Lange Kriege
Das kürzlich erschienene Buch des kanadischen Autors und politischen Berichterstatters Stephen Gowans “Washington’s Long War on Syria” enthüllt, wie die USA mit der Muslimbruderschaft zusammenarbeitete – dem ideologischen Wegbereiter al-Qaidas und des Islamischen Staats – um den baathistisch geprägten, arabischen Sozialismus in Syrien, im Irak, im Iran und in Libyen aufzulösen und dort beständige Freihandelszonen zu errichten, die den Interessen der USA im Nahen Osten dienlich sind. Marco Patriarca hat für die NachDenkSeiten eine Rezension des Buches von Claire Connelly ins Deutsche übersetzt, die im englischsprachigen Original auf Renegade Inc. veröffentlicht wurde.
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Von Syrien, dem Irak, über den Iran bis nach Libyen – unser Verständnis der langen Kriege des Nahen Ostens als moralisch motivierte humanitäre Interventionen zur Demokratisierung und gesellschaftlichen Neuordnung ist das Ergebnis sorgfältig inszenierter Propaganda-Kampagnen der USA und ihrer Verbündeten. All jene Aufstände wurden von Stellvertretern der USA in Gang gesetzt, um die Regionen zu destabilisieren und Regimewechsel zu rechtfertigen, die den wirtschaftlichen Interessen von Investoren, Banken und Konzernen entsprechen. Dies wird in der jüngsten Veröffentlichung des kanadischen Autors und Analysten Stephen Gowans “Washington’s Long War on Syria” umfassend dargestellt.
Es mag überraschend klingen, aber die libysche, die syrische und auch die irakische Regierung – unter den Führungen Muammar Gaddafis, Hafiz al-Assads (gefolgt von Bashaar al-Assad) und Saddam Husseins – waren sozialistische Regierungen. Oder baathistisch geprägte, arabisch sozialistische Regierungen, um genau zu sein. Die Grundfesten dieses Sozialismus lassen sich mit den Idealen “Freiheit der arabischen Welt, Freiheit von ausländischen Mächten und Freiheit des Sozialismus” zusammenfassen. Diese Grundsätze wurden in Libyen, wie im Irak und in Syrien angestrebt. Natürlich, vor allem in Husseins Fall lässt sich nicht behaupten, dass diese Regierungen nicht zu kritisieren gewesen seien. Die ethnischen Säuberungen dürfen nicht übersehen werden, sie sind strengstens zu verurteilen. Für die USA und ihre Verbündeten waren sie aber nicht der Grund zu intervenieren.
“Das letzte Vierteljahrhundert hindurch führten die USA und ihre Verbündeten in mehreren Phasen einen vernichtenden Wirtschaftskrieg gegen Syrien und den Irak, das ökonomische Äquivalent zum atomaren Krieg”, schreibt Gowans; er führt fort: „sie haben es getan, weil sie gegen die baathistisch arabisch sozialistischen Bemühungen waren, Staatsgewalt und Ressourcen der arabischen Welt unter die Kontrolle derer zu bringen, die in der arabischen Welt leben und arbeiten“. Im Fall des Iraks hatten Ölreichtum und Vergesellschaftung zu dem geführt, was als “Goldenes Zeitalter” bekannt ist. In den Worten eines Beamten des Außenministeriums: “Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Fabriken, Museen und Theater weiteten die Arbeitsplätze so allumfassend aus, dass sich ein Arbeitskräftemangel einstellte“. Nachdem die Baathisten im Irak gestürzt waren, setzten die USA Paul Bremer als Machthaber der Militärbesatzung ein. Bremer „entbaathisierte“ die staatlichen Behörden, im Zuge dessen wurden sämtliche Mitglieder der Baath-Partei entlassen sowie eine Verfassung vorgelegt, die eine säkulare Führung des Iraks untersagt.
