Wie Spiegel TV politische Morde in der Ukraine „aufklärt“
Zwei politische Morde in der Ukraine. Die Spuren führen nach Meinung von Spiegel TV nach Russland. Ein möglicher rechtsradikaler oder krimineller Hintergrund wird ausgeblendet. Von Ulrich Heyden, Moskau.
Drei Jahre habe ich gewartet, dass sich Spiegel TV den bisher nicht aufgeklärten Scharfschützen-Morden auf dem Maidan im Februar 2014 und den Brandangriffen auf das Gewerkschaftshaus von Odessa im Mai 2014 annimmt und eine eigene, kritische Recherche durchführt. Das Warten war umsonst. Als Spiegel TV am Montag einen Film über zwei politische Morde in der Ukraine veröffentlichte, wurde ich mir erneut klar, dass Spiegel TV in der Ukraine durchaus eigene Recherchen durchführen kann, seine Kapazitäten aber nicht für unabhängige, kritische Recherchen nutzt, sondern lieber das Sprachrohr des ukrainischen Innenministeriums ist.
Die Hintermänner der beiden von Spiegel TV untersuchten Morde in Kiew führen nach Meinung der Spiegel-TV-Autorin, Anna Sadownikowa, nach Moskau. „Russische Killer“ seien in Kiew am Werk gewesen. Die russische Seite kommt aber selbst nicht zu Wort. Dass man dem Beschuldigten kein Recht zur Gegenrede lässt, widerspricht zwar journalistischen Prinzipien. Aber, nun ja, es geht ja um Russland und da nimmt man es mit den Prinzipien nicht so genau.
Auch Spuren, die zu ukrainischen Ultranationalisten führen oder einen kriminellen Hintergrund möglich erscheinen lassen, werden in dem Film von Spiegel TV nicht erwähnt.
Der Hauptbelastungszeuge im Mordfall des ehemaligen, russischen Duma-Abgeordneten Denis Woronenkow – er wurde am 23. März 2017 in Kiew auf offener Straße erschossen – ist für Spiegel TV ausgerechnet ein hoher ukrainischer Beamter, Anton Geraschenko, Berater des ukrainischen Innenministers und Initiator der Website „Mirotworez“ (Friedensschaffer). Auf der Website wurden im Mai 2015 Tausende von Adressen von Journalisten (auch Spiegel- und Reuter-Korrespondenten) veröffentlicht, die sich in der international nicht anerkannten Volksrepublik Donezk akkreditiert hatten.
Zur Erklärung: Wer in den international nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk als Journalist arbeiten will, muss sich dort seit April 2014 bei den Pressezentren akkreditieren. An diese Regel halten sich alle Journalisten, egal ob Russen, Ukrainer oder Deutsche. Jeder Journalist, der dort ohne Akkreditierung arbeitet, setzt sich der Gefahr aus, festgenommen und abgeschoben zu werden.
Nach Medienberichten hatte sich die ukrainische Mirotworez-Website die Dateien mit den Namen und Adressen der in Donezk akkreditierten Journalisten auf illegalem Wege beschafft. Mit der Veröffentlichung aller Journalisten-Adressen wollten die Macher der Website offenbar erreichen, dass westliche Journalisten vom Besuch der „Volksrepubliken“ abgeschreckt werden. Mirotworez unterstellte, dass, wer sich in Donezk als Journalist akkreditiert, faktisch ein Unterstützer der Separatisten ist.
Dass nun Spiegel TV Anton Geraschenko, der die Website Mirotworez initiierte, als Hauptzeugen im Mordfall Denis Woronenkow anführt, ist eine Beleidigung für alle Journalisten, die mit der Veröffentlichung ihrer Adressen durch die „Mirotworez“- Website als „Unterstützer der Separatisten“ denunziert wurden.
Doch das ist noch nicht alles, was uns Spiegel-TV in seinem Sensationsbericht über „russische Killer in Kiew“ an Verdrehungen und nicht belegten Behauptungen anbietet. Der Spiegel-TV -Bericht lässt außen vor, dass in ukrainischen Medien zwei ukrainische Ultranationalisten, Pawel Parschow und Jaroslaw Lewenz, als mögliche Mörder von Denis Woronenkow genannt wurden. Beide waren Mitglieder des ukrainischen Freiwilligenbataillons Donbass. Parschow diente außerdem in der ukrainischen Nationalgarde. Lewenz war auch Mitglied des Rechten Sektors.
Bei dem zweiten im Spiegel-TV-Film erwähnten Mord, dem Anschlag auf den Journalisten Pawel Scheremet – er wurde am 20. Juli 2016 im Zentrum von Kiew durch eine Autobombe getötet – fehlt der Hinweis, dass der Mord an dem Journalisten mit einem Konflikt mit dem rechtsradikalen Asow-Bataillon zu tun haben könnte.
Insgesamt ist der Spiegel-TV-Bericht identisch mit den Aussagen des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und den Vertretern des ukrainischen Innenministeriums, welche die Morde an dem Duma-Abgeordneten Denis Woronenkow und dem Journalisten Pawel Scheremet Russland anlasten, ohne allerdings Beweise zu nennen.
Herausgekommen ist ein PR-Stück für die ukrainische Regierung, aber keine Arbeit unabhängiger Journalisten.
Ulrich Heyden, Moskau, 17.04.17
Nachbemerkung Albrecht Müller:
Meine jüngste Tochter hat mich gestern Abend gefragt, wie es denn dazu gekommen sei, dass Russland so oft und so intensiv als Feindbild wahrgenommen wird. Ich habe versucht zu erklären: historisch bedingt, aus der Nazizeit und davor übernommen, im Kalten Krieg von den Vertretern der Jungen Union und des RCDS massenhaft gepflegt und geschärft. Das Bild vom Untermenschen ist offenbar unterschwellig hängen geblieben. Und das wird dann von solchen Reportagen wie von Spiegel TV bedient und weiter verstärkt.