DGB: Arbeitslosigkeit steigt unter Jungen und Älteren rasant – IAB: Besserung für Ältere am Arbeitsmarkt

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Nach einem Bericht des DGB auf der Datenbais der Bundesagentur für Arbeit erhöhte sich die Arbeitslosigkeit bei den über 55-Jährigen im Vergleich zum Mai letzten Jahrs um 17,3 %, besonders betroffen sind Männer mit einem Plus von 24,4%.
Nach einer aktuell veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) [PDF – 1.2 MB] – einer Abteilung der Bundesagentur für Arbeit – hat sich die Arbeitsmarktsituation vor allem der 55-59-Jährigen zuletzt deutlich verbessert und die Arbeitslosigkeit der über 50-Jährigen sei gesunken. Zwei sich scheinbar widersprechende Aussagen an einem Tag. Wie erklärt sich das? Wolfgang Lieb

Die einfache Erklärung für diesen Widerspruch ist, dass der DGB die Veränderung zwischen Mai 2009 und dem Mai 2008 vergleicht, während sich das IAB auf Daten nur bis zum Jahr 2008 stützt und die Entwicklung des zurückliegenden Jahres mit dem Einbruch durch die Wirtschaftskrise nicht erfasst. Aber auf solche „feinen“ (aber im Ergebnis drastischen) Unterschiede wird wohl in der öffentlichen Wahrnehmung kaum geachtet. So werden denn auch die beiden Studien etwa in der Financial Times Deutschland einfach kommentarlos gegenübergestellt.

Das Auseinanderklaffen der Daten wird auch von der Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 7. Juli 2009 [PDF – 104 KB] bestätigt:

Von Mai 2007 auf Mai 2008 ist die Zahl der 55- bis unter 65-jährigenArbeitslosen um 67 000 oder 14 Prozent gesunken. Beim Vergleich zwischen Mai 2008 und Mai 2009 errechnet sich dagegen ein Anstieg von 74 000 oder 17 Prozent.

Interessant ist die Frage, warum die IAB-Studie (mit ihren veralteten Zahlen) gerade jetzt in die Öffentlichkeit geht und warum man sich nicht noch ein wenig Zeit genommen hat und die Daten des zurückliegenden Jahres mit dem Hereinbrechen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht einbezogen hat.

Da drängt sich der Verdacht auf, dass das IAB mit seinen Erfolgsmeldungen für die älteren Arbeitnehmer vor allem in Wahlkampfzeiten einen Beitrag dazu leisten wollte, die arbeitsmarktpolitischen Gesetze der Großen Koalition für ältere Arbeitnehmer in einem positiven Licht erscheinen zu lassen.

Die IAB-Studie lobt ausdrücklich die gesetzlichen Änderungen:

Die Verbesserung ist nicht allein konjunkturell bedingt. Auch gesetzliche Änderungen spielten eine wichtige Rolle – so die beschlossene Anhebung des abschlagsfreien Rentenalters auf 67 Jahre, die Einschränkung der Frühverrentung und die Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre. Diese Anpassungen hatten Signalwirkung in Richtung einer längeren Lebensarbeitszeit und trugen damit zur positiven Entwicklung des Arbeitsmarktes für Ältere bei.

Schlussfolgerung des IAB:

Die aktuelle Wirtschaftskrise sollte kein Anlass sein, von diesem Pfad abzuweichen.

Gerade von diesem Pfad (wenigstens ein Stück weit) abzuweichen, verlangt allerdings der DGB:

Er fordert

  • öffentlich geförderte Beschäftigung nicht in 1-Euro-Jobs sondern in sozialversicherungspflichtiger Form,
  • eine Erwerbsminderungsrente, wenn kein Arbeitsplatz angeboten werden kann und die
  • Verlängerung der von der Bundesagentur geförderten Altersteilzeit als Brücke in einen Ruhestand in Würde.

Um die IAB-Studie richtig einzuordnen muss man wissen, dass das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine Abteilung der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist und die Nürnberger BA natürlich schon nach ihrem Auftrag gehalten ist, die arbeitsmarktpolitischen Gesetze und Maßnahmen der Bundesregierung nicht nur zu akzeptieren sondern auch noch öffentlich zu unterstützen.
Es ist nicht übrigens keineswegs das erste Mal, dass das IAB Partei ergreift für die Arbeitsmarkt-„Reformen“ der Regierung.

Das IAB räumt zwar ein, dass die von ihm konstatierte verbesserte Arbeitsmarktsituation Älterer auch mit dem (leichten) konjunkturellen Aufschwung bis Anfang 2008 zu tun hat, aber ansonsten verteidigt das Institut vor allem die Ideologie, dass ältere Arbeitnehmer durch erhöhten Druck zur Aufnahme einer Beschäftigung gezwungen werden könnten und sollten.

Für diesen Druck auf ältere Arbeitnehmer gebe es eine ganze Reihe von „Einflussfaktoren“, so etwa die Erhöhung der Regelaltersgrenze im Rentensystem, einen Abbau der Frühverrentungsmöglichkeiten oder das Niveau bzw. die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld oder von Leistungen der Grundsicherung.

Wörtlich:

Je restriktiver diese Regelungen ausfallen, desto größer sind unter sonst gleichen Bedingungen der Angebotsdruck, die Konzessionsbereitschaft der Betroffenen und damit auch die Wahrscheinlichkeit, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

„Restriktive Regelungen“ die den ökonomischen Druck auf die älteren Arbeitnehmer erhöht, Arbeit zu schlechteren Bedingungen aufzunehmen, das ist also die zugrunde liegende Ideologie der IAB-Studie.

