Hinweise der Woche

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Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lohnenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CW)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Ein neuer staatlich gedeckter Betrug der Autobranche
  2. Propaganda wiederholt sich
  3. Regime Change in Venezuela?
  4. Afghanistan: Koloniale Söldner
  5. Überlastung der Verwaltungsgerichte ist Folge inhumaner politischer Vorgaben
  6. Keine Hilfe für Afrika – Auch die neue Entwicklungspolitik ist unehrlich
  7. Frankreich: Im Widerspruch zum eigenen Modernisierungsanspruch
  8. Ökonom über Folgen der Finanzkrise: „Das kann jederzeit wieder kommen“
  9. Poison Papers: Schatztruhe voll toxischer Geheimnisse
  10. Staatsversagen Leiharbeit
  11. Große Koalition: Sozialpolitik in Trippelschritten
  12. Kann EU-weites Wassersparen den Wassermangel in Spanien und Italien mindern?
  13. Wahl braucht Alternativen
  14. Alles im Griff

Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnendsten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Ein neuer staatlich gedeckter Betrug der Autobranche
    Nachdem aufgeflogen ist, dass die Automobilbranche mit Rückendeckung sukzessiver Regierungen unterschiedlicher Couleur die Käufer bei den Abgas- und Verbrauchswerten immer dreister betrogen hat, folgt nun das staatlich gedeckt Betrugsmanöver Teil 2, die Umweltprämie.
    Der Absatz ist aufgrund des Diesel-Skandals eingebrochen. Die Halden unverkaufter Neuwagen werden größer. Die Autohersteller müssen die Preise kräftig senken. Gleichzeitig werden sie von den Vorwahl-Politikern massiv bedrängt, wenigstens so zu tun, als würden sie etwas zur Behebung des angerichteten Schadens beitragen. Was liegt da näher, als die ohnehin nötigen Preissenkungen beim Neuwagenkauf von fünf bis zehn Prozent des Listenpreises als Umweltrabatte zu deklarieren und so zu tun, als müsse man dafür einen alten Diesel aus dem Verkehr ziehen. Machen Sie mal die Probe aufs Exempel. Gehen sie zu einem VW-Händler und fragen nach einem Nachlass vom Listenpreis – sagen wir beim Kauf eines großmotorigen Touareg. Ich würde wetten, da ist einiges zu machen, auch ohne dass Sie einen alten Stinker ihr eigen nennen und aufgeben.
    Man fragt sich: Wenn BMW für seine „Umweltprämie“ von 2000 Euro den Kauf eines Neuwagens mit weniger als 130g CO2-Austoß zur Bedingung macht: Kann BMW die Prämie später zurückfordern, wenn das Unternehmen dem Kunden nachweisen sollte, dass der CO2-Austoß nur auf dem Papier so niedrig ist? Und: Wenn VW die höchste „Umwelt“-Prämie von 10.000 Euro für den Kauf von Touareg-Dieselgroßschluckern bietet, liegt der Umweltaspekt dann vielleicht darin, dass man mit diesen Teilen ohnehin bald nicht mehr in Städte fahren darf – indirekte Förderung des Nahverkehrs also?
    Quelle: Norbert Häring

    dazu: Die Diesel-Abwrackprämie hat mit Umweltschutz nichts zu tun
    VW, BMW und Daimler setzen auf alte Muster: hohe Rabatte für Ladenhüter. Das führt nicht zu besserer Luft, sondern ist ein Zeichen für wachsende Verzweiflung. […]
    Auf den zweiten Blick ist das Manöver doch sehr durchsichtig. Es ist klar, dass die Autobauer, allen voran der sehr in Bedrängnis geratene Wolfsburger Konzern mit seinen Marken wie VW, Audi, Porsche und Skoda, mit dem Angebot vor allem ihren Absatz unterstützen und den Dieselmotor retten wollen. Es war schon immer ein probates Mittel, den darbenden Verkauf zu stimulieren, indem man üppige Rabattaktionen auf unattraktive Ware gewährt. Das kann man in jedem Warenhaus bestaunen.
    Quelle: Süddeutsche

    dazu auch: Wie die Politik die Autoindustrie vor Bußgeldern schützt
    Die EU schreibt abschreckende Sanktionen gegen Autohersteller vor, die Schummelsoftware einsetzen. Doch Minister Dobrindt lehnt abschreckende Bußgelder ab.
    Die EU-Vorgaben sind eigentlich klar: Autohersteller, die unzulässige Abschalteinrichtungen einsetzen, um Abgaswerte zu manipulieren, sollen in den einzelnen Mitgliedsstaaten „wirksam, verhältnismäßig, abschreckend“ sanktioniert werden. Doch wie sieht es in Deutschland aus? Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt lehnt es ab, Bußgelder gegen die Autokonzerne auf den Weg zu bringen. Ihm reichen Rückrufaktionen der Autokonzerne und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Dabei zeigen seine eigenen Hausjuristen detailliert auf, wie auch Bußgelder verhängt werden könnten. Das zeigt eine interne fünfseitige Expertise vom Mai 2016, die REPORT MAINZ vorliegt. Oliver Krischer, Obmann der Grünen im Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages hält das für einen Skandal: „Das, was die Bundesregierung im Moment praktiziert, ist quasi eine Einladung an die Trickser und Betrüger in der Automobilindustrie, weiter zu machen.“
    Quelle: Report Mainz

    und: Das ist nicht niedlich
    Der Begriff Schummelsoftware steht seit 2015 auch für die Versäumnisse im Dieselskandal. Nicht nur PolitikerInnen sparen klare Worte zu oft aus. Gerade in vielen Redaktionsstuben ist sprachliche Präzision Mangelware, wenn es gilt, die Autoindustrie zu entlarven.
    Klaus-Peter Murawski, als Chef der Staatskanzlei wichtigster Berater von Winfried Kretschmann, hat sich dieser Tage als „Verantwortungsethiker“ ereifert, weil baden-württembergischen MedienvertreterInnen einen „Krieg gegen unseren Industriestandort führen“. Belege nannte er nicht. Sie zu finden, wäre ihm kaum gelungen. Gerade die Reaktionen auf den mit so viel Spannung erwarteten „Nationalen Gipfel“ in der vergangenen Woche zeigten, dass im Gegenteil die spitzen Pfeile viel öfter gegen Umwelt- und Klimaschützer fliegen. „Nicht genug, nicht genug, rufen nun am lautesten diejenigen, die am liebsten alle Autos aus dem Stadtverkehr ziehen möchten, Großkonzerne per se für halbkriminelle Vereinigungen halten und für die eine weitestgehend industriefreie Luftreinhaltung Vorrang vor dem Erhalt von Zigtausenden Arbeitsplätzen hat“, posaunen beispielsweise die „Stuttgarter Nachrichten“.
    Halbkriminelle Vereinigungen? Rudi Hickel, der linke Wirtschaftsprofessor aus Bremen, beklagt seit den Neunzigern die einseitig neoliberale Ausrichtung beim größten Teil der schreibenden Zunft. Im Abgasskandal haben sich zwar mehrere Rechercheverbünde und Redaktionen in der Republik große Verdienste erworben. In Kommentaren und Analysen dagegen kommen die Bosse nach der bewährten „Ja, aber“- Methode viel zu gut weg.
    Quelle: Kontext: Wochenzeitung

