Klare Ansage von Wagenknecht: Wenn SPD und Grüne nicht zum Politikwechsel bereit sind, macht die Koalition mit ihnen keinen Sinn.
Über lange Zeit haben auch wir in Texten auf den NachDenkSeiten die Hoffnung genährt, es könne einen Politikwechsel mithilfe von SPD und Grünen geben. Dass dies inzwischen zum einen rechnerisch und zum andern wegen der mangelnden Bereitschaft von SPD und Grünen, sich ihrer programmatischen Wurzeln zu besinnen, nicht möglich sein wird, haben wir vor einiger Zeit festgestellt. Die Spitzenkandidatin der Linken, Sahra Wagenknecht hat beim Parteitag der Linkspartei ihre Position klar und interessant formuliert: Wir wollen die Grundrichtung der Politik verändern. Wenn wir dafür Partner finden, dann wollen wir auch regieren. Wie so oft ist auch diese Wagenknecht-Rede bemerkenswert. Albrecht Müller.
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Es folgen zunächst ein paar Kerngedanken aus der Rede. Dann eine Anmerkung zum Kernproblem der SPD, zur Ursache ihrer Unfähigkeit, sich auf sozialdemokratische Werte und programmatische Vorstellungen zu besinnen. Und dann noch wenige Beispiele zur geradezu besinnungslosen Reaktion von wichtigen Medien auf Wagenknecht und den Parteitag der Linken.
Kernaussagen von Sahra Wagenknecht (in eigenen Worten)
- Bei der Wahl in Großbritannien ist sichtbar geworden: Wahlen gewinnt man nicht durch Anpassung, sondern durch ein eigenes Profil.
- Wir (die Linke) wollen die Grundrichtung der Politik verändern. Wenn wir dafür Partner finden, dann wollen wir auch regieren.
- SPD und Grüne sind zur Zeit zum wirklichen Politikwechsel nicht bereit und nicht fähig.
- Wenn SPD und Grüne zur Vernunft kommen sollten, dann wäre eine gemeinsame Politik und Regierung möglich
- Wir wollen nicht die Vielfalt der neoliberalen Koalitionen, wie wir sie heute vorfinden (Schwarz-Rot, Schwarz-Grün, Schwarz-Grün-Blau, Schwarz-Blau usw.) ergänzen um eine weitere Variante.
- Gute Opposition ist in dieser Situation besser als schlechte Regierungspolitik.
- Die in der öffentlichen Debatte gezogene Trennlinie zwischen Trump und Clinton/Obama etc. wird der Wirklichkeit nicht gerecht. Die frühere Politik, auch die von Obama, ist mitverantwortlich dafür, dass Trump gewählt worden ist.
- Der Neoliberalismus ist der Vater der rechten und reaktionären Kräfte.
- Die Brutalität im Netz ist der Spiegel der Brutalität in der Gesellschaft, auch der Spiegel der Brutalität der herrschenden Kreise.
- Einen Corbyn würden wir gerne zum Kanzler wählen. Aber wir können aus Martin Schulz keinen Corbyn machen.
- Dass Martin Schulz zunächst so viel Zustimmung fand, hat etwas mit der dahinter steckenden Hoffnung auf einen Politikwechsel zu tun.
- Es gibt in Deutschland eine Wechselstimmung.
- Aber Schulz hat die Hoffnungen zerstört.
- Er soll aufhören, von sozialer Gerechtigkeit zu reden.
- Wagenknecht zitiert Oppermann und seine groben Fehleinschätzungen der Chancen von Corbyn und seine diffamierenden Äußerungen über Corbyn in einem Welt-Interview. Siehe hier im April 2017, Corbyn habe die Labourpartei kampfunfähig gemacht.
- Vor allem das Lob von Schulz für die hohen Handelsüberschüsse Deutschlands zeige die mangelnde Qualität des Kanzlerkandidaten der SPD. „Das hätte Schäuble auch nicht schlimmer sagen können.“
- Die vorgesehene Rentenreform mit der Ausweitung der staatlich geförderten Betriebsrente nennt Sahra Wagenknecht „Betrugsrente“. Sie beklagt die Unfähigkeit der SPD zu einer sozialen und effektiven Rentenpolitik.
- Die Linke sei die einzige Partei, die auf große Spenden großer Interessen aus der Rüstungs- und Finanzwirtschaft verzichtet.
- Die SPD hat in der Außen- und Sicherheitspolitik ihren Kompass verloren. Helmut Schmidt habe festgestellt, die NATO sei in Wirklichkeit überflüssig. Die SPD selbst habe 1989 ähnliches in ihr Grundsatzprogramm geschrieben.
