Zum Duell Merkel vs. Schulz: Wer das nicht gesehen hat, hat nichts versäumt.
Merkel und Schulz trafen gestern Abend aufeinander, befragt von zwei Journalistinnen von ARD und ZDF und zwei Journalisten von RTL und SAT1 Prosieben. Vorweg gleich die schockierende Nachricht für die „Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten in der SPD“: Schulz bestätigte das Gerücht, er werde auch nach einer Niederlage Vorsitzender der SPD bleiben. Es geht also weiter wie 2009. Damals ließ sich der Wahlverlierer Steinmeier, der die SPD mit 23 % an das untere Ende ihrer Geschichte gebracht hatte, feiern und bekam dann auch den zweitwichtigsten Job, den Fraktionsvorsitz. Es ging aber selbstverständlich gestern Abend über 90 Minuten lang nicht nur um die SPD. Es ging thematisch um mehr. Dazu einige Beobachtungen. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
- Das Spannende: Über wichtige Fragen wurde nicht geredet:
- Die Folgen der Austeritätspolitik, das Verlottern der Infrastruktur und die Finanznot der Gemeinden – kein Thema.
- Die Folgen der von Deutschland bestimmten Austeritätspolitik für die Länder des Südens und damit für den Zusammenhalt Europas – kein Thema.
- Zu Europa nur Lippenbekenntnisse, aber es wurde kein Gedanke darauf verwendet, wie man die wirtschaftliche und finanzielle Auseinanderentwicklung einfangen könnte. Nichts, gar nichts.
- Privatisierung und ihre Folgen – kein Thema.
- Die großen Probleme mit den unseligen ÖPPs, den öffentlich privaten Partnerschaften und quasi Privatisierungen wie bei der A1 – kein Thema.
- Zur Rente und Altersarmut nur ein Geplänkel über das Renteneintrittsalter. Nichts zur notwendigen Konzentration auf die gesetzliche Rente, auch nichts zu den abwegigen Vorstellungen des Martin Schulz, der Andrea Nahles und der SPD zur weiteren staatlichen Förderung der betrieblichen Altersvorsorge, und schon gar nichts zu den fehlenden Vorstellungen der CDU und CSU.
- Selbst zum angeblichen Hauptthema des Herausforderers, zum Thema soziale Gerechtigkeit, gab es keine vertiefende Debatte. Schulz erwähnte zwar jene Menschen und Familien, denen es schlecht geht. Aber dieses Thema wurde nicht vertieft.
- Die skandalös ungerecht und unvernünftig gewordene Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland war kein Thema dieses Duells. Dieses Verschweigen eines großen Problems und übrigens auch eines aktuell diskutierten Problems folgt vermutlich aus der Interessenlage der beteiligten Journalistinnen und Journalisten. Sie gehören zum oberen Segment.
- Nichts über die Ursachen des Terrorismus – und dabei vor allem über die Kriege des Westens.
- Nichts über die wirklichen Ursachen der Flüchtlingsbewegungen – vor allem die Kriege des Westens. Obwohl fast eine dreiviertel Stunde lang über dieses Thema gesprochen wurde, kein einziges Wort zu den Folgen der militärischen Interventionen im Irak, in Syrien, in Libyen, in Afghanistan für die Möglichkeit, weiter in der Heimat zu leben. – Bei Merkel musste man den Eindruck bekommen, die Schlepper seien die Fluchtursache.
- Kein Wort über unsere Abhängigkeit von den USA.
- Kein Wort zum neuen Konflikt zwischen dem Westen und Russland und den damit verbundenen Kriegsgefahren.
- Kein Wort zum Sinn und Unsinn der Sanktionen gegen Russland.
- Man muss davon ausgehen, dass sich die vier Journalisten/innen darauf verständigt haben, an der Oberfläche zu bleiben und die wichtigen, zuvor genannten Fragen und andere kritische Punkte nicht anzusprechen.
- Seltsam unkritische Medienvertreter – zum Teil Stichwortgeber
Ein wirklich kritisches, in die Tiefe gehendes Befragen gab es nicht, eher wurden die zu erwartenden Aussagen der beiden Duellpartner vorweg verstärkt. So zum Beispiel Sandra Maischberger mit der Behauptung, wir hätten ein „Wirtschaftswachstum, das sich gewaschen hat“. Das sollte auf Merkels Hauptbotschaft abzielen, wonach es uns noch nie so gut gegangen ist wie heute. Richtig ist, dass das für dieses Jahr zu erwartende Wirtschaftswachstum mäßig ist und unterhalb des EU-Durchschnitts liegen könnte. Siehe hier. - Schulz erklärte nicht, warum Merkel gehen soll.
