„Die Rente ist noch immer sicher!“ von Norbert Blüm
Die kapitalgedeckte Privatvorsorge ist erwartungsgemäß in der Krise. Norbert Blüm bietet eine gut verwertbare Zusammenfassung der Auseinandersetzung. Albrecht Müller
„Die Zeit heilt Wunden“ weiß der kluge Volksmund. Aber die Zeit bringt auch verdrängte Wahrheiten ans Licht, wie viele schon erfahren haben.
„Die Rente ist sicher“. Über diesen Satz wurde kübelweise der Spott ausgegossen, und wer immer das Wort „Rente“ buchstabieren konnte, meinte, es gehöre sich, Blüm ans Bein pinkeln zu müssen.
Als vermeintlicher Retter in höchster Not wurde rund um die Welt und die Uhr die kapitalgedeckte Privatvorsorge angepriesen. Die Versicherungskonzerne rieben sich die Hände. Das Geld klingelte in der Kasse.
Die Kirmes der Privatisierung
So ging es einige Jahre – aber eine kürzere Zeit, als ich selbst erwartet hatte. Auf der Kirmes der Privatisierung ist plötzlich der globale Kater ausgebrochen. Die kapitalgedeckte Privatversicherung ist an allen Ecken der Welt ins Schleudern geraten. Massenweise haben Pensionsfonds ihr Leben ausgehaucht. (Das sind jene Kapitalsammelstellen, die das Geld der Arbeitnehmer einsammelten haben, mit denen sie die Hedgefonds fütterten, um anschließend die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer zu zertrampeln. Ein Perpetuum mobile der Destruktion.)
Aber auch an anderer Stelle war die Kapitaldeckung kein Hit. Das chilenische, von der Weltbank initiierte Alterssicherungssystem, das auf Kapitaldeckung basiert, steht vor der Zahlungsunfähigkeit. In den Niederlanden sieht es nicht viel besser aus. Der größte amerikanische Versicherungskonzern AIG konnte nur mit staatlicher Hilfe gerettet werden, nachdem diese Firma einen Rekordverlust von über 100 Milliarden Dollar zustande gebracht hatte. Hierzulande konnte sich Allianz nur durch Flucht dem Desaster entziehen. In einem Allmachtsanfall kaufte Allianz vor ein paar Jahren für 24 Milliarden Euro die Dresdner Bank, drehte diese, als das Geschäft der Übernahme sich als Flop erwies, der Commerzbank an und machte sich dann – nachdem sie noch 6,4 Milliarden Euro verloren hatte – fluchtartig aus dem Staub. Den Letzten beißen die Hunde.
Der Staat rettet jetzt mit 18 Milliarden Euro Steuergeldern die Commerzbank. Die 30 Milliarden Euro, welche Allianz bei dem „Coup Dresdner Bank“ aus dem Fenster geworfen hatte, waren auch Geld, das aus den Beiträgen der staatlich geförderten Riester-Rente stammten. So ist das, wenn man bei der Alterssicherung auf das Spekulationspferd gesetzt hat.
Die einzige Alterssicherungsform, die von den Turbulenzen des Weltfinanzmarktes nicht berührt wird, ist das umlagefinanzierte, von der Arbeit gespeiste, gute, alte, viel gescholtene Rentenversicherungssystem.
Die Rache der Realität
Die Krise der Weltwirtschaft ist bei Licht betrachtet die Rache der ökonomischen Realität am virtuellen finanzwirtschaftlichen Wolkenkuckucksheim, in dem die Finanzkapitalisten ihre hochstaplerischen Geschäfte betrieben. Alles passé. Es wird nicht mehr so werden, wie es war. Der Wohlstand der Völker, das wusste schon Adam Smith, hängt von der Arbeit ab. Die neue Wahrheit ist die alte: Geld arbeitet nicht – entgegen den Legenden, welche die Finanzwissenschaft unters Volk brachte.
