Die PR für Merkel bringt Schulz in Nöte. Wenn die SPD sich nicht eines Besseren besinnt, dann reicht es nicht einmal zur Großen Koalition.
Als ich am 25. Januar Zweifel an der Haltbarkeit des Schulz-Hypes äußerte und konkrete Vorschläge zur besseren Profilierung machte, folgten einige böse Reaktionen von Sozialdemokraten. Dabei hatte ich nur nüchtern analysiert und konkrete Empfehlungen ausgesprochen. Jetzt neigt sich die Euphorie dem Ende zu. Der Abstand zwischen CDU/CSU und SPD wird wieder größer. Die Träume von der SPD als stärkster Partei verflüchtigen sich. Wie es jetzt aussieht, wird Merkel entweder mit den Grünen oder mit der FDP, oder mit beiden regieren können. Es ist höchste Zeit zur radikalen Besinnung, zur inhaltlichen Profilierung und auch zur fundierten Kritik an der Bundeskanzlerin und ihrer Partei. Albrecht Müller.
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Vorweg ein Hinweis an fundamentale Kritiker der SPD unter NDS-Lesern und an fundamentale Verteidiger ihrer Politik:
Wir stellen oft zweierlei fest:
- Es gibt NachDenkSeiten-Leser und Leserinnen, die allergisch reagieren, wenn wir uns Gedanken darüber machen, wie die SPD mehr Wählerinnen und Wähler gewinnen könnte. Für sie ist die SPD spätestens seit Weimar ein verlorener Haufen von Verrätern. Wie sie allerdings ohne die SPD eine Alternative zu Frau Merkel hinkriegen wollen, das können sie nicht erklären oder es interessiert nicht.
- Auf der anderen Seite gibt es unter unseren Leserinnen und Lesern SPD-Sympathisanten, die auf Distanz gehen, wenn man nüchtern Zweifel an der SPD-Strategie, an der Weisheit der Schulz-Nominierung und an der Haltbarkeit der ihm geltenden Euphorie äußert. Diese Kreise sind nicht einmal offen dafür, über eine andere, zielführendere Strategie nachzudenken. Kritiker wie die NachDenkSeiten erscheinen als Spielverderber.
Dies vorweg mit der Bitte an unsere Leserinnen und Leser, bei beiden Gruppen um mehr Offenheit zu werben.
Die neuesten Umfragen
Die sogenannte Sonntagsfrage ergab bei den verschiedenen Instituten in den letzten Tagen folgende Ergebnisse:
Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre …
Die letzten beiden Ergebnisse vom 28. und 29.4.2017 zeigen:
Die Erhebung von Emnid ergab, dass CDU/CSU plus FDP plus Grüne 49 % der Zweitstimmen erreichen würden. Das reicht für die Mehrheit der Mandate.
Die Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen ergab, dass CDU/CSU plus FDP plus Grüne 51 % der Zweitstimmen erreichen würden.
Auch ohne AfD ist eine neoliberal geprägte Regierung möglich.
Schulz und die SPD werden nicht gebraucht.
Bei aller Skepsis gegenüber Umfragen und ihren Ergebnissen muss man feststellen: die gefühlte Stimmungslage ist vermutlich recht gut erfasst. Außerdem entwickeln Veröffentlichungen der Art, wie wir sie in den letzten Tagen erleben, eine sich selbst verstärkende Eigendynamik.
Auch die Umfrageergebnisse für Nordrhein-Westfalen, wo in zehn Tagen Wahlen stattfinden, sind ziemlich ernüchternd.
Siehe hier.
Werbung für Merkel auf allen Kanälen. Bei Schulz ist die Luft raus. Die FDP wird wieder hoch geschrieben.
In dem oben erwähnten Beitrag vom 25. Januar hatte ich über den wahrscheinlichen Umgang der Medien mit Schulz und seiner SPD geschrieben:
„Er wird auf jeden Fall nicht auf eine messbare Unterstützung von Seiten der etablierten Medien zählen können, im Gegenteil, auch solche Medienmacher, die ihn heute noch einigermaßen freundlich behandeln, werden im Laufe des Wahlkampfes jede Scheu verlieren und Schulz massiv kritisieren, um ihrer Präferenz für Angela Merkel gerecht zu werden.“
Und sie werden Angela Merkel hochschreiben und „hochsenden“. Das war absehbar. Zum Beleg ist im Folgenden dokumentiert, was über die Bundeskanzlerin innerhalb von wenigen Tagen im Rahmen der Tagesschau verbreitet wurde. Super PR:
Tagesschau vom 25.4.2017:
Stand: 25.04.2017 19:05 Uhr
Tagesschau vom 28.4.2017:
“Zwei Etagen im Außenministerium sind leer”
Stand: 28.04.2017 21:46 Uhr
Merkel wirkt weit hinein in die Reihen der SPD und anderer Oppositionsparteien. Ihre Politik, zum Beispiel in Europa gegenüber den Südländern und auch ihre Politik gegenüber der Türkei, wird nicht kritisch analysiert.
