Frühjahrsprognose: „Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Frühjahr 2009 in der tiefsten Rezession seit der Gründung der Bundesrepublik.“
„Alles in allem wird sich das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2009 voraussichtlich um 6%verringern. Dies dürfte zu einem sich beschleunigenden Abbau der Beschäftigung führen. Zwar wird der Einsatz von Kurzarbeit den Beschäftigungsabbau zunächst abfedern, doch werden sich Unternehmen zunehmend gezwungen sehen, den Personalbestand zu reduzieren, je länger die Kapazitäten unterausgelastet sind. Im Jahresverlauf 2009 ist mit einem Verlust von mehr als 1 Mill. Arbeitsplätzen zu rechnen. Spiegelbildlich wird die Arbeitslosigkeit hochschnellen und im Herbst die Marke von 4 Mill. überschreiten.
Für 2010 erwarten die Institute keine durchgreifende Erholung. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte um 0,5% sinken. Zum Jahresende ist mit knapp unter 5 Mill. Arbeitslosen zu rechnen.“ So fassen das Ifo-Institut, das Institut für Weltwirtschaft Kiel, das Institut für Wirtschaftsforschung Halle, das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in ihrem Gemeinschaftsgutachten [PDF – 86,1 KB] die Aussichten der Wirtschaft für die Jahre 2009 und 2010 zusammen. Wolfgang Lieb
Quelle: CESifo
Da die deutsche Wirtschaft besonders exportabhängig ist, wird sie von der Krise „in besonderem Maße betroffen, weil die Nachfrage nach diesen Waren im Zuge der Weltrezession außerordentlich zurückgeht.“
Nun lagen die Frühjahrsgutachten schon immer in ihren Prognosen schon immer zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Dieses Jahr sind die Forschungsinstitute besonders depressiv. Auf die Prozentangaben, sollte man – wie in der Vergangenheit – nicht besonders viel geben. Dennoch ist der Ausschlag nach unten bemerkenswert und sollte jedenfalls ein deutliches Alarmzeichen sein.
Wer nun allerdings erwartet hat, er würde angesichts der dramatischen Situation von den Instituten, mutige, neue oder unkonventionelle Vorschläge hören, sieht sich enttäuscht.
Im Großen und Ganzen (bis auf die Kritik an der Abwrackprämie) haben nach Einschätzung der Forscher die Bundesregierung und die Zentralbank in der Krise alles richtig gemacht.
Die dringendste Aufgabe der Politik sei, „die Rekapitalisierung der Banken voranzubringen.“
Erstaunlich für die ganz überwiegend der neoliberalen Ausrichtung der Wirtschaftstheorie anhängenden Institute sind da schon Sätze wie:
Es scheint jedoch unumgänglich, dass die Bundesregierung den Druck auf die Banken erhöht und sie notfalls zwingt, staatliche Hilfen anzunehmen. Selbst eine Verstaatlichung stellt ein geringeres Übel dar als ein Andauern der Schwierigkeiten.
Aber ansonsten wird nicht einmal eine eindeutige Aussage über die derzeit diskutierten Bad Bank-Konzepte gewagt. Mit den Überlegungen zu einer kontrollierten Insolvenz von Banken und mit der Frage einer Restrukturierung des gesamten Bankenwesens auf seine eigentliche Funktion setzt sich das Gutachten nicht einmal auseinander. Führt der Staat den Banken nur ausreichend Kapital zu, dann können sie irgendwann ihre bisherigen Geschäfte weiter betreiben wie bisher. Es bedürfe „Maßnahmen, die das Übel an der Wurzel packen, entweder durch eine Herauslösung der Risikoaktiva aus den Banken oder durch eine Zuführung frischen Kapitals (oder einer Kombination beider Maßnahmen).“ Was das Versagen der Prognostiker bei der Warnung vor der jetzigen Krise anbetrifft, flüchten sich die Forscher in die Ausrede, dass „die Wechselwirkungen zwischen Finanzmärkten und Gütermärkten sowie die Ursachen und Abläufe von Finanzkrisen in der Ökonomie insgesamt nicht soweit verstanden sind.“
Ach hätte man diese Selbstbescheidenheit schon früher an den Tag gelegt und – vor allem – würde man diese Tugend doch auch gegenüber sonstigen Vorschlägen üben. Aber davon ist leider nichts zu spüren. Da wird die alte Leier gespielt.
- Zu Opel etwa, heißt es allgemein:
Es lässt sich ordnungspolitisch nicht rechtfertigen, dass Unternehmen, die Fehler gemacht haben, vom Staat unterstützt werden, während sich andere Unternehmen ohne staatliche Hilfe am Markt behaupten müssen.
