„Diese Morde waren ein regime change von innen“
Die Morde an John F. Kennedy, seinem Bruder Robert F. Kennedy und der an Martin Luther King waren nicht die Taten von Einzelgängern. Dieser Überzeugung ist der Journalist und Buchautor Mathias Bröckers. Hinter den Attentaten stehe ein regime change aus dem Innern des Staates heraus, wie Bröckers im Interview mit den NachDenkSeiten sagt. Bröckers, dessen Buch zum Kennedy-Mord gerade in einer aktualisierten Fassung erschienen ist, setzt sich seit Jahren mit dem Verbrechen an dem 35. Präsidenten der Vereinigten Staaten auseinander. Für ihn steht fest: Ohne das enge und auf Beeinflussung ausgelegte Zusammenspiel zwischen den Geheimdiensten und polizeilichen Ermittlungsbehörden hätten diese Attentate weder so ausgeführt noch dann später so vertuscht werden können. Marcus Klöckner hat für die NachDenkSeiten mit Mathias Bröckers ein Gespräch über ein Verbrechen, das lange zurückliegt, die Rolle des CIA-Mannes George Joannides und den 26. Oktober 2017 geführt – ein Tag, der für die Forscher zum Mord an JFK von Interesse werden könnte.
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Herr Bröckers, Sie haben ein Buch über die Ermordung von John F. Kennedy veröffentlicht, das gerade mit einem aktualisierten Nachwort erschienen ist.
Warum beschäftigen Sie sich noch mit dem Anschlag auf JFK? Schließlich ist das alles schon lange her und auch aufgeklärt – wenn man den Behörden Glauben schenkt.
Aufgeklärt ist es eben nicht, schon die zweite offizielle Untersuchung durch das „House Select Commitee of Assasinations“ (HSCA) in den 1970er Jahren stellte fest, dass der „Warren Report“ von 1964, der in 26 Bänden die Einzeltäterschaft von Lee Harvey Oswald beweisen wollte, nicht der Wahrheit entsprechen kann. Seitdem haben zahlreiche Forscher viele weitere Indizien zusammengetragen, dass Oswald genau das war, was er nach seiner Festnahme bekannte: „Ich bin der Sündenbock hier.“
Wie lautet denn Ihre Kernthese in Sachen JFK?
Die steht im Titel des Buchs „Staatsstreich in Amerika“ und besagt, dass weder der Mord an JFK, noch der an seinem Bruder Robert F. Kennedy noch der an Martin Luther King die Taten „verrückter“ Einzelgänger waren. Die wichtigsten Führer einer demokratischen, bürgerrechtlichen Politik wurden innerhalb weniger Jahre eliminiert, kein Hintergrund dieser Morde wurde wirklich aufgeklärt, präparierte Sündenböcke wurden abgeurteilt oder wie im Fall Oswald von Auftragskillern eliminiert. Diese Morde waren ein regime change von innen, sie konnten nicht so ausgeführt und so vertuscht werden wie es geschah ohne die engste Kooperation mit Geheimdiensten und Polizei.
Können Sie für uns skizzieren, woran Sie festmachen, dass Kennedy nicht das Opfer eines Alleintäters war?
Eigentlich muss man ja nur die berühmten Sekunden des Zapruder-Films anschauen, wie Kennedys Kopf von dem Geschoss getroffen wird – nicht von hinten, von wo Oswald angeblich gefeuert haben soll, sondern seitlich von vorne. Liest man dazu die Aussage des schräg hinter JFKs Limousine fahrenden Motorradpolizisten, dass sein Helmvisier von Blut und Gehirnmasse bespritzt wurde, kann der tödliche Schuss nicht von hinten gekommen sein. Deshalb wurde der Warren-Kommission auch nicht der farbige Film gezeigt, sondern nur eine schlechte und bearbeitete Schwarz-Weiß-Kopie gezeigt. Mit dem Original und dieser Aussage wäre völlig klar geworden, dass Oswald, der angeblich aus dem 5. Stock des Buchlagers schoss, nicht der Todesschütze sein konnte.
Weitere Hinweise?