- Von deutschem Boden darf kein Krieg ausgehen. Das war einmal einer der Kernsätze ihrer Politik.
Sahra Wagenknecht meinte gegen Ende ihrer Rede: Wenn Ihr wieder zu einer verantwortlichen Politik zurückfindet, dann ist die Zusammenarbeit möglich.
Die Hoffnung darauf ist gering.
Das Kernproblem: Die heute die SPD beherrschenden Seeheimer und Netzwerker sind am Regieren nur interessiert, wenn sie ihre programmatische Linie durchsetzen können. Diese wird bestimmt
- von einer neoliberal geprägten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik und
- von der Absicht, die militärischen Interventionen von NATO und Bundeswehr außerhalb des Verteidigungsbereichs fortzusetzen.
Zwischen diesen Positionen und dem notwendigen Politikwechsel gibt es keine Brücke, jedenfalls zur Zeit nicht.
Die jämmerliche Reaktion einiger wichtiger Medien auf den Linken-Parteitag und die Rede von Wagenknecht:
Sahra Wagenknecht hat mit ihrer Rede den Spieß umgedreht. Sie hat dabei nur die reale Lage beschrieben: SPD und Grüne sind in ihrer jetzigen Verfassung nicht fähig zum Politikwechsel und sie sind deshalb das eigentliche Hindernis für eine gemeinsame Regierungskoalition von Rot-Rot-Grün.
Diese Beschreibung der Wirklichkeit können einige unserer Hauptmedien offensichtlich nicht ertragen. Dazu drei Beispiele:
- Die Reaktion meiner Tageszeitung (Die Rheinpfalz) auf der Basis von dpa/afp/rtr
Die Überschrift des heutigen Aufmachers über dem Bericht zum Parteitag der Linken in Hannover lautet:
„SPD und Grüne gehen auf Distanz zur Linken“.
Offenbar können die dafür verantwortlichen Journalisten nicht ertragen, dass der Realität entsprechend der Spieß umgedreht worden ist. Deshalb berichten sie unter der zitierten Überschrift dann auch:
„Beim Parteitag in Hannover legen die Linke-Delegierten die Hürden für eine eventuelle Koalition nach der Bundestagswahl sehr hoch. Beschlüsse wie der völlige Verzicht auf Kampfeinsätze der Bundeswehr stoßen auf Kritik.“
Nicht die Delegierten der Linkspartei haben die „Hürden hoch gelegt“. Das geschah durch die Politik der Anpassung von SPD und Grünen in den letzten 18 Jahren – bestimmt von den Beschlüssen zur Agenda 2010 und zur völkerrechtswidrigen militärischen Intervention in Jugoslawien.
Unberührt von diesen Fakten wird dann im weiteren Verlauf des Artikels gleich im ersten Absatz Oppermann und Özdemir mit den üblichen Aussagen zitiert: Die Linke bleibe außenpolitisch unzuverlässig. Oppermann:
„Die Linken wollen nach meiner Wahrnehmung überhaupt nicht in eine Regierung.“
Das geht alles total vorbei an dem, was die Hauptbotschaft des Linke- Parteitags und insbesondere der Rede von Sahra Wagenknecht ist.
Weiter im gleichen Stil in der Tagesschau (II) und dann noch beim MDR (III):
- Ein Kommentar der ARD-Tagesschau
Was will die Linkspartei? Der Ostflügel der Partei will an die Macht – der Westflügel führt lieber Ideologiedebatten. Damit mauert sich die Partei in der Opposition ein. Dort ist sie momentan auch besser aufgehoben.
Ein Kommentar von Matthias Zahn, ARD-Hauptstadtstudio
Eine Delegierte hat es in ihrer Rede auf den Punkt gebracht: “Rot-Rot-Grün ist tot.” Besser kann man es nicht ausdrücken. Die Linke hat auf ihrem Parteitag wieder mal gezeigt, dass sie nicht regierungsfähig ist. Die roten Linien aus dem Wahlprogramm mauern die Partei in der Opposition ein.
Auslandseinsätze der Bundeswehr beenden, eine Vermögenssteuer, das Aus für Hartz IV – das wird mit der SPD nicht zu machen sein. Die Linke ist mehrheitlich nicht fähig zu regieren. Und die Basis will es ganz offensichtlich auch nicht.
Die Regierungsgegner vom radikal-linken Parteiflügel haben über weite Strecken den Ton auf dem Parteitag angegeben. Sie haben die linken Minister aus den Landesregierungen in Thüringen, Brandenburg und Berlin abgekanzelt – als Verräter an der reinen linken Lehre.
