Sind Volksentscheide das Gelbe vom Ei? Bringen Sie uns wirklich weiter? Sehr fraglich.
Zweifel sind auch aus aktuellem Anlass angebracht. Am Wahltag startete die NGO Mehr Demokratie e.V. eine Kampagne für mehr Volksentscheide und unter anderem die Verankerung dieses Instruments der Meinungsbildung im Koalitionsvertrag. Siehe unten den Text der von Mehr Demokratie e.V. verschickten Mails. Am gleichen Tag, am 25. September hat die Schweizer Bevölkerung in einem Volksentscheid einen parlamentarisch ausgehandelten Vorschlag zur Verbesserung der Rentenfinanzen und damit zur Sicherung der guten Schweizer Altersvorsorge abgelehnt. Näheres dazu ergibt sich aus dem hier wiedergegebenen Bericht und Kommentar meiner Tageszeitung, Die Rheinpfalz, vom 25.9.2017. Die Schweiz ist also mit diesem Volksentscheid nicht weitergekommen. Im Gegenteil. Albrecht Müller.
Zunächst zu Ihrer Information der Link zum Newsletter der Befürworter des Volksentscheids mit einem Link zur Unterschrift, falls Sie dieses Anliegen unterschreiben wollen:
„Jetzt ist die Zeit: Volksentscheid. Bundesweit. Diesen Aufruf starten wir heute am Tag der Bundestagswahl. Nach der Wahl wird sondiert, wer mit wem regiert und wie wir regiert werden sollen. Da wollen wir mitreden. Endlich muss der bundesweite Volksentscheid eingeführt werden. Das Vorhaben gehört in den Koalitionsvertrag. Das wollen wir durchsetzen – im Bündnis mit 30 Organisationen. Mit hunderttausenden Unterschriften. Bitte unterschreiben Sie jetzt hier unseren Aufruf und leiten Sie die Mail danach an Freunde und Bekannte weiter! Jetzt, heute noch. Vielen Dank.“
Jetzt hier klicken und für bundesweite Volksentscheide unterschreiben!
Abwägung ist nötig
Die Möglichkeit, Volksentscheide zu beantragen, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Belebung der öffentlichen Debatte in Deutschland beitragen. Aber ob dabei fortschrittliche, sachlich gerechte und der Mehrheit der Menschen dienende Lösungen herauskommen, ist fraglich und wird quasi jeden Tag fraglicher – je mehr unsere Medien nämlich in den Einflussbereich von großen Interessen geraten. Medien und die hinter ihnen steckenden Interessen können, wie man an der Schweiz im konkreten Fall sieht, auch Volksentscheide zu beeinflussen versuchen und dies mit Erfolg tun.
In diesem Zusammenhang erinnere ich an meine Veröffentlichungen zum Thema Meinungsmache und Manipulation.
In der Vorbemerkung zum Buch „Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen“ habe ich von fünf Beobachtungen berichtet. Die vierte Beobachtung lautet:
„Wer über viel Geld und/oder publizistische Macht verfügt, kann die politischen Entscheidungen massiv beeinflussen. … In einer von Medien und Geld geprägten Gesellschaft ist das zum Problem der Mehrheit unseres Volkes geworden …“
Die fünfte Beobachtung zeigt die Schärfe des Problems:
„Die totale Manipulation ist möglich. Die gleichgerichtete Prägung des Denkens vieler Menschen ist möglich.“
An diesen Beobachtungen und Erkenntnissen sollte man nicht vorübergehen, wenn man den durchaus demokratisch klingenden Vorschlag für mehr Volksentscheide vertritt. Das neueste Beispiel aus der Schweiz zeigt, dass die vierte Beobachtung in der Realität belegt wird. Die rechtsnationale SVP kann offenbar viel Geld und viel publizistische Macht mobilisieren. Bei uns wäre das in ähnlich gelagerten Fällen einer Abstimmung durchaus auch ähnlich. Der Volksentscheid kann sehr schnell zum Einfallstor der recht bequemen Durchsetzung der Interessen publizistisch mächtiger und reicher Gruppen und Personen werden. Das ist der eigentliche Grund für meine Skepsis.
Dass sich die Initiatoren des neuen Vorstoßes für mehr Volksentscheide, die Verantwortlichen von Mehr Demokratie e.V., dann auch noch darüber freuen, dass sie von Bundespräsident Steinmeier empfangen worden sind, zeugt von einer gewissen Ahnungslosigkeit dieser Initiatoren.