Dasselbe Mitglied des Außenministeriums hatte zu Gaddafis Libyen geschrieben, dass der Ölreichtum im Zusammenspiel mit der Vergesellschaftung der Wirtschaft, “den Libyern ein Leben jenseits der wildesten Träume ihrer Väter und Großväter ermöglichte.” Kurz darauf wurde Gaddafi von Islamisten beseitigt, die durch NATO-Truppen unterstützt wurden, nachdem westliche Öl-Unternehmen Druck ausgeübt hatten, denn „mit ihm als Verhandlungspartner war es schwer, vorteilhafte Geschäfte zu machen”. Kanadische Einheiten witzelten, sie seien “al-Qaidas Luftwaffe” gewesen.
Vor dem Hintergrund der Terroranschläge des 11. Septembers 2001 erklärte der US-General a. D. Wesley Clark einem Reporter, dass er während eines Besuchs des Pentagons von Plänen gehört habe, den Irak, Libyen und Syrien anzugreifen. Innerhalb von zehn Jahren wurden diese Pläne ausgeführt. 2002 hat Präsident Bush Syrien der Achse des Bösen zugschlagen. Fortan war Syrien Teil der Gruppe von Staaten, für die ein Regimewechsel vorgesehen war: Irak, Iran und Nordkorea, begründet durch den angeblichen Besitz von Massenvernichtungswaffen (mit Ausnahme Nordkoreas), was „humanitäre Interventionen“ legitimieren sollte. „Massenvernichtungswaffen wurden zum Vorwand, um die unliebsame sozialistische Regierung in Bagdad stürzen zu können und die Wirtschaft privatisieren zu können”, so Gowans.
Die USA waren seit den 1950er Jahren bemüht, den Sozialismus des Nahen Osten zu Fall zu bringen. Zusammen mit London versuchten sie, sich der arabischen Nationalisten und kommunistischen Führer in Syrien zu entledigen, die es gewagt hatten, die Wirtschaftsinteressen der USA infrage zu stellen. Dieses Vorhaben wurde von Kermit Roosevelt junior vorangetrieben, der bereits 1953 geholfen hatte, den iranischen Premierminister Mohammad Mossadegh zu stürzen. Mossadegh wollte die Ölindustrie verstaatlichen. Nach seinem Sturz wurde der iranische Schah, Mohammad Reza Pahlavi, installiert, der den US-Interessen wohlwollender gegenüberstand.
Die Muslimbruderschaft – ideologischer Vorläufer von al-Qaida und des IS – sah seit den 1970er Jahren seine Mission darin, die Regierungen in Syrien, Libyen und jene im Irak zu bekämpfen. Den baathistisch geprägten, arabischen Sozialismus betrachteten sie als unvereinbar mit dem Koran, sie erklärten ihm “Krieg ohne Ende”. Die USA fanden einen Verbündeten und bemerkenswerten Partner in der Muslimbruderschaft, die sie stellvertretend zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Ziele einsetzen konnte.
Die Muslimbruderschaft hatte erfolglos versucht, das syrische Staatsoberhaupt Hafiz al-Assad abzusetzen. Während der 1970er Jahre starteten sie einen durch die USA bewaffneten und durch Trainingsmaßnahmen unterstützten Guerillakrieg gegen die Provinzhauptstadt Aleppo, verübten Anschläge auf Baathisten, ermordeten Staatsbeamte und Offiziere der Armee und griffen zentrale Regierungsbehörden und Militärbasen an. Der Aufstand wurde durch das syrische Militär niedergeschlagen. 1973 brachte Präsident Hafiz al-Assad eine Verfassung ein, die die arabische Welt vereinen, das religiöse Sektierertum überwinden, die Region von fremder Herrschaft befreien, durch Vergesellschaftung und Planung eine moderne einheimische Wirtschaft aufbauen und damit seine Präsidentschaft langfristig festigen sollte.
