Paradise Papers – warum vergeigen die Süddeutsche und NDR schon wieder eine Steilvorlage?

Jens Berger
Ein Artikel von:

Was eine anonyme Quelle der Süddeutschen Zeitung übergeben hat, hat das Zeug für einen gigantischen Scoop – 13,4 Millionen Dokumente aus 21 sogenannten „Steueroasen“ mit Daten über zahlreiche öffentlich bekannte Personen und globale Konzerne. Es geht um legale Steuervermeidung und womöglich indirekt auch um illegale Vorgänge. Bereits an dieser Stelle hakt die Erzählung, denn sowohl die Süddeutsche als auch ihr deutscher Recherchepartner NDR featuren stattdessen lieber zwei Storys aus dem Umfeld der Daten, die zwar sehr gut ins antirussische Klima unserer Zeit passen, aber bei näherer Betrachtung doch ziemlich uninteressant sind. Wie schon bei den „Panama Papers“ zeigt sich auch bei den „Paradise Papers“, dass die großen investigativen Medien nicht die fachliche Reife für derlei große Storys haben. Schade. Von Jens Berger.

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2013 waren es die Offshore Leaks, 2014 die Lux Leaks, 2015 die Swiss Leaks, im letzten Jahr die Panama Papers und nun die Paradise Papers – alljährlich gelangen im Kern skandalöse Datensätze über Whistleblower an die Medien, die diese dann rechercheintensiv mehr oder weniger investigativ aufbereiten und dennoch halten sich die politischen und rechtlichen Folgen dieser Enthüllungen zumindest in der westlichen Staatengemeinschaft in überschaubaren Grenzen. Es ist immer noch vollkommen legal, als Großkonzern seine Gewinne über anstößige Firmenkonstrukte auf kleinen Inseln und in großen EU-Staaten und inmitten der USA zu verschleiern, um möglichst wenig Steuern zu bezahlen. Warum interessiert die Öffentlichkeit sich nicht für dieses Thema und warum macht niemand der Politik den Hintern heiß? Wenn ein paar „besorgte Bürger“ es schaffen, die Asyl- und Einwanderungspolitik Deutschlands und der EU binnen weniger Wochen auf den Kopf zu stellen, sollte es auch doch möglich sein, eine dem gesunden Menschenverstand und den Regeln ehrbarer Kaufleute zuwiderlaufende Verdunklungs- und Steuervermeidungspraxis zu unterbinden. Doch vielleicht rührt das Desinteresse der Öffentlichkeit auch in dem Umstand, dass die großen Medien das Thema ganz einfach vergeigen.

Nehmen wir die aktuellen Paradise Papers. Glaubt man der Startseite der Süddeutschen, sind die zwei wichtigsten Erkenntnisse der Dokumente, dass ein „Trump-Minister“ an „Russland-Geschäften“ verdient hat und dass „russisches Geld für Facebook“ floss. Nun ja, interessant ist was anderes, aber schauen wir uns doch mal diese beiden populären Fälle, die auch gestern in den Nachrichtensendungen als Aufhänger für die Enthüllungen herausgesucht wurden, an.

Russisches Geld für Facebook

Dass der russische Risikokapitalgeber DST (später Mail.ru-Gruppe) einer der ersten Investoren des damals noch jungen Facebook-Konzerns war, ist allseits bekannt. 2009 durfte der Fonds – ausgesucht von Facebook-Chef Zuckerberg persönlich – für 200 Mio. US$ zwei Prozent der Anteile von Facebook erwerben. Als Facebook 2012 an die Börse ging, war dieser Anteil eine gute Milliarde Dollar wert. DST verkaufte seine Anteile und DST-Chef Yuri Milner machte sich mit diesem Deal im Silicon Valley einen Namen. Hätte Milner die Aktien nicht gleich verkauft, sondern gehalten, wäre der Anteil heute übrigens neun Milliarden Dollar wert. Milner ist heute einer der bekanntesten „Fintech-Investoren“ in Kalifornien. Er ist auch an Twitter, AirBnB, WhatsApp, Spotify und Aliba beteiligt. Sein Privatvermögen wird von Forbes auf 4,1 Mrd. US$ geschätzt.

All dies ist bekannt. Worin besteht die investigative Leistung von Süddeutscher und Co.? Man hat herausgefunden, dass zu Milners Fremdkapitalgebern auch die beiden russischen Banken VTB und Gazprom Investholding gehörten. An VTB ist der russische Staat mit 60% und an Gazprom mit 50% beteiligt – somit zählen beide Unternehmen für die Süddeutsche „zum Kreml“: „Vom Kreml finanzierte Firmen investierten Hunderte Millionen Dollar in Facebook und Twitter“. Das ist freilich eine abenteuerliche Formulierung. Wäre es auch eine Top-Schlagzeile, wenn der deutschstämmige Fintech-Investor Peter Thiel, der der erste Investor bei Facebook war, das Investment zusammen mit einem DekaFonds gestemmt hätte? Die DekaBank ist ein Teil der staatseigenen deutschen Sparkassen-Finanzgruppe. Hieße es dann auch „Vom Kanzleramt finanzierte Firmen investieren Hunderte Millionen Dollar in Facebook und Twitter“? Wohl kaum, da diese Überschrift genau so unsinnig wäre, wie es die russische Variante ist. Ein Nachrichtenwert ist kaum zu erkennen.