Progressiver Osten gegen reaktionären Westen
Die Regierungsgegner kommen mehrheitlich aus dem Westen. Dort gibt es nach wie vor viele Ideologen, die Kompromisse für Teufelszeug halten. Auf der anderen Seite stehen die Realos aus dem Osten, die auch im Bund mitregieren wollen. Die Lager sind verfeindet. Sie schlagen lieber Schlachten im internen Flügelkampf, als sich gemeinsam gegen etwas zu verbünden. Über den jeweils anderen werden spitze Bemerkungen gemacht. Es gibt verächtliche Blicke. Diese Selbstbeschäftigung lähmt die Partei.
Die beste Garantie dafür, dass die Linkspartei in der Opposition bleibt, ist aber Sahra Wagenknecht. In ihrer Parteitagsrede hat sie die SPD wieder scharf angegriffen und dafür Jubelstürme geerntet. So wird das Klima vergiftet, bevor überhaupt Koalitionsverhandlungen begonnen haben.“
…
- Kommentar MDR
„Die Linke steht sich selbst im Weg
Die Linke hat die soziale Absicherung ins Zentrum ihres Programms für die Bundestagswahl gestellt. Sie fordert unter anderem eine Mindestsicherung von 1.050 Euro anstelle von Hartz IV und eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Außerdem verlangt die Linke eine Abschaffung der Nato und aller Geheimdienste. An einer Regierung will die Partei sich nur beteiligen, wenn alle Kampfeinsätze der Bundeswehr beendet werden.
von Kristin Schwietzer, MDR-Hauptstadtstudio
Wollen sie nun oder wollen sie nicht? Regieren oder doch lieber Opposition? Es ist die alte Frage, die in Hannover wieder aufflammt. Viele radikale Linke aus dem Westen wollen es lieber nicht. Und die Reformer aus dem Osten können das Veto nicht mehr hören. Augenrollen bei vielen ostdeutschen Verbänden, wenn wieder mal einer rot-rot-grün für tot erklärt, so wie Sahra Wagenknecht vor dem Parteitag.
Auch am Sonntag hat die linke Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl die Koalitionsdebatte noch einmal befeuert. Regieren ja, ruft Wagenknecht den Delegierten zu, aber nicht um jeden Preis. Dann sei eine gute Opposition allemal besser, als schlechtes Regieren.
Linke verstrickt sich in schwierige Debatten
Die Gesichter der Parteivorsitzenden sagen alles. Kipping und Riexinger klatschen höflich mit, mehr nicht. Offene Kritik an Wagenknecht gibt es dennoch nicht. Auch nicht von Dietmar Bartsch, ebenfalls Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl. Katja Kipping spricht von unterschiedlichen Tonalitäten.
Doch Schönreden hilft nichts. Auch inhaltlich verstrickt sich die Linke einmal mehr in schwierigen Debatten, zum Beispiel beim Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr. Da wird es vermutlich nicht einmal für einen Minimal-Kompromiss in einer Koalition reichen. Kein wirkliches Angebot für die SPD.
Wer regieren will, muss es klar sagen
Das eigentliche Dilemma der Linkspartei: Die SPD distanziert sich und das befeuert wiederum die radikalen Linken. Und wenn die Partei sich weiter selbst zerfleischt, hat sie die Chance auf eine Regierungsbeteiligung schon fast verspielt.
Die Linke steht sich selbst im Weg. Wer regieren will, muss es auch klar sagen. Ansonsten entscheidet der Wähler, wo die Linkspartei im September landet. Nämlich wieder in der Opposition.“
Anmerkungen zu II und III:
- Die beiden Kommentare könnten unabhängig vom Verlauf des Parteitages und vom Inhalt der Rede Wagenknechts geschrieben worden sein. Aus dem Stehsatz sozusagen.
- Das gilt für das Klischee von den „Reformern“ im Osten und den „Reaktionären“ im Westen. Natürlich fehlt jeder Beleg dafür, dass die Position von Sahra Wagenknecht reaktionär sei. Nebenbei: Wieder ein Musterbeispiel für die Unsachlichkeit, ja für die Verkommenheit von wichtigen Redaktionen der ARD.
- In beiden Kommentaren wird die Verantwortung für die Unmöglichkeit einer gemeinsamen Regierung von Rot-Rot-Grün der Linken zugeschoben. schon in der Überschrift fast gleichlautend: „Die Linke lähmt sich selbst“ (ARD Tagesschau) und „Die Linke steht sich selbst im Weg“ (MDR)
- Erstaunlich ist auch die Tatsache, dass die Kommentierenden offensichtlich noch nicht wahrgenommen oder nicht verarbeitet haben, dass es nach den vergangenen Wahlen und den aktuellen Umfragen und den Perspektiven für die Wahl im September nicht gerade so aussieht, als gäbe es überhaupt noch die Chance für Rot-Rot-Grün.