US-Angriff auf Nord Stream 2 – warum ist Merkel auf einmal so kleinlaut?
„America first“ … das ist nicht nur das Motto des in Europa so gescholtenen Donald Trump, sondern auch der Leitspruch der beiden Kammern des US-Parlaments. Mit überwältigender Mehrheit haben bereits am Dienstag die Abgeordneten im Repräsentantenhaus einem neuen Sanktionspaket zugestimmt und es gilt als abgemacht, dass auch der Senat nahezu einstimmig zustimmen wird. Das ist insofern pikant, da das neue Sanktionspaket auch Passagen enthält, die nur als dreiste Interessenpolitik zugunsten amerikanischer und zulasten europäischer Konzerne zu bewerten sind. So droht das Gesetz ganz explizit mit Sanktionen gegen deutsche und europäische Konzerne, die beim Pipeline-Betrieb mit Russland aktiv sind. Hier geht es vor allem um das aktuell geplante Nord-Stream-2-Projekt. Außenminister Gabriel hat diesen Vorstoß noch im Juni erstaunlich harsch kritisiert und Kanzlerin Merkel stärkte ihm damals noch den Rücken. Heute geben sich beide kleinlaut und auch die EU scharrt bereits mit den Hufen, um Nord Stream 2 zu torpedieren. Wenn Merkel die Inhalte ihrer berühmt-berüchtigten „Bierzeltrede“ ernst meint, müsste sie nun auf den Tisch hauen … aber das wird sicher nicht passieren, denn sie hat sich durch ihre Torheiten der letzten Jahre in eine komplizierte Sackgasse manövriert. Von Jens Berger.
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USA gegen die Ostseepipeline
Es kam, wie es kommen musste. Dass die USA entschiedene Gegner neuer russischer Erdgasleitungen nach Mittel- und Westeuropa sind, ist nicht neu. Als vor gut 10 Jahren die erste Nord-Stream-Pipeline geplant wurde, intervenierten die Amerikaner vor allem bei den skandinavischen Anrainerstaaten, die einen Bau noch hätten verhindern können. So forderte beispielsweise im Jahre 2008 der US-Botschafter in Stockholm die schwedische Regierung in einem ganzseitigen Appell im „Svenska Dagbladet“ auf, den Bau von Nord Stream zu verhindern. Doch alle Versuche, die Pipeline zu stoppen, scheiterten – nicht zuletzt dank „Gas-Gerd“ Schröder, der das Projekt stur durchzog und dafür später ja auch fürstlich von der russischen Gaswirtschaft belohnt wurde.
Die Vorzeichen haben sich geändert, der Konflikt setzt sich fort. Im August 2016 flog US-Vizepräsident Joe Biden höchstpersönlich nach Stockholm, um die Schweden zu einem Veto zu bewegen – diesmal ging es um die geplante, parallel zur ersten Nord-Stream- verlaufende Nord-Stream-2-Pipeline. Die offene Gegnerschaft der USA zu den russisch-deutschen Ostseepipelines zieht sich wie ein roter Faden durch die jüngere Geschichte; von Bush jr. über Obama bis hin zu Trump, dessen Emissärin Robin Dunnigan erst im Mai in Dänemark offen und lautstark gegen Nord Stream 2 intervenierte . Den USA scheint es sehr ernst zu sein, aber um was geht es eigentlich konkret?
Die Pipeline-Debatte
Um das zu verdeutlichen, muss man ein wenig ausholen. Mitteleuropa bezieht zur Zeit rund die Hälfte seines Erdgases aus Russland und die zweite Hälfte aus den Nordseevorkommen Norwegens, Großbritanniens und der Niederlande. Die Nordseefelder haben jedoch ihr Fördermaximum bereits erreicht und mittel- bis langfristig muss Europa neue Bezugsquellen für sein Erdgas akquirieren. Das ist jedoch alles andere als einfach. Nennenswerte Überkapazitäten sind neben den sibirischen Vorkommen, die von Russland gefördert werden, vor allem im Persischen Golf (Katar und Iran) und am nördlicher gelegenen Kaspischen Meer vorhanden. Russland hat es strategisch klug – aber auch zu einem ökonomisch sehr hohen Preis – geschafft, die Fördermengen der Anrainer des Kaspischen Meers über Jahrzehnte an sich zu binden und eine europäische Alternative zu verhindern. Die Vorkommen aus dem Golf bieten sich wiederum aufgrund der politisch heiklen Pipelineführung auch langfristig nicht an. Eine Pipeline aus Katar müsste schließlich über den Boden des „Feindes“ und Konkurrenten Saudi-Arabien über die Bürgerkriegsländer Irak und Syrien und dann über Erdogans Türkei verlaufen. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Europa Erdogan neben den Flüchtlingen noch ein zweites Druckmittel frei Haus in die Hand geben will. Und somit scheiden die beiden großen alternativen Bezugsgebiete für Erdgas als Startpunkt einer Pipeline realistisch betrachtet aus. Was bleibt, sind Transporte in Flüssiggasform mit riesigen Tankern, die jedoch ökonomisch nicht sonderlich sinnvoll sind und vom Volumen her bestenfalls eine Ergänzung, aber keine Substitution darstellen können.
