Leser-Mails zur Digitalisierung und anderen „Säuen, die durchs Dorf getrieben“ werden
Zu diesem Artikel Alle reden von Digitalisierung. Führen sie etwas im Schilde? vom 9. Oktober kamen eine Reihe von interessanten, freundlichen und kritischen LeserInnen-Mails. Einige geben wir Ihnen hiermit zur Kenntnis. In einer der Mails wurde darauf aufmerksam gemacht, dass der Philosoph Precht unentwegt von Digitalisierung spreche. In einer anderen wurde darauf aufmerksam gemacht, dass wir solche modischen Wellen schon des Öfteren erlebt haben – konkret beim Schwärmen vom Neuen Markt und der New Economy. Die Leser-Mails enthalten eine Fülle von Anregungen. Deshalb, wenn Sie die Zeit haben, dann ist die Lektüre zu empfehlen. Albrecht Müller.
Auf die parallele Erscheinung im Zusammenhang mit dem Neuen Markt und anderen modischen Diskussionslagen möchte ich zuvor noch kurz eingehen: Ausgangs der Neunzigerjahre und um die Jahrtausendwende wurde die Anlage der angesparten Gelder auf dem Aktienmarkt enorm angefeuert. Es wurde der Eindruck erweckt, als würden durch Kursgewinne Werte geschaffen.
Die extremen Kurssteigerungen – damals bei den DAX-Werten um das Vierfache – mussten irgendwie begründet werden. Ein Hilfsmittel war die Behauptung, wir lebten in Zeiten einer neuen Ökonomie. Politiker forcierten dieses Schwärmen, Banker und Anlageberater sowieso und auch Wissenschaftler. Ich erinnere mich an das Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom Herbst 2000. Es wurde am 15.11.2000 veröffentlicht und enthielt ein eigenes Kapitel zur New Economy. Diese unsachliche Schwärmerei war übrigens gepaart mit einer gravierenden und den Niedergang der Konjunktur fördernden Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Lage. Die Konjunktur läuft rund, wurde damals behauptet. Ich erwähne dies nur, weil es in den Kontext der Beförderung unsachlicher Debatten gehört, die wir jetzt wieder erleben.
Zu den „Säuen, die gelegentlich durchs Dorf getrieben werden“ – verzeihen Sie den Gebrauch der Alltagssprache – gehört übrigens auch die Behauptung vom Ende der Arbeit. Davon schwärmte der US-Amerikaner Rifkin genauso wie der deutsche Soziologe Ulrich Beck. Und reihenweise wurde dieses Credo nachgebetet.
Nachtrag A.M. um 12:30:
Der NachDenkSeiten-Leser Bagher Pirouz schrieb unmittelbar nach Veröffentlichung meines Textes:
„Ich halte es für ein wenig kurz gesprungen die Öffentlichkeit des Themas Digitalisierung mit einer Sau zu vergleichen, die durch das Dorf getrieben wird. – Es ist eine Tatsache, dass die Digitalisierung eine Branche nach der Anderen umgewälzt hat und weiter umwälzen wird.“
Ohne Probleme gestehe ich zu, dass die Digitalisierung etwas ernster zu nehmen ist als die anderen „Säue, die durchs Dorf getrieben werden“.
Jetzt aber zurück zu den LeserInnen-Mails zum Thema Digitalisierung:
Lieber Herr Müller,
ich musst schon schmunzeln, als ich gestern Ihren Beitrag “Alle reden von Digitalisierung. Führen sie etwas im Schilde?“ auf den NDS las. Just gestern Morgen sprachen meine Frau und ich uns gegenseitig darüber an, was für eine eigenartige Welle mit dieser Thematisierung der Digitalisierung Deutschlands über uns hereinschwappt und wenig später stoße ich auf Ihren Text. Seit wenigen Wochen nahmen wir dies unabhängig voneinander war und beide beschlich uns ein merkwürdiges Gefühl, weil wir uns nicht wirklich einen Reim darauf machen können.