  2. Propaganda wiederholt sich
    Viele kluge Beschwerden wurden seit 2014 über den medialen Umgang mit der Sezession der Krim geäußert: dass dieser Umgang regelmäßig die entscheidende erste Hälfte der Geschichte verschweigt (den nationalistischen Putsch in Kiew). Dass er die aktuelle Zufriedenheit der Krimbewohner, die es keineswegs »zurück« zur Ukraine treibt, außer Acht lässt. Dass die zum »schweren Völkerrechtsbruch« hochdramatisierte (unblutige) Krim-Sezession im Vergleich zu den Hunderttausenden Toten der westlichen Angriffskriege geradezu ein pazifistischer Akt war, der weitere ernste Eskalationen verhinderte – doch diese Sichtweisen perlen an den großen deutschen Redaktionen noch immer ab: Eine Welle an russenfeindlichen, sachlich falschen und moralisch grotesk verdrehten Kommentaren folgte auf Christian Lindners nicht mal besonders klugen, sondern nur der Realität Rechnung tragenden Vorschlag eines pragmatischen Umgangs mit der Krim-Causa.
    Quelle: Neues Deutschland

    dazu: Warum Christian Lindner recht hat
    Weil Christian Lindner dafür eintrat, die russische Annexion der Krim-Halbinsel vorerst zu akzeptieren, verurteilen große Teile der Medien und der Politik den FDP-Chef. Die Reaktion ist hysterisch und kurzsichtig. Wer Frieden und Sicherheit will, muss den Weg für politische Lösungen öffnen
    Mitten im Wahlkampf hat sich Christian Lindner in einem Interview mit der Funke Mediengruppe deutlich dafür ausgesprochen, wieder Bewegung in das Verhältnis zu Russland bringen zu wollen. Erwartungsgemäß jaulte ein Großteil der Medien und Teile von CDU und SPD auf. Zusammen unterstellten sie Lindner einen „Abschied vom Rechtsstaat“ und bezichtigten ihn, ein „Putinversteher“ zu sein. Diese hysterische Argumentation schloss sich nahtlos daran an, womit seit Beginn der Ukraine-Krise jeder Versuch, Bewegung in eine festgefahrene Politik zu bringen, im Keim erstickt wird. Damit ist man auf dem besten Weg, die Entwicklungen in Europa zu versteinern. Manche Journalisten – wie Richard Volkmann von der Bild – müssen die Archive geöffnet haben, um authentisch an den Propagandastil ihrer Berichterstattung zur Zeit des Kalten Krieges anknüpfen zu können.
    Quelle: Cicero

  3. Regime Change in Venezuela?
    Der US-amerikanische Außenminister Rex Tillerson hat in einer Pressekonferenz am 31. Juli 2017 unverhohlen geäußert, die US-Regierung prüfe Möglichkeiten, in Venezuela einen Regimewechsel durchzuführen.
    Hintergrund ist das von Staatschef Maduro bereits im Juni angesetzte Referendum über die Konstituierung einer verfassungsgebenden Versammlung, das am Sonntag letzter Woche (30. Juli) stattfand. Kurz nachdem die USA am Montag in einer ersten konkreten Reaktion Sanktionen gegen den venezolanischen Präsidenten verhängt hatten, sprach Tillerson vor Pressevertretern: “Unsere Vorgehensweise im Fall Venezuela sah so aus, dass wir versucht haben vermittels unterschiedlicher Koalitionspartner zu arbeiten, durch die OAS [Organisation Amerikanischer Staaten] und andere, die unsere Sicht von Venezuelas Zukunft teilen. … Wir wollen ganz klar, dass Venezuela zu seiner Verfassung und zu seinen geplanten Wahlen zurückkehrt und dass das venezolanischen Volk die Möglichkeit hat, in der Regierung mitzubestimmen, die es verdient.“
    Anzumerken wäre hierzu, dass die OAS, der auch die USA angehören, mit Tillersons Vereinnahmung als „Koalitionspartner“ schwerlich einverstanden sein dürfte bzw. sollte. Zwar erklärten die meisten Staaten der Region, darunter Argentinien, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Panama und Paraguay, dass sie den Ausgang des Referendums nicht anerkennen wollen, aber die US-amerikanischen Vorstellungen von Good Governance und deren Durchsetzung sind dennoch kaum mit den Statuten der OAS in Einklang zu bringen, wie u.a. Telesur anmerkt [2]. So lautet Artikel 19 der Charta: „Kein Staat bzw. Staatengruppe hat das Recht, sich in die inneren oder äußeren Angelegenheiten irgendeines anderen Staates einzumischen, weder direkt noch indirekt. Das vorangehende Prinzip verbietet nicht nur bewaffnete Gewalt, sondern auch jede andere Form der Beeinflussung oder versuchten Drohung gegen die Persönlichkeit des Staates oder gegen seine politischen, persönlichen und ökonomischen Elemente.“ Artikel 20 lautet: “Kein Staat darf Zwangsmaßnahmen ökonomischer oder politischer Natur anwenden oder unterstützen, um den souveränen Willen eines anderen Staates zu nötigen und von ihm irgendwelche Vorteile zu erlangen“.
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.

    Anmerkung JK: Als erstes sollte man sich vergegenwärtigen, dass Venezuela über sehr große Erdölvorkommen verfügt. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob es der Mehrheit der Bevölkerung unter einer von den USA genehmen Regierung wirklich besser gehen oder ob nicht Venezuela dann vollends ins Chaos gestürzt würde, wie bereits vorher Syrien, Libyen oder der Irak.

