Drei Jahre NSA-Untersuchungsausschuss – Ein vorauseilendes Nachwort

Wolf Wetzel
Ein Artikel von Wolf Wetzel

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss/PUA in Berlin zur Aufklärung des „NSA-Skandals“ hat drei Jahre getagt und sich nun über die Ziellinie geschleppt. Die letzte Zeugin war die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der PUA sollte Licht ins Dunkel bringen. Ohne den schriftlichen Abschlussbericht abzuwarten, ist es nicht ganz vermessen, den Lichtfaktor mit einem Streichholz zu vergleichen. Wolf Wetzel[*] hat sich für die NachDenkSeiten Gedanken über den Ausschuss gemacht.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Als 2013 Edward Snowden, ein ehemaliger NSA-Mitarbeiter, geheime Akten eines weltweiten Überwachungssystems der Öffentlichkeit zuspielte, war die Aufregung groß. Die Empörung steigerte sich noch, als die Unterlagen belegen konnten, dass der Auslandsgeheimdienst Deutschlands, der BND, darin vertrauensvoll und aktiv eingebunden war (und ist).
Selbstverständlich bestritt der BND die Teilhaberschaft an diesem globalen Überwachungssystem und die amtierende Bundesregierung gerierte sich als Opfer „ausländischer Mächte“. In dieser Phase fiel der Satz der Bundeskanzlerin Angela Merkel, der heute nur noch für eine Satiresendung taugt: „Abhören unter Freunden – das geht gar nicht“.

Sehr schnell und erwartbar wurde die Decke für diese Opferinszenierung extrem dünn. Da man das bereits oft so gemacht hatte, war man auf den nächsten Schritt gut vorbereitet. Jetzt ging es darum, das zur Panne zu erklären, was man zuvor vehement bestritten hatte. Und, das ist ganz besonders wichtig: Man einigte sich auf die Stelle, an der die Hierarchie- und Weisungskette (fiktional) durchschnitten werden soll, um die politisch und operativ Verantwortlichen zu schützen.

Das zweite Drehbuch war also geschrieben und Szene für Szene, Seite für Seite wird seitdem genauso gespielt, im parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Berlin, in den regierungswilligen Parteien, in den Medien.

Die Erzählung lautet demnach wie folgt: Es war einmal ein amerikanischer Geheimdienst, der ein globales Überwachungssystem aufgebaut hatte. Viele westliche Geheimdienste machten bei dieser ehrenvollen Arbeit mit. Auch der Bundesnachrichtendienst wurde um Mithilfe gebeten. Dieser hatte sich bereits in den 50er Jahren verdient gemacht, als er heimlich Tausende von (Ex-)Nazis und Faschisten in stay-behind-Terrorgruppen organisiert hatte. Der Bundesnachrichtendienst fühlte sich geehrt und wollte diesen Dienst am Weltfrieden nicht verweigern. Er überwachte recht- und verfassungswidrig alle Kommunikationsmittel und bekam vom NSA dafür immer wieder aktualisierte Listen von „Selektoren“, also Suchbegriffe, nach denen die Daten durchforstet werden sollten. Der BND war zudem eigenständig aktiv und bespitzelte in Europa auch „Freunde“ (wie die Büros im EU-Parlament in Brüssel).
All das machte der BND über Jahre hinweg wie eine kleine autonome Zelle, mit Tausenden von Mitarbeitern.

Er informierte also weder den Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, noch den Kanzleramtschef, seine unmittelbar Vorgesetzten, noch die Bundeskanzlerin als obersten Dienstherrin. Über Jahre hinweg arbeitete der BND – nach dieser Erzählung – ohne Vorgesetzte und gab sich die entsprechenden Anweisungen und Aufträge selbst. Genau so war es und wie durch ein Wunder bestätigten alle Zeugen diese Version. Plötzlich arbeiteten wieder alle auf Linie.

Letzte Zeugin. Letzter Akt. Letzter Vorhang.