Die Feinde der Rentenversicherung haben sich wechselseitig überboten, um die Rente madig zu machen. Die Crème de la Crème der deutschen Volks- und Betriebswirtschaftslehre war sich nicht zu schade, sich an der Kampagne gegen die Rentenversicherung zu beteiligen. Einer ihrer Leuchten, Herr Professor Oberender, rechnete für BILD sogar aus, wie viel Euro ein heute Geborener in 70 Jahren in die Rentenversicherung eingezahlt hat und wie viel er im Gegenzug aus dieser im Alter erhält. Der Mann muss entweder einen Draht zum lieben Gott gehabt haben oder ein begnadeter Hellseher sein, dass er offenbar alle Fakten des nächsten Jahrhunderts im Kopf hat. An der Börse wissen sie nicht den Aktienkurs der nächsten 14 Tage vorauszusagen, aber die Gurus der Kapitaldeckung rechnen die Renditen der Alterssicherungssysteme für die nächsten Generationen aus. BILD verglich zudem noch den realen Wert der gesetzlichen Rente mit den Zusagen der Privatversicherung, unterschlug bei Berechnung der realen Wertentwicklung bei der Privatrente allerdings kurzerhand die Wirkung der Preissteigerung. Diese aber trifft die Privatrente härter als die gesetzliche Rente, weil die Privatrenten in der Regel nicht dynamisiert sind.
Die Blamage der ökonomischen Gelehrten
Mehr Täuschung durch Hochstapelei war nie unterwegs. Kräftiger hat sich die ökonomische Wissenschaft nie blamiert als im letzten Jahr. Die Hof-Astrologen an den mittelalterlichen Fürstenhöfen, die noch behauptet hatten, die Sonne drehe sich um die Erde, haben die Bewegungen der Sterne genauer vorausgesagt als die modernen Koryphäen der Volkswirtschaftslehre die Bewegungen am Finanzmarkt. Von deren Urteil soll das Vertrauen zur privaten Alterssicherung abhängen? Noch im Herbst vergangenen Jahres hatten diese Professoren der Volkswirtschaft nicht kapiert, was die Stunde geschlagen hatte. Sie säuselten über die Probleme der Wirtschaft, als handele es sich um die Reparatur eines tropfenden Wasserhahns, während das Haus schon brannte.
Das weiche Brot der Lobbyisten
Der Lobbyismus verdirbt das Denken. Die Professoren sind zu sehr abgelenkt von ihren wissenschaftlichen Pflichten, und zu viele waren auch mit Gutachten für ihre privaten Auftraggeber beschäftigt.
„Wes’ Brot ich ess’, des’ Lied ich sing“. Man braucht sich nur anzusehen, in wessen Sold viele der Gegner der Rentenversicherung stehen. Selbst der Vorsitzende des Sachverständigenrates Professor Rürup, die Krone des Sachverstandes, hat sich inzwischen bei einem der größten Finanzdienstleister für sein Alterszubrot verdingt. Raffelhüschen, der wissenschaftliche Tausendsassa, der auf allen Versicherungssymposien tanzt und der mit seinem Spott über Blüm ganze Vertreterversammlungen von der Privatversicherung zum Lachen brachte, hat damit gutes Geld gemacht. Miegel, der sich als Leichenbeschauer der Rentenversicherung geriert und dafür bewundert wird, hatte sich längst bei einem Institut verdingt, das der Deutschen Bank nahe steht und der Privatversicherung verpflichtet ist. So ist das mit dem Sachverstand, der scheinbar unabhängig ist. Sein Verhältnis zur Unabhängigkeit entspricht dem zwischen Scheinheiligen und Heiligen.
BILD war dabei und Allianz nicht weit weg
Alle Schamgrenzen des Lobbyismus’, der sich als Wissenschaft getarnt hatte, sind gefallen. BILD, das Spitzenorgan der Anti-Renten-Kampagne, hatte diese mit Allianz abgestimmt. „Klar, wer mit Bild.T-Online.de kooperiert, der ist auch in der Bild-Zeitung vertreten. Und zwar nicht nur als Anzeige, sondern so, wie es sich für eine Kooperation gehört: rundum“. Mit dieser Ermunterung schickte Allianz seine Vertreter auf Kundenfang. Mit anderen Worten: Die BILD-Redaktion flankierte journalistisch die Allianz-Anzeigen-Kampagne in BILD. Eine Hand wäscht die andere. Konsequenter Weise war vorher schon der Pressesprecher von Allianz, Santen, in die BILD-Zeitungs-Redaktion übergewechselt. Die Verlotterung des Journalismus’ kennt offenbar keine Grenzen.