  4. Afghanistan: Koloniale Söldner
    Bereits Mitte Juli wurde öffentlich, dass enge Berater von US-Präsident Donald Trump Erik D. Prince, Gründer der privaten Militärfirma Blackwater Worldwide und Stephen A. Feinberg, der mit DynCorp International verbunden ist, beauftragt hatten, eine „Söldnerlösung“ als Alternative zur anvisierten Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan auszuarbeiten – die komplette Kontrolle über das Land und die dortige US-Politik solle dabei originellerweise an einen „Vizekönig“ übertragen werden (IMI-Aktuell 2017/421). In der Washington Post wurden nun weitere Details dieses aberwitzigen, von einem Großteil des Kongresses mutmaßlich abgelehnten, von Trump anscheinend aber wohlwollend aufgenommenen Plans veröffentlicht: „ Prince has described the proposal in interviews this week as a plan to send 5,500 private military contractors to embed with Afghan National Security Forces units at the battalion level to fight the Taliban, supported by a 90-plane private air force. […]Prince’s proposal states that Afghanistan is headed to a complete meltdown and is effectively in “bankruptcy” with the best way forward analogous to a Chapter 11 reorganization. […] Prince wants Trump to appoint a “trustee” to preside over all U.S. policy in Afghanistan and Pakistan with authority over the military commanders, the U.S. ambassadors and even the Afghan military’s own decision-making regarding operations, targeting, rules of engagement and internal promotions. That handover of control to what Prince has called a “viceroy” is a non-starter for many on Capitol Hill, especially since that person would also control spending and contracting. […] There are signs Trump is open to the idea.“
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.
  5. Überlastung der Verwaltungsgerichte ist Folge inhumaner politischer Vorgaben
    „Die Verwaltungsgerichte müssen jetzt ausbaden, was das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Auftrag der Bundesregierung verbockt“, kommentiert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, Berichte über die Überlastung von Verwaltungsgerichten mit Asylverfahren. Jelpke weiter:
    „Die Überlastung der Verwaltungsgerichte ist eine direkte Folge der Vorgaben der Bundesregierung, rigidere Asylbescheide zu erteilen. Es ist doch absurd, dass die Anerkennungsquoten etwa bei afghanischen Asylsuchenden sinken, wo sich gleichzeitig die Sicherheitslage in Afghanistan ständig verschlechtert. Mit solchen politisch motivierten Entscheidungen provoziert man die Klagen vor den Verwaltungsgerichten regelrecht.
    Das Gleiche gilt für die zunehmende Erteilung von lediglich subsidiärem Schutz. Den Betroffenen, darunter Zehntausenden Syrern, wird der Familiennachzug verwehrt. Wer nicht will, dass seine Angehörigen unter unzumutbaren Bedingungen in Flüchtlingslagern in der Türkei oder den Nachbarländern Syriens vegetieren müssen oder die lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer wagen, dem bleibt gar nichts anderes übrig, als gegen den BAMF-Bescheid vor Gericht zu gehen.
    Statt über eine personelle Aufstockung der Verwaltungsgerichte zu diskutieren, sollte man zu einer Asylpolitik zurückkehren, die rechtlichen und humanitären Standards gleichermaßen genügt. Der politische Druck auf das BAMF zur Ablehnung von Asylanträgen muss zurückgenommen und der Familiennachzug für alle anerkannten Flüchtlinge ermöglicht werden.“
    Quelle: Die Linke. im Bundestag

    dazu: Ein Formelkompromiss wohl ohne Vollzug
    Die Bundesregierung bleibt bei ihrem Kurs eingeschränkter Abschiebungen nach Afghanistan, doch, meint Gudula Geuther, de facto werde weiterhin nicht oder so gut wie nicht an den Hindukusch abgeschoben werden. Mindestens nicht bis zur Wahl.
    Es ist ein Kompromiss, den die Sprecher der Ministerien heute verkündet haben: Wie gefährlich Afghanistan ist, so lautet das Ergebnis der jüngsten Einschätzung der Sicherheitslage durch das Auswärtige Amt, hängt vom Einzelfall ab. Von der Region, in der eine Person lebt, vom Geschlecht, der Religion, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe. Und die Schlussfolgerung lautet: Die Entscheidung liegt wie immer bei den Bundesländern.
    Quelle: Deutschlandfunk

    dazu auch: Ab sofort wird zurück geschoben
    So ein schöner Zufall: Rechtzeitig vor der Bundestagswahl dürfen Deutschland und andere EU-Länder wieder Flüchtlinge nach Griechenland zurückschieben. War was? Gab es mal Probleme in Idomeni? Revolten auf Lesbos? Streunende Flüchtlingskinder in Athen? Aber nein! Wie durch ein Wunder haben sich die Bedingungen für Flüchtlinge in Griechenland verbessert, behauptet die EU-Kommission.
    Quelle: Lost in Europe

  6. Keine Hilfe für Afrika – Auch die neue Entwicklungspolitik ist unehrlich
    Die deutsche Bundesregierung, insbesondere ihr zuständiger Minister Gerd Müller, ist mächtig stolz auf ihre neue Entwicklungspolitik. Und tatsächlich, dass das Thema Afrika im Zentrum des jüngsten G 20-Gipfels in Hamburg stand, war ein politisches Signal. Das hatte es zuvor so nicht gegeben. Auch der von Müller propagierte „Marshallplan mit Afrika“ gibt ambitionierte Ziele aus. Vor allem: Die Entwicklungskooperation soll erstmals auf Augenhöhe mit den Ländern praktiziert werden. So viel der schönen Theorie. Mit der Realität hat das leider nach wie vor nicht viel zu tun. Wenn wir ehrlich miteinander umgehen, müssen wir zugeben, dass nicht die Entwicklung Afrikas das Interesse für den Schwarzen Kontinent entfacht hat. Es war der enorme Zustrom von Flüchtlingen und die Sorge, dass die Fluchtbewegungen noch dramatischer zunehmen könnten. Das Zauberwort ist: Fluchtursachenbekämpfung. Auch Kanzlerin Merkel wird nicht müde, dies zu betonen. Doch so wie Deutschland und die EU das Problem angehen, kann das Ziel nicht erreicht werden. Im Gegenteil, die Zahlen werden eher zunehmen.
    Und wir selbst tragen massiv dazu bei. Es gibt ein zentrales Ereignis, das den Exodus aus Afrika einleitete: der Sturz des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi durch eine militärische Intervention Frankreichs, Großbritanniens und der USA. Der Flüchtlingsdruck war vorher schon groß, doch der Diktator hat für europäische Milliarden Flüchtlinge zurückgehalten. Als er beseitigt war, brachen die Dämme. Doch nicht nur Krieg vertreibt die Menschen. Noch schlimmer wirken Not und Perspektivlosigkeit. Auch das hat mit unserer Politik zu tun. Nach wie vor fischen europäische Fangflotten die Gewässer vor Afrikas Küsten leer. Auch wenn die direkten Exportsubventionen abgeschafft wurden, exportieren wir weiter zu Dumpingpreisen Geflügelteile, Milchpulver oder Tomaten auf den Kontinent und zerstören jeden Ansatz, dass sich dort lokale Märkte entwickeln könnten.
    Quelle: Nürnberger Nachrichten

