Unser Spitzenpersonal in der Politik und in der Wirtschaft ist volkswirtschaftlich ungebildet und voller Vorurteile. Zum Beispiel Exportweltmeister
Mit dem Hinweis Nr.5 vom 19. Mai wurde schon auf die Wiedergabe eines FTD-Interviews mit dem Siemens-Chef-Löscher aufmerksam gemacht und kritisiert, dass hier der Fortsetzung eines außenwirtschaftlichen Ungleichgewichtes das Wort geredet wird. Der Artikel zeigt darüber hinaus, dass unser Spitzenpersonal, im konkreten Fall die Bundeskanzlerin und der Chef eines der größten deutschen Unternehmen, die einfachsten volkswirtschaftlichen Zusammenhänge nicht begreift und Vorurteilen und Legenden hinterher rennt, unkritisch begleitet von Medienschaffenden. Das ist nicht ohne Bedeutung, weil diese Vorurteilsbeladenheit immer wieder zu falschen politischen Entscheidungen führen kann und führt. Albrecht Müller
Zunächst zum Unproblematischen in dem Artikel: Ich habe nichts daran auszusetzen, dass vom Siemens-Chef Löscher für eine hoch innovative Industriestruktur plädiert wird.
- Aber schon die bei Löscher und dann auch in der zitierten Passage von Merkel erkennbare Denke in einen Gegensatz von Export hier und Binnennachfrage dort ist einfach Unsinn. Beides sind Komponenten der volkswirtschaftlichen Nachfrage. Und eines ist klar: die Binnennachfrage ist in den letzten 10 Jahren vernachlässigt worden, die Exportorientierung ist übertrieben worden.
Diese Übertreibung gründet auf der Vorstellung, Exporte seien per se etwas Gutes und deshalb in besonderer Weise förderungswürdig. Dieses Vorurteil hat seine Basis in einer monetären Vorstellung von wirtschaftlichen Beziehungen, wie sie im Merkantilismus offenbar unausrottbar eingebläut worden ist: Hauptsache man nimmt Geld ein. Deshalb sagt man auch: „Wir leben vom Export“. – Das ist Unsinn. Wir leben von dem, was wir essen und mit dem wir uns kleiden, uns ausstatten und uns das Leben angenehm machen. Was wir dafür importieren müssen, bezahlen wir mit den Finanzen, die wir über Exporte einnehmen. Exporte sind also nur das Hilfsmittel. Man kann es auch anders sagen: Wir essen keine Dollars, die wir über Exporte einnehmen, wir essen Bananen und anderes mehr.
Den Denkfehler, der aus der monetären Denkweise folgt und die reale Denkweise außer acht lässt, habe ich im Denkfehler Nr. 17 meines Buches „Die Reformlüge“ auf den Seiten 212-215 abgehandelt. Den einschlägigen Auszug finden Sie hier. - Die Fixierung auf den Export findet ihren Ausdruck im Stolz auf die Exportweltmeisterschaft. Das wird in dem Beitrag der Financial Times Deutschland an den Äußerungen von Bundeskanzlerin Merkel sichtbar. Eine weitere einschlägige Äußerung finden Sie auch in der Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Neujahrsempfang des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V. vom19.01.2009 in Berlin: „Wir freuen uns natürlich – das will ich ganz deutlich sagen –, wenn deutsche Firmen erfolgreich sind. Deshalb sind wir stolz darauf, dass Deutschland Exportweltmeister ist. Ich möchte Ihnen deshalb noch einmal dafür danken, dass Sie auch dazu einen Beitrag geleistet haben.