Nicht das System ist falsch, sondern die Rentenpolitik war es.
„Die Rente ist sicher“. Freilich, über die Höhe der Rente entscheidet die Beitragshöhe. Die Regierung Schröder hat in der Rentenpolitik eine kopernikianische Wandlung vollzogen. Während über 100 Jahre das angestrebte Rentenniveau die unabhängige Konstante der Rentenpolitik war, hat Schröder mit Unterstützung der Opposition die Beitragshöhe zum unverrückbaren Kriterium erklärt und 22 % Rentenbeitrag als die Höchstgrenze festgezurrt. Fürsorglich wurde dies mit der Belastungsgrenze der Versicherten begründet. Doch die Entlarvung der Lüge folgte auf dem Fuß, denn den angeblich vor weiteren Belastungen durch Rentenversicherungsbeiträge zu schützenden Arbeitnehmer mutet man 4 % zusätzlichen Beitrag zur Riester-Rente zu (22 + 4 = 26 %!). Wenn diese 4 % einschließlich der staatlichen Zuschüsse in die Rentenversicherung geflossen wären, hätten alle etwas davon gehabt, auch die, welche sich keine Riester-Rente leisten können. Das Rentenniveau hätte nicht so massiv abgesenkt werden müssen, wie es abgesenkt worden ist. Damit gerät die Rente in vielen Fällen in die Nähe der Sozialhilfe. Wenn allerdings eine Alterssicherung, die mit Beiträgen finanziert wurde, nicht oder nicht viel höher als eine Fürsorgeleistung ist, die man vom Staat ohne Beitragszahlungen erhält, dann hat sich die beitragsfinanzierte Rente überlebt, weil es in der Logik eines solchen Systems liegt, gleich zur Sozialhilfe zu gehen und nicht den Umweg über Arbeit und Beitrag zu nehmen.
Die Renten-Schwierigkeiten sind keine Systemverlegenheiten, sondern Folge der Umleitung der Rentenbeiträge in die Kassen der Privatversicherung. Wer in den Tank seines Autos nicht genügend Benzin füllt, muss sich nicht wundern, wenn der Motor stottert und später auch stehen bleibt. Das liegt allerdings dann nicht am Motor, sondern am Benzinmangel. So ähnlich ist es mit der Rente.
Der Zusammenbruch eines Kartenhauses
Der ganze Aufwand, mit dem die private Altersversicherung als rettende Alternative zu einem angeblich maroden Umlagesystem ausstaffiert wurde, ist jetzt zusammen gebrochen. Für die geheuchelte Sorge, mit der Rentenexperte Diekmann, im Nebenberuf Chefredakteur von BILD, gegen eine vermeintliche Rentenlüge von Blüm vor Gericht ziehen wollte, fand sich kein Richter, der die mit Pressewirbel angekündigte Klage annehmen wollte. Welch eine Blamage. Jetzt entpuppt sich die ganze BILD-Kampagne als BILD-Klamauk.
Es geschehen noch Zeichen und Wunder: BILD erklärte am 17. September 2008 für die gesetzliche Rente: „Keine Gefahr“. Also doch: „Die Rente ist sicher!“ (BILD lügt nicht). Doch die Verwirrung ist damit noch nicht am Ende. Die Rentenversicherung macht mit dem Geld ihrer Beitragszahler Werbung für die Riester-Rente, mit der ihr die Luft abgedreht wird. So viel Uneigennützigkeit schadet. Die Privatversicherung hält diese Liebesdienste der Rentenversicherung womöglich für ein Zeichen der Kapitulation der gesetzlichen Rentenversicherung. Aber wie kann sich eine Rentenversicherung verteidigen, wenn die Hälfte ihrer Selbstverwaltung, nämlich die Arbeitgebervertreter, bei dem Gegner der Rentenversicherung mental hospitieren?
