CHE: Zwei Jahre Hochschulpakt – eine Halbzeitbilanz
Das Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung hat eine Studie über „Herausforderungen, Maßnahmen und (Miss-)Erfolge“ [PDF – 241 KB] nach zwei Jahren des Hochschulpaktes 2020 vorgelegt. Die Studie birgt viele Informationen über die Umsetzung in den 16 Ländern. Sie ist insofern spannend, weil das CHE in vielen Punkten mit den von ihm selbst propagierten Vorschlägen konfrontiert wird.
Die Befunde müssten eigentlich auch für das CHE an vielen Stellen Anlass zu Selbstkritik sein. Doch das vorausgegangene Tun und die ideologischen Scheuklappen verstellen besserer Einsicht den Blick. Wolfgang Lieb
Interessant ist etwa, dass das CHE inzwischen die „gesamtstaatliche Perspektive“ der höheren Bildung wieder betont:
Man wird festhalten müssen, dass die Mehrzahl der Länder nicht oder nicht in diesem Ausmaß auf die Herausforderungen reagiert hätte, wenn der Bund nicht mit erheblichen finanziellen Vorleistungen in diesen Pakt eingestiegen wäre. Gerade in diesem Teil des Hochschulpaktes, um den es hier in erster Linie geht – die Realisierung von zusätzlichen Studienanfänger/- innen – engagiert sich der Bund etwa zur Hälfte auf einem Gebiet, auf dem ihm die Föderalismusreform I just die Kompetenzen entzogen hatte, nämlich der Mitfinanzierung der Lehre.
Das CHE war ja bisher ein glühender Verfechter des Wettbewerbsprinzips zur Steuerung der Hochschulen und die Bertelsmann Stiftung hat mit allen ihren Mitteln den Wandel vom kooperativen Föderalismus zum Wettbewerbsföderalismus und die Dezentralisierung auch der Bildungspolitik vorangetrieben.
Als Ausweg aus der Kleinstaaterei in der Hochschulpolitik soll nun die Konkurrenz um Bundesmittel wieder korrigieren, was vorher zerstört wurde.
Die Bertelsmann Stiftung gehörte zu den Think-Tanks, die Katastrophengemälde über die demografische Entwicklung an die Wand gemalt und daraus sofortige „Reformen“ etwa bei den sozialen Sicherungssystemen angemahnt hat. Nun muss man in der Studie plötzlich eine „widersprüchliche Entwicklung“ konstatieren:
Im Westen – und damit dann auch in der Summe in Deutschland insgesamt – wird die Zahl der studienberechtigten Schulabgänger/-innen noch mehr als 15 Jahre deutlich über dem Niveau von 2005 liegen.
Für diesen demografischen Trend an den Hochschulen hatte man leider, anders als bei den sozialen Sicherungssystemen, vor einigen Jahren keinen Alarm geschlagen.
Die Studie stellt selbstkritisch fest, dass es für ein Lob noch zu früh sei, da die Ergebnisse nur die erste Phase des Hochschulpaktes erfassten:
In der ersten Hälfte dieser ersten Phase waren daher nur 37.000 der 91.000 zusätzlichen Anfänger/-innen vorgesehen, der größte Teil der zusätzlichen Studienanfänger/-innen kommt also noch. Insofern darf diese positive Zwischenbilanz nicht überbewertet werden, man kann noch immer schwer abschätzen, ob die Ziele der zweiten Hälfte der ersten Phase denn auch erreicht werden dürften.
Berechtigt ist die Kritik des CHE, dass Planzahlen für den Hochschulpakt von Anfang an zu gering angesetzt waren:
Die Überfüllung des Jahres 2008 entspreche gerade der Tatsache, „dass die Planungen des Hochschulpaktes zu gering angesetzt waren und sich nun für die kommenden Jahre auch ein höherer Trend, analog zu den Studienberechtigtenprognosen, fortschreibt.“
Zustimmen kann man der Studie auch bei ihrer Kritik an der nach wie vor bestehenden Planungsunsicherheit:
„Der Pakt ist in Phasen zerlegt“ und man verhalte sich noch immer so, als gehe es um eine
Notmaßnahme zur Bewältigung eines vorübergehenden Problems…Die deutschen Hochschulen und die dahinter stehende Finanzierungslogik verhalten sich im Wesentlichen noch immer so, als müssten sie eine überbordende Nachfrage nach Studienangeboten verwalten und könnten mit Hilfe von Zulassungsbeschränkungen den Einlass kontrollieren.
