Mein lieber Scholli – schön, dass so langsam immer mehr Menschen „Nein“ zur Anti-Russland-Kampagne sagen
Wenn es um „überkritische“ oder gar „tendenziöse“ Russland-Berichterstattung geht, spielen die Sportredaktionen der öffentlich-rechtlichen Medien oft eine besonders unrühmliche Rolle. Auch beim in den letzten Wochen stattgefundenen Confed Cup sparten ARD und ZDF im Rahmenprogramm der Sportberichterstattung erwartungsgemäß nicht mit einseitiger Kritik an Russland. Das wurde dem ehemaligen Fußballstar Mehmet Scholl, der aktuell als ARD-Experte tätig ist, offenbar zu viel. Scholl quittierte den Dienst für den Confed Cup und reiste nach Hause. Die ARD erklärte dies mit gesundheitlichen Gründen. Doch nun kam heraus, dass es hinter den Kulissen wohl mächtig gekracht hat: Scholl wollte eine ARD-Story über vermeintliche Dopingprobleme im russischen Fußball nicht mittragen und zog die Reißleine. Chapeau vor so viel zivilem Ungehorsam. Von Jens Berger.
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Auch Sport ist Politik. Zumindest dann, wenn es um Leistungssport geht und Großereignisse weltweit Aufmerksamkeit erregen. Früher galt Sport auch als Feld der Völkerverständigung. Wer zusammen schwitzt, kämpft und fiebert, hat in der Regel keine Lust mehr, sich gegenseitig in den Schützengräben niederzumetzeln. Die völkerverständigende Wirkung des Sports auf die Sportler selbst und viele – wenn auch nicht alle – Fans ist auch heute unumstritten. Anders sieht es jedoch auf Seiten der Politik und der Medien aus.
Es ist ja auch richtig, dass guter Journalismus auch hinter die Kulissen schauen und auch mal dahin gehen muss, wo es für Funktionäre, Veranstalter und Verwerter weh tut. Wichtig ist jedoch auch, dass man dabei fair bleibt und nach allen Seiten hin kritisch berichtet. Eben dies ist bei der Rahmenberichterstattung von ARD und ZDF jedoch immer dann nicht der Fall, wenn es um „die bösen Russen“ geht. Schon die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi wurden von ARD und ZDF mit plumpen Putin-Bashing und offen antirussischer Agenda begleitet.
Dazu: Wo war eigentlich Stalin? und „Pussy Riot“ rettet die Spiele
Der FIFA-Konföderationen-Pokal, kurz Confed Cup, findet immer ein Jahr vor der Fußball-Weltmeisterschaft im Land des WM-Gastgebers statt und gilt als Generalprobe für die größere WM. Da Russland 2018 die WM ausrichten wird, fand dort in diesem Jahr auch der Confed Cup statt. Bereits im Vorfeld nutzten BILD und Co. die Gelegenheit, um wieder einmal gegen Russland zu hetzen und dabei sämtliche journalistische Qualitätsstandards über Bord zu werfen. Man wird sich in den Redaktionen sicher auch sehr geärgert haben, dass die Ausrichtung des Confed Cup ziemlich reibungslos vonstatten ging und keine Vorlagen für weitere Kampagnen bot.
Da kam eine Meldung der erzkonservativen und nicht gerade eben für ihre Seriosität bekannten britischen Mail on Sunday natürlich wie gerufen: Angeblich gäbe es Doping-Vorwürfe gegen die russische Fußballnationalmannschaft. Es gehe um die WM 2014, bei der die Sbornaja bereits in der Vorrunde hinter Belgien und der Fußballgroßmacht Algerien sang- und klanglos ausgeschieden ist. Nun ist das Thema Doping im Fußball umstritten. Die eine Hälfte der Experten sagt, Doping würde bei einem komplexen und technisch anspruchsvollen Sport wie Fußball eher schaden als nutzen, die andere Hälfte vertritt die gegenseitige Position. Fest steht jedoch, dass gerade die deutschen Medien beim Thema Doping gewohnheitsgemäß in extreme Einseitigkeit verfallen. Deckt ein Reporter Dopingaktivitäten in Russland auf, gilt er hierzulande als Volksheld. Berichte über die ebenfalls massiven Dopingaktivitäten in den westlichen Ländern werden indes von den Medien meist stiefmütterlich behandelt.