Wie Sie meiner Meinung nach sehr richtig bemerken, ist das Thema wie aus dem Nichts auf der Tagesordnung. Die Digitalisierung Deutschlands sei nun plötzlich eine der grössten Herausforderungen, der das Land gegenübersteht (so z.B. Richard Precht bei Lanz). Letzte Woche hörte ich bei einer Ansprache vor überwiegend “Business-lastigem” Publikum eine leitende Angestellte eines grossen Münchner Reinigungsunternehmens sagen, wie sehr in den nächsten Jahren bei ihnen das Augenmerk auf die Digitalisierung des Unternehmens gelegt werden wird. HääääH??????? Wohlgemerkt eine Firma die vornehmlich putzt. Das meine ich nicht abwertend, aber haben die noch keine elektronische Buchhaltung, haben die noch keinen Internetanschluss, Email….? Das wird damit wohl nicht gemeint sein. Aber was dann? Dies wurde natürlich nicht ausgeführt und so blieb die Aussage für mich merkwürdig dürftig und leer. Aber gleichzeitig machte es bei mir „Klick“: „Schon wieder dieser Begriff Digitalisierung”.
Ich muss dazu erwähnen, dass mir auf Grund meiner beruflichen Tätigkeiten – ich war selbst Softwareentwickler (seit Anfang der 90er), habe Projekte im IT-Bereich geleitet etc. – das Thema nicht fremd ist. Es kommt mir ein bisschen so vor wie damals Ende der 90er, als viele plötzlich vom Internet und dem Neuen Markt sprachen, ohne wirklich zu verstehen, was das Internet war. Im Unterschied zu damals sollten heute die meisten aber wissen, was Digitalisierung ist, wir haben immerhin schon mehr als 1 Jahrzehnt iPhone etc. hinter uns. Was also dieses ominöse Geschwätz von einer Digitalisierung, die auf uns zukommt und von der wir scheinbar gar nichts wissen?
Ihre Einlassungen und besonders die dritte Erklärung bezüglich weiterer sozialer Einschnitte – wobei Erklärungen 1 und 2 wahrscheinlich ebenso gut auf viele zutreffen – empfand ich als Augenöffner, weiterführend über dieses Phänomen nachdenken zu können. Ihre Vermutung kann sich am Schluss auch als unzutreffend herausstellen. Aber jedenfalls: Holzauge sei wachsam. Ich kann mir z.B. vorstellen, dass man das Thema auch zu einem Schlag gegen den freien Informationsfluss im Internet nutzen könnte. Man wird dies natürlich mehr oder weniger geschickt in z.B. Fake News-, Terrorismus- und/oder Kriminalitätsbekämpfung verpacken. Nicht zu vergessen ist dabei auch das Thema Überwachung der Bürger.
Besten Dank und noch einen schönen Tag,
Georg Hasta
Danke, Herr Müller!
Zu einer etwaigen Kampagne unter dem Stichwort Digitalisierung:
Richard David Precht hat das Thema seit langer Zeit und sehr drastisch angesprochen. In meinem Bewusstsein ist er derjenige, der das Stichwort als erster derart massiv in die Diskussion gehoben hat.
Vielleicht sind viele von ihm gecoacht worden?
Gruß
Deppe
Ergänzende Nachricht von Anette Sorg:
ich fürchte, Herr Deppe hat recht:
- ksta.de – Richard David Precht „Ich will das Grundeinkommen, um das Schlimmste zu verhindern“
- huffingtonpost – “Wir arbeiten nicht mehr für Geld”: So sieht laut dem Philosophen Richard David Precht die Zukunft der Arbeit aus
- blogrebellen – Richard Precht: Wie wir es in Deutschland verpassen die Digitalisierung richtig zu vollziehen!
Sehr geehrter Herr Müller,
mindestens ein wesentliches Teilziel der Thematisierung von “Digitalisierung” ist die de facto-Abschaffung des Datenschutz’ in Verbindung mit dem Massengeschäft des Datenhostings.
Wichtig ist die Trias dreier Slogan/Schlagworte:
- “Daten sind der wichtigste Rohstoff des 21. Jahrhunderts”
- Digitalisierung
- Breitbandausbau
Ich sehe bei Kunden den (übermäßig gespürten) Druck durch Kosten für sichere lokale Datenhaltung. Speziell betrifft dies Kunden, die gemessen an ihrer Wertschöpfung sehr viele operativ relevante Daten sammeln bzw. generieren. Diese warten nur darauf, eine Breitbandanbindung zu erhalten, um die Daten dan extern hosten zu lassen.
Ein Blick auf einen anderen Zusammenhang: Eine Dame berichtet, seit sie in einer bestimmten spezialisierten Praxis wegen ihrer chronischen Erkrankung Patientin sei, beobachte sie bei einem großen Online-Händler genau zu dieser chronischen Erkrankung passende Werbung. Auf die Frage, ob sie Rezepte auch per E-Mail bestelle, antwortet sie, ja, das sei ja sehr praktisch.