Als letzte Zeugin dieses Schauspieles wurde die Bundeskanzlerin Angela Merkel befragt. Damit alles echt wirkte, nahm man sich dafür sieben Stunden Zeit.
Das Erinnerungsvermögen der Bundeskanzlerin Angela Merkel bewegte sich in der sehr großen Spanne zwischen „Nein“ und „Nö“ – als sie zur Rolle des BND im Rahmen des Spionagerings unter Führung des NSA gefragt wurde. Ihr sei bis Frühjahr 2015 nichts von dem erinnerlich, was der PUA aufzuklären versucht.

Immerhin erinnerte sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel noch daran, dass sie 2013 erklärt hat: „Abhören unter Freunden – das geht gar nicht“. Dass das doch ginge, habe sie erst jetzt erfahren. Schließlich sei sie „weder Juristin noch Expertin für Überwachung“. Daran wiederum könne sie sich genau erinnern. Und sie erinnerte sich ganz genau, dass weder der Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier, noch der für dieses fehlende Expertenwissen zuständige Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche sie über all das informiert haben, was doch geht. An mehr könne sie sich ganz sicher nicht erinnern, denn, so Angela Merkel ganz menschlich, „ihr Erinnerungsvermögen (sei) nicht immer ganz zuverlässlich“.

Dieser Ahnungslosigkeit schlossen sich bereits zuvor Bundeskanzleramtschef Peter Altmaier und Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche an. „Man selbst, so Altmaier und Fritsche, habe davon erst im Laufe der Enthüllungen aus dem März 2015 erfahren.“ (Die Welt kompakt vom 17.2.2017)

Es herrscht Gedrängel im Tal der organisierten Ahnungslosigkeit: Wer weiß schneller nichts mehr? Dass es neben dem fluktuierenden Gedächtnis – in so modernen Zeiten wie heute – so etwas wie Akten gibt, Abteilungen voller Experten und Computer (samt Speichermedien und -möglichkeiten), spielte in diesen so freundschaftlichen Befragungen keine Rolle.

Bemerkenswert an diesem „nicht immer ganz verläßlichen“ Erinnerungsvermögen ist auch, dass es im richtigen Augenblick voll da ist. Auf die Frage, wie es denn möglich sein konnte, dass nicht nur der NSA „Freunde“ abhört, sondern der BND genau dasselbe auch täte, setzte schlagartig Merkels Erinnerungsvermögen ein: Es habe sich dabei um „technische und organisatorische Defizite“ gehandelt. In dieser Frage ist die Bundeskanzlerin bestens informiert und ganz offensichtlich in der Lage, dafür „fachlichen Rat“ einzuholen. Um dieser haarsträubenden Erklärung auf den Grund zu gehen, muss man zeitlich nicht weit zurückgehen, aber sich den Luxus leisten, in Kontexten zu denken.

Im Tal der organisierten Ahnungslosigkeit

Klaus-Dieter Fritsche wurde 2013 aufgrund seiner Verdienste bei der Pannenserie im NSU-Skandal von Angela Merkel persönlich zum Staatssekretär für die Belange der Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt befördert. Von 1996 – 2005 war Frische Vizepräsident des Inlandsgeheimdienstes namens „Verfassungsschutz“. Von Dezember 2005 bis Dezember 2009 arbeitete Fritsche als Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt. Er hatte also leitende Funktionen inne, als das Totalversagen seinen Lauf nahm.

Lassen wir einmal beiseite, woran Klaus-Dieter Fritsche als Weisungsbefugter beteiligt war und wofür er Garant ist. Unstrittig wurde er jedoch ins Kanzleramt befördert, um genau dieses „Behördenwirrwarr“ zu unterbinden. Ist es also auch nur im Promillebereich glaubhaft, dass sich auf noch größerer (internationaler) Ebene ein „Behördenwirrwarr“ abgespielt haben soll, in dem der Geheimdienst BND all seine Vorgesetzten ausschaltet(e)?

