G-20-Proteste – Widerstandssimulation, Verfassungsbruch und kalkulierte Eskalation
Am Sonntag begann die Anti-G-20-Protestwoche mit einem Schaulaufen der konkurrierenden NGOs. Campact, Greenpeace und der BUND drapierten ihre Anhänger mit fototauglichen Kampagnenfähnchen und Bannern und fertig war der Protest aus der Retorte. Zeitgleich setzte der Hamburger Innensenator de facto das grundgesetzlich garantierte Versammlungsrecht außer Kraft, als er Aktivisten ein Zeltlager untersagen ließ, das zuvor vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde. In der Nacht zündete die Polizei die nächste Eskalationsstufe und räumte das Protestcamp Entenwerder. Sollen die Aktivisten doch im Hotel Atlantic nächtigen und am Sonntag zur „offiziellen“ G-20-Demo „Hamburg zeigt Haltung“ kommen. Da demonstrieren nämlich SPD und Grüne gegen sich selbst; ein weiteres unwürdiges Kuriosum, das wohl auch nur der Hamburger Senat fertigbringt. Derweil interpretiert die Polizei die 38 Quadratkilometer große Sperrzone im Herzen der Hansestadt zu einer „schlaffreien Zone“ und dreht dabei kräftig an der Konfrontationsschraube. Spätestens am Donnerstag, wenn das autonome und antikapitalistische Bündnis „Welcome to Hell“ seine Proteste startet, droht die Situation endgültig zu eskalieren. Von Jens Berger.
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Wer einen G-20-Gipfel veranstaltet und den Potentaten aller Herren Länder stolz die Hände schütteln will, der muss auch dafür sorgen, dass die zu erwartenden Gegendemonstrationen ordnungsgemäß stattfinden können. Das hat nichts mit Anstand, Sitte und Gerechtigkeit zu tun, sondern ist dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit geschuldet, das von Artikel 8 des Grundgesetzes gesichert wird. Es ist auch klar, dass die bis zu 100.000 zu erwartenden Gipfelgegner nicht in den Nobelhotels an der Innenalster nächtigen wollen. Wer die zwanzig mächtigsten Politiker der Welt samt vierstelliger Entourage und eigenem Sicherheitspersonal zu sich einlädt, sollte es auch hinbekommen, den Gipfelgegnern ein ausreichendes Areal zur Verfügung zu stellen, auf dem sie ihre Zelte aufschlagen können. Der Stadtpark hätte sich dafür beispielsweise angeboten. Doch da der „Schutz der Grünanlagen“ für den rot-grünen Senat einen höheren Wert besitzt als die grundgesetzlich garantierte Versammlungsfreiheit, fiel die naheliegende Lösung aus. Am 9. September findet im Stadtpark übrigens ein Open-Air-Konzert der Rolling Stones statt – was mag da nur aus den gepflegten hanseatischen Rabatten werden? Kommerzpop schlägt Schutz der Grünanlagen schlägt Grundgesetz.
Das undemokratische Vorgehen des Hamburger Senats ist freilich kein Versehen und erst recht keine Verwaltungspanne. Monatelang hat man sich während der Vorbereitungsgespräche mit den Vertretern der Gipfelgegner taub gestellt und bis vor wenigen Tagen den Aufbau von Protestcamps durch lokale Gerichte untersagen lassen. Erst das von den Gipfelgegnern angerufene Bundesverfassungsgericht forderte die Stadt Hamburg vor einer Woche ultimativ auf, die Voraussetzungen für Protestcamps zu schaffen. Hamburgs Innensenator interessiert sich jedoch offenbar nicht für die Verfassung. Die Hamburger Argumentation, dass hinter den Protestcamps die „militante, autonome Szene“ stecke, ist ein Schlag ins Gesicht des Bundesverfassungsgerichts.
Die Strategie der Stadt Hamburg ist keine Null-Toleranz-Strategie, sondern eine wohlkalkulierte Konfrontationsstrategie. Auf Konfrontation folgt Eskalation und dann hat der Senat genau die Bilder, die er braucht, um seinen Verfassungsbruch zu „legitimieren“. Ganz im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeihung werden die Ausschreitungen provoziert, mit deren Abwehr der Senat das Versammlungsrecht unterminiert. Ganz schön clever, könnte man sagen. Mit Demokratie hat dies jedoch nicht mehr viel zu tun. Vielleicht sollten die lieben Kollegen von zahlreichen Blättern, die den G-20-Protest erstaunlicherweise stets unter dem Motto „Protest gegen PutinTrumpErdogan“ interpretieren, auch einmal Eins und Eins zusammenzählen. Man kann über das „diabolische Schlagzeilen-Dreigestirn“ ja denken, was man will – das deutsche Grundgesetz wird in Hamburg jedoch weder von Putin, Trump noch Erdogan, sondern vom rot-grünen Senat der Hansestadt mit Füßen getreten.
