Brasilien – Präsident Michel Temer verhandelt über kriminelle Schweigegeld-Zahlung und wird abgehört. Regierung am Ende.
Wenn man den brasilianischen Medien glaubt, so ist am vergangenen Mittwoch, dem 17. Mai, über der Hauptstadt Brasília eine “Atombombe” explodiert. Mit dieser stürmischen Überschrift bezogen sich verschiedene Tageszeitungen und Nachrichtenportale im Internet auf die in der Tat hochbrisante Beichte der Gebrüder Joesley und Wesley Batista gegenüber Richter Edson Fachin, Berichterstatter der Korruptionsermittlungen von “Unternehmen Waschanlage” beim Obersten Gerichtshof. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.
Temer sollte Konzern 144 Millionen Euro Schweigegeld kosten
Die Batistas sind Eigentümer des weltgrößten Schlacht- und Fleischexportunternehmens JBS, dessen Jahresnettoeinnahmen sich 2015 auf umgerechnet 11,5 Milliarden Euro beliefen. Sie erzählten dem hohen Richter, dass sie im Besitz der Tonaufzeichnung eines Gesprächs mit dem amtierenden Präsidenten Michel Temer seien, das am 7. März 2017 an seinem Amtssitz stattgefunden habe. In dem 39 Minuten langen Gespräch (hier der Mitschnitt) hätte sie der Regierungschef darum gebeten, die wöchentlichen Zahlungen an seinen im März 2017 wegen schwerer Korruption zu 15 Jahren Haft verurteilten Intimus und ehemaligen Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Eduardo Cunha, „weiter sicherzustellen”.
Der verdutzte hohe Richter Fachin fragte, was das denn für “Zahlungen” seien, worauf die Batistas ihm die Gesprächsaufzeichnung vorspielten. “„500.000 Reais (ca. 150.000 Euro) in der Woche, und zwar über die kommenden 20 Jahre hinweg”. Doch bevor der sprachlose Fachin die Beträge zusammengerechnet hatte, präsentierten ihm die Batistas die schwindelerregende Endsumme: „150.000 Euro in der Woche, mal 20 Jahre, macht 144 Millionen Euro!”.
Doch, Zahlungen wozu? Als Schweigegeld, erklärten die Unternehmer. Damit Cunha nicht über die Machenschaften des amtierenden Präsidenten auspacke. Umgerechnet 1,4 Millionen Euro davon hätten sie seit Oktober 2016 während der kurzen Haftzeit Cunhas bereits ausgezahlt.
Die Transkription der Aufzeichnung wurde dem Kolumnisten Lauro Jardim der landesbeherrschenden Mediengruppe O Globo zugespielt (Agentur G1/Globo, 18.05.2017). Jedoch, die Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet die in den parlamentarischen Putsch gegen Dilma Rousseff involvierte Mediengruppe als Erste und beharrlich den Skandal aufgriff, steht auf einem anderen Blatt.
Aécio Neves: Ein ungewollter Vorstoß in die “Narkoszene”
Das war die “Bombe!” des Jahres! Doch längst nicht alles.
Die Batistas hatten auch eine Aufzeichnung von einem ebenfalls im März geführten Gespräch mit dem 2014 von Dilma Rousseff besiegten, oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Aécio Neves. Die Aufzeichnung dokumentiert, wie Neves Joesley Batista um die Zahlung von umgerechnet 700.000 Euro anbettelt. Angeblich zur Deckung von Anwaltshonoraren. In Wirklichkeit nahm das Geld einen vollkommen anderen Weg, wie eine geheime Videokamera der Polizei dokumentierte, die den in fünf anderen Korruptionsklagen angezeigten Senator längst auf der Spur war.
Ein Satz Neves´ in der geheimen Aufzeichnung schockierte die brasilianische Öffentlichkeit über alle Maßen. Auf die Frage, wer die Geldmasse entgegennehmen solle, antwortete Neves kaltblütig:
„Das muss einer sein, den man umbringt, bevor er auspackt”
Das Geld wurde einem Cousin Neves´ ausgehändigt und auf ein Firmenkonto des Neves-Parteifreundes und Senatskollegen Zezé Perrella eingezahlt; alles sozusagen vom Gebüsch aus von der Polizei beobachtet (Brasil 247, 17.05.2017).
Wie O Globo erfahren haben will, „wurde nicht nur das Gespräch, sondern auch Geldlieferung und -abtransport in Koffern und Rucksäcken von der Bundespolizei gefilmt. Der Staatsanwaltschaft waren zuvor auch die Seriennummern der Geldscheine mitgeteilt worden. In den Koffern und Rucksäcken versteckte, elektronische Chips ermöglichten die Verfolgung des Geldweges (O Globo, 17.05.2017).
Globo-Kolumnist Merval Pereira bescheinigte Neves den „Sprachgebrauch der Mafia” und erklärte, Temer liege „am Boden”. Der Senator wurde bereits am Donnerstag, dem 18. Mai, seines Amtes enthoben, seine Schwester und sein Cousin festgenommen. Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot hatte auch Neves´ sofortige Verhaftung beantragt, doch Richter Fachin beließ es bei der Einziehung seines Reisepasses.
Noch am gleichen Tag erließ Fachin Anklage gegen Temer. Doch der illegitime Präsident konterte: Er habe doch „nur eine humanitäre Unterstützung” (sic!) ermutigt und denke gar nicht daran, zurückzutreten.
