Prof. Schmelz über die Verflechtung von Finanzindustrie und einschlägiger Wissenschaft
Wenn unsere Medienschaffenden für ihre Beiträge zur Finanzkrise und zur Börsenentwicklung wissenschaftlich klingende Äußerungen brauchen, dann greifen sie häufig auf Wissenschaftler aus Frankfurt und Umgebung zurück. Dass viele dieser Wissenschaftler direkt mit der Finanzwirtschaft verbunden und von ihrem Geld abhängig sind, wird uns dabei nicht mitgeteilt. Der seit längerem bewährte Kritiker dieser Entwicklung in der Finanzwirtschaft Professor a.D. Dr. jur. Karl-Joachim Schmelz hat dazu einen Text verfasst. Was er beschreibt, erinnert im übrigen sehr viel an das, was Wolfgang Lieb und wir insgesamt in den NachDenkSeiten schon über die Übereignung unserer Wissenschaft an die Wirtschaft beschrieben haben. Albrecht Müller.
Prof. Dr. Schmelz in einer Mail vom 26.5.2009:
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie kennen es:
Alle haben die Finanzkrise ‚vorhergesagt’ und wissen (jetzt), wie es gekommen ist. „Rädchen A hat sich zu schnell gedreht, dadurch ist bei Rädchen B ein Zahn abgebrochen und deswegen hat sich Rädchen C nicht mehr gedreht ….“. Die entscheidende Frage, warum sich ‚Rädchen A zu schnell gedreht’ hat, wird nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet.
An sich wäre es (nicht erst jetzt) Aufgabe einer sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewußten, freien und unabhängigen Wissenschaft (gewesen), das ‚Rädchen-Gefüge’ (z.B. die sog. ‚Finanzinnovationen’) empirisch zu erfassen, zu analysieren, Chancen und Risiken herauszuarbeiten und zu kommunizieren.
Neben der Rechtsprechung und noch vor den Medien hat gerade die ‚Wissenschaft’ eine nicht nur ‚systemrelevante’, sondern ‚systemsubstantielle’ Kontroll-Funktion, bei deren Einschränkung oder (wie im hier diskutierten Zusammenhang) vollständigem Ausfall es (wie die historischen Erfahrungen belegen) zwingend zu ‚destabiliserenden Entgleisungen’ kommt bis hin zur Gefahr eines vollständigen System-Zusammenbruchs.
Nicht nur, aber jedenfalls privilegiert wäre das im hiesigen Zusammenhang die Aufgabe der Wirtschafts- und Finanzwissenschaften gewesen. Diese haben sich aber (fast ausnahmslos) rein intrasystematisch ausschließlich darauf konzentriert, das ‚Räderwerk’ zu ‚verbessern’, um eine noch ‚höhere Umdrehungszahl’ zu erreichen, d.h. den ‚einzelwirtschaftlichen Ertrag’ (‚Gewinn’) der an diesem Geschäftszweig Beteiligten zu steigern.
Das war (ist ?) der ‚Normalfall’. Viele ‚Wissenschaftler’ haben sich aber darüber hinaus mit ihrer ‚wissenschaftlichen Reputation’ sogar zu reinen Propagandisten der ‚Finanzinnovationen’ gemacht. Ich verzichte vorerst an dieser Stelle darauf, Namen zu nennen und Belege beizufügen (das kostet etwas Zeit, die ich nicht habe). Manche Namen kennen Sie, nicht nur ‚Herrn Professor Un-Sinn’.
Die Fragen, die sich stellen:
Wie konnte das geschehen ?
Wie konnte der „Zug der wissenschaftlichen Lemminge“ so wirksam ‚formatiert’ werden ?
Was sind die Entstehungsbedingungen für eine derart verantwortungslose und pflichtvergessene ‚Wissenschaft’?
Volker Siefert vom Hessischen Rundfunk ist in dem verlinkten Beitrag einer möglichen Ursache nachgegangen:
- Wußten Sie, daß bei einem ‚finanzwissenschaftlichen Institut’ in Frankfurt, das unter dem Label „Universität Frankfurt“ betrieben wird und auftritt, das „Gesamtbudget … von 1,5 Millionen Euro im Jahr … aus allen Teilen der Finanzindustrie“ kommt ?
- Wußten Sie, das „Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt und der European Business School in Oestrich-Winkel für Ihre Forschungen finanzielle Unterstützung durch gemeinnützige Stiftungen [erhalten], die in Finanzmarktgeschäfte von Banken eingebunden sind“ ?
- Wußten Sie, daß „die drei führenden Finanzwissenschafts-Institute in Hessen unmittelbar (!) von Kreditverkäufen durch Banken profitieren“ ?
- „Am Ende profitieren also Wissenschaftler durch Mittel aus Kreditverkäufen, die über die Risiken genau solcher Geschäfte urteilen sollen.“
Jedem, der schon einmal über „Freiheit der Wissenschaft“ und „wissenschaftliche Unabhängigkeit“ (das sind die beiden Seiten der gleichen Münze) nachgedacht hat, stehen die Haare zu Berge !