Mit SPD und Grünen gegen den rot-grünen Senat
Wer sich dies nicht gefallen lassen will, der kann am Sonntag auf dem Fischmarkt mitdemonstrieren. Dort zeigt dann nämlich das Bündnis „Hamburg zeigt Haltung“, wie man hanseatisch korrekt demonstriert. Getragen wird das Bündnis von der evangelischen Kirche, der Hamburger SPD und den Hamburger Grünen. Und spätestens hier wird es wirklich grotesk. „Einerseits bereiten SPD und Grüne also den G20-Gipfel vor, aber zugleich organisieren sie eine Gegendemonstration gegen sich selbst. Das ist völlig absurd“ so Linken-Politiker Jan van Aken gegenüber den NachDenkSeiten. Zeitgleich findet übrigens die Großdemonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ statt, die von zahlreichen linken Gruppierungen veranstaltet wird.
Ziel der SPD und der Grünen ist es also auch, den Protest zu spalten. Das martialische Getrommel im Vorfeld gehört ebenfalls zu dieser Strategie. Man erweckt den Eindruck, als sei bei den „echten“ Veranstaltungen mit brutaler Gewalt und Gegengewalt zu rechnen und lockt die Gipfelgegner, die sich davon noch nicht abschrecken lassen, auf zahme bürgerliche Alibi-Demos … Pulse of Europe lässt grüßen.
Campact geht es vor allem um verwertbare Fotos und Spenden
Eine unrühmliche Rolle spielen dabei einmal wieder auch die professionellen „Bewegungen“ wie Campact. Denen geht es wohl nicht so sehr um die Sache selbst, sondern vor allem darum, PR-taugliches Material zu produzieren, um noch mehr „Unterstützer“ und vor allem noch mehr Spenden abzugrasen. Und dies gehen diese „Bewegungen“ durchaus professionell an. So setzte man bereits am Sonntag mit der „Protestwelle“ ein erstes – wenn auch erfolgloses – Zeichen. Die taz schrieb dazu mit ungewohnt kritischem Unterton:
Einer der Gründe für diesen mauen Auftakt liegt darin, dass sich das G-20-kritische Bündnis auseinanderdividierte. Organisationen wie Campact, Greenpeace und der BUND wollten mit den vermeintlichen Schmuddelkindern, die zum Ende der Woche erwartet werden, nichts zu tun haben. Und so wirkte der Protest am Sonntag wie aus der Retorte, gepflastert mit Kampagnenfähnchen, die als Massenware verteilt wurden. Damit verabschiedeten sich die Nichtregierungsorganisationen aus einem Konfliktfeld, in dem gerade ihre Stimme gefragt gewesen wäre. Denn wie derzeit die Bundesregierung aus Hamburg eine grundrechtsfreie Zone macht, ist bekämpfenswert.
Dem ist wenig hinzuzufügen. Wann am Samstag bis zu 100.000 Menschen gegen den Gipfel demonstrieren, wird Campact übrigens nicht mehr vor Ort sein. Aus „Campact nahen Kreisen“ hieß es, man wolle vermeiden, für die „radikalen Forderungen“ von Teilen der Demonstranten mit in Haftung genommen zu werden und wolle auch nicht mit der zu erwartenden Gewalt in Verbindung gebracht werden. Das mag sogar so sein. Wichtiger dürfte jedoch sein, dass auf der Großdemo die Campact-Fähnchen kaum zu sehen wären und der Werbeeffekt damit passé wäre. Und so ein Fauxpas wird modernen Campaignern natürlich nie passieren.
In einer besseren Welt würden die G-20-Staatschefs auf einer Ölbohrinsel oder beispielsweise auf Helgoland tagen – das wäre auch viel preiswerter. In der realen Welt treffen sich die G-20-Staatschefs jedoch mitten in Hamburg und der Senat tut so, als sollten die Gipfelgegner doch lieber auf einer Ölbohrinsel demonstrieren und auf Helgoland zelten. Das ist absurd, verfassungsfeindlich und undemokratisch. Hoffen wir, dass die Menschen diesen Schlag ins Gesicht auch so verstehen und nun umso zahlreicher nach Hamburg kommen!