Nach Kraftakten in Venezuela und Ecuador setzt der konservative Block auf Eskalation
Ecuador wählt links und die rechten Eliten scharren bereits mit den Hufen. Derweil versinkt Venezuela mehr und mehr in einer Krise und Opposition sowie die Anhänger der regierenden Chavistas liefern sich auf der Straße ein Kräftemessen. Frederico Füllgraf blickt für die NachDenkSeiten auf die ereignisreichen Entwicklungen der letzten Wochen in Venezuela und Ecuador.
Die rechtsgerichtete Opposition beschuldigt Präsident Nicolás Maduro des “Staatsstreichs” und fordert auf den Straßen die Absetzung des Obersten Gerichtshofs von Venezuela (TSJ). Währenddessen rücken regierungstreue Chávez-Anhänger, “Chavistas” genannt, zu Gegendemonstrationen aus. Maduros Polizei schließt 12 U-Bahn-Stationen und blockiert den oppositionellen Demonstranten den Zugang zur Libertador Avenue und damit zum Regierungsviertel. Es fliegen Steine, Polizisten werden verletzt, Wasserwerfer drängen die Massen zurück. Als dies nichts nützt, setzt die Polizei Tränen- und Pfeffergas gegen die Opposition ein. Das konservative bis ultrarechte, oppositionelle, venezolanische Parteienbündnis MUD (“Tisch der Demokratischen Einheit”) setzt auf Eskalation, Schlagzeilen der internationalen Leitmedien beschwören eine angebliche “Diktatur”.
Nebenschauplatz Ecuador
Noch bevor am Montag, den 3. April, die Stimmen der Stichwahl zwischen den Präsidentschaftskandidaten Ecuadors vollständig ausgezählt waren, schrieb die konservative brasilianische Tageszeitung Folha de São Paulo, “Die politische Krise in Venezuela hat Auswirkungen auf die Wahl in Ecuador” (Crise política na Venezuela impacta votação no Equador – 03/04/2017) und ultrarechte Politiker Lateinamerikas, wie der chilenische Pinochet-Anhänger Andrés Allamand, jubelten bereits über den angeblichen Sieg des Konservativen Guillermo Lasso (Andrés Allamand on Twitter: “Todo indica centroderecha gana…). Doch das mediale parteipolitische Wunschdenken mit klarem Propagandazweck wurde noch am gleichen Tag von der Wirklichkeit eingeholt: Der neue Präsident Ecuadors heißt Lénin Moreno.
Das “brasilianische Drehbuch”
Obwohl die in Washington beheimatete, US-freundliche Organisation der Amerikanischen Staaten (im Spanischen unter dem Kürzel OEA bekannt) dem Wahlkampf und dem knappem Sieg Morenos (51,16 Prozent) ihr politisches Gütesiegel aufprägte, ging Verlierer Lasso (48,84 Prozent) sofort in die Offensive mit der Anfechtung des Wahlergebnisses, das angeblich mit “betrügerischen Methoden” manipuliert worden sei.
Lesern mit gutem Gedächtnis wird dabei das gelbe Warnsignal aufgeleuchtet haben: Den gleichen Scheinvorwand hatte der Konservative Aécio Neves gegen Dilma Rousseffs knappen Sieg der brasilianischen Präsidentschaftswahl vom November 2014 vorgebracht. Sein Parteikollege, Kandidat für das Vizepräsidentenamt und jetzt amtierender, brasilianischer Außenminister, Aluizio Nunes, hatte hasserfüllte Rache geschworen: “Ich will Rousseff bluten sehen!”.
In den kommenden Wochen und Monaten wird sich also herausstellen, ob Lasso das “Script” Nunes´ befolgen, Morenos Regierung das Leben zur Hölle machen und destabilisieren wird. Dass ihm dies gelingen wird, dürfte ernsthaft bezweifelt werden. Moreno ist nämlich bekannt für konziliante Auftritte und deeskalierende Handlungen.
Venezuela und die Heuchelei
Mit Schlagzeilen wie “Venezuela wird zur Diktatur” (Süddeutsche Zeitung, 31.03.2017), ”Venezuela: ´Maduro will eine Diktatur errichten´ ” (ZEIT Online, 02.04.2017) oder “Venezuela: Opposition warnt vor Diktatur” (SPIEGEL ONLINE, 02.04.2017) schien der deutschsprachige Mainstream in das Konzert der konservativen Parteien und Medien Lateinamerikas einzustimmen.
Auffällig ist dabei die ungenierte Nutzung von Reizbegriffen wie “Staatsstreich” und “Diktatur”, die beim unbestrittenen parlamentarischen Putsch vom 17. April 2016 gegen die demokratisch gewählte, brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff wider besseres Wissen bis zuletzt systematisch vermieden wurden. Das zweierlei Maß in Darstellung und Urteil darf wohl ohne Übertreibung als mediale Heuchelei bezeichnet werden.
Der Epilog der jüngsten Ereignisse in Venezuela ist ein klarer Sieg der Demokratie. Jedoch werden Auslöser und Hintergründe der politischen Krise von den konservativen Medien unter den Tisch gekehrt.
Wie bekannt, hatte der Oberste Gerichtshof des Landes in der vergangenen Woche die Volksversammlung (das venezolanische Parlament) entmachtet und die Immunität seiner Abgeordneten aufgehoben.