Russland-Geschäfte des Trump-Ministers?

Genau so sieht es bei der zweiten Top-Story aus. Dass US-Handelsminister Wilbur Ross über eine seiner Firmenbeteiligungen mit der ganzen Welt Geschäfte macht, sollte eigentlich bekannt sein. (Nicht nur) die NachDenkSeiten haben seine Nominierung bereits vor Monaten scharf kritisiert. Vor seiner Tätigkeit in der US-Regierung war Milliardär Ross einer der Private-Equity-Spekulanten, die mit Vorliebe mit hohem Fremdkapitalanteil Unternehmen aufkaufen, die sich in finanzieller Schieflage befinden, sie ausschlachten, umgruppieren und dann stückchenweise mit fettem Profit weiterverkaufen. In der Branche nennt man dieses Vorgehen LBO – leveraged buyout.

Dass Wilbur Ross über seine Fondsgesellschaft auch an einer Reederei namens Navigator beteiligt ist, ist kein Geheimnis. Es ist auch kein Geheimnis, dass Navigator eine ganze Flotte von Tankern für Flüssiggas betreibt. Dank sicher ausgiebiger Recherche hat die Süddeutsche nun auch noch herausgefunden, dass zu den Geschäftspartnern der Reederei auch der russische Sibur-Konzern gehört – der größte petrochemische Konzern in Russland, der auch in der Verflüssigung von Erdgas tätig ist. An Sibur ist ein gewisser Kirill Schamalow beteiligt, der offenbar Putins Schwiegersohn ist. Auch das ist seit Jahren bekannt. Dass Navigator und Sibur sehr eng zusammenarbeiten, hätte die Süddeutsche übrigens auch erfahren, wenn man sich nur die Internetseite von Navigator einmal angeschaut hätte. Die nicht uninteressante Frage, wofür man für eine „Entdeckung“, die jedermann in Minuten mit Hilfe von Google machen kann, nun Millionen Dokumente aus Steueroasen durchforsten muss, bleibt unbeantwortet. Und warum eine angebliche Qualitätszeitung wie die Süddeutsche zu derart dümmlichen Personalisierungen wie „Trump-Minister“ greifen muss, ebenfalls. Ist Sigmar Gabriel nun auch nur noch ein „Merkel-Minister“?

Und warum überhaupt diese Russland-Fixierung? Wieso soll Ross ausschließlich finanzielle Nachteile aus den Russland-Sanktionen haben? Eine kleine Stichprobe, wo Navigators Frachter eigentlich so unterwegs sind, ergab unter anderem, dass sie auch von der Ukraine aus operieren. Hat Ross also auch geschäftliche Vorteile durch die Sanktionen? Wenn man davon ausgeht, dass Russland wirtschaftlich vor allem Erdöl und Erdgas über Pipelines exportiert, sollte gemäß dem gesunden Menschenverstand ein Tankerkönig doch zu den größten Profiteuren von Sanktionen gegen Russland gehören. Oder etwa nicht? Aber warum um die Ecke denken, wenn man auch alte Storys auftischen kann.

Gnadenlos versemmelt

Dabei bieten die Paradise Papers doch eigentlich jede Menge interessanter Informationen. Was genau treiben beispielsweise Sixt, die Deutsche Post, Siemens, Allianz, Bayer und die Deutsche Bank in Steueroasen? Und wie sieht es mit Nike, Apple, Uber und Facebook aus? All diese Unternehmen werden von der Süddeutschen namentlich genannt und tauchen in den Dokumenten auf. Warum dulden die Staaten derlei Vorgehen?

Es ist schon seltsam. Da verfügen die Journalisten über den Zugang zu wahrscheinlich brisanten Informationen, die zur politischen Mobilisierung taugen könnten und am ersten Tag der Veröffentlichungen fällt ihnen nichts Besseres ein, als alten kalten Kaffee zu präsentieren, nur um eine „Russland-Verbindung“ zu konstruieren. Das ist traurig. Traurig für die klassischen Medien, weil sie sehenden Auges ihre letzten Reste von Glaubwürdigkeit verspielen und traurig für uns alle, da das wichtige Thema „Steuerminimierung“ wieder einmal gnadenlos versemmelt wurde. Aber vielleicht kommen in der zweiten und dritten Runde der Veröffentlichungen ja noch bessere Artikel.

p.s.: Wenn man die Story schon gnadenlos personalisiert, warum nimmt man nicht den ehemaligen U2-Sänger und selbsternannten Afrika-Retter Bono auf die Titelseite, der offenbar über Steuerumgehungsmodelle in Malta und Guernsey in ein Einkaufscenter in Litauen investiert hat. Dass Finanztycoons wie Milner oder Ross den Sinn und Zweck von einem steuerfinanzierten Gemeinwesen nicht so richtig begreifen wollen, ist nicht so fürchterlich überraschend. Dass der Moralapostel Bono in Wirklichkeit auch nur ein asozialer Steuervermeider ist, dürfte da schon interessanter sein.