Eine Überprüfung, wo die Domain der Praxis gehostet wird, zeigt, daß ein Cloud-Anbieter aus dem Konzern des Online-Händlers Hoster der Domain ist. Das gilt auch für den Mail-Exchange-Server.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Und jetzt sollen also “alle” Betriebe (dabei auch Arzt-Praxen, MVZs, …) Breitbandanbindungen erhalten und so die Kosten für eine “teure” lokale Datenhaltung einsparen können.
Ein tolles Geschäft für die Hoster. Vielleicht sogar mehrfach.
Stichworte: Operative Daten, Verwaltungsdaten, Überwachungsdaten
Das Bewußtsein für die Risiken fehlt auch bei Fachleuten. Ein guter alter Bekannter, ein selbständiger SAP-Berater, freut sich über seinen Breitbandanschluß, weil er deshalb seine Daten “kostenlos” in der Cloud eines großen Online-Händlers “backupen” kann. Er verschlüssele die Daten. Was Backdoors sind, weiß er eigentlich. Aber: “Ich bin ja nicht interessant.” Ob das auch gilt, wenn man in den ERP- und BI-Systemen großer Unternehmen zuhause ist?
Eine Umsetzung der “Agenda Dig” wird das Land substantiell verändern.
Mit freundlichen Grüßen
LK
Liebe NachDenkSeitenmacher,
zu dem genannten Artikel passt dies hier von der FDP.
Im Übrigen ist die Sache mit der Digitalisierung wiederum ein sehr schönes Beispiel dafür, dass – wie Globalisierung – es quasi natürliche Phänomene sind, gegen die man nichts tun kann. Niemand fragt, ob wir das auch wollen oder brauchen, was wir können. Ohnmächtiger können sich Politiker gar nicht darstellen, da sie sich als diejenigen verstehen, die eine Gesellschaft an das, was andere bestimmen, anzupassen haben. Insofern ist Politik eine permanente Anpassungsagenda. Wir brauchen gar nicht bis 2020 zu warten.
Herzliche Grüße
Prof. Dr. Otmar Preuß
Alle reden von Digitalisierung. Führen sie etwas im Schilde?
Hallo Herr Müller,
sehr interessant, dass Sie dasselbe ungute Gefühl beschleicht. Im Freundeskreis diskutierte ich kürzlich ähnlich.
Meine Vermutung: Es geht u.a. um die Vorbereitung der Bargeldabschaffung. Digitales Bezahlen soll uns als zukunftsfähig nahegebracht werden.
Das analoge Bargeld ist von gestern. Oder nicht?
Herzliche Grüße und tausend Dank für Ihre unverzichtbare Seite!!
Wolf Beck
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihren Beitrag “Alle reden von Digitalisierung. Führen sie etwas im Schilde?”. In aller Kürze: Es ist merkwürdig genug, dass Politiker die Digitalisierung als Herausforderung bezeichnen und sie gleichzeitig vorantreiben. Sollte technischer Fortschritt nicht dazu dienen, die Lebensumstände zu verbessern, anstatt das Leben durch eine weitere “Herausforderung” zu erschweren? Diese Frage wird gar nicht gestellt. Dank Taylorisierung wurde der Mensch Sklave der Maschinen und der Uhr, jetzt heißen die Maschinen Computer, Smartphone etc. Aber: Mittel müssen Mittel bleiben, das heißt Zwecken dienen. Die Zwecke setzt der Mensch.
Als Lehrer und Blogger habe ich mich ein wenig mit der Digitalisierung (in) der Schule auseinandergesetzt. Siehe hier.
Viele Grüße aus Bergheim an der Erft
Alexander Roentgen
Sehr geehrter Herr Müller,
eben habe ich Ihren Beitrag zur Digitalisierung gelesen.
Leider vermisse ich nach kurzem Lesen den meiner Meinung nach eigentlichen Grund für diese ‚neue‘ Initiative:
Die Digitalisierung meint die vollständige Möglichkeit der Überwachung der Bürger, aller Bewegungen, Geschäftsvorgänge, Meinungsäußerungen usw.
Das wird vorbereitet durch die allmähliche Abschaffung des Bargeldes, bzw. zurzeit die Beschränkung des Bargeldgebrauchs,
- durch den Unterricht mit Hilfe von Laptops in den Schulen,
- durch die elektronische Gesundheitskarte, den elektronischen Personalausweis.
Jeder Deutsche soll von der Digitalisierung begeistert sein, weil man ja so viel Papier, Arbeit, Geld und Zeit spart.
