Quo vadis Frankfurter Rundschau?
Die Frankfurter Rundschau beginnt heute mit einer Serie unter dem Titel “Die Alternative. Es geht auch anders. Ideen für eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik. Eine Themen-Ausgabe der Frankfurter Rundschau.” Wie ist das gemeint? Von Albrecht Müller.
Zunächst: Die kritische Öffentlichkeit in Deutschland verdankt der Frankfurter Rundschau eine ganze Menge. Deshalb macht es Zeitbeobachtern, die an einer kritischen Begleitung der öffentlichen Debatte interessiert sind, Sorgen, dass es der Frankfurter Rundschau wirtschaftlich schlecht geht. “Es ist auch durchaus anerkennenswert und zunächst einmal scheinbar logisch und erfreulich, dass sich ein Blatt wie die FR Gedanken darüber macht, wie die Alternative zu der jetzt eingeschlagenen Reformpolitik aussehen könnte. Aber dies geschieht in der am 6. Dezember begonnenen Serie eigentlich recht wenig. Die Frankfurter Rundschau macht sich jedenfalls mit dem Einstieg zu dieser Serie zum Fürsprecher der Behauptung, unser Land leide unter einem Reformstau und bräuchte dringend Strukturreformen.
Dass man mit dieser Anerkennung des gängigen Glaubenssatzes und zugleich der Behauptung, eine Alternative zu der jetzigen Reformarbeit zu suchen, nicht weiter kommt, wird schon auf den ersten beiden Seiten sichtbar. Dort notiert der stellvertretende Chefredakteur, von dem wir bisher intelligente Kommentare und Analysen gewohnt sind: “Dass der Sozialstaat umgebaut werden muss, wird kaum jemand bezweifeln. Aber so klein ist die Welt nicht, dass nur die Ideen von Schröder oder Merkel Platz in ihr hätten.” – Das ist Applaus und Distanzierung in einem.
Dass der Sozialstaat immer irgendwelcher Reformen bedarf, bezweifeln wir nicht. Aber wir behaupten, dass er im Kern in Ordnung ist. Jeder, der behauptet, er müsse “umgebaut” werden und dieses damit begründet, dass diesen Glauben “kaum jemand bezweifelt”, hat nichts begründet und begibt sich auf die schiefe Ebene. Übrigens: Formeln wie “wird kaum jemand bezweifeln” oder – wie jeder weiß, (trägt der Generationenvertrag nicht mehr) – oder – wie wir alle wissen, (erzwingt die Globalisierung…) – sind die Standardfüllsel, mit denen heute vornehmlich die als Modernisierer auftretenden Politologen und Soziologen, Historiker und Journalisten ihre vom Zeitgeist übernommenen Parolen “belegen”. Achten Sie mal drauf.
Zurück zur FR, zur Seite 2 und den Autoren zur Serie “Die Alternative” auf anderen Seiten des Blattes: Im Blatt verstreut finden sich einige interessante Analysen, meist übrigens von Redakteuren des Blattes selbst: da wird aus den Niederlanden berichtet, dass in diesem Musterland des Sparens der Haushaltsüberschuss gerade zum Defizit wird und das Land vor großen Problemen steht. – Joachim Wille berichtet an anderer Stelle darüber, wie hierzulande Arbeitslose im Alter verarmen, wenn sie ihre Lebensversicherungen verkaufen müssen. – Auf Seite 2 jedoch darf eine Gruppe um den Heidelberger Politologen Wolfgang Merkel alternative Reformansätze für Deutschland auf der Basis von Analysen in den Niederlanden, in Schweden, in Großbritannien und Frankreich vorstellen. Dabei lernen wir, dass Schweden – das Land mit einer der höchsten Steuer- und Sozialabgaben-Quoten – am erfolgreichsten ist. Wir erfahren, dass in Schweden der “Umbau” des Sozialstaats ja eben gerade nicht stattfand, und dass die Schweden zu ihrem Wohlfahrtsstaat stehen. Wir erfahren auch, dass z. B. das Rentensystem in Schweden nur in geringer Weise auf private Vorsorge umgestellt worden ist. Und dennoch wird uns dann in dem namenlosen Gastbeitrag auf der Seite 2 (der wohl aus der Feder von Prof. Merkel stammt) gleich mehrmals das Drei-Säulenmodelle für den Umbau des Rentensystems angedient. – Dieses ist aber nun überhaupt keine Alternative zu dem, was derzeit in Berlin abgeht.
Auch die sonstigen Personen, die in dieser Ausgabe der FR zu Wort kommen oder porträtiert werden, stehen nicht im Widerstand gegen den mainstream der Reformpolitik, im Gegenteil: Roland Berger wird groß porträtiert – ein bisschen kritisch, insgesamt wohlwollend, dabei hätte Berger ja mal verdient, dass man seine bedeutenderen Rat- und vor allem seine Fehl-Schläge der vergangenen 20 Jahre bilanziert. – Der Professor für neuere Geschichte an der International University Bremen, Paul Nolte, schreibt über seine Vorstellungen “Vom Steuerstaat zur Gebührengesellschaft” und der Pate der “Berliner Generation” von aufstrebenden Jung-Genossen/innen, Heinz Bude, schreibt im Feuilleton über “Selbstständigkeit und Sorge”. Dieser Beitrag enthält so gravierende Sätze wie: “Die gerechte Gesellschaft ist eine nivellierte Gesellschaft, wo niemand zu hoch steigen und niemand zu tief sinken sollte.” Und dann finden wir bei ihm die üblichen Popanze, die er wie andere braucht, um kräftig auf jenen herum zu schlagen, die sich das Ziel, in einer gerechteren Gesellschaft leben zu wollen, nicht ganz mies machen lassen wollen. Ihnen wird “Glücksegalitarismus” unterstellt, und der “starre Blick auf die allgemeine Symmetrie der Soziallagen.”
Ob die FR auf diesem Niveau und vor allem unter Anleitung von Zeitgenossen, die wenig Ahnung von Ökonomie aber eine umso festere Meinung dazu haben, Reform-Alternativen entwickeln kann???