So heißt es etwa weiter:

So dürften Verhaltensänderungen durch institutionelle Anpassungen und deren Signalwirkung in Richtung einer längeren Lebensarbeitszeit verursacht worden sein. Zu nennen sind hier zunächst rentenpolitische Entscheidungen wie die Angleichung des Rentenzugangsalters von Frauen und Männern oder Vorlaufeffekte der „Rente mit 67“. Außerdem zeigen auch die Arbeitsmarktreformen Wirkung. So ist Arbeitslosigkeit bei Älteren häufig eine Warteposition für den Ruhestand. Dieser Wartestand wird attraktiver, je großzügiger die Transferleistungen
in Höhe und Dauer ausgestaltet sind. Gerade für ältere Arbeitslose mit relativ hohen Ansprüchen aus der statusorientierten Arbeitslosenversicherung des Sozialgesetzbuchs III (SGB III) ist der Übergang in das an der Existenzsicherung orientierte Arbeitslosengeld II (ALG II) im SGB II schmerzhaft. Daher dürfte die Verkürzung der Bezugsdauer des ALG I für Ältere im Zusammenspiel mit dem Anfang 2005 eingeführten Grundsicherungssystem tendenziell zu einer stärkeren Arbeitsmarktbeteiligung Älterer beigetragen haben.

Auch das Auslaufen der Regelungen nach § 428 SGB III bzw. nach § 65,4 SGB II („58-er Regelung“) erschwert den Rückzug Älterer vom Arbeitsmarkt. Seit Anfang 2008 ist es Personen über 57 Jahren, die ihren Job verlieren, nicht mehr möglich, Arbeitslosengeld zu beziehen, ohne zur Arbeitsuche verpflichtet zu sein (…)

Einen Schritt zurück im Bemühen um eine konsequente Verlängerung der Lebensarbeitszeit und eine transparente Darstellung der Beschäftigungssituation Älterer stellt dagegen der seit Januar 2008 in Kraft gesetzte § 5 a SGB II dar. Danach gelten erwerbsfähige Hilfebedürftige im Alter von mindestens 58 Jahren nicht mehr als arbeitslos, wenn sie für mindestens zwölf Monate Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogen haben, ohne dass ihnen einesozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten wurde.

Viel deutlicher kann man das arbeitsmarktpolitische Leitbild des IAB nicht beschreiben: Es kommt nicht so sehr auf das Angebot an Arbeitsplätzen auf dem Arbeitsmarkt an, um ältere Arbeitnehmer in Beschäftigung zu bringen, sondern darauf, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen für ältere Arbeitnehmer möglichst restriktiv ausgestaltet werden, dass diese mittels ökonomischen Drucks gezwungen werden Arbeit zu allen Bedingungen und zu jedem Preis anzunehmen.

Es ist wohl nicht zu viel gewagt, wenn man voraussagt, dass die Studie des IAB in der öffentlichen Debatte als unideologisch, ja sogar als objektiv dargestellt wird, während die nackten Zahlen des DGB eben als ideologisch gefärbte Darstellung aus Arbeitnehmersicht abgetan werden.

Das Gegenteil trifft zu: Das IAB macht sich zum Handlanger und zum Propagandeinstrument der herrschenden Ideologie.

p.s.:
Die Bundesregierung sagt nun in der Antwort auf die oben erwähnte Kleine Anfrage:

Die Entwicklung von Mai 2008 bis Mai 2009 beruht vollständig auf dem Auslaufen der sogenannten 58er-Regelung (…). Das wird bei einer getrennten Betrachtung der Gruppe der 55- bis unter 58-Jährigen und der Gruppe der 58- bis unter 65-Jährigen deutlich. Während die Arbeitslosigkeit zwischen Mai 2008 und Mai 2009 in der Gruppe der 55- bis unter 58-Jährigen um 13 Prozent fiel, stieg sie bei der vom Auslaufen der 58er-Regelung betroffenen Altersgruppe der 58-Jährigen und älteren um 96 Prozent.

Dass die Bundesregierung nun gerade das Auslaufen der 58er-Regelung (also die Wahlmöglichkeit für 58-jährige und ältere Arbeitslose, sich als Arbeitslose und Arbeitsuchende registrieren zu lassen oder eine Frührente zu beantragen (§ 65 Abs. 4 SGB II und § 428 SGB III)) als Begründung für den Anstieg der Arbeitslosigkeit Älterer heranzieht, ist ziemlich makaber. Gerade die 58 oder älter sind und die von der 58er-Regelung Gebrauch gemacht haben, müssen sich durch das Auslaufen besonders getäuscht fühlen. Es handelt sich dabei überwiegend um Menschen, die sich mit dem Versprechen, bis zur Rente ohne Abschläge Arbeitslosengeld oder –hilfe beziehen zu können, aus ihrem (ungekündigten oder gar unkündbaren) Beruf haben drängen lassen.

Die 58er-Regelung hat bis zu ihrem Auslaufen, die Arbeitslosenstatistik für ältere Arbeitnehmer geschönt, das heißt allerdings nicht, dass sich nach ihrem Auslaufen die tatsächliche Situation der älteren Arbeitnehmer verbessert hätte. Sie tauchen halt nun wieder in der Statistik auf, für die Betroffenen hat sich die Situation eher verschlechtert, weil sie nun nicht einmal mehr (mit hohen Abschlägen) in die Frührente gehen können.

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