Deshalb lädt auch jeder freiwillig seine Daten in die Clouds seines Internetanbieters hoch, macht Internetbanking, sieht über das Internet Filme, plant seine Reisen, bestellt seine Waren, chattet, schreibt Kommentare in Internetforen, usw.
Wenn man diese Daten alle miteinander kombiniert, dann entsteht ein gläserner Staatsbürger.
Dieser muss dann schon sehr misstrauisch und bewusst leben, um alle Möglichkeiten der Manipulation, die sich natürlich auch daraus ergeben werden, zu erkennen und darauf dann richtig reagieren zu können.
Wenn man dann in den autonomen Autos unterwegs sein wird, dann wird dem Automobilisten wohl bewusst werden, dass der Traum vom autonomen Fahren mit Berta Benz begann, nach Überwindung der technischen Schwierigkeiten dann in den ersten zwei Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte und dann nur noch das Auto, nicht aber der Fahrer mehr autonom wird fahren können.
Z.B. könnte sich das Auto dann autonom verhalten, und sich von der Zentrale abschalten lassen, wenn der Fahrer das monatliche Kontingent von 1500 Km für Ausflugsfahrten überschritten haben sollte.
Das Szenario lässt sich noch viel weiterdenken. Es könnte die perfekte Diktatur werden.
Die meisten Leute werden sich noch nicht einmal etwas dabei denken, schließlich hat ja niemand etwas zu verbergen.
Anbei noch ein Link zu solchen Visionen: http://www.nachhaltigkeitsrat.de
Dort finden sie auch die zwei Anhänge zu dieser Email, falls Sie diese aus Sorge vor digitalen Schwierigkeiten nicht geöffnet haben sollten.
Ich bin gespannt auf die weiteren Beiträge zu diesem Thema und natürlich auch auf die weitere Entwicklung in Deutschland.
…
Ich bin immer wieder gerne auf den Nachdenkseiten und wünsche Ihnen und Ihrem Team weiterhin viel Erfolg!
Mit freundlichen Grüßen,
Martin Radigk
Liebe Redaktion der Nachdenkseiten,
zu dem interessanten Artikel Albrecht Müllers zur Digitalisierung schlage ich folgendes Buch zur Rezension vor.
Es geht, ähnlich wie Herr Müller, davon aus, dass diese neue Schlagwortisierung einem Zweck dient, der nicht im Interesse der Lohnabhängigen ist.
Bestimmt interessant, da mal nach Gemeinsamkeiten zu schauen…
Beste Grüße
Martin Schneider
Hallo Herr Müller,
eine Folge der Digitalisierung, im Bereich open government, ist im Geodatenbereich schon zu sehen:
Gab es bis 2005 noch (Wander-) Karten für unter 10€ vom Landesvermessungsamt zu kaufen, sind die Geodaten durch open-data nun “kostenfrei”, eine Karte, wie damals, kann man nun runter laden, der Ausdruck im großen Format über nimmt gern der Copyshop nebenan, für über 25€!
Der Staat zieht sich mit open-government aus der Rolle des Dienstleisters für den Bürger zurück.
Denkt man das weiter, wird man irgendwann Harz IV, wie einen neuen Telefon-/Internet-Anschluss nur noch online beantragen können. Und wie man heute schon bei Telefon-/Internet-Anschlüssen sehen kann, geht das auch einfach mal nicht.
Aber ein privater Dienstleister wird, gegen entsprechende Bezahlung, gern bei der Beantragung helfen.
Dies als kleiner, aber nicht unbedeutender Nebeneffekt.
Dass durch die Digitalisierung viele Arbeitsplätze wegfallen, weil die Inhalte der Zeitungen von Computern zusammengestellt werden, LKW zukünftig autonom fahren, Callcenter nur noch Sprachcomputer sind, und so weiter, bedeutet allerdings auch, dass wir als Gesellschaft neu darüber nachdenken müssen, wie “Einkommen” zukünftig “verteilt” werden können…
Mit freundlichen Grüßen
Christian Baier
Sehr geehrter Herr Müller
natürlich führen sie was im Schilde! Was genau sagt Ihnen die Bertelsmannstiftung.
Anbei eine Mail, die ich Ihnen im April 2016 geschrieben habe. (Mir ist bewußt, dass Sie täglich hunderte von Emails bekommen, deshalb war ich im April 2016 nicht enttäuscht, keine Antwort von Ihnen bekommen zu haben.)