    Anmerkung JK: Es gibt ihn noch, den kritischen Journalismus, der die Hintergründe beleuchtet.

    passend dazu: Griff nach den Ressourcen
    Konzerne der EU-Staaten sichern sich Zugang zu Ackerflächen weltweit. Spielraum für Kleinbauern verringert sich
    Die Zeit der Kolonialreiche ist formal vorbei. Und doch erinnert nicht nur der Gestus, mit dem westliche Politiker und Wirtschaftsbosse, nicht zuletzt deutsche, gegenüber ihren afrikanischen oder asiatischen Kollegen auftreten, an diese unselige Epoche. Da wird zwar viel von »Partnerschaften« auf »Augenhöhe« geredet. Doch die Bedingungen stellen Agrar- und andere Konzerne aus der EU und den USA, so beim »Marshallplan mit Afrika«, für den die Bundesregierung während des G-20-Gipfels Anfang Juli in Hamburg warb. Und die Unternehmen haben genau wie die Regierungen der Europäischen Union handfeste Interessen, deren Durchsetzung letztlich das Ziel sogenannter Entwicklungspartnerschaften ist. Insofern ist es logisch, dass Expertinnen und Wissenschaftler aus afrikanischen Ländern bei der Erarbeitung des »Marshallplans« nicht konsultiert wurden.
    Wie und in welchem Umfang EU-Agrarkonzerne und -Staaten sich beispielsweise die Kontrolle über Agrarflächen in Afrika sichern, ist in einer Studie dargelegt, die im Auftrag des Europaparlaments erstellt und im Mai veröffentlicht wurde. Danach steht Deutschland an sechster Stelle, was den Einfluss hiesiger Unternehmen auf Ländereien außerhalb von Europa betrifft. Insgesamt kontrollieren BRD-Unternehmen demnach »nur« knapp 310.000 Hektar in Nicht-EU-Staaten. Mit Abstand die größten »Landgrabber« sind der Untersuchung zufolge britische Konzerne. Sie verfügen außerhalb der EU über fast zwei Millionen Hektar. Die Nutzung der Ländereien durch europäische Firmen geht fast immer mit Vertreibungen einher. Familien, die sich bislang selbst ernähren konnten, werden ihrer Existenz beraubt und fristen vielfach ein elendes Dasein als unterbezahlte Tagelöhner.
    Quelle: junge Welt

  7. Frankreich: Im Widerspruch zum eigenen Modernisierungsanspruch
    Neophyten – so bezeichnet die Presse Frankreichs die Neuankömmlinge der »Bewegungsparteien« FI (Mélenchon’s »La France insoumise«) und LREM ( Macron’s »La République En Marche«) in den Parlamenten. Ein Drittel dieser in die Nationalversammlung eingewanderten Spezies wird mit der Parlamentsreform wohl wieder seinen neu eroberten Lebensraum verlieren.
    Dafür hat die Regierungsmehrheit den Weg ebenso frei gemacht wie für die Durchsetzung der Arbeitsmarktreformen auf dem Verordnungswege ohne langwierige Beteiligung des Parlaments.
    Der Jupiter im Präsidentenpalast will seinen Höhenflug ohne die lästigen Bleigewichte der überkommenen gesellschaftlichen Strukturen fortsetzen. Die propagierte Moralisierung der Politik auf dem Gesetzeswege wird zwar künftig die Beschäftigung von Familienangehörigen durch Abgeordnete, Minister usw. unterbinden. Doch gleichzeitig zog neuerlich der Stallgeruch aus dem Augiasstall der vermögenden Klassen auch über den Kabinettstisch: Die heutige Arbeitsministerin hatte als Personalvorstand des Lebensmittelkonzerns Danone ihre Aktienoptionen realisiert, als der Kurs nach der Ankündigung von Massenentlassungen im Konzern zum Höhenflug ansetzte.
    Den Weg in neue Höhen will sich der Präsident erleichtern. Regierungschef Eduard Philippe will für ca. 10 Mrd. Euro Staatseigentum veräußern. Das könnte Europas größten Energie-Konzern Engie betreffen, an dem der Staat noch mit 38% beteiligt ist, und der wiederum an dem Betreiber der belgischen Atommeiler Anteile hält. Insgesamt hält der französische Staat noch etwa 81 Beteiligungen im Wert von 90 Mrd. Euro. Die Erlöse sollen in einen Zukunftsinvestitionsfonds fließen und nicht in die Sanierung des Staatshaushalts. Unter Hollande war für die Einrichtung solcher Fonds eine staatliche Förderbank gegründet worden, die EU-Gelder aus dem Junkerplan hebeln sollte. Aufgrund der geringen staatlichen Ausstattung blieb sie als Sammelstelle für Privatkapital wirkungslos bei der Erneuerung der industriellen Basis Frankreichs.
    Quelle: Sozialismus aktuell

    Anmerkung Christian Reimann: Der von den hiesigen „Qualitätsmedien“ oft als linksliberal bezeichnete Macron zeigt nun immer mehr sein wahres Gesicht: Immer deutlicher zu erkennen ist eine Fratze mit neoliberalen Inhalten. Hoffentlich setzen die künftigen Arbeitskämpfe dem neuen Präsidenten deutliche Grenzen – anders und besser als in Deutschland.

