Gibt es in der FAZ einen Methusalem-Komplott gegen Frank Schirrmacher? Keine verlässlichen Zahlen über Kinderlosigkeit
Die demographische Entwicklung wird regelmäßig als objektiver Zwang für die Reform der sozialen Sicherungssysteme angeführt. Die Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes wird als unumstößliches Datum für die „Vergreisung unserer Gesellschaft“ betrachtet. Der Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, macht daraus gleich einen „Methusalem-Komplott“.
Nun berichtet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 31.10.04 über ein „demographisches Datendefizit“ in Deutschland. Es gebe keine verlässlichen Daten zur Kinderlosigkeit. Die amtliche Geburtenziffer lasse keine Aussage darüber zu, „ob es in Deutschland ein Problem zunehmender Kinderlosigkeit gebe“. Der Autor Björn Schentker stützt sich dabei auf das Max-Planck-Institut für Demographie in Rostock.
Wir haben auf den NachDenkSeiten schon mehrfach belegt, dass die demoskopischen Prognosen missbraucht werden, wenn sie als Begründung jedenfalls für die Art der Reformen herangezogen werden, mit denen derzeit die sozialen Sicherungssysteme um- bzw. abgebaut werden (vgl. etwa Richard Hauser in der Rubrik „Andere interessante Beiträge“ vom November 03 oder Gerd Bosbach ebd. vom Februar 04).
Mit einem Beitrag von Björn Schwentker „Schuld ist natürlich das Volk“ legt sich die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 31.10.04 so zu sagen mit einem ihrer eigenen Herausgeber an, nämlich Frank Schirrmacher, der auf der Basis demographischer Szenarien mit seinem Buch „Methusalem-Komplott“ einen Bestseller gelandet hat. Schentker zitiert etwa Michaela Kreyenfeld vom Max-Planck-Institut für Demographie in Rostock; sie stellt fest, dass es in Deutschland keine verlässlichen Zahlen über Kinderlosigkeit gebe und dass für eine verlässliche Prognose nicht die Geburtenziffer an erster Stelle stehe. Der Grund für die Unzuverlässigkeit sei z.B. die Tatsache, dass im Mikrozensus nur die Kinder pro Haushalt gezählt würden, die Kinderzahlen stimmten deshalb nur so lange, bis die erwachsenen Kinder das Haus verließen, dann „gelten plötzlich schlagartig mehr Frauen ab 40 als kinderlos – ein unsinniges Ergebnis“.
Kinderlosigkeit würde schon im Alter von 35 Jahren angenommen, eine Methode, die mit der gesellschaftlichen Entwicklung nicht Schritt gehalten habe. Wenn Frauen über 35 ihr erstes Kind zur Welt brächten ginge das „dem Mikrozensus durch die Lappen“. Die Lösung wäre ganz einfach, man müsste im Mikrozensus „einfach nach der tatsächlichen Kinderzahl der Frauen fragen.“ Der Bundesrat lehnte allerdings noch in diesem Sommer eine derartige Korrektur des Mikrozensus-Gesetzes ab. Der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Johann Hahlen, über dessen dubiose Rolle beim politischen Missbrauch der Bevölkerungsstatistik der ehemalige Mitarbeiter dieses Amtes, Gerd Bosbach, schon berichtet hat, zeigte Verständnis für die Ablehnung des Bundesrates.
Damit blieben aber die statistischen „Ämter dem Stand der Forschung 30 Jahre hinterher“.
Nun setzt die Wissenschaft – u.a. der Soziologie Johannes Huinink von der Universität Bremen – ihre Hoffnung auf einen am 1. November 2004 erstmals tagenden Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten, der auf Initiative des Forschungsministeriums Vertreter von Wissenschaft und amtlicher Statistik an einen Tisch bringt. Wehe, wenn dieser Rat die von der Politik als Reform-Hebel missbrauchte demoskopische Entwicklung in Frage stellen würde! Das könnte, für diejenigen, die die Reformen der sozialen Sicherungssysteme mit der Demoskopie begründen, zu einem ähnlichen Fiasko führen, wie die irreführende Behauptung über die Massenvernichtungswaffen im Irak ein Tiefschlag für die Glaubwürdigkeit von Bush und Blair war.