Bliebe Russland als Lieferant und hier wird es abermals kompliziert. Über die Probleme mit den Transitländern Polen, Weißrussland und vor allem Ukraine hatte ich bereits vor zwei Jahren in meinem Artikel „Europa und der kalte Pipeline-Krieg“ ausführlich berichtet. Summa summarum bleibt unter dem Strich stehen, dass es in Deutschlands Interesse sein muss, die Lieferkapazitäten aus Russland zu erweitern und dafür im Idealfall auch eine Pipeline zu bauen, die einen weiten Bogen um unsichere Transitstaaten macht. Die Idee, parallel zu Nord Stream eine Erweiterungsröhre zu bauen, mit der die Ostseepipeline genauso viel Kapazität bekommt wie das alte Transgas-System, das über die Ukraine läuft, ist da eine sehr gute Lösung.
Das sehen die Amerikaner jedoch gänzlich anders und dabei geht es nicht „nur“ um Machtpolitik und Geostrategie. Durch die von George W. Bush massiv unterstützte „Fracking-Technologie“ schwimmen die USA sinnbildlich in Überkapazitäten, die eine katastrophale Wirkung auf den Erdgaspreis in den USA haben. Derzeit zahlt man dort als pipelinegebundener Großabnehmer rund 88 Dollar für 1.000 Kubikmeter – die deutschen Versorger zahlen für dieselbe Menge Erdgas rund 350 Euro. Was vordergründig gut für die amerikanischen Verbraucher ist, ist eine Katastrophe für die US-Gas- und –Finanzwirtschaft, da die auf Pump finanzierten Frackingprojekte sich bei so geringen Preisen nicht rentieren und der Branche über kurz oder lang der Zusammenbruch droht.
Es geht um Big-Oil und um die Wallstreet
Daher haben die USA ein vitales Interesse, Überkapazitäten vom Markt zu nehmen. Eine Möglichkeit dafür sind Exporte als verflüssigtes Erdgas in Tankern. Vor allem der abnahmestarke europäische Markt wird von den US-Multis seit rund vier Jahren erschlossen und die Lobbyarbeit trägt auch bereits die ersten Früchte.
Nennenswerte Exporte in die EU würden den Gaspreis in den USA stabilisieren und damit die Investitionskosten der großen Erdgasförderer, die zugleich auch die größten Erdölkonzerne sind (z.B. Exxon, Chevron, BP), retten. Selbstverständlich wären auch die Lieferungen in die EU ganz sicher nicht zum wirtschaftlichen Nachteil dieser Konzerne. Wichtig ist jedoch hervorzuheben, dass Fracking-Gas – wenn man einmal die Folgekosten ignoriert – zwar vor Ort sehr preisgünstig ist, der Transport in ferne Regionen das billige Fracking-Gas jedoch extrem teuer macht. Die Zeche müsste, wie meist, der europäische Endabnehmer zahlen. Und wenn man bedenkt, dass eine theoretische vollständige Substitution der russischen Gaslieferungen durch LNG-Importe Kosten in Billionenhöhe mit sich bringen würde, kann einem da nur angst und bange werden. Somit ist klar, dass Nord Stream 2 nicht im Interesse der USA sein kann.
Europa zuerst?