Leider ist der Podcast von HR2 nicht mehr verfügbar, aber ich denke, das Material der Bertelsmannstiftung spricht für sich.
Zwischenbemerkung A.M.: Ein NachDenkSeiten Leser hat den verschwundenen Beitrag wieder gefunden und schreibt:
„Den nicht mehr verlinkbaren Beitrag vom 16.3.2016, auf den Herr Helmschmidt verweist, habe ich verlinkt. Lt. HR2 hat dieser Beitrag vom 16.3.2016 einen Preis bekommen und ist deshalb am 31.10.2016 wiederholt worden und noch downloadbar.
Viele Grüße und machen Sie weiter!
Jürgen Helmschmidt
Hier die erwähnte Mail vom 17. April:
Hallo NachDenkSeiten,
anbei ein Link auf einen Podcast von HR2 “Der Tag” vom 16.03.2016.
Von besonderem Interesse ist der Abschnitt von Minute 46:00 bis 52:15.
Zur Sprache kommt Julia Landmann von der Bertelsmann-Stiftung, die in einer Studie sechs Szenarien untersucht hat, wie sich die Wirtschaft in den kommenden 15 Jahre unter Industrie 4.0 “entwickeln könnte”.
Hier die Links zu den Studien:
- bertelsmann-stiftung.de – Sechs Szenarien für Deutschlands Arbeitsmarkt
- bertelsmann-stiftung.de – Auf dem Weg zum Arbeitsmarkt 4.0?
Die Studien zeigen vor allem, wohin die arbeits- und sozialpolitische Reise gehen wird, wenn wir sie zusammen mit Bertelsmann machen.
Eine besondere Frechheit stellt das Szenario “Rheinischer Kapitalismus 4.0” dar. Hier wird von einem sehr hohen Flexibilisierungsgrad sowohl auf Arbeitgeber- wie auch auf Arbeitnehmerseite geredet.
Und darunter stellt sich die Bertelsmann vor allem eine erhebliche Zunahem an Freelancer-Tätigkeit vor. So werden wir ganz einfach alle Arbeitnehmerrechte los.
Zum anderen wird gleich im nächsten Satz nur noch von “einem Mindestmaß an sozialer Sicherung” geredet.
Hatte ich Rheinischer Kapitalismus falsch verstanden im Sinne, dass alle profitieren sollen?
Es ist unglaublich, was die Studie unverholen schreibt:
- Ein Großteil der Arbeitenden ist nun selbstständig und ihre angebotene Arbeit ist auch sehr stark nachgefragt.
- Dafür kommen oft freie Mitarbeiter zum Einsatz, die aber meist nur einen oder wenige Arbeitgeber haben und so eine kontinuierliche, vertrauensvolle Zusammenarbeit ermöglichen (sic!) – der „feste Freie“ ist vielerorts zum Wunschmodell geworden,
- Heute erhält jedes Kind bei der Geburt einen digitalen Bildungsfonds, der sich etwa durch einen erfolgreichen Schulabschluss auffüllen lässt. Wer diese Chance jedoch nicht nutzt, fällt aus dem System und hat keinen weiteren Anspruch auf digitale Bildung
- Den weiterführenden und tiefergehenden Kompetenzerwerb jedoch kann sich tendenziell nur eine privilegierte Schicht leisten, dieser Teil der digitalen Bildung bleibt privat
Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken!
Auch das vermeintlich sanfte Szenario “Ingenieursnation mit Herzchen” (Was für ein mit Verlaub dämlicher Name!) sollte man sich näher anschauen.
Hier droht der Verlust vieler Arbeitsplätze. (Ich dachte, wir werden immer mehr Fachkräfte brauchen.)
Doch soziale Härten werden durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgeglichen.
Also Vorsicht, wenn sich künftig Politiker, von denen man es nicht erwartet hätte, sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen stark machen!
Interessant auch, die Studie wurde zusammen mit der Stiftung “Neue Verantwortung” erstellt (, von der ich bisher noch nicht gehört hatte).
Der Vorstand, Anna Wohlfahrt war zuvor 5 Jahre bei Bertelsmann und das Vorstandsmitglied Benn Scott war zuvor Innovationsberater im Stab von Hillary Clinton in ihrer Zeit als Außenministerin. Die Atlantik-Brücke läßt grüßen.
Ein wenig verwirrt hat mich, Petra Pau von der Linken im Präsidium zu finden.
Leider bin ich noch nicht dazu gekommen, Frau Pau hierzu anzuschreiben.
Mit freundlichen Gruß,
Jürgen Helmschmidt