Wiederum, der Politiker und Unternehmer Perrella beherrschte im November 2013 die Schlagzeilen der brasilianischen Medien, als die Bundespolizei einen Hubschrauber aus seinem Besitz mit 450 Kokainpaketen an Bord beschlagnahmte. Der Hubschrauber war auf einem Gelände des ehemaligen Gouverneurs des Bundesstaates Minas Gerais und Duzfreundes Perellas, Aécio Neves, gelandet. Die Polizei erklärte überstürzt, der Kokainschmuggel habe “nichts mit dem Hubschrauber-Eigentümer zu tun”. Neves, der als langjähriger Kokain-Konsument landesweit bekannt ist, wurde politischer Druck unterstellt, die Ermittlungen wurden auf mysteriöse Weise sofort eingestellt und die Geschichte verschwand aus den Medien. Sie taucht nun über den Umweg des JBS-Skandals wieder auf.
Von Richter Moro protegiert
Im Skandal um Temer gibt es jedoch noch einen Tatverdächtigen. Im November 2016 hatte Ermittlungsrichter Sérgio Moro, im südbrasilianischen Curitiba, dem Präsidenten Michel Temer einen großen Gefallen erwiesen.
Temer war vom dort hinter Gittern sitzenden Eduardo Cunha als Prozess-Zeuge vorgeschlagen worden und sollte der Verteidigung des ehemaligen Präsidenten der Abgeordnetenkammer – der ihm durch den parlamentarischen Putsch vom April 2016 zur Machtübernahme verholfen hatte – 41 Fragen beantworten. Moro entfernte jedoch 21 Fragen von der Liste mit der Begründung, der ehemalige Abgeordnete habe seinen „Modus Operandi der Bedrängnis, Erpressung und Drohung” selbst hinter Gittern nicht aufgegeben.
Was wohl stimmte, doch was Moro hintertrieb, war die Befragung Temers über seine Beziehung zum Freund, ehemaligen Referenten und Experten in illegalen Partei- und Wahlspenden, José Yunes. Insbesondere verhinderte der Richter die Frage an Temer, ob Yunes „irgendeine den Wahlbehörden gemeldete oder nicht angemeldete Spende für irgendeine Wahl oder für die Partei PMDB entgegengenommen habe”. Hätte Temer die Frage unvorsichtig beantwortet – gelogen zum Beispiel – hätte er eine sofortige Klage bewirkt, das Ende seiner Amtsausübung und eine Verhaftung besiegelt. Worauf Cunha mit seinen Fragen anspielte, war Temers tiefe Involvierung in den Petrobras-Skandal. Moro beendete Cunhas Trickserei mit der fadenscheinigen Erklärung, er sei für Ermittlungen über Temer “nicht zuständig”.
Jedoch vor wenigen Tagen gab sich Cunha im Gefängnis als Hellseher: „Wenn JBS auspackt, dann ist die Republik am Ende!”, versicherte er seine Mitinsassen. Und es kam, wie Cunha es prophezeit hatte.
Weißwaschen vor der US-Justiz: der Grund für die “Bombe”
Mittlerweile ist JBS-Chef Joesley Batista nach New York umgezogen. Doch nicht allein: der gesamte JBS-Konzern zieht um.
Das ist die Erklärung dafür, dass sich die Konzernspitze für die Selbstanzeige entschied. „Mit der ´Verlosung´ der Temer-Regierung, und selbst zum Preis, das Land in den Abgrund der politischen Instabilität zu reißen, will Joesley Batista die saubere Auslagerung seines Unternehmens aus Brasilien sicherstellen“, kommentierte das zur Globo-Gruppe gehörende Wirtschaftsmagazin Valor. Mit 56 Fabriken befinden sich ohnehin nahezu 80 Prozent der Produktions- und Vermarktungs-Niederlassungen des brasilianischen Konzerns in den USA, von wo aus auch 50 Prozent seiner Geschäfte auf dem Weltmarkt abgewickelt werden. Zur Auslagerung des Firmensitzes bedurfte es also eines opportunen politischen Anlasses.
Anders als der Odebrecht-Konzern hat Batista zur reibungslosen Durchsetzung seines Plans deshalb eine Absprache mit dem US-Department of Justice (DoJ) getroffen. Dem DoJ sind natürlich die zig Millionen schweren Bestechungsaffären von JBS in Brasilien bekannt. Als Reinwaschung und Voraussetzung für seine Anmeldung an der US-Börse ist JBS bereit, ein milliardenschweres Bußgeld zu zahlen.
JBS war TV Globos bisheriger drittgrößter Inserent. Hätte die Mediengruppe den Skandal um Temer verschwiegen, hätte sie sich den Vorwurf der Deckung des korrupten Präsidenten gefallen lassen und den viel teureren Einbruch ihrer Einschaltquote und den Rückzug ihrer Inserenten hinnehmen müssen. Also übernahm die Mediengruppe O Globo einfach das Markenzeichen der demokratischen und linken Opposition und Ruf der Straße. Wo es gestern noch bei TV Globo hieß, „Fora Dilma – Dilma raus!“, heißt es nun „Temer raus!“. Einfach so.
Das will sich die Opposition – dieselbe, die den Generalstreik der 40 Millionen vom 28. April organisierte – nicht gefallen lassen. Sie bläst zum Nationalen Kampftag am Sonntag, den 21. Mai. Doch da wird nicht nur „Fora Temer!“, sondern ebenso laut „Fora Globo!“ zu hören sein.