  8. Ökonom über Folgen der Finanzkrise: „Das kann jederzeit wieder kommen“
    Spekulationen mit US-Hypotheken lösten die globale Finanzkrise aus. Banken haben daraus eines gelernt, erklärt Martin Hellwig: Der Staat rettet sie notfalls.
    taz: Herr Hellwig, die Finanzkrise ist nun offiziell zehn Jahre alt. Was war am 9. August 2007 so besonders, dass er nun als Beginn des weltweiten Crashs gilt?
    Martin Hellwig: Am 9. August 2007 verweigerte ein Fonds der französischen Bank BNP Paribas die Rücknahme von Anteilen. Da merkte man, dass die Krise nicht nur die USA betraf. Tatsächlich begann die Krise schon im Sommer 2006, als die Immobilienpreise in den USA sanken und die Hypothekenschuldner nicht mehr pünktlich zahlten. Noch vor Jahresende 2006 gingen die Kurse vieler Verbriefungen alsbald in den Keller. Aber erst im August 2007 nahm man das als globale Krise wahr. Dabei gab es schon Anfang 2007 sehr genaue Analysen der Krise der Immobilienkredite in den USA, aber man hielt das für unbedeutend in Relation zum globalen Finanzsystem. Ab August 2007 sah man das anders.
    Warum war die Immobilienblase in den USA so viel desaströser als die Dotcom-Blase um 2000?
    Immobilienkrisen sind immer gefährlich. In den Industrieländern machen Immobilien rund die Hälfte des privaten Vermögens aus, und ihre Werte sind hoch korreliert. Zudem werden viele Immobilien über Bankkredite finanziert. Größere Verluste treffen sofort auch die Banken. In diesem Fall weltweit, da die Verbriefungen der US-amerikanischen Hypotheken weltweit gehalten wurden, und das praktisch ohne Eigenkapital. Da war alsbald die Solvenz vieler Institute gefährdet. Zum Vergleich: Die Dotcom-Krise hatte ein Mehrfaches an Anfangsverlusten, aber die trafen vor allem Fonds, zum Beispiel Pensionsfonds. Für die Pensionssparer war das bitter, aber die Kreditvergabe der Banken war nicht betroffen, und die Konjunktur brach viel weniger stark ein.
    In Deutschland hält sich aber hartnäckig die Idee, dass Finanzkrisen durch Aktiencrashs ausgelöst werden.
    Das ist falsch. Auch für die Weltwirtschaftskrise waren die Bankenkrisen von 1931 viel wichtiger als der Börsenkrach von 1929. Aber es ist moralisch viel befriedigender, das „Spielkasino“ der Börse als Quelle des Übels anzuprangern.
    Haben Wirtschaft und Politik aus der letzten Finanzkrise gelernt?
    Die Banken haben gelernt, dass sie in der Krise vom Staat gerettet werden. Sie haben das immer schon vermutet, aber jetzt wissen sie es genau. Und ihre Gläubiger wissen es auch und verlangen entsprechend niedrige Zinsen.
    Quelle: taz
  9. Poison Papers: Schatztruhe voll toxischer Geheimnisse
    Eine Sammlung historischer Dokumente belegt unter anderem geheime Absprachen von Chemieunternehmen mit den Behörden, die sie eigentlich regulieren sollen
    Die Ende Juli 2017 veröffentlichten „Poison Papers“ sind eine Sammlung von Korrespondenzen und wiederentdeckten Dokumenten, die bis in die 1920er Jahre zurückreichen. Sie zeigen, dass sich sowohl die chemische Industrie als auch die zuständigen Regulierungsbehörden der außerordentlichen Toxizität vieler chemischer Produkte trotz anderslautenden Beteuerungen durchaus bewusst waren – und wie beide Seiten zusammengearbeitet haben, um diese Informationen vor der Öffentlichkeit zu verbergen.
    Die „Poison Papers“-Aktivisten glauben, dass ihre Veröffentlichung die verbreitete Wahrnehmung der von Chemikalien ausgehenden Gefahren ändern kann, weil die Dokumente eine zusätzliche Dimension ans Licht holen: das Ausmaß des Betrugs, mit dem diese Stoffe marktfähig gemacht wurden, von Behörden, deren Aufgabe eigentlich im Schutz von Gesundheit und Umwelt besteht.
    Die „Poison Papers“ sind das Ergebnis einer Zusammenarbeit des Bioscience Resource Project und des Center for Media and Democracy. Eine Schlüsselfigur ist Carol Van Strum, die einen Großteil der nun veröffentlichten Dokumente über Jahrzehnte in einer Scheune aufbewahrte.
    Quelle: Telepolis
  10. Staatsversagen Leiharbeit
    Für Leiharbeiter hat sich die Stellung im Unternehmen seit April scheinbar verbessert: nach achtzehn Monaten werden sie in eine Festanstellung übernommen und nach neun Monaten erhalten sie das übliche Tarifgehalt. Die am Dienstag veröffentlichten Zahlen der Bundesregierung entlarven die Neureglungen jedoch als bloße Symbolik: Nach nicht einmal neun Monaten sind Dreiviertel der Leiharbeiter schon wieder entlassen. Das neue Gesetz ist für sie wirkungslos. Auf die Unternehmen zu schimpfen, weil die sich der Leiharbeiter rechtzeitig entledigen, wäre wohlfeil. Von ihnen kann man erwarten, sich an Gesetze zu halten, nicht mehr. Es ist der Staat, der einen grundsätzlich neuen Gesetzesrahmen für die Leiharbeit schaffen müsste, inklusive einer »Unsicherheitsprämie«. Zwar preisen CDU/CSU und SPD in ihren Wahlprogrammen die soziale Marktwirtschaft, doch was die Bundesregierung beim Thema Leiharbeit umgesetzt hat, fügt sich zu nichts als dem Zerrbild einer Ordnung, in der auch die Wirtschaft den Menschen dient.
    Quelle: Neues Deutschland

    dazu: Leiharbeit weiter auf dem Vormarsch
    Auswertung der Antwort der Bundesregierung (PDF) auf die Kleine Anfrage „Aktuelle Entwicklungen in der Leiharbeit in Deutschland und in Europa“ (BT-Drs. 18/13147) der Fraktion DIE LINKE im Bundestag
    Die Leiharbeit ist auch in den vergangenen Jahren weiter angewachsen. Im Dezember 2016 gab es mit 993.000 fast eine Million Leiharbeitskräfte. Im Vergleich zu 2013 sind das 16,4 Prozent mehr, im Vergleich zu 2003 hat sich die Zahl sogar verdreifacht. Besonders hoch sind die Anteile von Leiharbeitskräften an allen Beschäftigten in Bremen und Thüringen. Während der Anteil bundesweit bei 2,7 Prozent liegt, wird er hier mit 4,7 bzw. 3,9 Prozent ausgewiesen.
    Leiharbeit ist auch weiterhin vor allem durch sehr kurze Arbeitsverhältnisse geprägt: 54 Prozent der beendeten Arbeitsverhältnisse dauern weniger als drei Monate an, nur 22,3 Prozent dauerten länger als neun Monate und länger als 15 Monate sogar lediglich 14,1 Prozent. Die Perspektiven sind dann für viele nicht gut: Fast die Hälfte der Leiharbeitskräfte, deren Arbeitsverhältnis beendet wurde, ist nach 30 Tagen immer noch ohne Beschäftigung. Gerade einmal 26 Prozent, also nur jeder Vierte, hat nach 30 Tagen ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Leiharbeit gefunden. Fast jeder Fünfte dagegen hat wieder lediglich ein Leiharbeitsverhältnis. Von einer Brücke in reguläre Beschäftigung kann bei der Leiharbeit also keineswegs die Rede sein.
    Vielmehr handelt es sich um eine Form prekärer Beschäftigung, die durch kurze, sich aneinander reihende Arbeitsverhältnisse mit niedrigen Löhnen geprägt ist. Der Durchschnittslohn in der Leiharbeit liegt bei gerade einmal 58 Prozent des allgemeinen Durchschnittslohn. In Zahlen heißt das 1.816 Euro gegenüber 3.133 Euro pro Monat bei Vollzeittätigkeit.
    Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesagentur für Arbeit erfolgt in einem erheblichen Maße über Leiharbeit. 32 Prozent der gemeldeten offenen Stellen sind Leiharbeitsstellen, 33 Prozent der Vermittlungen durch die Jobcenter und Arbeitsagenturen erfolgen in Leiharbeit. Die Betrachtung der Abgänge aus Arbeitslosigkeit bestätigt den problematischen Stellenwert der Leiharbeit auf dem Arbeitsmarkt: 19 Prozent derjenigen, die aus der Arbeitslosigkeit in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis gehen, landen in einem Leiharbeitsverhältnis.
    Quelle: Die Linke im Bundestag

