„Noch nie gab es so viele Studienanfänger“ – Eine zweifelhafte Erfolgsmeldung des Statistischen Bundesamtes
Heute meldete das Statistische Bundesamt : „Im Studienjahr 2008 (Sommersemester 2008 und Wintersemester 2008/09) haben sich so viele Studienanfängerinnen und -anfänger wie noch nie an den deutschen Hochschulen eingeschrieben. Nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) nahmen rund 386.500 Anfängerinnen und Anfänger ein Studium auf. Damit wurde die bisherige Höchstmarke aus dem Studienjahr 2003 noch einmal um 9 000 Erstimmatrikulierte (+ 2,4%) übertroffen. Während bei den Frauen der Spitzenwert um 5,8% von 181 800 auf rund 192 300 stieg, verfehlten ihre männlichen Kommilitonen den Höchstwert von 2003 um 0,7% (2008: knapp 194 300).“ Diese Daten führten in den Medien zu Jubelmeldungen. Bildungspolitisch ist dieser „Erfolg“ jedoch höchst zweifelhaft. Wolfgang Lieb
Selbstverständlich ist es positiv zu bewerten, wenn die Zahl der Studienanfänger steigt. In einer Zeit, in der Fachkräftemangel herrscht oder aufkommt und wo in absehbarer Zeit noch nicht einmal der Ersatzbedarf an ausscheidenden Akademiker befriedigt werden kann, ist dieser Anstieg nicht nur erfreulich sondern dringend erforderlich.
Aber ist der Anstieg der Zahl der Studienanfänger tatsächlich ein bildungspolitischer Erfolg?
Mit Sicherheit wird es jetzt auch wieder Stimmen geben, die behaupten, dass der Einbruch der Zahl der Studienanfänger mit der Einführung von Studiengebühren mit diesem Rekordergebnis überwunden sei. Doch das ist allenfalls Bauernfängerei.
Die Zahl der Studienanfänger ist zwar ein wichtiger Indikator für die Hochschul(kapazitäts)planung. Bund und Länder wären also aufgefordert, die Kapazitäten (Lehrpersonal und Studienplätze) entsprechend zu erhöhen, damit sich die Zulassungsbeschränkungen nicht noch weiter ausweiten. Schon jetzt sind fast zwei Drittel der neuen BA/MA-Studiengänge zulassungsbeschränkt. Wo bleibt das Signal vor allem der Länder, aber auch des Bundes, die Zahl der Studienplätze entsprechend der Zunahme der Studienanfänger zu erhöhen? Der zwischen Bund und Ländern vereinbarte Hochschulpakt, nach dem für die Jahre 2007 bis 2010 1,3 Milliarden zur Schaffung zusätzlicher Kapazitäten eingesetzt werden sollen, reicht nicht einmal aus, den unbefriedigenden Status Quo zu halten.
Bildungspolitisch viel aussagekräftiger als die Zahl der Studienanfänger ist jedoch die Studierquote, d.h. wie viele derjenigen, die ein Berechtigung zu einem Studium haben, tatsächlich ein Studium aufnehmen.
Die Zahl der deutschen und bildungsinländischen Studienanfänger/innen wird im Wesentlichen durch drei Faktoren beeinflusst: die demografische Stärke der alterstypischen Jahrgänge, die Beteiligung der nachrückenden Jahrgänge an zur Studienberechtigung führender Schulbildung (Studienberechtigtenquote) und die Umsetzung der erworbenen Studienberechtigung in eine Entscheidung für ein Hochschulstudium (Studierquote). Zu diesen Einflussfaktoren sagt die jetzt vorgelegte Statistik nichts. (Siehe dazu noch einmal die HIS-Studie „Studiengebühren aus der Sicht von Studienberechtigten“ [PDF – 662 KB] )
Der Steigerung der Studienanfänger gegenüber dem Jahr 2003 sagt nur soviel, dass der damalige Spitzenwert im Jahr 2008 überschritten wurde. Zwischenzeitlich ist jedoch die Zahl der Studienberechtigten deutlich weit mehr als um 2,4% angestiegen. Allein von 2006 auf 2007 weist das Statistische Bundesamt einen Anstieg der Studienberechtigten um 4,2% aus. Seit Jahren ist bekannt, dass sich allein durch die demografische Entwicklung die Zahl der Studienberechtigten erhöhen wird. (Siehe z.B. die Grafik für das Land Baden-Württemberg [PDF – 70 KB ])
Seit 2002 ist jedoch die Studierquote gesunken. Wie hoch er Anteil der studienberechtigten Schulabgänger/innen, die sich für ein Studium entschieden im Jahr 2008 war, gibt die aktuelle Statistik nicht her.
Es ist zwar bildungspolitisch zu begrüßen, dass die Fachhochschulen im Vergleich zum Studienjahr 2003 einen Anstieg um 21,5% auf 133 700 Studienanfängerinnen und -anfänger verzeichneten. Nach wie vor ist jedoch der geringe Frauenanteil von unter 38 Prozent der inländischen Studierenden zu beklagen.
Negativ schlägt aber vor allem zu Buche, dass bei den wissenschaftlichen Hochschulen der Höchststand immer noch nicht erreicht wurde. Hier begannen 238 100 Studierende ein Studium, das sind 13 500 oder 5,4% weniger als 2003.
Das ist alles andere als eine Erfolgsmeldung.