Durch diese Zerlegung des Paktes in Phasen bleibe das Finanzierungsrisiko für eine Lebenszeiteinstellung von Professoren oder für längerfristige Investitionsvorhaben bei den Hochschulen:
Die so genannten hochschulspezifischen Aufwuchsplanungen in einzelnen Ländern zeigen, dass der Hochschulpakt stärker als Prämienmodell zur Verbesserung der Auslastung bereits vorhandener Kapazitäten interpretiert wird. Ein systematischer Kapazitätsaufbau tritt demgegenüber teilweise deutlich in den Hintergrund.
Zurecht befürchten die Autoren, dass die Finanzkrise „Einsparungen bei den konsumtiven Mitteln im Hochschulsektor zur Folge haben könnte.”
Berechtig ist auch die Kritik, an den viel zu geringen Kostenansätzen je neuen Studienplatz. Bei der Ermittlung der Werte sei darüber hinaus von vorneherein die Medizin unbeachtet geblieben. Offenbar sollte die Medizin nicht ausgebaut werden: „Das ist vor dem Hintergrund des akut drohenden Ärztemangels nicht recht verständlich“, heißt es dazu in der Studie. Zu beachten sei ferner,
dass die Hochschulen für die Umstellung auf die Bachelor- und Masterstrukturen keinerlei finanziellen Ausgleich erhalten hatten – obgleich der Wissenschaftsrat einen finanziellen Mehrbedarf in Folge der Reform von mindestens 15 % feststellt.
Das CHE war der Sturmtrupp für die Einführungen von Studiengebühren. Kein Wunder, dass nun die Studie um diese Frage herumeiern muss:
Immerhin könnte man meinen, dass Rheinland-Pfalz gerade deshalb die Zielzahlen des Hochschulpaktes so deutlich übererfüllt hat, weil es eben keine Studienbeiträge erhebt und von Ländern umgeben ist, die solche Gebühren eingeführt haben (…)
In der Summe geht aus dieser Befragung (durch das Hochschulinformationssystem HIS [PDF – 662 KB]) also ein zu vernachlässigender Effekt auf die Studieninteressenten hervor. Allerdings wurde die Befragung zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als erst zwei Länder Gebühren eingeführt hatten (…)
Gleichzeitig werben die neuen Länder zurzeit massiv mit der Gebührenfreiheit – und dem entspricht ein vergleichsweise höherer Anteil von westdeutschen Studienanfängern an ostdeutschen Hochschulen, die angeben, die Gebührenfreiheit sei für sie ein relevantes Motiv
gewesen.
Selbst wenn man den Verzicht von 18.000 Studierenden (meist aus sozial schwächeren Schichten, so die HIS-Befragung) für vernachlässigbar hält, so muss sich das CHE fragen lassen, wie es die Barriere Studiengebühren mit der nachdrücklichen Forderung nach verstärkter Werbung für ein Studium in Einklang bringt.
Der Blick auf die Entwicklung der Humankapitalrate (diese Kenngröße misst den zeitlichen Verbleib im Bildungssystem) zeige,
dass Deutschland hier seit Mitte der 1990er Jahre gegenüber den meisten Industrie- und Schwellenländern an Boden verliert.“ Deutschland könne die Akademikerquote „seit etwa 40 Jahren nicht mehr steigern, während in den meisten Vergleichsländern ein deutlicher Anstieg zu beobachten ist.
Dieser nüchternen Bilanz hochschul- und bildungspolitischen Versagens ist nichts hinzuzufügen.
Fazit: Eine materialreiche und teilweise interessante Studie, deren Befunde für das CHE Anlass zu Selbstkritik sein müssten. Das eigene, vorausgegangene Tun und ideologische Scheuklappen verhindern dies.
Siehe dazu auch
„Vor dem Sturm“
Quelle: SZ