    passend dazu: Die Erwerbsarmut in Europa ist gestiegen – Grund dafür ist eine Politik, die Arbeitslose dazu zwingt, um jeden Preis einen Job anzunehmen
    Immer mehr Menschen in Europa sind arm, obwohl sie arbeiten. Am stärksten stieg die sogenannte Erwerbsarmut in den vergangenen Jahren in Deutschland. Das hängt auch damit zusammen, dass Arbeitslose stärker unter Druck stehen, eine schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen.
    Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Dorothee Spannagel, Daniel Seikel, Karin Schulze Buschoff und Helge Baumann. Die WSI-Forscher haben untersucht, wie sich arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen, die Menschen schneller in Jobs bringen sollen, auf die Erwerbsarmut in 18 europäischen Ländern ausgewirkt haben. Datengrundlagen sind die Europäische Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) und eine OECD-Datenbank. […]
    Die Forscher können einen direkten Zusammenhang zwischen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Erwerbsarmut belegen: Während niedrige Lohnersatz- und Sozialleistungen sowie strenge Auflagen für den Bezug von Transferleistungen zu höherer Erwerbsarmut führen, wirken sich hohe Ausgaben für aktive Arbeitsmarktmaßnahmen wie Aus- und Weiterbildung positiv aus: „Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass eine Kombination aus investiver aktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik in Form von auskömmlichen Lohnersatz- und Transferleistungen der beste Weg ist, um Erwerbsarmut zu bekämpfen.“ Immerhin sei der Mindestlohn ein erster Schritt zur Reduzierung der Armutsgefährdung von Erwerbstätigen. Weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Niedriglohnbereiches müssten folgen. Möglichkeiten der beruflichen Qualifikation und Weiterbildung sollten ausgebaut und für atypisch Beschäftigte beziehungsweise für Beschäftigte im Niedriglohnbereich geöffnet werden, empfehlen die Wissenschaftler. Hartz-IV-Leistungen sollten erhöht, Sanktionen und Zumutbarkeitsregeln entschärft werden.
    Quelle: Gewerkschaftsforum DO

    und auch: Orbáns moderne Sklaverei
    Ministerpräsident Orbán hat Ungarn zum „Arbeitsstaat“ umgebaut und kürzt Sozialleistungen. Im Interview erklärt die Soziologin Zsuzsa Ferge, wie die Regierung Arbeitslose gängelt – und die Wirtschaft des Landes ruiniert.
    Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán präsentiert sich vor heimischem Publikum gern als „Anwalt der kleinen ungarischen Leute“. Er habe sein Volk seit seinem Amtsantritt im Jahr 2010 aus der „Sklaverei“ durch internationale Banken, Konzerne und Finanzspekulanten befreit. Es klingt beeindruckend, wenn Orbán im achten Jahr seiner Amtszeit die sozialen und materiellen Verbesserungen für die zehn Millionen Ungarn aufzählt: Seine Regierung ließ die Steuern und die Strom-, Gas- sowie Wohnbetriebskosten senken.
    Sie führte Familien- und Kinderbeihilfen ein und schuf Hunderttausende neue Arbeitsplätze. Sie half Zehntausenden durch Fremdwährungskredite verschuldeten Ungarn mit einem Umschuldungsprogramm zulasten ausländischer Banken und belegte ausländische Unternehmen mit Sondersteuern. „Unorthodoxe Wirtschaftspolitik“ zum Wohl des ungarischen Volkes nennt Orbán das. Andererseits hat Orbán die Abschaffung des Sozialstaates und den Aufbau eines „Arbeitsstaates“ zum Programm erhoben: Wer Sozialleistungen erhält, soll zu Arbeit gezwungen werden. Die Regierung hat Ungarn damit sozial so tief gespalten wie nie zuvor seit dem Ende der kommunistischen Diktatur. Zu diesem Schluss kommt die ungarische Soziologin Zsuzsa Ferge.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung JK: Halten die deutschen „Qualitätsjournalisten“ das Publikum wirklich für so einfältig, dass es diesen fundamentalen Widerspruch nicht bemerkt? In Ungarn führen Sozialkürzungen und ein Repressionsregime gegen Erwerbslose zu sozialer Polarisierung und in die „moderne Sklaverei“, in Deutschland werden dieselben Maßnahmen von denselben „Qualitätsjournalisten“ als „Jahrhundertreform“ und „Geburtsstunde des Jobwunders“ bejubelt. Die Arbeitspflicht gibt es in Deutschland genauso, wer unter dem Hartz IV Regime Arbeitsangebote, egal welcher Qualität diese auch sind, ablehnt, kann bis zu 100 Prozent sanktioniert werden.