Zum ersten Mal ist mir in den letzten Tagen – in Köln – eine Äußerung begegnet, die an frühere Zeiten erinnert und alarmierend ist. Wie zu Helmut Schmidts Zeiten wird intoniert: „Merkel ist prima, aber in der falschen Partei“. Bei Helmut Schmidt war das damals eine sehr erfolgreiche Methode, sein eigenes Ansehen in den Himmel zu heben. Zugleich sank jenes seiner Partei, der SPD, in den Keller. Bei Angela Merkel ist Letzteres nicht zu erwarten, weil sie anders als Helmut Schmidt in der entscheidenden Phase über ihre eigene Partei, die CDU/CSU, nicht schlecht reden wird.
Es fällt auf, wie freundlich die FDP und ihr Vorsitzender Lindner in vielen Medien behandelt werden. In den Umfrageergebnissen schlägt sich das schon nieder.
Was ist zu tun?
In dem Artikel vom 25. Januar hatte ich zu der Medienlage und den Konsequenzen noch Folgendes geschrieben:
„Wie man jeden Tag beobachten kann, ist die heutige Bundeskanzlerin Merkel bei den etablierten Medien voll etabliert. Sie wird fast nur gelobt, nie grundsätzlich kritisiert. Und diese Lobpreisungen gehen inzwischen auch von wichtigen Medienmachern aus, die man linksliberal oder kritisch oder fortschrittlich nennen könnte. Merkel wird nicht nur von den Springer-Medien und den Bertelsmann-Medien gestützt, auch von FAZ, Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, der Süddeutschen Zeitung und von vielen regionalen und Lokalzeitungen – von den privaten Sendern und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen und Hörfunk-Betrieben sowieso.“
„Die daraus folgende naheliegende Frage: Ist von Martin Schulz zu erwarten, dass er die Entscheidungen, die aus der Sicht vieler Wählerinnen und Wähler Fehlentscheidungen waren, zu korrigieren bereit und fähig ist? Führt er die SPD zurück auf den Pfad der Friedenspolitik und Verständigung zwischen West und Ost?
Ist er bereit, die Fehler der Agenda 2010 zu bedauern und die Sozialstaatlichkeit Europas zum großen Thema zu machen?
Wird er die Sozialministerin Nahles dazu bringen, ihre Kraft auf die Stärkung der Gesetzlichen Rente zu setzen und sie und öffentliches Geld nicht in staatlich geförderter betrieblicher Altersvorsorge zu verplempern?“
Die Rückkehr der SPD auf den Pfad der Friedenspolitik und die Sozialstaatlichkeit Europas wären nach wie vor großartige Themen. Es wäre ein Signal, wenn die SPD sich ernsthaft und glaubwürdig von militärischen Interventionen als Mittel der Politik absetzen würde.
Das wäre allerdings nur glaubhaft, wenn sie zum Beispiel massiv gegen die Erhöhung der Rüstungsausgaben und den weiteren Verbleib der Bundeswehr in Syrien und Afghanistan intervenieren würde. Der Konflikt mit Frau von der Leyen wäre das notwendige kommunikative Transportmittel.
Innenpolitisch sind in den letzten Wochen weitere Themen hinzugekommen, die der Profilierung und der sachlichen Notwendigkeit entsprächen. Zum Beispiel die offenbar erkennbare Absicht zur weiteren Privatisierung, zum Beispiel der Autobahnen.
Weil die SPD bei vielen dieser Themen mitten in der Fehlentwicklung und in Fehlentscheidungen steckt, ist die Korrektur und die Rückkehr auf einen vernünftigen Pfad nicht leicht. Aber das wäre genau die Chance eines neu installierten Spitzenkandidaten. Wenn er diese Chance nicht ergreift, dann – das ist absehbar – wird er und seine Partei dezimiert.
Die Anhänger der SPD sollten aufhören, solche nüchternen Analysen als Warnungen von Spielverderbern zu betrachten. Es sind gut gemeinte Empfehlungen zur Vermeidung eines neuerlichen Absturzes in Richtung 23 % wie 2009. Auch mit 28 % oder 25 % wird man eine Regierungsbildung Angela Merkels mit anderen Partnern nicht stoppen können. Deshalb kann man nicht so weitermachen wie bisher.