Krokodilstränen

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Acht Wochen vor der Wahl steht die SPD so schlecht da, dass sie nur noch Mitleid erntet. „Warum noch SPD?“ oder “SPD droht Durststrecke von 15 Jahren” titelt hintereinander etwa die Süddeutsche Zeitung. Nun weinen gerade solche Journalisten Krokodilstränen, die die SPD in den Zustand geschrieben haben, dass sie als eigenständig denkende und handelnde Kraft abhanden gekommen ist. Susanne Höll von der SZ ist ein typisches Beispiel. Sie gehörte zu denjenigen, die z.B. Kurt Beck systematisch nieder- und Steinmeier und seinen Kurs der Mitte hochgeschrieben haben. Sie rät der SPD „Mut zur Klarheit“ und das heißt für Höll staatliche Hilfen zu kürzen und Steuern (welche wohl?) zu erhöhen. Also genau das zu tun, womit die Sozialdemokraten dort gelandet sind, wo sie heute stehen.
Würde die SPD jedoch dafür kämpfen, dass diejenigen für die Krise zu zahlen haben, die bis zum Platzen der Blase daran verdient haben, dann würden die Journalisten, die jetzt Krokodilstränen über den desolaten Zustand der Sozialdemokraten weinen, sofort wieder ihr Maul aufreißen und wieder ihre Zähne zeigen. Wolfgang Lieb

Vielleicht haben Sie es in den letzten Wochen auch beobachtet: Seit der katastrophalen Wahlniederlage der SPD bei der Europawahl finden sich von der Welt, über die FAZ und vom Spiegel bis zum Focus immer wieder Beiträge, in denen mit zur Schau gestelltem Mitleid der Niedergang der SPD bedauert wird. Die Sozialdemokraten erhalten nunmehr von nahezu allen Leitmedien zahlreiche unerbetene Ratschläge, wie sie es schaffen könnten, nicht ganz in der Versenkung zu verschwinden.

Jetzt, wo die SPD aussichtslos abgeschlagen in den Wahlkampf zieht, melden sich viele derjenigen zu Wort, die als mediale Öffentlichkeit die derzeitige SPD-Führung auf den Kurs gedrängt haben, der ihren Abstieg von einer eigenständigen linken Volkspartei zu einem Anhängsel der Unionsparteien vorgezeichnet hat. Anstatt dass gerade diese Journalisten eingestehen, dass sie selbst mit verantwortlich sind für den verheerenden Vertrauensverlust der SPD, trauern sie nun ihrem Opfer nach, indem sie heuchlerische Nachrufe verfassen. Mitleid, das ist allerdings ziemlich das Schlimmste, was der SPD in einem Wahlkampf passieren kann, indem es doch gerade darum geht, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Hoffnungen für die Zukunft auf diese Partei setzen sollen. Es sind eben die sprichwörtlichen Krokodilstränen.

Wenn die SPD überhaupt noch eine Chance ergreifen wollte, um aus ihrer desolaten Situation herauszukommen, dann müsste sie vor allem eine klare und glaubwürdige Antwort auf die wichtigste Frage geben, die derzeit eine große Mehrheit in der Bevölkerung umtreibt, nämlich: wer bezahlt für die Finanz- und Wirtschaftskrise?

Die Sozialdemokraten müsste klarstellen, dass die Zahlung durch diejenigen erfolgen muss, die in den letzten Jahren die Gewinner waren, deren Vermögen explosionsartig gestiegen ist und die sich mit Finanzspekulationen mehr als eine goldene Nase verdient haben. Das verlangte konkret eine deutliche Anhebung der Spitzensteuersätze, der Kapitalertrags- der Zinsabschlagssteuern, der Erbschaftssteuer und der Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Festsetzung einer Börsenumsatzsteuer. Das verlangte weiter eine ernsthafte Verhinderung der Steuerflucht und einen wirkungsvollen Kampf gegen Steuerhinterziehung von Einkommensmillionären. Im Gegenzug müsste die SPD klarstellen, dass es mit ihr keine Mehrwertsteuererhöhung gibt. Nur so können die Schulden in sozial fairer Weise wieder abgetragen werden, die als Kapitalzuschüsse und als Garantien zur Rettung der Banken entstanden sind und künftig noch entstehen. Warum sollte man das Geld nicht gerade von denjenigen wieder hereinholen, die es verzockt haben?

Die SPD müsste darüber hinaus eine Garantieerklärung abgeben, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht von denjenigen bezahlt werden muss, die am allerwenigsten dafür verantwortlich sind. Das heißt sie müsste garantieren, dass nicht weiter in den Sozialstaat eingeschnitten wird, sondern im Gegenteil, dass gerade in der Krise die sozialen Sicherungssysteme wieder ihren Namen verdienen und nicht länger die Krisenopfer in die Bedürftigkeit entlassen werden. Die SPD müsste für ein sozialstaatliches Bewusstsein eintreten, dass Menschen, die in Not geraten sind, wirklich zu fördern sind und nicht mehr – wie mit Hartz IV – als Drückeberger und Faulenzer stigmatisiert werden, die man mit dem Druckmittel materieller Not zur Annahme von Arbeit zu jedem Preis und zu jeder Bedingung zwingen muss.

Die SPD müsste ernst machen mit der Chancengleichheit und konkrete Bedingungen schaffen, dass die Ungleichheit der Bildungschancen verringert und die sozialen Barrieren für einen fairen Bildungszugang abgebaut werden.

Das wären Hauptbotschaften, mit denen man eine echte Alternative zu Schwarz-gelb bieten könnte und mit denen man vor allem die große Mehrheit der Bevölkerung erreichen könnte.

Dazu müsste sich die SPD als linke Volkspartei bekennen und nicht länger zur Verteufelung all jener politischen Kräfte beitragen, die in dieser Gesellschaft links der Mitte stehen.

Dann würden zwar diejenigen, die jetzt Krokodilstränen über die SPD weinen, sofort wieder das Maul aufreißen und ihre Zähne zeigen, aber davor brauchte man nicht zu erschrecken, wenn man die Medienbarriere – wie das Albrecht Müller in seinen heutigen Beiträgen beschrieben hat – überspringt und sich unmittelbar an die Bürgerinnen und Bürger wendet.
Barack Obama hat es übrigens ein Stück weit vorgemacht, wie man mit der Unterstützung der Menschen Mehrheiten auch gegen die heutige Medienwelt gewinnen kann.

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Medien und Medienanalyse SPD Wahlen

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