Dagegen, dass deutsche Firmen erfolgreich sind, ist nichts zu sagen. Die Exportweltmeisterschaft jedoch als Ziel zu formulieren, bezeugt die kindische Einfalt, mit der die Hauptverantwortliche für die deutsche Politik zu Werke geht. - Die unsinnige Fixierung auf den Export hat verschiedene schlechte Folgen:
So haben wir mit dieser Fixierung in der Vergangenheit wesentlich dazu beigetragen, dass die Zahlungsbilanzen innerhalb des Eurobereiches aus dem Gleichgewicht gerieten. Es gibt eine Reihe von Ländern, die mit großen Leistungsbilanzdefiziten zu kämpfen haben. Das ist die Kehrseite des weit überdimensionierten Leistungsbilanzüberschusses unseres Landes. Auf Dauer muss in einem solchen Währungsverbund ein Ausgleich der Salden über die Zeit angestrebt werden.
Eine weitere Folge der Fixierung auf den Export ist die vielfältige Förderung, die den entsprechenden Export-Industrien zuteil wird: Sie werden beim Export von der Mehrwertsteuer entlastet, sie bekommen wie jetzt die Automobilindustrie die besondere Förderung in der Finanzkrise. Die Technologieförderung der Bundesregierung kommt auch in weitem Maße der Exportwirtschaft zugute. – Dies alles ist nicht kostenlos, es muss bezahlt werden. Die auf den Binnenmarkt orientierte Wirtschaft, das Handwerk, das binnenmarktorientierte Gewerbe und Industrie, der Einzelhandel, die Gastronomie – sie alle tragen die besondere Exportförderung mit. - In dem zitierten Artikel bei Financial Times Deutschland wird die Bundeskanzlerin wie folgt zitiert: Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen sagte kürzlich im Interview der Financial Times, dass man es sich angesichts der hohen Verschuldung und sinkender Bevölkerungszahlen nicht erlauben könne, zulasten der Ausfuhren den Verbrauch anzukurbeln: “Die deutsche Wirtschaft hängt in hohem Maße von den Exporten ab, so etwas lässt sich nicht innerhalb von zwei Jahren verändern”, sagte sie. “Und das wollen wir auch nicht verändern.”
Das ist geballter Unsinn. Wer meint, man könne die Schulden abbauen, indem man die Binnenkonjunktur weiter in den Keller reitet, der hat keine Ahnung. Leere Kneipen, unterausgelastete Einzelhandelsgeschäfte, Auftragsmangel bei Handwerkern und bei der binnenmarktorientierten Industrie sind doch kein Beitrag zum Abbau der Verschuldung. Das gelingt nur, wenn es auch in diesen Bereichen floriert. Dann werden Steuern gezahlt.
Dass Einzelhändler und Handwerker, das Kneipenwirte und Hoteliers noch der CDU/ CSU nachlaufen, ist rational nicht zu begreifen. Diese Unternehmer sind offenbar am Strang der Meinungsmache, die von ganz anderen gemacht wird.
Die Vermischung mit der demographischen Entwicklung ist ohnehin ausgemachter Unsinn. Wo soll da der Zusammenhang sein? Man kann Merkels Äußerungen nur so interpretieren, dass sie ganz eng an der Exportwirtschaft dranhängt und alles tut, um dort zu fördern. Da müssen dann auch wirklich falsche Argumente herhalten. - Der ganze Disput – Exportorientierung oder Binnenmarktorientierung – ist absolut unnötig. Eine Wirtschaftspolitik, die beides möglich macht und ausbalanciert, wäre das richtige. Die Industrie ist auch flexibel genug, um kleine Umorientierungen zu bewältigen, wenn diese notwendig werden. Ich will ein praktisches Beispiel nennen: wenn die Exportaufträge von LKWs einbricht, wie es beim Daimler Benz Werk in meiner Nachbarschaft geschehen ist, dann macht es doch Sinn zu überlegen, ob man wenigstens einen Teil des Ausfalls durch Ankurbelung der Bauwirtschaft im Innern und damit auch des Bedarfs an LKWs ersetzen kann. Nicht auf Dauer und nicht total. Das ist klar.
Ohne differenziertes Denken auch in volkswirtschaftlichen Zusammenhängen werden wir politisch nicht sonderlich erfolgreich sein. Die Voraussetzungen dafür sind zurzeit nicht besonders gut – bei diesem Personal in der Industrie und in der Politik!