(S. 78 der Langfassung [PDF – 7,9 MB])
- Zu einem weiteren Konjunkturpaket meinen die Institute:
Vor allem vor dem Hintergrund der absehbaren Zunahme des Budgetdefizits ist ein weiteres Konjunkturpaket unter den derzeitigen Umständen abzulehnen.
(S. 78 der Langfassung)
Bei der Rekapitalisierung der Banken ist also das Budgetdefizit unausweichlich, bei der Konjunktur wird nur auf die Neuverschuldung geschaut. Insgesamt besteht bei der Mehrheit der Institute nach wie vor eine große Skepsis gegenüber Konjunkturprogrammen, sie seien mit „großer Unsicherheit behaftet“ (S. 12 der Langfassung).
Das gilt aber offenbar nur für die deutsche Wirtschaft, denn für die USA gilt:
Angesichts des großen Volumens in den USA dürften von dem Konjunkturpaket insgesamt spürbare Wirkungen auf die konjunkturelle Entwicklung ausgehen.
Und noch ein Widerspruch: Da halten die besserwisserischen Wissenschaftler der Bundesregierung, die bis dato von einem viel geringeren Konjunktureinbruch ausgegangen ist, vor, dass das Timing der bisherigen Konjunkturprogramme „problematisch“ sei und viele der Maßnahmen erst im kommenden Jahr wirkten (S. 90 der Langfassung). Sie selbst, die die „tiefste Rezession“ prognostizieren, zögern jedoch mit ihren Vorschlägen ein weiteres rechtzeitiges Gegensteuern hinaus.
(Nirgendwo erscheint übrigens die Forderung des mit dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle kooperierenden Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), das noch im März ein drittes Konjunkturprogramm für 2010 mit 2 Prozent des Bruttoinlandproduktes angemahnt hat.)
- Wie nicht anders zu erwarten, wird die „Schuldenbremse“ begrüßt und es wird ganz offen mit der Androhung verbunden:
Allerdings bedeutet das Konsolidierungsziel, dass die Gebietskörperschaften und die Sozialversicherungen vor harten Entscheidungen stehen werden, denn die Rahmenbedingungen sind auf die mittlere Sicht alles andere als günstig.
(S. 79 der Langfassung). Die Rentner, die Arbeitslosen und die Kranken bekommen wenigstens ungeschminkt gesagt, was auf sie zukommt.
- Die Konjunkturforschungsinstitut haben regelmäßig mäßige Lohnabschlüsse gefordert, also jetzt auch in der Krise. Die Tariflohnerhöhungen sollen verschoben werden. Geradezu erleichtert heißt es da:
Vor dem Hintergrund der Rezession und der zunehmenden Erwerbslosigkeit dürfte sich die Verhandlungsposition der Gewerkschaften verschlechtern; insofern dürfte der Lohnkostendruck abnehmen
Und weiter im alten Trott werden weitere Arbeitsmarktreformen gefordert:
„Allerdings spielt auch eine Rolle, dass die Reformen auf dem Arbeitsmarkt nicht fortgesetzt werden. Dadurch vermindert sich der Anreiz, niedrigere Löhne zu akzeptieren.“
(S. 79 der Langfassung)
Niedrigere Löhne also als Ausweg von der Exportabhängigkeit und das sehenden Auges, dass auch die Binnennachfrage absackt.
- Für die Forscher, die alle vom Bild des Arbeitsmarktes als eines Kartoffelmarktes ausgehen, ist natürlich der Mindestlohn Gift:
Ebenso erweist sich die Ausweitung der Mindestlohngesetzgebung als schädlich für die Beschäftigungschancen, zumal die Anspruchslöhne ebenfalls steigen dürften. Mit solchen Maßnahmen trägt die Wirtschaftspolitik dazu bei, dass Lohnforderungen sich von dem entfernen, was für eine höhere Beschäftigung notwendig wäre.
Löhne unterhalb des Existenzminimums werden also weiter als Rezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angesehen, obwohl doch gerade das prognostizierte Ansteigen der Arbeitslosigkeit auf bis zu 5 Millionen gewiss am allerwenigsten mit der Lohnhöhe zu tun hat.
- Im Gegensatz zu der Forderung nach niedrigeren und niedrigsten Löhnen ist man bei den Managergehältern äußerst zurückhaltend:
Auflagen hinsichtlich der Vergütung von Organen, Angestellten und wesentlichen Erfüllungsgehilfen der Banken können dagegen unter Umständen problematisch sein.
(S. 81 der Langfassung)
Sucht man nach sonstigen Neuigkeiten, so gilt „the same procdure as every year“. Zum Schmunzeln gibt jedoch das Ritual des Frühjahrsgutachtens wenig Anlass, es sei denn, man amüsiert sich über die Einfallslosigkeit der Forschungsinstitute. Dazu müsste man allerdings ein Anhänger des tragisch-komischen Humors sein.