1982 nahm die Muslimbruderschaft einen erneuten Anlauf. Sie brachte die viertgrößte Stadt Syriens, Hama, unter ihre Kontrolle. Während der blutigen Aufstände wurden abermals Sozialisten ermordet. Beinahe alle Regierungsbeamten wurden hingerichtet, die meisten durch Enthauptung. Erneut erhob sich die syrische Armee, um den Aufstand niederzuschlagen. Dabei beschlagnahmte sie 15.000 über den arabischen Raum eingeführte Maschinengewehre und nahm durch den CIA ausgebildete jordanische Paramilitärs fest. In den 1990er Jahren bildete die Muslimbruderschaft zusammen mit anderen sektiererischen sunnitischen Islamisten eine nationale Front zur Befreiung Syriens. Deren Ziel es war, Assad zu ermorden und einen islamischen Staat nach den Lehren des Korans zu errichten.
2006 waren Mitglieder der Muslimbruderschaft zwei Mal zu Gast im Weißen Haus, 2007 folgten weitere Treffen. Während des Aufbaus der nationalen Befreiungsfront arbeitete man gemeinsam an der Destabilisierung der Region, um islamistische Machthaber einsetzen zu können, die nebenbei auch überzeugte Freihandelsanhänger sein sollten.
Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2000 folgte Bashar al-Assad in dessen Position als Staatspräsident Syriens. Seitdem ist er alles, was zwischen säkularer und islamisch fundamentalistischer Herrschaft steht. Wiederum kooperierten Muslimbruderschaft und USA, um Bashar al-Assad zu stürzen. Da die USA aber bereits mit der Befriedung des Irak ausgelastet waren, kam das Modell des Regimewechsels durch Militärintervention nicht infrage. Stattdessen wurden ab 2003 Wirtschaftssanktionen verhängt, „um zu erreichen, wozu Sanktionen gedacht sind“, schreibt Gowans und führt fort: „Volkswirtschaften sollen soweit zerstört werden, dass die Bürger mit dem Willen des Regierungssturzes aufbegehren.”
„Wirtschaftssanktionen sind zudem ein wirksames Propagandainstrument. Wurde die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ruiniert, kann der wirtschaftliche Niedergang, der den Verfall der gesamten Region nach sich zieht, mit der sozialistischen Regierungspolitik erklärt werden.” Ab dem Frühling 2012 hatten die Sanktionen die Verantwortlichen dazu gezwungen, die Bereitstellung der Gesundheitsfürsorge, von Sozialleistungen und des Bildungswesens in Teilen des Landes einzustellen. 2016 kommt ein durchgesickerter UN-Report zu dem Ergebnis, dass die Sanktionen das Leiden verstärkt haben. Sogar der Zugriff auf humanitäre Hilfe wurde blockiert.
“14 Jahre Syrien-Sanktionen haben das Land zerstört”, schreibt Gowans. ” Wir sehen die Angriffe, ausgeführt von Washingtons Stellvertreter-Milizen, Enthauptungen, Gemetzel und Verbrennungen, die unsichtbaren Einwirkungen der Sanktionen sehen wir nicht.”
Der Autor kommt zu dem Schluss, dass der Arabische Frühling, aufgeflammt durch die Proteste in Daara, nicht wie von den Massenmedien berichtet ein friedlicher Ruf nach freiheitlicher Demokratie war, “sondern ein Rückfall in die Jahrzehnte währenden Kämpfe zwischen Islamisten und Säkularen, die von den USA und ihren Verbündeten angestachelt wurden, die diesen Vorspann brauchten, um die Kriege im Irak und in Syrien entfachen zu können”.
In jedem dieser Fälle: im Irak, in Syrien und in Libyen (zuvor im Iran), diente der Eingriff der USA nicht der Demokratie oder gar der nationalen Sicherheit, sondern dem Bestreben Freihandelszonen zu schaffen, auch wenn das bedingte, fundamentalistische Diktatoren zu installieren, die ihre Bevölkerung unterdrücken und verarmen lassen.
Das Video zeigt die Geschehnisse in Syrien, im Irak, im Iran und in Libyen in zeitlicher Abfolge und bietet zudem eine gute Zusammenfassung der Lektüre.