Mehmet Scholl – ein „Deserteur“ mit Haltung
Hätte er es nur angezogen, das Büßerhemd. Wahrscheinlich wäre ihm die Exkommunikation von seiner Position als Kommentator der ARD erspart geblieben. Doch stattdessen hat Mehmet Scholl genau das getan, was die Sittenwächter des „öffentlichen Wortes“ nur als Frevel auffassen können: Er hat keinerlei Einsicht in sein „Fehlverhalten“ gezeigt. Man könnte aber auch sagen, er hat sich so verhalten, wie es gerade Vertreter großer Medien seit geraumer Zeit immer wieder fordern: Er hat Haltung gezeigt.
Ein Kommentar von Marcus Klöckner zum „Fall“ Mehmet Scholl.
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Was wir derzeit in Sachen Mehmet Scholl beobachten können, zeigt wieder einmal: Ein Akteur, der an den Schaltstellen der Meinungsproduktion steht, muss sich an die vorgegebenen engen Grenzen des „Sagbaren“ halten. Überschreitet er diese Grenzen, erfolgt die Verbannung.
In einer Zeit, in der die Hohepriester der öffentlichen Meinung mit Argusaugen darüber wachen, was gesagt und vor allem auch: wie sich verhalten wird, hat der „unbequeme Charakter“ im Allgemeinen keinen leichten Stand.
Mehmet Scholl, der 1996 mit der deutschen Nationalmannschaft Europameister wurde, kann davon nun ein Lied singen.
Scholl, der neun Jahre mit der ARD zusammengearbeitet hat, wagte es doch tatsächlich, eine redaktionelle Entscheidung zu kritisieren.
Die ARD wollte bei einer Confed-Cup-Sendung unbedingt mit dem ehemaligen Bayern-Spieler über Doping in Russland sprechen, doch der war der Meinung, an dem Tag habe das Thema nicht in die Sendung gepasst, weshalb er kurzerhand nicht an ihr teilnahm (die NachDenkSeiten berichteten).
Eine eigenwillige Entscheidung, die erkennen lässt: So sieht es aus, wenn jemand tatsächlich Haltung zeigt.
Vermutlich wohl wissend, dass seine Meinung und sein Verhalten ein mittleres Empörungsbeben verursachen würden, hat sich der Sohn eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter nicht verbiegen lassen.
Doch es war vorauszusehen: In einer Zeit, in der es geradezu zur journalistischen Pflicht zu gehören scheint, Russland zu kritisieren, ob es nun angebracht ist oder nicht, schlägt das Empörungsbarometer vieler Medien schnell aus, wenn ein TV-Experte dieser „Pflicht“ nicht bereit ist, nachzukommen.
Und so reihen sich die Tage wieder einmal Artikel aneinander, die in schönem Einklang Scholl zur „persona non grata“ erklären.
Zeit Online findet, die Entscheidung der ARD-Verantwortlichen sei ein „gutes Zeichen“, schließlich habe der Fußball gerade „sehr viele Probleme“, um dann unmissverständlich zu erklären:
„Dieser Sport braucht keinen Sprücheklopfer, er braucht Journalismus.“
Spiegel Online ist der Ansicht, dass die Trennung nach dem „Eklat“ „unausweichlich“ war, schließlich sei der 46-Jährige als TV-Moderator immer wieder „angeeckt“.
Das Portal meedia will gar gleich festlegen, was in der Republik als witzig zu gelten hat und was nicht. Im Hinblick auf Scholls flapsige Sprüche heißt es:
„Ein Witz darf auch mal unverschämt sein. Aber er muss halt immer noch witzig sein, um als Witz durchzugehen.“
Einen Tag vor der finalen ARD-Entscheidung in der Causa rief die taz gleich mehr oder weniger offen zur Exkommunikation Scholls auf und findet, „dass er [Scholl. Anmerk. NDS] jetzt ans Expertenmikrofon zurückkehren darf, ist ein journalistisches Armutszeugnis für die ARD…“.
Die Welt wähnt sich wohl beinahe gar im Krieg und spricht davon, dass „ARD und Mehmet Scholl sich trennen „mussten“, schließlich sei der Fußballspieler „desertiert“ (Wikipedia schreibt zu dem Begriff desertieren: Fahnenflucht oder Desertion bezeichnet das Fernbleiben eines Soldaten von militärischen Verpflichtungen in Kriegs- oder Friedenszeiten. Der fahnenflüchtige Soldat wird allgemein als Deserteur…bezeichnet.“)
Ein Glück für Scholl, dass „wir“ uns nicht im Krieg befinden, denn in Kriegszeiten steht auf Fahnenflucht die Todesstrafe.
Schließlich folgt: die Unterstützung aus dem akademischen Feld.
Ein „Medienpsychologe“ erklärt auf Focus Online, dass Scholl „alleine“ für die Trennung verantwortlich sei.
Um es abzukürzen: Wer sieht, mit welcher Empörung und Wut Medien berichten, wenn ein Akteur wie Scholl es sich leistet, eine eigenständige Meinung zu haben, könnte fast zu dem Verdacht kommen, dass ein Journalismus hier am Werk ist, der sich für Länder empfehlen möchte, die bisweilen als „Gottesstaaten“ bezeichnet werden – dort wird bekanntlich Nonkonformismus, Individualität und die Bereitschaft, in der Öffentlichkeit anzuecken ebenfalls nicht gerne gesehen.
Immerhin: Auch im Ausland stößt die Berichterstattung hierzulande auf Kritik. Die Neue Zürcher Zeitung schreibt:
„Aber in Deutschland liebt man eben die mediale Treibjagd im Namen der guten Sache.“
So kann man es sehen.