Ein überwältigendes Mandat für Macron?
Emmanuel Macron hat es geschafft. Nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen verfügt seine Instant-Ein-Personen-Partei „La République en Marche“ über eine solide absolute Mehrheit. Das in Frankreich ohnehin schwache Parlament wird also während der kommenden Legislaturperiode kein Stolperstein für den gefeierten Reformer sein. Merkwürdig ist jedoch die vor allem in den deutschen Kommentaren dominierende Interpretation des Wahlergebnisses – demnach hat Macron nun auch ein solides demokratisches Mandat für seine kommenden Reformen. Ist das so? Gemessen an den abgegebenen Wählerstimmen haben nur 13,4% der Wahlberechtigten Macrons en Marche ihr Mandat gegeben. Das ist weniger, als die FDP 2009 bei ihrem Rekordergebnis in Deutschland erzielen konnte. Ein Wählerauftrag für „Reformen“ sieht anders aus. Von Jens Berger.
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Um Eines vorwegzunehmen – die meisten Kommentare in den deutschen Medien weisen selbst kritisch auf die historisch niedrige Wahlbeteiligung hin und ihnen scheint der nun angekündigte „Durchmarche“ selbst nicht ganz geheuer zu sein. Dennoch wird das Wahlergebnis als parlamentarisches Mandat für Macrons „Reformpolitik“ gedeutet. Stellvertretend für viele Kollegen sei hier auf die Deutung des ZEIT-Korrespondenten Georg Blume verwiesen. Für Blume ist das Ergebnis vor allem eine Absage an eine „nicht erneuerungsfähige Politikerkaste“. Dem kann man wohl sogar zustimmen. Erste Fragezeichen kommen jedoch bereits bei der ergänzenden Anmerkung auf, nach der das Ergebnis auch eine Absage an radikale Parteien sei. Blume sieht – genauso wie die meisten seiner Kollegen – offenbar nur am linken und rechten Rand das Revier für „radikale“ Politik. Was ist aber mit der „Politik der radikalen Mitte“? Ist eine weitreichende neoliberale Politik, wie sie beispielsweise von Thatcher, Blair, Reagan und auch Schröder praktiziert wurde, etwa nicht „radikal“?
Oberflächlich gesehen wirkt das Ergebnis der Macron-Partei in der Tat beeindruckend. En Marche stellt nun 308 der 577 Mandate und hat damit sogar ohne Koalitionspartner eine sehr bequeme absolute Mehrheit. Wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, wirkt das Ergebnis keinesfalls mehr so solide. Im ersten Wahlgang stimmten nämlich gerade einmal 6,4 Millionen Franzosen für Macrons Partei. Dies sind gerade einmal 13,4% der 47,6 Millionen Wahlberechtigten. Gerade das französische Mehrheitswahlsystem neigt bei niedrigen Wahlbeteiligungen dazu, grotesk wirkende Ergebnisse zu produzieren. Dies trifft natürlich auf beide Extreme zu: Auf der einen Seite haben wir Macron, der mit einem besseren FDP-Ergebnis nun bereits als „allmächtig“ gilt. Und auf der anderen Seite sind die Sozialdemokraten von der altehrwürdigen PS von 280 auf nun nur noch 29 Mandate abgestürzt – im ersten Wahlgang machten nur 3,4% der Wahlberechtigten ihr Kreuz bei der Schwesterpartei der SPD. Da wundert es kaum, dass Schulz und Gabriel sich nun ein absurdes Rennen mit der Kanzlerin liefern, wer denn nun Macrons „bester Freund“ in Deutschland sei.
Gemeinhin ist es nicht sonderlich sinnstiftend, ein Wahlergebnis anhand der Zahl der Wahlberechtigten umzuschreiben. Wer nicht wählt, hat sein Mandat verschenkt und darf sich nachher auch nicht beschweren, dass gegen seine Interessen regiert wird. Frankreich ist jedoch ein sehr spezielles Beispiel, da Freund und Feind von Emmanuel Macron bereits auf die kommenden „Reformen“ des liberalen Shooting-Stars schielen. Kein einziger Kommentar in den deutschen Medien kommt ohne den Nebensatz aus, das Macron nun „freie Hand“ hat. Sogar SPD-Grande Sigmar Gabriel ließ es sich nicht nehmen, sich via Twitter über den „freien Weg“ für die nun kommenden „Reformen“ zu freuen – man sollte wirklich mal untersuchen, ob Gabriel und Co. nicht bei englischen Buchmachern mit hohen Einsätzen gegen die SPD gewettet haben.
Zu den nun erwarteten Arbeitsmarktreformen hat Werner Vontobel auf Makroskop einen schönen Artikel geschrieben: „Emmanuel Macron „liefert“ – wem?“
Der französische Herbst wird heiß. Sowohl die politische Linke als auch die Gewerkschaften haben bereits ihren Widerstand gegen die Liberalisierungs- und Deregulierungspolitik Macrons angekündigt. Klar ist auch, dass dieser Kampf nicht nur auf der Straße, sondern auch in den Medien ausgetragen wird. Und hier kommt die Fehldeutung des „überwältigenden Mandats“ ins Spiel. Würden die Franzosen wirklich mehrheitlich hinter Macrons „Reformpolitik“ stehen, hätten die Gegner wohl schlechte Karten. Wenn man jedoch berücksichtigt, dass noch nicht einmal jeder fünfte wahlberechtigte Franzose Macrons Partei eine Rückendeckung gegeben hat, sieht die Debatte schon ganz anders aus.
Frankreichs Demokratie durchlebt eine tiefe Vertrauenskrise. Wenn weniger als 43% der Wahlberechtigten an einer Parlamentswahl teilnehmen, ist dies mehr als ein ernstes Warnsignal und dies betrifft keinesfalls nur die „Altparteien“. Auch Macrons wirtschaftsliberale Instantpartei hat – im Vergleich zu den wirklich großen Parteien wie der deutschen CDU oder den britischen Tories und der Labour Partei – nur geringen Rückhalt in der Bevölkerung. Noch reitet Macron selbst auf einer medialen Welle – jung, frisch, dynamisch, neu … diese Attribute sind schnell verbraucht und dann steht auch Emmanuel Macron vor seinem Volk, wie Gott ihn geschaffen hat. Die alles entscheidende Frage wird dann sein, wohin das enttäuschte Volk marschiert. Zurück zu den Altparteien? Wohl kaum. Nach links? Eher unwahrscheinlich. Dann hoffen wir nur, dass Didier Eribon mit seiner messerscharfen Analyse daneben liegt, die da sagt: Auf Macron folgt Le Pen.