Venezuela – Mit Generalstreik und „Parallelregierung” gegen Nicolás Maduro testet Opposition die Reaktion des Militärs
Am vergangenen Sonntag, 16. Juli, folgten 7,18 Millionen Venezolaner – davon rund 650.000 im Ausland – dem Aufruf der Opposition zu einer Volksbefragung über die von der Regierung Nicolás Maduro geplanten verfassungsgebenden Versammlung, ferner zur Frage, ob die Streitkräfte der Verfassung von 1999 und dem Parlament gehorchen sollen und schließlich ob die Wähler mit “der Erneuerung” der Staatsorgane und der Abhaltung freier Wahlen einverstanden sind. Das Wochen zuvor lautstark, mit schallender Unterstützung in- und ausländischer konservativer Regierungen und Medien und als „ultimativ” angekündigte Plebiszit entpuppte sich jedoch als politischer Reinfall. Auf die 19,5 Millionen Wahlberechtigten des Landes berechnet, erzielte die Opposition kaum 36 Prozent, also wenig mehr als ein Drittel der Stimmen; rund 500.000 Stimmen weniger als zur Parlamentswahl von 2015. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.
Das nach geltendem Wahlrecht in der Tat gesetzwidrige Referendum wurde von der Nationalen Wahlbehörde (CNE) als „nicht bindend” und daher von „bloßer symbolischer Bedeutung” erklärt, doch von der Regierung Maduro als „Betrug” scharf angegriffen.
Gewiss zeigte die für die Beschwörung sämtlicher Tugenden der Rechtschaffenheit bekannte Opposition ihre unfeine Seite mit vielfältigen Hinweisen auf grobe Wahlfälschungsversuche. So wurden beispielsweise die regionalen Oppositionsführer Filiberto Colmenares und José Gregorio Hernández in der Provinz Aragua durch ein abgehörtes Telefongespräch bei der Präparierung gefälschter Abstimmungsergebnisse mit der Addierung von 50.000 Scheinstimmen ertappt, die u.a. Oppositionssprecher Fredy Guevara dazu „legitimieren” sollten, die erschwindelte Zahl von „7,6 Millionen Stimmen” als Abstimmungs-Gesamtergebnis in den Medien festzusetzen.
Jorge Rodríguez, Bürgermeister von Caracas, erinnerte in einer Fernsehsendung vom 17. Juli daran, dass die Opposition sich wochenlang mit der angeblichen Zustimmung von 11 Millionen Wählern brüstete, doch er wette, dass „höchstens 1 Million” Wähler sich an einem Referendum mit 40 Prozent ungültiger Stimmen beteiligt hätten. Bezeichnenderweise verschwand unmittelbar nach Bekanntwerden des angeblichen Abstimmungsergebnisses auch die Publizität darüber in in- wie ausländischen konservativen Medien.
Der Oppositions-Abgeordnete José Manuel Olivares gab sich scheinkonziliant: der Regierung solle eine „Denkpause” eingeräumt werden. Hingegen verlangte Ex-Maduro-Herausforderer Enrique Capriles vom Präsidenten, er solle die geplante verfassungsgebende Versammlung „in den nächsten Stunden” widerrufen.
„Parallelregierung”: das Umsturzprogramm der Opposition
Die Opposition betreibt Falschspiel. Sie blufft mit einer Wählerzahl, die sie nicht besitzt und kompensiert ihr Defizit mit der Androhung flächendeckender Destabilisierung. Auffällig ist, dass längst vor der Abhaltung des Referendums von der Opposition eine sogenannte „Stunde Null” mit der Ausrufung eines „Generalstreiks” gegen die für den 30. Juli von der Regierung geplante Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung verkündet worden war.
Zwei Tage nach dem gescheiterten Referendum wurden nun Einzelheiten des Destabilisierungs-Plans bekannt, der das Land lahmlegen und die Regierung Maduro in die Knie zwingen soll. Schon am 18. Juli begann die von der Opposition seit 2015 kontrollierte Nationalversammlung mit der Benennung der 33 Richter, die die von der Regierung 2015 angeblich „illegal” ernannten Mitglieder des Obersten Gerichtshofs ersetzen und bis zum 21. Juli bekanntgegeben werden sollen. Im Licht der Rechtsstaatlichkeit bedeutet der Schritt einen frontalen Verfassungsbruch mit der Nicht-Anerkennung der immerhin demokratisch gewählten Regierung Nicolás Maduro, die die Opposition, so öffentlich verkündet, durch eine „Parallel-Regierung” ersetzen will. „All diese Mechanismen dienen der Druckausübung und Vorbereitung auf die endgültige Eskalierung”, drohte Oppositionssprecher Fredy Guevara.
Nach der offenkundigen kalten Schulter, die die Regierung Maduro dem dramatischen Appell an eine politische Deeskalierung zeigte, setzt nun die Opposition mit ihren extremistischen Schritten unmissverständlich auf die gewaltsame Konfrontation, mit der menschenverachtenden Inkaufnahme zusätzlichen Blutvergießens. Mit einem eventuellen Eingreifen der Streitkräfte, so das zugrundeliegende Kalkül, könnte ein zumutbares Blutbad der Regierung samt Streitkräften in die Schuhe geschoben und eine ausländische Intervention gerechtfertigt werden.