Alle Ab- und Ausreden, die für die Vorzüge der kapitalgedeckten Alterssicherung ins Feld geführt wurden sind inzwischen im Lobbyisten-Schlamm stecken geblieben. Auch die demographische Entwicklung liefert kein Alibi für einen Systemumstieg von der Umlage zur Kapitaldeckung. Kapitaldeckung ist nämlich entgegen der gebetsmühlenhaften Wiederholung ihrer Propagandisten keineswegs gegen die Bevölkerungsentwicklung so immun, wie immer behauptet wird. Wenn der Privatversicherung die Beitragszahler ausgehen, aus welchen Gründen auch immer, also auch aus demographischen, kommt die Privatversicherung ins Schleudern. Da hilft auch kein Ausweichen mit der Kapitalanlage ins Ausland. Dass die armen Völker mit unserem Kapital auf Dauer die Zinsen erwirtschaften, mit denen wir unsere Alten bezahlen, ist ein verwegener Gedanke, der sich schnell als Illusion erweisen könnte. Und wie es mit der Sicherheit der weltweiten Anlage von Kapital bestellt ist, dafür liefern die gegenwärtigen weltweiten Turbulenzen anschauliches Beweismaterial.
Die Kopfzahl der Geburten sagt im übrigen noch nichts über die wirtschaftliche Zukunftssicherung, sonst müssten ja alle bevölkerungsreichen Völker auch wirtschaftlich reich sein. Entscheidend sind die Köpfe und Hände derjenigen, die Arbeit finden. Arbeitslose liefern keinen finanziellen Nachschub für die Rente und unterbeschäftigte Arbeitnehmer weniger als produktive. Die demographischen Wirkungen sind also verwickelter, als sie sich ein kluger Feuilletonchef der FAZ offenbar vorstellen kann. „Methusalem“ wusste eben noch nichts von der Arbeitskraft sparenden Produktivität. In weiten Teilen der Erde ist nicht Bevölkerungsrückgang, sondern Bevölkerungsexplosion das wirtschaftliche und soziale Problem.
Wie dem auch sei: Die kapitalgedeckte Alterssicherung ist keine Rettungsinsel in den elementaren Stürmen der Weltwirtschaft.
Bill Groß, der bei der Allianz-Tochter Dimcode den größten Rentenfonds der Welt managte, erklärte jüngst (WELT, 28.02.2009) den „Tod der Aktie“. Für die meisten Menschen werfe sie „für den Rest des Lebens“ keine Rendite mehr ab. Da hilft nur noch: Der Letzte macht die Tür zu.
Wo war der Reformstau?
Jahrelang hat sich das Wort „Reform“ an die Sozialpolitik geklammert. Und es stimmt ja auch. Dort muss manches verändert werden. Die Bundespräsidenten Herzog und Köhler, die Bundeskanzler Schröder und Merkel reservierten jedoch das Wort „Reform“ exklusiv für den Sozialstaat. Jetzt zeigt sich, dass ein erheblich höherer Reformbedarf in der Finanzwirtschaft vorliegt. So viele Billionen kann die Sozialpolitik gar nicht verschleudern, wie das internationale Bankensystem verbrannt hat. Wenn sich aber der Eifer der Arbeitgeberverbände, der Nationalökonomie und der BILD-Zeitung fortan den vorrangigen Reformnotwendigkeiten auf den Finanzmärkten widmet, und den Großen bei der Opferbereitschaft den Vortritt vor den Kleinen lässt, dann hat die Krise doch noch ihren Sinn gehabt.
Und dann sage ich: „Schwamm drüber“ über den Spott, den die Rentenpolitik ertragen müsste, die ich vertreten habe.
Wie dem auch sei. Die Rache ist nicht süß, denn die Fehler, für die man sich rächen musste, werden von Millionen von Rentnern bezahlt. Aber vielleicht könnte man aus Erfahrung klüger werden.