Ich denke, dass auf jeder der über 300 Seiten und dokumentierten Quellen des Buchs deutlich wird, wie falsch und unmöglich die Einzeltäterthese ist. Oswald war seit seiner Jugend unter den Fittichen der Geheimdienste. Wenn er wirklich mit seinem Schießprügel die berühmte „magische Kugel“ abgab, die JFK tötete und dem vor ihm sitzenden Gouverneur sechs Wunden beibrachte, müsste er aber über magische Fähigkeiten verfügt haben. Tatsächlich war er nur ein kleiner „IM“, der in New Orleans den Kommunisten spielte und linke Studenten ans FBI verpfiff.
Welchen Ablauf halten Sie denn für wahrscheinlich und: Wer waren aus Ihrer Sicht die Drahtzieher?
JFK war als klassischer kalter Krieger ins Amt gekommen, vollzog dann aber schon während der Kuba-Krise einen aus Sicht des Militärs und der CIA dramatischen Wandel seiner Politik. CIA-Chef Dulles und die Generäle wollten ihn mit der Schweinebucht-Operation zu einem Militäreinsatz gegen Castro zwingen, mit seiner Weigerung machte er sie zu seinen Feinden. Er wollte den Kalten Krieg beenden und den Krieg in Vietnam und hatte angekündigt, nach seiner Wiederwahl nach Moskau zu reisen und einen Friedensvertrag zu schließen. Innenpolitisch setzte er sich massiv für die Bürgerrechte ein und schickte die Nationalgarde, um den ersten schwarzen Studenten in Mississippi zu immatrikulieren, was der dortige Gouverneur verweigerte; zudem wollte er die Öl-Barone der Südstaaten zu höheren Steuern verpflichten. Neben dem militärisch-industriellen Komplex hatte er damit auch die Reaktionäre des Südens als Großfeind und aus diesen Kreisen kommen die Drahtzieher des Mords. Die Schützen waren sehr wahrscheinlich angeheuerte Killer der korsischen Mafia, bezahlt wurde die Operation von texanischen Öl-Baronen und organisiert von Agenten der CIA, die auch den Sündenbock Oswald präpariert hatten und die propagandistische „Nachbereitung“ steuerten. Im ersten Fahndungsaufruf der Dallas Police, 20 Minuten nach den Schüssen, werden Größe und Gewicht des gesuchten Täters genannt, die nicht von dem einzigen Augenzeugen stammen konnten, der einen Mann an einem halb geöffneten Fenster im 5. Stock gesehen haben wollte. Sie kamen direkt aus der CIA-Akte zu Oswald.
Für die Forscher zum Tod von JFK könnte in diesem Jahr der 26. Oktober interessant werden. Was ist an diesem Tag?
Im Oktober 1992 – nach dem Aufruhr, den Oliver Stones (immer noch sehenswerter) Film „JFK“ überall im Land erzeugt hatte – erließ der US-Kongress den „JFK Records Act“, ein Gesetz zur Veröffentlichung sämtlicher Dokumente und Akten im Zusammenhang mit dem Attentat und setzte dem „National Archive“ eine Frist von 25 Jahren, dieser Verpflichtung nachzukommen. Diese Frist läuft am 26. Oktober 2017 ab, dann werden 3.571 bisher unbekannte Dokumente und 34.000 weitere veröffentlicht, die bisher nur mit Schwärzungen zugänglich waren – es sind die letzten aller noch im Archiv befindlichen Unterlagen zur Ermordung Kennedys.
Was erhoffen Sie sich denn aus diesen Unterlagen zu erfahren?
Auch wenn das unabhängige „Assassination Records Review Board“ (ARRB) in den 1990er Jahren unter den damals vorgelegten Papieren nichts Relevantes entdeckte, erwarten zahlreiche Historiker die Veröffentlichung mit größtem Interesse. Nicht weil sie auf irgendeinem vergessenen Notizzettel eine „smoking gun“, den unwiderlegbaren Beweis, zu finden hoffen, sondern weil sich unter diesen vielen tausend Seiten womöglich einige entscheidende Puzzlesteine befinden, die Lücken eines schon bestehenden, recht deutlichen Bildes füllen können – nämlich dass Oswald kein Einzeltäter war. Da die Metadaten – Titel, Themen und Autoren – der freizugebenden Akten schon bekannt sind, weiß man bereits ungefähr, was da kommt ; so unter anderem eine Reihe sogenannter OPS-Files (Operational Files) zu vielen Akteuren, von denen im Buch die Rede ist, wie William Harvey, David Philips, George Joannides und E.Howard Hunt, der 2004 auf dem Sterbebett noch ein (falsches?) Bekenntnis abgelegt und Namen genannt hatte.