Man muß nicht Wissenschaftler sein, sondern es genügt ein Mindestmaß an Intelligenz und gesundem Menschenverstand um zu erkennen, daß Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft eine ‚institutionelle Unabhängigkeit’ voraussetzen, gerade auch im Hinblick auf die Finanzierung der ‚wissenschaftlichen Tätigkeit’.
Das ist verfassungsrechtlich (Art. 5 III GG) längst ausdiskutiert – schert die Politik aber ‚einen feuchten Kehricht’ (gerade auch in Hessen, nicht erst seit CDU-Zeiten).
Selbst in der (ansatzweise vergleichbaren) „Drittmitteleinwerbungs-Diskussion“ ist meines Wissens unstreitig, daß die ‚Basis-Finanzierung’ öffentlicher Wissenschaftseinrichtungen („Universität Frankfurt“) durch den Staat zu erfolgen hat, um ein Mindestmaß an „Freiheit bei der Auswahl und Betätigung des wissenschaftlichen Erkenntnis-Interesses“ zu gewährleisten. („Was will ich untersuchen ?“)
Sowohl in der verfassungsrechtlichen als auch in der Drittmittel-Diskussion herrscht meines Wissens Übereinstimmung dahingehend, daß die ‚Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft’ nicht vollständig der „persönlichen Integrität des einzelnen Wissenschaftlers“ überantwortet werden kann und darf, denn der Wissenschaftler ist bei Fragen der ‚Finanzierung seiner wissenschaftlichen Tätigkeit’ in der Regel existenziellem Druck ausgesetzt.
Nur wenige, renommierte ‚Spitzenwissenschaftler’ könnten es sich aber leisten, diesem Druck zu widerstehen und im Konflikt-Ernstfall ggf. auch ‚den Hut zu nehmen’. Aber selbst für den ‚Spitzenwissenschaftler’, erst recht natürlich für alle anderen, stellt sich das Problem des ‚vorauseilenden Gehorsams und der Selbstzensur gegenüber dem Geldgeber’, daß es gerade schon im Ansatz zu vermeiden gilt.
(In Bezug auf den ‚Geldgeber Staat’ besteht da völlige Einigkeit; daß mittlerweile der ‚Geldgeber Wirtschaft’ ein entscheidendes Gewicht erlangt hat, ist – jedenfalls im hier erörterten Zusammenhang – erst in ganz wenigen Köpfen ‚angekommen’.)
‚Unabhängigkeit’ als Voraussetzung der ‚Freiheit’ und damit als Voraussetzung dafür, der ‚gesellschaftlichen Aufgabe und Verantwortung von Wissenschaft’ gerecht werden zu können, setzt also (gerade auch hinsichtlich der Finanzierung) Rahmenbedingungen voraus, die diese ‚Unabhängigkeit’ schaffen und sichern.
Mit diesen Grundsätzen ist die von Volker Siefert aufgedeckte ‚Finanzierungsstruktur’ offensichtlich nicht zu vereinbaren !
Der im Beitrag interviewte Prof. Krahnen ist persönlich (!) sicher kein ‚Propagandist der Finanzinnovationen’ (im obigen Sinne), sonder hat im Gegenteil sich (freilich auch nur rein ‚intrasystematisch’) durchaus kritisch geäußert, wenn auch stets nur im Sinne einer ‚Erhaltung und Verbesserung des Räderwerks’.
Was ist aber mit den zahlreichen weiteren ‚Wissenschaftlern’ der drei in dem Siefert-Beitrag angesprochenen ‚wissenschaftlichen Einrichtungen’ ?
Die in diesen Einrichtungen zweifellos angesammelten ‚Sachkenntnisse’ und der dort zweifellos versammelte ‚Sachverstand’ müßten (schon rein statistisch) erwarten lassen, daß sich zumindest ein nicht verschwindend geringer Teil der Arbeit auch den grundsätzlichen Fragen nach der Sinnhaftigkeit der ‚Finanzinnovationen’, ihren volkswirtschaftlichen Ursachen und Wirkungen und ihren systematischen Risiken widmet.
Schaut man sich aber die gesamten Publikationen an, stellt man fest, daß man sich praktisch ausschließlich (ganz im Sinne der Geldgeber) der ‚Verbesserung des Räderwerks’ (im obigen Sinne) widmet, ja daß man sich zu einem erheblichen Teil mit ‚unkritischer Lobhudelei’ als ‚Propagandisten der Finanzindustrie’ betätigt.
Das verwundert auch nicht, wenn ‚die Politik’ (ja, die ganz Dummen reden auch mit) sogar ausdrücklich fordert, daß „die Universitäten sich als Dienstleister für die Wirtschaft“ verstehen müßten und „die Wirtschaft in den Universitäten mitbestimmen“ müsse.
Es sieht so aus, als sei der darin liegende verfassungsfeindliche Handstreich weitgehend gelungen:
„Frankfurter finanzwissenschaftliche Universitäts-Institute“ – „Pförtnerhäuschen der Frankfurter Bankentürme“
Mit freundlichen Grüßen
Prof. a.D. Dr. jur. Karl-Joachim Schmelz
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