„Europas Energieversorgung ist eine Angelegenheit Europas, und nicht der Vereinigten Staaten von Amerika“, so formulierten es dann Mitte Juni auch folgerichtig Sigmar Gabriel und Österreichs Kanzler Kern, die als größte politische Unterstützer des Projekts gelten. Auch Angela Merkel unterstützte – leicht zähneknirschend – die Kritik. Für sie seien die US-Pläne „befremdlich“. Nun, da diese befremdlichen Pläne umgesetzt werden, sind Gabriel und Merkel jedoch erstaunlich kleinlaut. America first auf der einen Seite und kein Europa zuerst auf der anderen Seite? Nein, ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Es ist ja nicht einmal klar, ob die Pipeline im „europäischen Interesse“ ist. Mit einem klaren „Nein“ dürfte diese Frage in den baltischen Staaten, in Polen und in der Slowakei beantwortet werden. Einerseits sind diese Staaten fest durch die transatlantische Lobbyarbeit eingespannt, andererseits haben sie ein sehr verständliches ökonomisches Interesse daran, dass nicht noch mehr Gas durch die Ostsee fließt, für das sie keine Transitgebühren mehr kassieren können. Auch Süd- und Südosteuropa sind mittlerweile jedoch gegen Nord Stream 2 und dies hat einzig und alleine Angela Merkel zu verantworten.
Was Nord Stream für Deutschland, sollte nämlich ursprünglich ein Pipelineprojekt namens South Stream für die Balkanstaaten und Italien werden. Quer durch das Schwarze Meer (also vorbei an den „Problemstaaten“ Ukraine und Türkei) sollte eine russische Pipeline über Bulgarien mit einem Nordstrang den Balkan bis Österreich und mit einem Südstrang Griechenland sowie Italien versorgen. Natürlich intervenierten die USA auch gegen diesen Pipelineplan, aber nicht die Amerikaner, sondern ausgerechnet Deutschland sorgte dafür, dass South Stream nie gebaut wurde. Die Umstände dazu sind aus heutiger Sicht besonders pikant.
Nach der Einverleibung der Krim war es nämlich allen voran Angela Merkel, die auf scharfe EU-Sanktionen gegen Russland drängte und im Zusammenspiel mit dem damaligen EU-Energiekommissar Günther Oettinger übte Merkel massiven Druck auf die Anrainerstaaten – allen voran Bulgarien – aus, um das Projekt einzustellen. Dass es in diesen Staaten nicht sonderlich gut ankommt, wenn Merkel unter Berufung auf die Russland-Sanktionen South Stream verhindert und nun argumentiert, Nord Stream 2 sei ein rein ökonomisches Projekt, das nicht durch die Russland-Sanktionen gefährdet werden dürfe, ist mehr als verständlich. Dass die ganzen Eseleien, die ganz klar gegen europäische Interessen gerichtet waren, für Merkel und Co. irgendwann zu einem Bumerang werden, war absehbar.
Nun hat Nord Stream 2 dank Angela Merkels Rückgratlosigkeit einen zweiten Feind – die EU-Kommission. In Brüssel hält man von Nord Stream 2 nämlich wenig. Zuständig für derlei Fragen ist bei der EU-Kommission der Slowake Maroš Šefčovič, der seine Aufgabe vor allem darin interpretiert, Europa unabhängiger vom Erdgaslieferanten Russland zu machen. Dass Šefčovič nun neben den Osteuropäern auch noch die Balkanstaaten und Italien als Verbündete gewinnen konnte, ist schon ziemlich grotesk, aber auch eine Folge falscher deutscher Politik.
Merkel schweigt
Mit Fehlern der Vergangenheit sollte man aber keinesfalls Fehler der Zukunft rechtfertigen. Im Gegenteil. Nur wer aus den Fehlern der Vergangenheit lernt, kann künftige Fehler vermeiden. Darum sollte sich Angela Merkel auch ohne Wenn und Aber entschlossen gegen die USA und gegen Brüssel stellen und wie weiland Gerhard Schröder das Pipelineprojekt durchziehen. Nord Stream 2 ist zwar ganz sicher nicht im Interesse Washingtons und an der Frage, ob die Pipeline im Interesse Europas ist, scheiden sich die Geister. Klar aber ist, dass eine Erweiterung der Ostseepipeline in deutschem Interesse ist. Und Angela Merkel ist immer noch die Kanzlerin Deutschlands. Warum also nicht einmal „Deutschland zuerst“?
Die Vergangenheit lehrt jedoch auch, dass Angela Merkel noch nie Rückgrat zeigte, wenn es offen gegen die Interessen der USA ging. Merkel ist kein Schröder, ihre Linie liegt irgendwo zwischen devotem, vorauseilendem Gehorsam und oberflächlicher Kritik ohne jegliche Folgen. Abhören unter Freunden, geht gar nicht und Freunden verbieten, mit anderen Staaten sinnvolle Geschäfte zu machen, geht auch nicht. In Washington dürfte der Angstschweiß sich jedoch in dosierten Grenzen halten. „Aufmüpfig“ wird Merkel halt nur im Bierzelt. In der echten Politik opfert sie deutsche Interessen ohne mit der Wimper zu zucken.