Aber vielleicht wurde Klaus-Dieter Fritsche wegen etwas ganz anderem ins Kanzleramt katapultiert. Als sich die „Pannen“ im NSU-Skandal zu Bergen auftürmten, im Bundesamt für Verfassungsschutz/BfV die Akten von Neonazis als geführte V-Leute vernichtet wurden, die im Nahbereich des NSU operierten, trat der ehemalige Vizepräsident des BfV am 18.12.2012 mit folgender Erklärung vor den PUA in Berlin:

»Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren. Es darf auch nicht so weit kommen, dass jeder Verfassungsfeind und Straftäter am Ende genau weiß, wie Sicherheitsbehörden operativ arbeiten und welche V-Leute und verdeckten Ermittler im Auftrag des Staates eingesetzt sind. Es gilt der Grundsatz ›Kenntnis nur wenn nötig‹. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.«

Kenntnis nur wenn nötig. Und Wissen nach Bedarf. Eine Master-Matrix im Umgang mit ähnlich gelagerten „Fällen“.

Der parlamentarische Untersuchungsausschuss/PUA – eine teure Waschstraße

Das Beschämende an dieser ganzen Farce, die sich seit drei Jahren als „Aufklärungsarbeit“ ausgibt, sind nicht nur diese „Zeugen“. Sie agieren nicht einmal besonders gewitzt. Dennoch reicht dies offensichtlich vollständig aus, um den PUA zu befriedigen. Zwar beklagen sie ab und an mediengerecht, dass sie behindert worden seien, wie bei der geforderten Herausgabe der „Selektorenliste“, aber danach verfallen sie sogleich in wohltuende Untätigkeit.

Wenn die Bundeskanzlerin, der Kanzleramtschef und der Geheimdienstkoordinator über Jahre hinweg keine Ahnung haben, was der ihnen unterstellte Geheimdienst macht, dann bestände doch der nächste Schritt darin, herauszubekommen, wer in der Hierarchie als „Letzter“ davon gewußt hat. Ist es so schwer, diesen Gedanken zu fassen und umzusetzen?

Warum will niemand im PUA dies wissen? Warum will niemand wissen, ob diese haarsträubende Erzählung vom „verselbstständigten“ Geheimdienst nur annähernd etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat?

Wenn man Zweifel an der Glaubwürdigkeit der ZeugInnen und deren Erinnerungsvermögen hat, wenn man den Verdacht der Zeugenabsprachen hegt, dann kann man, dann muss man diesen Zweifeln nachgehen und weitere/andere Beweismittel hinzuziehen, z.B. mit Hilfe einer Durchsuchung des Kanzleramtes und des BND.

Denn was hier im Raum steht, sind keine schwächelnden Gedächtnisleistungen, sondern schwere Straftaten. Als Aufregung noch erwünscht war, titelte das Magazin ‚Der SPIEGEL’ in seiner Ausgabe Nr.19/2015: „Der Verrat. BND und Bundesregierung gegen deutsche Interessen.

Warum findet in diesem Zusammenhang keine Strafverfolgung statt? Warum wird nicht Beweismaterial sichergestellt, um den Tatanteil des BND an diesem globalen Überwachungssystem zu eruieren?

Der NSA-Untersuchungsausschuss wird zu Ende gehen und weit hinter dem zurückbleiben, was die Unterlagen von Edward Snowden hergeben. Dass die „Konsequenzen“ schon vorher feststanden, kann man im neuen BND-Gesetz nachlesen.
Markus Beckedahl von Netzpolitik.org. fasst es treffend und fassungslos machend so zusammen:

„Die wichtigste Konsequenz ist, dass alle illegalen Praktiken des BND, die durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses ans Licht gekommen sind, im Nachhinein legalisiert wurden.“ (taz vom 17.2.2017)

Die politische und parlamentarische Aufarbeitung des „NSA-Skandals“ gleicht also einer Waschstraße, in die vorne ein schmutziges Auto hineinfährt, und hinten ein noch dreckigeres herauskommt.

Der Historiker Josef Foschepoth findet dafür ganz trockene Worte:

„Alle Geheimdienstaffären, das zeigt die Geschichte, enden damit, dass Personal und Budget für die Dienste aufgestockt werden. Das gilt beispielsweise auch für die Affäre rund um den rechtsterroristischen NSU.“ (tagesschau.de vom 07.07.2014)


[«*] Wolf Wetzel – Der NSU-VS-Komplex. Wo beginnt der Nationalsozialistische Untergrund – wo hört der Staat auf? Unrast Verlag 2015/3. Auflage

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