Nach scharfen Protesten, auch unter Chávez-Anhängern und im Regierungsapparat, wurde die Entmachtung zurückgenommen und die parlamentarische Immunität wiederhergestellt. Dies passierte, nachdem die regierungsfreundliche Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz dem umstrittenen Urteil “verschiedene Verletzungen der verfassungsmäßigen Ordnung und eine Missachtung des in unserer Verfassung verankerten Staatsmodells” unterstellte. Im Anschluss daran tagte der Nationale Sicherheitsrat unter Vorsitz Nicolás Maduros und forderte eine Überprüfung der Urteile.
Dennoch traut die Opposition der Kurskorrektur nicht. Maduro habe zuletzt ohnehin mit Dekreten regiert und die Revision diene dem Zweck, einen “Staatsstreich auf Raten” zu kaschieren, unterstellt Parlamentspräsident Julio Borges und setzt auf weitere Eskalation. Borges´ Partei soll im Übrigen von der US-amerikanischen Denkfabrik National Endowment for Democracy (laut Thierry Meyssan “das legale Schaufenster des CIA”) finanziert worden sein, behauptet der venezolanische Staatssender Telesur (¿Quién es Mark Feierstein?|Opinion|teleSUR).
Krise des “Madurismo” und rechte Offensive
Venezuela ist das Gleichnis für einen widersprüchlichen und fatalen Doppelrekord: Es ist zugleich das Land mit den größten Ölreserven und einer der höchsten Inflationsraten der Welt.
Seit dem Einbruch der internationalen Rohstoffpreise und der Schrumpfung der Deviseneinnahmen aus den Erdölexporten geriet Venezuela schon gegen Ende der Regierungszeit des 2013 verstorbenen, legendären Präsidenten Hugo Chávez in eine dramatische Versorgungskrise.
Bis dahin war es Chávez´ bolivianischem Umverteilungsmodell gelungen, durch Deviseneinnahmen aus dem Erdöl-Exportgeschäft die Armut mit Sozialprogrammen erfolgreich zu bekämpfen. Allerdings, mit alarmierenden 14 Milliarden Dollar, beklagte Venezuela 2016 den niedrigsten Stand der nationalen Devisenreserven seit einundzwanzig Jahren.
Spätestens seit Hugo Chávez´ Tod war wegen dem überkommenen, von Commodities abhängigen Wirtschaftsprofil Venezuelas ein wirtschaftspolitischer Kurswechsel angesagt. Doch Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro versäumte dringende und radikale Maßnahmen zur Förderung der landwirtschaftlichen Entwicklung, der Lebensmittelherstellung sowie für den Aufbau einer einheimischen Industrie für die Erzeugung von pharmazeutischen Generika zu ergreifen.
Die Versorgungskrise spitzte sich immer weiter zu und lieferte der ohnehin putschistisch gesinnten Opposition die Munition für ihre Forderung nach der Absetzung des Präsidenten, dessen Popularität Ende 2016 auf 20 Prozent geschrumpft war.
Als Alarmzeichen hätte Maduro jedoch spätestens ein Jahr zuvor die absolute Mehrheit der rechten bis rechtsradikalen Opposition bei den venezolanischen Parlamentswahlen vom Dezember 2015 deuten müssen.
Zwar war dieser Sieg ganz und gar nicht legal, denn drei oppositionelle Abgeordnete wurden vom Obersten Gericht wegen mutmaßlichem, vorherigem Wahlbetrug zum Verlust ihrer Mandate verurteilt, erdreisteten sich jedoch noch, den Parlamentspräsidenten Julio Borges von der rechtspopulistischen Partei Primero Justicia (Zuerst Gerechtigkeit) zu wählen und erst nach erheblichen Widerständen ihre Mandate niederzulegen. Der Fall löste einen erbitterten Konflikt zwischen der oppositionell dominierten Legislative und der Justiz aus. Indes spekulierte Maduro, das Ergebnis der Parlamentswahl würde annulliert, da das Oberste Gericht seitdem jede Entscheidung der Nationalversammlung für nichtig erklärte.
Es bestehen kaum Zweifel, dass das Hinwegsetzen über die Hausordnung des Parlaments, der Bestimmungen der Verfassung und von Gerichtsurteilen zu den kalkulierten Provokationen des konservativen MUD-Bündnisses gehört. Sich gestärkt fühlend vom Wahlsieg der Konservativen in Argentinien, dem parlamentarischen Putsch in Brasilien und der lautstarken Unterstützung ehemaliger spanischer Präsidenten, wie José María Aznar und Felipe González, spekuliert Venezuelas Opposition mit dem baldigen Sturz Maduros.
Langsam, doch umso häufiger, mehren sich aber auch kritische Anmerkungen aus dem demokratisch-sozialistischen Lager zum inhaltlichen und persönlichen Stil des Präsidenten, der es seinen Gegnern und Feinden nicht gerade schwermacht.
Manch einer sinniert, Venezuela brauche einen Maduro mit den Talenten des Ecuadorianers Lénin Moreno: Zielstrebig in der Sache, doch flexibel in Verhandlungen und konziliant im Umgang – Ein Erfolgs-”Script”, mit dem Maduro längst den überwiegenden Teil der konservativen Unternehmer und Politiker für ein nachhaltiges Wirtschaftsprogramm und mehr soziale Gerechtigkeit hätte gewinnen können; ohne Angst, danach die Macht abzutreten.