Es ist daher mehr als verständlich, dass ARD-Experte Mehmet Scholl sich nicht zu einer Story einspannen lassen wollte, die auf vagen Meldungen einer britischen Boulevard-Zeitung basiert und einzig und allein ins Programm genommen wurde, um Russland in ein schlechtes Licht zu rücken. Dass Scholl jedoch auch bis in die letzte Konsequenz standhaft blieb und dabei sicherlich auch finanzielle Einbußen und negative Auswirkungen auf seine TV-Karriere in Kauf nahm, ist indes beachtlich und verlangt Respekt. Es ist immer einfach, zivilen Ungehorsam einzufordern, wenn man selbst keinen Preis dafür zahlen muss.
Scholl ist jedoch zum Glück kein Einzelfall. Auch der Kapitän der jungen deutschen Fußballnationalmannschaft, die in Russland angetreten ist, wusste nicht nur auf dem Platz positiv zu überraschen. In einem offenen Brief, der auch auf russisch veröffentlicht wurde, bedankte sich Julian Draxler bei den russischen Gastgebern und Fußballfans und attestierte den Russen, sie hätten den Test [für die WM-Ausrichtung] „mit Bravour bestanden“. Ok – wahrscheinlich wurde der Brief eher von den PR-Experten des DFB als dem jungen Fußballer verfasst – dennoch ist es die Botschaft, die da zählt. Und die heißt Völkerverständigung und hebt sich positiv vom „medialen Rahmenprogramm“ ab.
Schon in Sotschi waren es die Sportler, die den kalten Kriegern aus dem Pressekorps eine rote Karte zeigten. So beispielsweise die deutsche Skiläuferin und Fahnenträgerin Maria Höfl-Riesch, die am Ende der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele die Suggestivfrage „War schrecklich pompös, gell?“ mit einem souveränen „Eigentlich genauso wie in Vancouver und toll!“ beantwortete und den Moderator dabei ziemlich dumm aussehen ließ. Chapeau. Chapeau auch für Basketball-Star Dirk Nowitzki, der sich ebenfalls nicht vor den antirussischen Karren spannen lassen wollte, als es um den Kollektivausschluss russischer Athleten bei den Olympischen Spielen 2016 ging:
Bleibt die Frage offen, warum ausgerechnet Sport-Journalisten den Bogen immer wieder derart überspannen. Das hat meines Erachtens vor allem psychologische Gründe. Sie sind oft mit dem Komplex bestraft, sich beruflich mit eher weichen und von den Kollegen in den „echten“ Redaktionen belächelten Themen beschäftigen zu müssen. Daher denken viele Kollegen aus dem Sport-Ressort offenbar, sie hätten etwas nachzuholen, um als „echte“ Journalisten wahrgenommen zu werden, die sich auch mit den „harten“ Themen beschäftigen können. Sobald man ihnen ein politisch-gesellschaftliches Thema vorlegt, gehen sie dann mit einer derartigen „Härte“ an die Sache, dass jeder Pitbull zum Schoßhündchen wird. Und wer selbst desorientiert ist, greift dann natürlich zur wahrgenommenen Orientierung und versucht, die Kollegen von Tagesschau und Co. auch ideologisch auf der Standspur stehen zu lassen. Umso wichtiger ist, gerade eben diese Entwicklung kritisch zu beobachten und – wenn man dazu die Möglichkeit hat – einen Schraubenschlüssel ins Getriebe zu werfen.