Zehn oder auch nur fünf Gründe, warum die Bundeskanzlerin Merkel gehen muss – dies von dem Gegenkandidaten zu hören, wäre spannend gewesen. - Eine seltsame thematische Gewichtung
Rund 45 Minuten zum Themenkomplex Flüchtlinge, Islam, Terrorismus. Das war also knapp die Hälfte der Zeit und das für die Themen der AfD. Was fehlte, siehe Ziffer 1. - Was interessant war:
- Beide schwärmen von Einwanderung, und Merkel vom Fachkräfteeinwanderungsgesetz; Schulz und Merkel, beide kennen nur das von Egoismus geleitete Interesse an gut ausgebildeten Menschen aus anderen Ländern. Akademiker und ein bisschen abwärts. Mehr nicht. Sie repräsentieren eine politische Führungsschicht, die den nackten nationalen Egoismus vertritt, aber dann hurtig von Wertegemeinschaft des Westens schwärmt. Verlogen bis zum geht nicht mehr.
- Martin Schulz hat sich sehr hart über den amerikanischen Präsidenten Trump geäußert. Das mag er persönlich für berechtigt halten und objektiv spricht einiges dafür, dass die US-Amerikaner eine seltsame Wahl getroffen haben. Aber wenn man Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden will, eines Staates, der erkennbar von den USA abhängig ist, dann muss man bei den eigenen Äußerungen bedenken, dass man nach der Wahl mit diesem Präsidenten reden muss. Martin Schulz hat das nicht bedacht.
- Martin Schulz hat sich auch dezidiert für das Ende der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen. Angela Merkel hat gezögert und darauf hingewiesen, dass wir im Gespräch bleiben müssten – auch wegen der inhaftierten deutschen Staatsangehörigen. Ich weiß nicht, was Martin Schulz in dieser Frage und auch in seinen Äußerungen zum amerikanischen Präsidenten geritten hat. Wahrscheinlich die Empfehlung, klare Kante zu zeigen – Schulz selbst würde das populistisch nennen. – Seine Vorvorgänger als sozialdemokratische Kanzler bzw. Kanzlerkandidaten haben immer versucht, die Möglichkeiten des Gesprächs auch mit Politikern offenzuhalten, die in der allgemeinen Öffentlichkeit nicht beliebt waren und ohnehin keine Musterdemokraten. Bundeskanzler Helmut Schmidt redete mit Honecker und besuchte diesen sogar. Willy Brandt redete mit Breschnew und machte mit ihm sogar eine Bootstour auf dem Schwarzen Meer. Usw. Schulz zeigt klare Kante und erschwert seine Arbeit als potentieller Staatsmann.
- Beide, Schulz und Merkel, haben die Wertegemeinschaft des Westens beschworen. Aber sie kamen nicht auf die Idee, zu hinterfragen, wo die Wertegemeinschaft in Bezug auf die NATO-Mitgliedschaft der Türkei und der USA unter der Präsidentschaft von Trump eigentlich geblieben ist. Die Türkei ist in der NATO und damit auch in der behaupteten Wertegemeinschaft – das passt doch nicht zusammen. Die Medienvertreter rührten keinen Finger und bewegten keine Lippe, um nachzuhaken.
- Fehler, jedenfalls Seltsames von Schulz
- Zunächst sei auf die Äußerungen zu Erdogan und Trump verwiesen, und auch zu Putin, den er, wie es heute unter oberflächlichen Agitatoren üblich ist, in die Reihe mit den beiden anderen setzt: „Trump Erdogan Putin“. Das war Wahlkampf ohne Rücksicht auf die Rolle, die man im angestrebten Amt als Bundeskanzler spielen muss.
- Eigenartig, wenn auch eine Kleinlichkeit: Schulz bedankte sich für die Fragen der Journalisten. Peinlich.
- Schulz redete zu schnell, manchmal schwer verständlich.
- Sein Abschlussstatement war nicht optimal. Am Anfang fragte er, wie viel Zeit er habe, 1 Minute. Da war klar erkennbar, dass er das wusste. Eine Bauernschläue, die unseriös wirkt.
- In Sachen Maut hat er gegenüber Angela Merkel verloren. Sie verwies auf die Ungerechtigkeit, dass wir Deutschen im Ausland zahlen, und die Österreicher zum Beispiel nicht bei uns.
- Gegen Ende kam es zu einer seltsamen Szene. Es ging um einen Gesetzentwurf des SPD-Justizministers Heiko Maas, der im Kanzleramt zur Prüfung liege, was Schulz stolz erwähnte. Merkel erklärte, dass dieser mangelhaft sei. Darauf verkündet Martin Schulz, er werde den Justizminister Maas anrufen. – Etwas zum Fremdschämen.
Fazit: Dass ein Duell der beiden Spitzenkandidaten so uninteressant verlaufen kann, ist nicht nur die Schuld dieser beiden Kandidaten/in. Wenn es keine wirklich kritischen Fragen gibt, die die Oberfläche verlassen, dann kann es auch kein in der Sache ertragreiches Duell werden.