  11. Große Koalition: Sozialpolitik in Trippelschritten
    „Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut wie heute“ – mit diesen Worten bilanzierte Angela Merkel während der Haushaltsdebatte Ende 2016 ihr Regierungsgeschäft. Diese oberflächliche und undifferenzierte Einschätzung der Lebenslagen von 82,5 Millionen Bürgern lässt eines völlig unberücksichtigt: In dieser Legislaturperiode sind die Reichen reicher und die Armen zahlreicher geworden.
    Während die beiden reichsten Geschwister unseres Landes, Susanne Klatten und Stefan Quandt, im Mai 2017 für das Vorjahr eine Rekorddividende in Höhe von 1,074 Mrd. Euro allein aus ihren BMW-Aktien kassierten, bezogen 600 000 Alleinerziehende mit einer Million Kindern Hartz IV, lebten 4,1 Millionen Geringverdienerinnen und Geringverdiener unter der Armuts(risiko)grenze, steckten 526 000 Rentnerinnen und Rentner in der staatlichen Grundsicherung und 6,85 Millionen Menschen in der Schuldenfalle. Alle diese Zahlen liegen deutlich höher als vier Jahre zuvor, was den eingangs zitierten Satz der Kanzlerin als soziale Wohlfühlpropaganda und politische Beruhigungspille entlarvt.
    In Wahrheit gibt es eine massive Tendenz zur Polarisierung der bundesdeutschen Sozialstruktur, die mittlerweile auch im internationalen Vergleich extrem stark ausgeprägt ist. So attestierte selbst ein Länderbericht der EU-Kommission den von Angela Merkel geführten Bundesregierungen, die soziale Spaltung vorangetrieben zu haben: „Im Zeitraum 2008-2014 hat die deutsche Politik in hohem Maße zur Vergrößerung der Armut beigetragen, was auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die bedarfsabhängigen Leistungen real und im Verhältnis zur Einkommensentwicklung gesunken sind.“ Von dieser Kritik blieb die schwarz-rote Regierung allerdings ungerührt und verhinderte durch Trickserei eine angemessene Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze, die insbesondere für Kinder alles andere als ausreichend sind.
    Quelle: Christoph Butterwegge auf Blätter für deutsche und internationale Politik

    dazu auch: Our Broken Economy, in One Simple Chart

    Many Americans can’t remember anything other than an economy with skyrocketing inequality, in which living standards for most Americans are stagnating and the rich are pulling away. It feels inevitable.
    But it’s not.
    A well-known team of inequality researchers — Thomas Piketty, Emmanuel Saez and Gabriel Zucman — has been getting some attention recently for a chart it produced. It shows the change in income between 1980 and 2014 for every point on the distribution, and it neatly summarizes the recent soaring of inequality.
    The line on the chart (which we have recreated as the red line above) resembles a classic hockey-stick graph. It’s mostly flat and close to zero, before spiking upward at the end. That spike shows that the very affluent, and only the very affluent, have received significant raises in recent decades.
    Quelle: New York Times

    Anmerkung Jens Berger: Sehr gut illustriert. In Deutschland sähe der Chart übrigens fast genau so aus … nur das hier im unteren Bereich sogar Reallohnkürzungen realisiert werden, die Skala auf der Ordinatenachse also sogar in den Minusbereich gehen würde.

    und: Wo sind nur die Reichen hin?
    Wie sind die Vermögen in Deutschland verteilt? Diese Frage kann niemand genau beantworten. Das hat politische Gründe – und Folgen: So wissen die meisten Bürger nicht, wie ungerecht die Verteilung wirklich ist. Das bestätigt eine neue Studie der Universität St. Gallen. Einige Fakten und ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien können hier weiterhelfen.
    Die meisten Menschen in Deutschland wissen nicht, wie reich die Reichen eigentlich sind. Ja, die Mehrheit hält sich sogar für wohlhabend, ohne vermögend zu sein, weil ihr Wohlbefinden für sie mehr zählt als Geld. Das haben entsprechende Umfragen immer wieder gezeigt. Zu diesen Erkenntnissen passt eine neue Studie der Universität St. Gallen (exklusiv auf Spiegel Online), die herausfinden wollte, wie Bürgerinnen und Bürger die Verteilung des Vermögens hierzulande einschätzen. Zudem fragten sie die repräsentative Gruppe der Untersuchten, was sie für gerecht halten und welche Partei sie wählen.
    Das Ergebnis ist klar: Die Befragten unterschätzen dramatisch die Ungleichheit bei den Vermögen. Sie gingen durchschnittlich davon aus, dass das reichste Fünftel 53 Prozent des Nettovermögens besitzt, während es laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2013 sogar 74 Prozent waren. Beim ärmsten Fünftel war es ähnlich. Die Befragten glaubten, dass die Armen zusammen 13 Prozent des Nettovermögens besitzen. Tatsächlich jedoch haben sie gar nichts, weil die Summe ihrer Schulden höher ist als der Wert ihres Besitzes.
    Quelle: Gegenblende