Es könnte aber doch auch sein, dass die Unterlagen nicht veröffentlicht werden, oder?
Das kann sein, wenn die CIA weiter auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ plädiert, wie sie das seit Jahren bei zahlreichen dieser Akten tut. Selbst die Steuerbescheide von Lee Harvey Oswald durfte man bis dato aus diesem Grund nicht einsehen, was den Verdacht erregt, dass hier seine Einkünfte als Agent vermerkt sind. So wie hier kann die Veröffentlichung an vielen Punkten Klarheit verschaffen.
In Ihrem Buch taucht der Name George Joannides auf. Wer ist er? Und: Warum widmen Sie ihm Ihre Aufmerksamkeit?
George Joannides war Leiter des CIA-Büros für Psychologische Kriegsführung in Miami und finanzierte und steuerte die studentische Anti-Castro-Gruppe „Cuban Student Directorate“ (Directorio Revolucionario Estudantil – DRE), die schon wenige Stunden nach den Schüssen aktiv wurde und die erste JFK Verschwörungstheorie in die Welt setzte, die nicht nur in Amerika, sondern rund um den Globus sofort ein großes Echo fand: die Behauptung, dass es sich bei Lee Harvey Oswald um einen Kommunisten und Sympathisanten Fidel Castros handeln würde.
Können Sie seine Rolle noch etwas weiter beleuchten?
Die Rolle, die das Lancieren dieser Geschichte spielte, ist kaum zu unterschätzen: noch wurde ja der Verdächtige von der Polizei verhört, noch hatte die Dallas Police keine weiteren Details über Oswald veröffentlicht, da kommt schon eine detaillierte Verschwörungstheorie, die den unfassbaren Mord an dem überaus beliebten Präsidenten fassbar macht und „erklärt“ – ohne irgendeinen nachvollziehbaren Beweis, aber in sich stimmig und passend in das Weltbild und die Logik des Kalten Kriegs. Von der „New York Times“ abwärts landeten die „Fake News“ des angeblichen Castro-Anhängers Oswald weltweit auf den Titelseiten.
Die „Operational Files“ über Joannides Tätigkeiten in Miami sind mittlerweile alle veröffentlicht, nach wie vor unter Verschluss aber sind etwa 300 Seiten über die Zeit vor und nach dem Mord, als die von Joannides bezahlten Boys der DRE die erste große Schicht der Vertuschung der Hintergründe und des verdächtigten Täters auftrugen. Die zweite Schicht folgte dann kurz darauf: die Zurückweisung einer kubanisch-sowjetischen Großverschwörung unter Verweis auf die Weltkriegsgefahr und die Inszenierung Oswalds als einsamen Irren und einzigen Schützen durch die Warren Kommission.
Wie bewerten Sie denn die Rolle der Medien im Zusammenhang mit dem Attentat?
Der Mainstream kaufte die von den Behörden lancierten Stories unhinterfragt ab, in den ersten Tagen gab es aber in der Lokalpresse und von einigen unabhängigen Reportern durchaus auch schon kritische Berichterstattung. Ganz vorne mit dabei übrigens ein deutscher Autor, Joachim Joesten, der für Ossietzkys „Weltbühne“ gearbeitet hatte und 1933 nach Skandinavien und in die USA geflüchtet war, wo er für einige große Magazine und Verlage arbeitete. Doch die wollten seine Reportagen zu diesem Thema ebenso wenig drucken wie sein Buch „Oswald – Assassin or Fall Guy?“ in dem Joesten sehr klar und gut belegt den „Sündenbock“ Oswald dokumentiert. Auch regelmäßige Abnehmer seiner Reportagen in Deutschland wie die „Zeit“ und der „Stern“ wollten davon nichts hören, sein kritischer Bericht über die offizielle Einzeltäterthese erschien dann in der Schweizer „Weltwoche“.
