, die Tagesthemen, heute und heute journal und viele andere Sendungen sind weitgehend von den großen Interessen beherrscht. Ein Symbol dafür ist die Börsensendung jeden Abend zur besten Sendezeit. Mit den Interessen der Mehrheit der Nicht-Aktienbesitzer hat dieses Schauspiel nichts zu tun.
Die öffentlich-rechtlichen Sender haben in Teilen unseres Volkes immer noch ein Image, das der tatsächlichen Entwicklung seit langem nicht mehr entspricht. In konservativen Kreisen spricht man auch heute noch von „Rot-Funk“. Dieses Etikett, das je nach Standort dem WDR, dem hessischen Rundfunk, Radio Bremen oder dem NDR angeheftet und auf das gesamte öffentlich-rechtliche Fernsehen übertragen wurde, galt in der Realität nie. Selbst diese Sender waren immer pluraler als behauptet worden ist und das Gesamtsystem einschließlich Bayerischem Rundfunk, Süddeutschem Rundfunk und dem damaligen Südwestfunk waren nie im Sinne der Behauptung rot. Für das ZDF galt das sowieso nie, im Gegenteil. Und dennoch war schon damals diese an den Fakten vorbei gehende Prägung möglich. Sie hält sich in manchen Kreisen bis heute. Ein Nutzer der NachDenkSeiten, der aus dem konservativen Milieu kommt, hat uns letzthin eine sehr anschauliche Schilderung seiner eigenen Wahrnehmung und Entwicklung geschickt. Siehe Anlage 1.
Typisch für die Veränderung bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ist eine andere Erscheinung: die Talkshows werden nicht in eigener Regie der Sender produziert. Sie sind ausgelagert in private Produktionsgesellschaften, meist verbunden mit dem Namen der führenden Personen. Diese privaten Produktionsgesellschaften können das Einfallstor für private Interessen sein.
Was tun?
Beschreiben, was ist und das Etikett Verschwörungstheoretiker Lager wegstecken. Denn was uns die Realität heute an Verschwörung gegen die Demokratie bietet, können sich selbst die fantasievollsten Verschwörungstheoretiker nicht ausdenken.
Anlage 1:
Die Mail eines Nutzers der NachDenkSeiten zu seiner politischen Sozialisation:
Sehr geehrter Herr Müller,
den Anhang C zu o.g. Artikel (das betraf: “Material zur Bedeutung der Aufklärung über die Medienbarriere”) mit dem Hinweis auf eine vermeintlich linke Übermacht in den Medien fand ich bemerkenswert.
In der öffentlichen Wahrnehmung ist das teilweise auch heute noch so, auch wenn die Realität eine andere ist.
Da scheinen die konservativen Medien sehr geschickt zu agieren, um es aus deren Sicht mal zu betrachten.
Diese linke “Übermacht” wurde übrigens früher in meinem (zumindest damals CDU-treuen) familiären Umfeld häufig auch thematisiert. Ich kann mich trotz meiner jungen Jahre noch relativ gut daran erinnern. Da ich ja quasi in diesem Milieu “sozialisiert” wurde, habe ich das viele Jahre mangels Gegenthesen natürlich ebenfalls geglaubt und war “allergisch” gegen alles Linke. Ende der 80er-Jahre habe ich mich dann mit ca. 20 Jahren so ganz langsam aus dieser gedanklichen Isolation befreit, bei Wahlen meine Kreuze erst bei der SPD, später dann fast immer bei den Grünen gemacht.
Die allerletzten Zweifel waren spätestens mit der Entdeckung der Nachdenkseiten beseitigt. Diese waren für mich sozusagen das letzte fehlende Puzzleteil.Also genau genommen hat meine Wandlung 20(!) Jahre gedauert. Ich finde, eine lange Zeit. Das ist halt oft das Problem, wenn man in Kreisen aufwächst, woalle praktisch dieselbe Meinung vertreten. Dabei geht es zunächst auch gar nicht um rechts oder links. Es fehlt einfach die Differenziertheit und Pluralität, um mehrere Argumente gegeneinander abzuwägen und sich dann halbwegs frei zu entscheiden. Dabei ist es auch völlig unerheblich, ob diese Einseitigkeit im familiären Umfeld oder in der gesamten Bundesrepublik stattfindet. Das Resultat ist wohl dasselbe.
Um aber keinen falschen Eindruck zu vermitteln, mir wurde nie gesagt, wen ich zu wählen oder was ich politisch zu sagen habe. Ich bin einfach nur in diesem Umfeld aufgewachsen und es war sehr schwierig, sich differenzierte Gedanken zu machen.
Ergänzung AM:
Ich fand diese Schilderung sehr interessant und beispielhaft. Das entspricht vermutlich der Entwicklung mancher NachDenkSeiten-Leser. Es zeigt auch, was noch zu tun ist. Verzeihen Sie, der ich wieder einmal anrege, in Ihrem eigenen Umfeld aufzuklären. Geben Sie den Hinweis auf die NachDenkSeiten weiter. Oder auch auf andere aufklärende Informationsquellen.