Reaktionen im Ausland
Die Stimmung wird sichtlich mit der Mobilisierung konservativer Medien und Regierungen in und außerhalb Lateinamerikas angeheizt.
Eine herausragende Rolle bei der Stimmungsbildung der vergangenen Monate hatte der Generalsekretär der in Washington beheimateten Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS), Luis Almagro. Der konservative Uruguayer erwies sich nicht nur als Schlichter unfähig, sondern stachelte in unverantwortlicher Weise die innenpolitische Krise mit unverblümter Umarmung der unberechenbaren und gewaltbereiten venezolanischen Opposition an. Mit unverfrorener Tatsachen-Verdrehung behauptete Almagro auf Twitter, „die Mehrheit Venezuelas hat sich gegen die verfassungsgebende Versammlung ausgesprochen”, und verkündete seinen Auftritt vor dem US-Senat, dem er ein hartes Vorgehen der USA gegen die Regierung Maduro abgewinnen will.
Die Reaktion der US-Regierung vollzog sich bereits weniger als 24 Stunden nach dem Referendum. Regierungssprecher Sean Spicer verurteilte wie gehabt „die Gewalttätigkeit der Regierungs-Killer gegen unschuldige Wähler”. Der Anklage Spicers folgte die Drohung von Präsident Donald Trump. Man werde mit „unmittelbaren und harten Sanktionen” reagieren, falls Maduro nicht den Plan einer verfassungsgebenden Versammlung aufgebe. „Die USA werden nicht tatenlos zusehen, während Venezuela zusammenbricht”, warnte Trump.
Gleichwohl konnte die Resonanz im Lager konservativer und illegitimer Regime kaum heuchlerischer ausfallen. Ausgerechnet das Außenministerium der illegitimen Regierung des wegen schwerer Korruption angeklagten Präsidenten Brasiliens, Michel Temer, konnte es nicht unterlassen, Venezuela mit der Einberufung der verfassungsgebenden Versammlung den „Bruch des universellen Wahlrechts und des Prinzips der Volks-Souveränität” vorzuwerfen.
Die Stunde der Militärs
Venezuelas Streitkräfte zählen 165.000 reguläre Soldaten, 25.000 Reservetruppen sowie mindestens 200.000 Mitglieder einer noch unter Hugo Chávez gebildeten zivilen Miliz.
Seit dem Tod Chávez´ verstand es Maduro, das Militär stärker in die allgemeine Verwaltung des Staatsapparates einzubinden, dessen Macht auszubauen und sich politisch-bewaffnete Rückendeckung zu sichern. Ein aktiver und 10 pensionierte Militärs besetzen gegenwärtig 11 von 32 Ministerien, vom Verteidigungs-Ressort abgesehen, strategisch relevante Ressorts wie das der Landwirtschaft und der Ernährung.
Die Streitkräfte, die Maduro „bedingungslose Loyalität“ geschworen haben, steuern ferner die Herstellung und den landesweiten Vertrieb von Grundnahrungsmitteln sowie eine Ölgesellschaft, eine Bank, ein Kfz-Montagewerk, eine Fernsehstation und ein Großbau-Unternehmen. Einzelne Offiziere sitzen auch im Vorstand von Luftfahrtgesellschaften sowie der staatlichen Eisenbahnen und des Zolls.
Hochrangige Militärs, vor allem Generäle – von denen es nach unbestätigten Angaben 1.500 an der Zahl geben soll – sind aber auch in der politischen Exekutive vertreten und regieren als Gouverneure in 16 der 24 Bundesstaaten Venezuelas; die pensionierten Offiziere in der Justiz und der Nationalversammlung nicht mitgezählt. Als besonderes Geschenk an die Uniformierten war im Dezember 2016 Maduros Gründung der „Militär-Gesellschaft der Bergbau-und Erdölförderungs-Unternehmen” (Camimpeg) zu werten.
Selbstverständlich verfolgt die Macht-Konzentration in den Händen der Militärs das Ziel der Abschirmung der Regierung. Sie bildet den Hintergrund für die gewagte, wenn nicht gar hirnrissige Phrase Maduros, „was nicht mit der Stimmabgabe erreicht werden konnte, könnten wir mit den Waffen erzwingen, unser Vaterland mit Waffengewalt befreien“.
Konservative Sicherheitsexperten wie Rocío San Miguel haben wiederholt der Gefahr eines Militärputschs widersprochen, spekulieren jedoch mit der zunehmenden Meuterei niederer Offizierschargen, die sich sowohl gegen die unwidersprochene Gewaltausübung gegen rechte Demonstranten als auch einen angeblichen und unzumutbaren „kubanischen Einfluss” bestimmter Generäle sowie die mit der Machkonzentration verbundenen Korruption wenden.