Nachdem Staatsanwalt Garrison dann 1966 in New Orleans ein Strafverfahren eröffnete, das einige CIA-Leute aus Oswalds Umfeld unter die Lupe nahm und die von Anfang an in der Bevölkerung verbreitete Skepsis an der offiziellen Version weiter verstärkte, verschickte die CIA im April 1967 ihr mittlerweile berühmtes Memo „Countering the Critiscism of the Warren Report“ an alle ihre Stationen. Dort wird der Begriff »conspiracy theories« als Waffe gegen jede Art von Kritik an dem Ergebnis der Warren-Kommission empfohlen. Diese Direktive mit einschlägigen Handlungsanweisungen und Argumentationshilfen legte den Grundstein für die Umdeutung des ursprünglich neutralen Begriffs »Verschwörungstheorie« zu einer negativ konnotierten Vokabel, die seitdem als Disziplinierungs- und Kontrollinstrument im öffentlichen Diskurs fungiert, als Waffe der psychologischen Kriegsführung.
Der Begriff „Verschwörungstheorie“ ist also ein Kampfbegriff.
Ja, die Tabuisierung als „Verschwörungstheorie“ ermöglicht es, jeden Historiker und Forscher, der sich mit JFK beschäftigt, bei Bedarf zu kontaminieren – entweder als Spinner, der auch an UFOs oder den lebenden Elvis glaubt, oder als perfiden Geschäftemacher, der die Massen mit kruden, irrationalen Theorien zur Kasse bittet. Dass die offiziell beglaubigte „magische Kugel“ die irrationalste Theorie überhaupt ist, tut nichts zur Sache – „Verschwörungstheoretiker“ sind immer nur die anderen.
Realistisch betrachtet: Wenn die Ermittlungen der Behörden zu einem falschen Ergebnis gekommen sind, sehen Sie tatsächlich die Möglichkeit, dass der Fall jemals aufgeklärt werden kann?
Es ist nicht vorstellbar, dass die im Oktober öffentlich werdenden Dokumente beweisen könnten, dass John F. Kennedy im November 1963 tatsächlich von einem einsamen Irren erschossen worden ist. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass die schon jetzt gut belegten Argumente und Indizien, dass Feinde innerhalb seiner eigenen Geheimdienste und Behörden diesen Hinterhalt legten, aus der Rolle eines begründeten Verdachts einen neuen Status – durch Akten belegte Fakten – erhalten. Und nicht nur einen klareren Blick auf diesen „Königsmord“ ermöglichen, sondern ganz aktuell auch auf jene mysteriöse Institution, die mit der Regierung von Donald Trump wieder Schlagzeilen macht und „deep state“ genannt wird. Der ehemalige CIA-Direktor Hayden hat gerade in einem Interview vorgeschlagen, man solle – zur Vermeidung von Verwechslung mit Zuständen „wie in der Türkei oder Ägypten“ – in den USA doch eher von „permanenter Regierung“ sprechen. Dass JFK dieser „Regierung“ ins Gehege kam und aus dem Ruder lief, ist unbestreitbar, und nur sie – aber kein „Kommunist“, „Kubaner“ und kein „Mafiosi“ – hatte die Mittel und Möglichkeiten, eine solche Tat auszuführen und ihre Aufklärung seit nunmehr 53 Jahren zu verhindern. Und ich befürchte, das wird sie auch weiter tun. Die jüngste Wikileaks-Publikation zum digitalen Waffenarsenal der CIA war mit dem Password “SplinterItIntoAThousandPiecesAndScatterItIntoTheWinds” geschützt, dem Satz, den JFK zu seinem Bruder sagte, nachdem er gelernt hatte, wie die CIA ihn in Kriege zwingen wollte, die er nicht führen wollte. Laut Wikileaks ist erst 1 % des geheimen CIA-Materials veröffentlicht – dass also noch weitere Verbrechen aus den Tiefen des Staats bekannt werden, scheint möglich. Dann könnte sich zu Kennedys 100. Geburtstag im Mai 2017 vielleicht anbahnen, was ihm nicht gelang: dass dieser unselige Laden in 1000 Stücke zerschlagen wird.