  12. Kann EU-weites Wassersparen den Wassermangel in Spanien und Italien mindern?
    Die EU-Kommission wünscht einen EU-weiten sparsamen Umgang mit Trinkwasser – Ob dies für den gesamten EU-Binnenmarkt sinnvoll ist und auch für Länder gelten soll, die nicht unter Wassermangel leiden, ist durchaus umstritten
    Die Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser ist innerhalb des EU-Binnenmarkts sehr ungleich verteilt. In den südlichen Ländern Spanien und Italien kommt es auch in diesem Sommer wieder zu signifikantem Wassermangel. Das hatte die Brüsseler EU-Kommission und ihre Generaldirektion Umwelt schon vor Jahren dazu veranlasst eine Ökodesign-Vorbereitungsstudie zu Optimierung von Wasserhähnen und Duschköpfen (Taps and Showers) als energieverbrauchsrelevante Produkte in Auftrag zu geben. Eine EU-Verordnung zu Wasserhähnen und Duschköpfen gibt es bis heute jedoch nicht. Offensichtlich war die Begeisterung für einen reduzierten Wasserverbrauch nicht in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich hoch. […]
    Dass Trinkwasser in südlichen EU-Staaten im Sommer knapp wird, liegt neben reduzierten Niederschlägen zu einem nicht geringen Anteil an den maroden Trinkwassernetzen, die unter Verlusten von bis zu 40 Prozent leiden. Für eine Sanierung der Netze scheint jedoch kein Geld verfügbar zu sein – und so will man die Verbraucher zum Wassersparen anregen.
    Unabhängig von den Wünschen der EU-Kommission haben die Deutschen schon vor Jahren begonnen, beim Wasser zu sparen. Seit 1990 ist der Wasserverbrauch um fast 20 Prozent zurückgegangen. Der kontinuierliche Rückgang bei der Trinkwassernachfrage wurde für zahlreiche kommunale Ver- und Entsorger inzwischen zu einer gewaltigen Herausforderung. Nur durch kontinuierliche Spülungen mit Frischwasser lassen sich technische und hygienische Probleme vermeiden, die durch den sparsamen Umgang der Wasser-Verbraucher hervorgerufen werden. Stinkende und von Ratten bevölkerte Kanalisationen sind nicht erstrebenswert.
    Durch einen weiteren politisch herbeigeführten Nachfragerückgang würde letztlich noch weniger Wasser und Abwasser aus den Haushalten durch die Leitungen und Kanäle fließen. Der Aufwand – und somit die Kosten für die Netzinfrastruktur – würden weiter in die Höhe getrieben. Schon heute sind nur noch etwa 25 Prozent der Wasserkosten von der Wassermenge abhängig, die vom Versorger bezogen wird. Der verbleibende Rest von drei Vierteln besteht aus verbrauchsunabhängigen Infrastrukturkosten. Je mehr die Verbrauchsmengen zurückgehen, desto mehr Kosten fallen für Spülen und andere Unterhaltsmaßnahmen an. Für den Verbraucher könnte das Wassersparen letztlich sogar zu Erhöhungen beim Wasserpreis führen.
    Quelle: Telepolis
  13. Wahl braucht Alternativen
    Während Medien die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Bundestagswahl zu lenken suchen, verhält sich das Volk, von dem doch alle Staatsgewalt ausgeht, dem Großereignis gegenüber geradezu gleichgültig. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis erhofft sich von der Wahl niemand einen Einfluss auf Ziele und Richtung der Politik. (Werden meine Freunde dennoch wählen gehen?) Dieser Personenkreis ist nicht repräsentativ – oder doch? Laut Statistik ist gerade mal ein/e BürgerIn von 25 (also vier Prozent) der Überzeugung, Wahlen könnten die Richtung der Politik in starkem Maß bestimmen. Die überwältigende Mehrheit von 96 Prozent vertritt dagegen die Meinung, durch Wahlen könnte man nur ein wenig oder gar nichts bestimmen(…).
    Die Einsicht ist weit verbreitet, dass nur ein radikales Umdenken und Umsteuern die Welt vor den drohenden (und abzusehenden) Katastrophen zu bewahren vermag. Aber die meisten PolitikerInnen an der Spitze von Regierung und Parteien diffamieren diejenigen, die dieses Umsteuern zum Programm machen, als »nicht regierungsfähig«. Spitzenpolitiker wie Schulz, Oppermann, Trittin, Kraft oder Hoffmann (DGB) – und solche von der CDU/CSU sowieso – werden nicht müde, die Forderung der Linken nach effektivem Abbau der Ungleichheit und nach Entmilitarisierung als Beweis ihrer Regierungsunfähigkeit zu brandmarken. Sie wollen es nicht wahrhaben – oder wollen es vertuschen –, dass die täglich erfahrbaren Beweise ihrer eigenen »Regierungsfähigkeit«, also Ungleichheit und Kriege, von einer breiten Mehrheit abgelehnt werden.
    Es wäre offensichtlich naiv anzunehmen, die Regierung bemühe sich um die Umsetzung des Wunsches breiter Mehrheiten nach Frieden und Gerechtigkeit. Wahlen stellen für sie, die doch nur die Angestellten der Bevölkerung sind, ein Stimmungsbild dar; dem entnehmen sie, wo kleine Zugeständnisse unumgänglich oder für die Befriedung günstig sind und an welchen Stellen schnell Fakten zugunsten des Kapitals oder der Konzerne geschaffen werden müssen, siehe Autobahnprivatisierung oder Aufrüstung – gegen die Forderungen der Menschen.
    Quelle: Ossietzky
  14. Alles im Griff
    Als Psychologe in der Kinder- und Jugendhilfe kam ich oft mit Eltern zusammen, die Prügelstrafe für eine sinnvolle Erziehungsmethode hielten. Genauer: Die sich keinen anderen Weg wussten, mit ihren Problemen und Gefühlen umzugehen. Meist ließen die Folgen nicht lange auf sich warten: Werden nämlich Kinder misshandelt, vernachlässigt oder mit ihren Gefühlen nicht akzeptiert, dann fühlen sie sich abgelehnt und reagieren mit Verhaltensauffälligkeiten. So wuchsen also die Probleme in der Familie, der Streit eskalierte, die Stimmung in der Familie war von Ärger und Verdruss geprägt. Die Eltern waren genervt, fühlten sich von den Kindern provoziert, die Strafen wurden drakonischer: ein Teufelskreis…
    Und ein Beispiel für „lineares Denken“, wie es auch in der Politik vorherrscht. Dieses beherrscht das Feld insbesondere dann, wenn mächtige Gruppen oder Staaten anderen – in der Verfolgung eigener wirtschaftlicher und strategischer Interessen – ihren Willen aufzwingen wollen. Ein solches Denken ist unterkomplex, um nicht zu sagen primitiv, denn es lässt sämtliche Regeln menschlicher Kontakte außer Acht. Dazu gehört etwa die elementare Erfahrung, die bereits Babys verinnerlicht haben, dass die eigenen Äußerungen – Worte, Gesten, Mimik – im Gegenüber eine Reaktion auslösen, die wiederum in mir Gefühle hervorrufen und Reaktionen provozieren: ein Prozess von Rückkopplungen und Wechselwirkungen.
    Diese Erkenntnis, Grundlage für Empathie und Mitmenschlichkeit, ist politischen Herrschern und Wirtschaftsbossen offensichtlich abhanden gekommen. In frühester Kindheit muss sie in ihnen noch verankert gewesen sein. Auch in Herrn Trump, Herrn Schäuble oder den Vorstandsvorsitzenden von Rüstungs-, Agrar-, Atom- und Autokonzernen. Jetzt versuchen sie aber Probleme zu lösen wie die emotional unreifen prügelnden Eltern. Alles ist steuerbar und kontrollierbar, mit Belohnung und Strafe, mit Gewalt und Kontrolle. Sie wollen und können nicht wahrhaben, dass sie mit ihren egoistischen Methoden (Trump: „All we do is win, win, win!“) Millionen von Menschen ins Unglück stürzen, Elend und ein wachsendes Chaos verursachen, das fast unweigerlich im Desaster endet. Militärische Interventionen, „unsere“ Kriege, sind das beste – oder schlimmste – Beispiel dafür, in Afghanistan, Libyen, Syrien, aber auch ausbeuterische „Freihandels“verträge und Investitionen. (…)
    Eigentlich liegt dieses primitive lineare Denken dem ganzen System des neoliberalen Kapitalismus zugrunde. Marktradikaler globaler Wettbewerb, Verfügungsgewalt über Menschen legen immerfort nur ein Verhaltensmuster nahe: Ich setze mich durch, egal, was damit den Betroffenen angetan wird. In persönlichen Beziehungen wirkt das schlicht egoistisch; zwischen Staaten wird das Kolonialismus und Imperialismus genannt. Ausbeutung, Entrechtung, Entwertung ohne jede Möglichkeit des Widerstandes zerstören Länder, die sozialen Beziehungen, die Seele der Menschen – übrigens auch der Täter.
    Quelle: Das Blättchen

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